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Die Traditionshypothese als Alternative zur Zweiquellentheorie:
Ihre neueren Vertreter, ihre Argumente, ihre Beurteilung*
Sönke Finnern
*Wissenschaftliche Hausarbeit (M. A. Thesis) an der FTA Gießen, April 2001 (leicht korrigierte Fassung).
Stark komprimiert erschienen in: JETh 16 (2002).

Übersicht

1. EINLEITUNG  (S. 1)
1.1 Einleitende Bemerkungen  (S. 1)
1.2 Definitorisches (S. 2)
1.3 Die Ziele dieser Arbeit  (S. 4)
1.4 Der Aufbau dieser Arbeit  (S. 4)

2. DIE NEUEREN VERTRETER DER TRADITIONSHYPOTHESE  (S. 5)
2.1 Vertreter der Traditionshypothese bis 1970  (S. 5)
2.2 Vertreter der Traditionshypothese seit 1970  (S. 7)
    2.2.1 Übersicht über neuere Vertreter  (S. 7)
    2.2.2 John Rist (1978)  (S. 13)
    2.2.3 Bo Reicke (1984, 1986)  (S. 16)
    2.2.4 John Wenham (1991)  (S. 21)
    2.2.5 Eta Linnemann (1992)  (S. 24)

3. ARGUMENTE DER TRADITIONSHYPOTHESE  (S. 30)
3.1 Externe Evidenz  (S. 30)
    3.1.1 Lukasprolog  (S. 30)
    3.1.2 Aussagen der Alten Kirche  (S. 32)
        3.1.2.1 Zur Existenz eines aramäischen Mt  (S. 32)
        3.1.2.2 Zur Reihenfolge der Evangelien  (S. 33)
        3.1.2.3 Zu einer literarischen Abhängigkeit  (S. 34)
3.2 Interne Evidenz  (S. 35)
    3.2.1 Stoffauswahl  (S. 35)
        3.2.1.1 Anteil an gemeinsamen Perikopen  (S. 35)
        3.2.1.2 Sondergut bei Mk  (S. 36)
        3.2.1.3 Kleinere Überhänge  (S. 36)
        3.2.1.4 Doppelüberlieferungstexte Mk/Q  (S. 37)
    3.2.2 Stoffanordnung  (S. 38)
        3.2.2.1 Übereinstimmende Reihenfolge  (S. 38)
        3.2.2.2 Die Platzierung des Q-Stoffes  (S. 38)
    3.2.3 Wortlaut  (S. 39)
        3.2.3.1 Die Höhe der Wortlautübereinstimmungen  (S. 39)
        3.2.3.2 Das Vorkommen hoher Wortlautübereinstimmungen  (S. 40)
        3.2.3.3 Das Vorkommen niedriger Wortlautübereinstimmungen  (S. 41)
        3.2.3.4 Die Unterschiedlichkeit der Wortlautübereinstimmungen  (S. 42)
        3.2.3.5 Gemeinsamer Wortschatz  (S. 43)
        3.2.3.6 Minor Agreements  (S. 43)
        3.2.3.7 Unerklärbare Redaktion  (S. 44)
3.3 Historische Überlegungen  (S. 47)
    3.3.1 Die Bedeutung der apostolischen Lehre in der Urgemeinde  (S. 47)
    3.3.2 Existenz einer mündlichen griechischen Tradition  (S. 48)
    3.3.3 Die Festigkeit der mündlichen griechischen Tradition  (S. 49)
        3.3.3.1 Memorieren  (S. 50)
        3.3.3.2 Möglichkeit von Notizen  (S. 51)
        3.3.3.3 Stilisierung der Geschichten   (S. 52)
    3.3.4 Die Fortdauer der festen mündlichen Tradition bis zur Abfassung der Evangelien  (S. 52)
    3.3.5 Der Vorzug der mündlichen Tradition ("viva vox")  (S. 53)

4. ARGUMENTE GEGEN DIE TRADITIONSHYPOTHESE  (S. 55)
4.1 Externe Evidenz  (S. 55)
    4.1.1 Lukasprolog  (S. 55)
    4.1.2 Aussagen der Alten Kirche  (S. 56)
4.2 Interne Evidenz  (S. 57)
    4.2.1 Stoffauswahl  (S. 57)
        4.2.1.1 Anteil an gemeinsamen Perikopen (zu 3.2.1.1)  (S. 57)
        4.2.1.2 Abwesenheit der Q-Tradition bei Mk  (S. 58)
    4.2.2 Stoffanordnung  (S. 58)
    4.2.3 Wortlaut  (S. 58)
        4.2.3.1 Die Höhe der Wortlautübereinstimmungen (zu 3.2.3.1)  (S. 58)
        4.2.3.2 Gleiche Parenthesen  (S. 59)
        4.2.3.3 Die Andersartigkeit des Johannesevangeliums  (S. 60)
        4.2.3.4 Nachweisbare Redaktion (zu 3.2.3.7)  (S. 60)
4.3 Historische Überlegungen  (S. 61)
    4.3.1 "Die Fragwürdigkeit mdl. synoptischer Tradition überhaupt" (zu 3.3.2)  (S. 61)
    4.3.2 Zweifel an der Festigkeit der mündlichen Tradition (zu 3.3.3)  (S. 62)

5. BEURTEILUNG  (S. 64)
5.1 Externe Evidenz  (S. 64)
    5.1.1 Lukasprolog  (S. 64)
    5.1.2 Aussagen der Alten Kirche  (S. 65)
5.2 Interne Evidenz  (S. 66)
    5.2.1 Stoffauswahl  (S. 66)
        5.2.1.1 Anteil an gemeinsamen Perikopen  (S. 66)
        5.2.1.2 Verhältnis von Mk und Q  (S. 66)
    5.2.2 Stoffanordnung  (S. 67)
        5.2.2.1 Übereinstimmende Reihenfolge  (S. 67)
        5.2.2.2 Die Platzierung des Q-Stoffes  (S. 68)
    5.2.3 Wortlaut  (S. 69)
        5.2.3.1 Die Höhe der Wortlautübereinstimmungen  (S. 69)
        5.2.3.2 Die Unterschiedlichkeit der Wortlautübereinstimmungen  (S. 69)
        5.2.3.3 Gleiche Parenthesen  (S. 70)
        5.2.3.4 Die Andersartigkeit des Johannesevangeliums  (S. 71)
        5.2.3.5 Gemeinsamer Wortschatz  (S. 71)
        5.2.3.6 Minor Agreements  (S. 72)
        5.2.3.7 Unerklärbare oder nachweisbare Redaktion?  (S. 73)
5.3 Historische Überlegungen  (S. 74)
    5.3.1 Existenz einer mündlichen griechischen Tradition  (S. 74)
    5.3.2 Die Festigkeit der mündlichen griechischen Tradition  (S. 74)
5.4 Zusammenfassung  (S. 76)
5.5 Ausblick  (S. 76)

6. FAZIT  (S. 79)

7. BIBLIOGRAFIE  (S. 81)


1

1. EINLEITUNG

1.1 Einleitende Bemerkungen

    In heutigen NT-Einleitungen gehört es zum guten Ton, vor einer Darstellung und Begründung der Zweiquellentheorie auch kurz andere Modelle zur Entstehung der synoptischen Evangelien zu skizzieren, die im Lauf der Geschichte vertreten wurden: die Traditionshypothese, die Urevangeliumshypothese, die Fragmenten- bzw. Diegesenhypothese sowie verschiedene Benutzungshypothesen.1 Nach einer kurzen Widerlegung dieser Entwürfe wird dann die Zweiquellentheorie mit ihren klassischen Argumenten dem Leser nahegebracht.
    Die Traditionshypothese (TH)2 ist eins dieser Modelle, die häufig im Vorbeigehen erwähnt werden. Ihre Grundannahme besteht darin, dass die Übereinstimmungen und Unterschiede der drei synoptischen Evangelien auf eine gemeinsame Benutzung der mündlichen Tradition zurückgeführt werden können, weniger auf literarische Abhängigkeit untereinander. Trotz der dominierenden Zweiquellentheorie sind in den letzten 20 Jahren hin und wieder einzelne Veröffentlichungen erschienen, die für eine TH argumentieren. Allerdings ist zu beobachten, dass sie in der Regel kaum Aufmerksamkeit finden.3
    Andererseits mehren sich die Schwierigkeiten mit der klassischen Zweiquellentheorie. Vieles wird unsicherer, die Zweiquellentheorie muss mit immer neuen Annahmen gestützt werden (Dmk, QMt/QLk, Lk benutzte einen defektiven Dmk, Mk kannte Q), und die Zahl der alternativen Vorschläge zur Lösung der synoptischen Frage geht in die Höhe.4 So könnte es an der Zeit sein, auch die TH wieder ernsthafter in Erwägung zu ziehen und ihre Argumente und Erklärungsfähigkeit neu zu überprüfen. Aus diesem Grund beschäftigt sich  diese Arbeit nun mit der "Traditionshypothese als Alternative zur Zweiquellentheorie".

    1 Z. B. Udo Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 3., neubearb. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1999, S. 178-180; Ingo Broer, Einleitung in das Neue Testament, Bd. 1: Die synoptischen Evangelien, die Apostelgeschichte und die johanneische Literatur, Die neue Echter Bibel, Ergänzungsband 2/I zum NT, Würzburg: Echter, 1998, S. 42-45; Werner Georg Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, 21., erg. Aufl. Heidelberg: Quelle & Meyer, 1983, S. 19-22; Philipp Vielhauer, Geschichte der urchristlichen Literatur: Einleitung in das Neue Testament, die Apokryphen und die Apostolischen Väter, Berlin: de Gruyter, 1975, S. 263-268.
    2 Für die Traditionshypothese wird in dieser Arbeit fortan das Kürzel „TH" verwendet. Weitere Abkürzungen: Mt, Mk, Lk: die drei Evangelisten; mt, mk, lk: matthäisch, markinisch, lukanisch; MtEv usw.: Matthäusevangelium; Q: Logienquelle; Dmk: Deuteromarkus.
    3 Schnelle, Einleitung, S. 193f. nennt immerhin Reicke (s.u. 2.2.3).
    4 Vgl. z.B. neuerdings Franz Graf-Stuhlhofer, "Die Bruchstellen der gemeinsamen Perikopen-Reihenfolge als Indiz für vier gemeinsame Quellen der Synoptiker", European Journal of Theology 9 (2000), S. 117-129; Philippe Rolland, "A New Look at the Synoptic Question", European Journal of Theology 8 (1999), S. 133-144; B. E. Wilson, "The Two Notebook Hypothesis: An Explanation of Seven Synoptic Patterns", Expository Times 108 (1997), S. 265-268.


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1.2 Definitorisches

    Wir haben bis jetzt immer von "der" TH geredet. Wer sich etwas auskennt, weiß, dass jedes Modell der TH oft ein klein wenig anders ist. Aber es erscheint in der Regel nicht sinnvoll, jeder Variante einen eigenen Namen zu geben. Man muss also sinnvolle Kategorien haben, denen man eine Klasse von einzelnen Modellen zuordnen kann.
    Modelle sind eine Menge von Einzelannahmen (Elementen), die aufeinander bezogen sind. Bei historischen Entstehungsmodellen wie der TH und der Zweiquellentheorie handelt es sich auch um historische Einzelannahmen, z.B. dass Mt ein Exemplar des MkEv vor sich liegen hatte und es für sein Evangelium bearbeitete. Die TH kann nun als eine Klasse von Einzelmodellen angesehen werden, die bestimmte Elemente gemeinsam haben. Darum erweist es sich als nützlich, bei einem Modell konstitutive und variable Elemente zu unterscheiden. Die konstitutiven Elemente eines Modells haben dabei auch gleichzeitig definitorische Funktion, damit etwas als "Traditionshypothese" usw. bezeichnet werden kann. Um die Traditionshypothese und die Zweiquellentheorie als Beispiel zu nehmen:

Konstitutive Elemente für eine Traditionshypothese sind: (mein Definitionsvorschlag)
    • Existenz einer mündlichen Tradition
    • die Evangelisten benutzten hauptsächlich5 die mündliche Tradition beim Schreiben ihres Evangeliums
Variable Elemente der Traditionshypothese sind: (ausgewählte Vertreter in Klammern)
    • Existenz einer geformten mündlichen griechischen Tradition
    • diese geformte mündliche Tradition hat eine bestimmte Reihenfolge (Reicke)
    • Existenz einer geformten mündlichen didaktischen Tradition ohne bestimmte Reihenfolge (Q-Stoff) (Reicke, Scott)
    • die Jünger lernten Jesusworte auswendig
    • Existenz einiger Notizen über Leben und Worte Jesu
    • Verwendung einiger Notizen durch die Evangelisten (Hörster, Dearing u.a.)
    • Benutzung eines Evangeliums durch andere Evangelisten für die allgemeine Struktur (Wenham)
    • Existenz eines aramäischen Urmatthäus (Reicke, Linnemann u.a.)
Außerdem sind auch noch weitere variable Elemente denkbar.

    5 Diese Ergänzung ist wichtig, da es zahlreiche Mischformen geben kann, z. B. mit der Benutzung von Notizen, mit der Verwendung eines anderen Evangeliums oder mit der Benutzung eines unbekannten Urevangeliums.


3

    Zum Vergleich hier die konstitutiven und variablen Elemente der Zweiquellentheorie:
Konstitutive Elemente sind:
    • Das Markusevangelium wurde zuerst geschrieben
    • Mt hat das Markusevangelium benutzt
    • Lk hat das Markusevangelium benutzt
    • Mt hat eine Quelle Q benutzt
    • Lk hat eine Quelle Q benutzt
    • Mt und Lk haben jeweils eigenes Sondergut benutzt
An variablen Elementen sind festzustellen:
    • die Quelle Q kann mündlich oder schriftlich sein
    • das Sondergut des Mt und das Sondergut des Lk kann mündlich oder schriftlich sein
    • Existenz eines Deuteromarkus (Dmk), den Mt und Lk benutzten
    • Lk benutzte einen defektiven Dmk
    • Mt und Lk verwendeten unterschiedliche Q-Rezensionen
    • Mk kannte Q

    Solche variablen Elemente können nahezu beliebig miteinander kombiniert werden, sodass man insgesamt eine Unmenge von Varianten eines Modells erhält. Dabei erscheint es zweckmäßig, weiterhin von der Zweiquellentheorie zu reden, weil die definierenden Grundannahmen beibehalten werden,6 anstatt jede Variante einzeln zu benennen und so einer verwirrenden Begriffsinflation Vorschub zu leisten. Man könnte höchstens einmal in einer Tabelle die verschiedenen denkbaren Varianten der Zweiquellentheorie mit ihren jeweiligen variablen Elementen aufführen, sodass eine bestimmte Version genau mit "Zweiquellentheorie, Variante 24" bezeichnet werden kann (z.B. für schriftliche Quelle Q, mündliches Sondergut, Existenz eines Dmk, Benutzung eines fehlerhaften Dmk durch Lk).

    Für die Skizzen in Teil 2.2 gilt nebenstehende Legende:
 

    6 Dieses terminologische Problem ergibt sich bei Albert Fuchs, „Durchbruch in der Synoptischen Frage: Bemerkungen zu einer ,neuen‘ These und ihren Konsequenzen", Studien zum Neuen Testament und seiner Umwelt 8 (1983), S. 5-17, einem engagierten Verfechter der Dmk-Hypothese, der beim Einbezug des Dmk den Begriff der „Zweiquellentheorie" fallen lassen möchte und lieber von einer „Dreistadien- oder Dreistufentheorie" spricht (S. 17). Wenn Fuchs also gegen die „Zweiquellentheorie" wettert, dann meint er einfach ihre klassische Ausprägung. Für andere jedoch umschließt die Zweiquellentheorie auch die Dmk-Hypothese (Schnelle, Einleitung, S. 187).


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1.3 Die Ziele dieser Arbeit

    Diese Arbeit verfolgt drei Ziele:
    (1) Es soll eine kleine neuere Forschungsgeschichte zur TH geboten werden, die einen Überblick über die TH in neuester Zeit ermöglicht.
    (2) Weil anzunehmen ist, dass einzelne Publikationen zur TH immer nur ein Teil der Argumente erfasst haben, werden außerdem die Argumente der TH strukturiert zusammengetragen und anschließend auch die Gegenargumente genannt, die die neuere Literatur gegen die Traditionshypothese einwendet.
    (3) Schließlich muss gefragt werden, inwieweit die TH wirklich gute Argumente vorbringen kann, ob man sich in neuester Zeit schon zu Genüge mit ihr auseinandergesetzt hat oder ob sie einfach aus Bequemlichkeit ignoriert wird.

1.4 Der Aufbau dieser Arbeit

    Anhand des Untertitels "... Ihre neueren Vertreter, ihre Argumente, ihre Beurteilung" soll kurz der Aufbau dieser Arbeit erläutert werden.
    "Ihre neueren Vertreter, ...": In Kapitel 2 werden nach einem kleinen Überblick über die Geschichte der TH die neueren Vertreter der TH kurz vorgestellt. Vier von ihnen, die besonders wichtig scheinen, werden dann herausgegriffen und ihre Publikation(en) eingehender behandelt (vgl. Ziel 1).
    "... ihre Argumente, ...": Für Kapitel 3 wurden die Argumente der TH systematisch gesammelt und strukturiert (vgl. Ziel 2a). So kann einfach beobachtet werden, an welcher Stelle ihre Begründung stark oder schwach ist. Wo es passend erschien, wurden ihre Argumente durch Hinweise auf weitere Veröffentlichungen ergänzt, deren Autoren nicht unbedingt direkt der TH angehören mussten.
    "... ihre Beurteilung": Die Beurteilung der TH durch ihre Kritiker in Einleitungen, Literaturberichten und Rezensionen folgt in Kapitel 4 (vgl. Ziel 2b). Meine eigene Beurteilung der Argumente beider Seiten, der Forschungslage allgemein und weiterführende Gedanken sind abschließend in Kapitel 5 zu finden (vgl. Ziel 3).

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2. DIE NEUEREN VERTRETER DER TRADITIONSHYPOTHESE

    In diesem Kapitel soll zunächst zusammengetragen werden, wer überhaupt in letzter Zeit die Traditionshypothese vertreten hat. Anschließend werden vier Personen herausgegriffen, die sehr ausführlich für sie argumentiert haben, wobei ihre genaue Position und Argumentation dargestellt werden soll. Um die "neueren" Vertreter abzugrenzen, wird der Schnitt einfach bei 1970 angesetzt, weil 30 Jahre ein übersichtlicher Zeitraum sind und in etwa der Lebensdauer einer Forschergeneration entsprechen.

2.1 Vertreter der Traditionshypothese bis 1970
    Zur Einführung sollen kurz einige Einblicke in die Geschichte der TH gegeben werden. Es wird allgemein angenommen, dass die TH zum ersten Mal 1796 von Herder vertreten wurde.7 Baarlink hat jedoch neuerdings darauf hingewiesen, dass man Herder nicht ohne weiteres für die TH in Anspruch nehmen könne, da dieser annimmt, dass das mündliche Evangelium noch vor dem Tod des Jakobus durch Matthäus auf aramäisch schriftlich fixiert worden ist und als solches die Grundlage für die Verkündigung bildete.8 Im Gegensatz zu Schmithals9 deutet Baarlink Herders Annahme eines schriftlichen Urevangeliums dabei nicht als spätere Hinzufügung bei der Herausgabe seiner Schriften.10 Nach Herder ist außerdem H. E. G. Paulus als Vertreter der TH zu nennen.11
    Richtig entwickelt wurde die klassische TH erst durch J. C. L. Gieseler, der die drei Evangelien allein auf eine mündliche Quelle zurückführte. Eine feste mündliche Tradition habe sich nach Gieseler "unter den Aposteln bei der öftern Wiederholung derselben Erzäh-

    7 Vgl. Schnelle, Einleitung, S. 179f.; Broer, Einleitung, S. 43; Kümmel, Einleitung, S. 20f. Schmithals weist jedoch auch auf Eckermann hin, der 1796 und 1806 Traditionshypothese mit Fragmenten-, Urevangeliums- und Benutzungshypothese kombiniert haben soll (Walter Schmithals, Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin: de Gruyter, 1985, S. 78).
    8 Heinrich Baarlink, "Herders These eines schriftlichen Urevangeliums: Revision einer gängigen Darstellung", Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 91 (2000), S. 274-278, hier S. 278. Ähnlich schon Armin D. Baum, "Rez.: Gerhard Hörster, Einleitung und Bibelkunde zum Neuen Testament, Handbibliothek zur Wuppertaler Studienbibel, Wuppertal: Brockhaus, 1993", Jahrbuch für evangelikale Theologie 8 (1994),  S. 165-167, hier S. 166.
    9 Schmithals, Einleitung, S. 80. Vgl. Schmithals' Artikel "Evangelien", Theologische Realenzyklopädie, Bd. 10, Berlin: de Gruyter, 1982, S. 570-626, hier S. 580f.
    10 Baarlink, "Herders These", S. 276, 278.
    11 Vgl. Armin D. Baum, "Die älteste Teilantwort auf die synoptische Frage (Lk 1,1-4)", Jahrbuch für evangelikale Theologie 8 (1994), S. 9-32, hier S. 14-16.


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lungen mehr wie von selbst"12 herausgeformt. Wichtiges, häufig Vorgetragenes und auffällige Formulierungen wiesen dabei die größten Übereinstimmungen auf, weil sich dies am besten einprägte. Weil das aramäische Evangelium schon in Jerusalem regelmäßig ins Griechische übersetzt werden musste (Apg 6,1), bildete sich auch eine feste mündliche griechische Tradition. Gieselers Entwurf verbreitete sich schnell, und die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts wurden so zur Blütezeit der TH: 1838 konnte Weisse sagen, dass "die überwiegende Mehrzahl der in der Literatur unserer Zeit mitsprechenden oder tonangebenden Theologen" die TH vertrete.13 Doch die allgemeine Abwehr der Kritik von Strauß, der sein "Leben Jesu" (1835/36) auf der Grundlage der TH verfasste, beschleunigte dann die Abwendung von der TH und die Hinwendung zu Benutzungshypothesen.14 Der "überzeugendste Einwand", mit dem Weisse Strauß und die TH widerlegte, war, dass es "diese [schöpferische] mündliche Gemeinsage ... nachweislich überhaupt nicht gegeben" habe.15
    Der TH angeschlossen haben sich u.a. (manchmal mit Modifikationen) E. Sartorius (1820), W. M. L. de Wette (1826), H. A. Schott (1830), C. A. Credner (1836), A. Tholuck (1837), A. Ebrard (1841/42), H. E. F. Guericke (1843), L. F. O. Baumgarten-Crusius (1844), H. W. J. Thiersch (1845, 1852), A. Durand (1855), B. F. Westcott (1860)16, Hase (1876), F. W. Farrar (1880), P. Schaff (1882), E. Le Camus (1883), G. Wetzel (1883), A. Wright (1890), G. L. Hahn (1892), F. L. Godet17 (1897); im 20. Jahrhundert dann E. Jacquier (1905), G. Heinrici (1908), P. Fiebig (1914), T. Soiron (1916), E. Ridaux (1934), P. Gaechter (1938), J. W. Doeve (1957), C. F. D. Moule (1962) und S. Porúbcan (1964/65).18 An katholischen Exegeten sind aus dem 19. und 20. Jahrhundert zusätzlich zu nennen: Haneberg, Friedlieb, Meignan, Fillion, Fouard, Felten, P. Schegg, A. Bisping, F. Kaulen, R. Cornely, J. Knabenbauer, E. Levesque, C. Lattey, M.

    12 Zitat von Gieseler bei Schmithals, Einleitung, S. 83.
    13 Dieses Zitat ebd., S. 84.
    14 So Schmithals, "Evangelien", S. 583f.; ders., Einleitung, S. 126-135, besonders S. 133. Bo Reicke, "From Strauss to Holtzmann and Meijboom: Synoptic Theories Advanced During the Consolidation of Germany, 1830-1870", Novum Testamentum 29 (1987), S. 1-21, hier S. 10, 12 sieht allerdings bei Strauß eher die Griesbachhypothese vertreten.
    15 Schmithals, Einleitung, S. 133. Interessanterweise wird gerade das, womit man die Traditionshypothese abschmetterte, von der Formgeschichte wieder vorausgesetzt. Man muss also entweder die Formgeschichte in Frage stellen (was Schmithals tut) oder dieses Hauptargument des 19. Jahrhunderts gegen die Traditionshypothese fallen lassen (was heute wohl mehrheitlich gemacht wird).
    16 Brooke Foss Westcott, Introduction to the Study of the Gospels with Historical and Explanatory Notes, 1860, Boston: Gould & Lincoln, 1866, besonders S. 174-216.
    17 Die Position aus seiner Einleitung ist auch in Frédéric Godets Kommentar zu finden: Das Evangelium des Lukas, 2. Aufl. 1890, ND Gießen: Brunnen, 1986, hier S. 33-38.
    18 Die meisten sind bei Schmithals, Einleitung, S. 84f. aufgeführt, vgl. S. 86-89. Ansonsten bieten verschiedene Einleitungswerke (wenn überhaupt) recht unterschiedliche Auflistungen. Nicht bei Schmithals zu finden sind folgende Namen: Schulz und Durand, dafür bei Eduard Reuss, Die Geschichte der Heiligen Schriften Neuen Testaments, 6., verm. u. verbess. Aufl. Braunschweig: Schwetschke, 1887, S. 173; Hase bei Godet, Lukas, S. 33; Westcott und Wright bei Donald Guthrie, New Testament Introduction, 4. Aufl. Downers Grove: InterVarsity, 1990, S. 142f.; Ridaux und Porúbcan nur bei Alfred Wikenhauser / Josef Schmid, Einleitung in das Neue Testament, 6., völlig neu bearb. Aufl. Freiburg: Herder, 1973, S. 277.


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Jousse, L. Murillo und L. G. da Fonseca.19 Die katholische Seite hat übrigens nur zögerlich die Zweiquellentheorie angenommen und noch relativ lange Urevangeliums- oder Traditionshypothesen vertreten.

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2.2 Vertreter der Traditionshypothese seit 1970

2.2.1 Übersicht über neuere Vertreter
    Die TH ist heute nicht gerade weit verbreitet, und man muss schon suchen, bis man jemanden findet, der eine TH vertritt. An dieser Stelle sollen deshalb erst einmal möglichst viele Befürworter der TH zusammengetragen und in chronologischer Reihenfolge ihre jeweiligen Varianten der TH kurz vorgestellt werden, um eine ungefähre Einschätzung der Lage zu ermöglichen. Einige von denen, die ihre Position breiter begründet haben, werden anschließend (2.2.2-2.2.5) ausführlicher wiedergegeben.
    a) Rist (1978): John Rist, ein kanadischer Altphilologe, argumentiert in den Monograph Series der SNTS für die literarische Unabhängigkeit von Mt und Mk, die stattdessen jeweils auf die mündliche Tradition zurückgehen sollen.20 Sein Hauptargument besteht darin, dass die Unterschiede zwischen Mt und Mk nicht durch Redaktion erklärbar sind, was er im Mittelteil seines Buches durch Einzelanalysen begründet. Für Lk nimmt er jedoch eine literarische Abhängigkeit von Mt und Mk an. Kritiker haben bemängelt, dass er die redaktionsgeschichtlichen Arbeiten nicht ausreichend zur Kenntnis genommen hat.21 Weil es aber ein Hauptargument der TH ist, dass sich viele Unterschiede nicht als Redaktion deuten lassen, soll Rist gleich näher vorgestellt werden (2.2.2).
    b) Melick (1979): Nach G. F. Melick, John Mark and the Origin of the Gospels: A Foundation Document Hypothesis, 1979 soll die urchristliche Predigt keine Überlieferungen des Lebens Jesu enthalten haben; allerdings wurden auf der Grundlage von späteren Erzählungen des Markus, der bei einigen Ereignissen dabei gewesen war, unabhängig voneinander die synoptischen Evangelien verfasst, wobei eins der Evangelien den Namen des Mk bekam.22

    19 Diese Namen werden erwähnt bei Francis E. Gigot, "Synoptics", The Catholic Encyclopedia, 1913, www.newadvent.org/cathen/14389b.htm (9.4.01) und Wikenhauser / Schmid, Einleitung, S. 277.
    20 John M. Rist, On the Independence of Matthew and Mark, Society for New Testament Studies: Monograph Series 32, Cambridge: UP, 1978.
    21 Carl R. Kazmierski, "Rez.: John M. Rist, On the Independence of Matthew and Mark, SNTSMS 32, New York: Cambridge UP, 1978", Catholic Biblical Quarterly 41 (1979), S. 494f.; Thomas R. W. Longstaff, "Rez.: John M. Rist, On the Independence of Matthew and Mark, SNTSMS 32, New York: Cambridge UP, 1978", Journal of Biblical Literature 100 (1981), S. 127-130, hier S. 130.
    22 Schmithals, Einleitung, S. 124. Melicks Buch selbst lag mir nicht vor.


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    c) Dearing (1979): Vinton A. Dearing23 vertritt eine weitgehende literarische Unabhängigkeit der Evangelien. Übereinstimmungen in Narrativtexten sind inhaltlich bedingt; deren Kernsätze, die oft die meisten Übereinstimmungen zeigen, wusste man auswendig (so wie man die Pointe eines Witzes genau im Kopf haben muss). Hohe Wortlautübereinstimmung in einigen Diskurstexten (nur Mt 3,7-10; 16,24-28; 19,13f.; 20,25-28; z.T. Mt 24,4-36 jeweils mit Parallelen) beruhen jedoch auf der gemeinsamen Benutzung schriftlicher Logien. Dearing nimmt insgesamt kaum Bezug auf Sekundärliteratur.
    d) Dyer (1981): In seinem Artikel hinterfragt Charles H. Dyer24 die „underlying presuppositions" der Benutzungshypothesen. Die Argumente für die Markuspriorität könnten auch anders erklärt werden; für Q, M und L gebe es keine historischen Anhaltspunkte; bei einer Redaktion müssten die Evangelisten literarische Verrenkungen gemacht haben; außerdem sei die Übereinstimmung in der wörtlichen Rede am größten (Dyer erklärt dies theologisch mit Joh 14,26). Die Jünger haben nach Dyer die Worte Jesu genau auswendig gelernt, und Variationen kommen daher, dass Jesus seine Botschaft oft mit ähnlichen Worten (auch an verschiedenen Orten, vgl. Klage über Jerusalem) wiederholt habe. Die Übereinstimmungen und Unterschiede in Narrativtexten gehen nach Dyer direkt auf die Ereignisse zurück.
    e) Mauerhofer (1983, 1995): Die zweibändige NT-Einleitung von Erich Mauerhofer25 enthält einen Lösungsvorschlag zur synoptischen Frage26, den er bereits 1983 veröffentlicht hatte.27 Schon zur Zeit der Wirksamkeit Jesu hätten sich die Jünger die Worte Jesu eingeprägt und sich auch Notizen von Reden und Ereignissen gemacht. Bei der Verkündigung der Apostel habe sich dann die synoptische Tradition herausgebildet. Ca. 40/45 n. Chr. sei das aram. MtEv abgefasst worden, das Lk und Mk beim Schreiben ihrer Evangelien bekannt war (Lk: ca. 60 n. Chr., Mk: ca. 64-67 n. Chr.). Mk habe außerdem möglicherweise das LkEv gekannt. Hauptsächlich jedoch würde das LkEv auf Befragung der Augenzeugen

    23 Vinton A. Dearing, "The Synoptic Problem: Prolegomena to a New Solution", The Critical Study of Sacred Texts, Hg. Wendy Doniger O'Flaherty, Berkeley Religious Studies Series 2, Berkeley (CA): Graduate Theological Union, 1979, S. 121-137.
    24 Charles H. Dyer, "Do the Synoptics Depend on Each Other?", Bibliotheca Sacra 138 (1981), S. 230-245.
    25 Erich Mauerhofer, Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments, 2 Bde., 1995, 2. Aufl. Neuhausen: Hänssler, 1997/99.
    26 Ebd., Bd. 1, S. 204-210.
    27 Erich Mauerhofer, "Die synoptische Frage", Fundamentum 2/1982, S. 91-98; 3/1982, S. 41-46; 4/1982, S. 57-63; 1/1983, S. 51-62 (der Lösungsvorschlag selbst findet sich im 4. Teil,  S. 61f.).


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und das MkEv auf der petrinischen Predigt beruhen.28 Das MtEv sei "eventuell im Zusammenhang mit Lukas" ins Griechische übersetzt worden, jedenfalls vor 100 n. Chr.29
    f) Reicke (1984, 1986): Reicke kann als ein Hauptvertreter der TH gelten. Er hat seine Ansicht in einem Artikel in der Reihe Aufstieg und Niedergang der römischen Welt30 und zwei Jahre später ausführlicher in einem Buch31 publiziert. Am Evangelientext beobachtet er die gemeinsame Reihenfolge in der Tripeltradition und die dagegen völlig verschiedene Reihenfolge im Q-Stoff, und im Buch untersucht er zusätzlich die einzelnen Erzählblöcke mit unterschiedlichen Anteilen an kontextparallelen Perikopen. In Übereinstimmung mit diesen Beobachtungen unternimmt Reicke eine historische Rekonstruktion der Evangelien-entstehung: Die Tripeltradition entspreche der geformten mündlichen Tradition der Urgemeinde, wo auch die Reihenfolge des Stoffes mit festgelegt war; zusätzlich wurden von Mt und Lk noch verschiedene Logien aufgenommen, die aufgrund ihrer didaktischen Natur nicht im Leben Jesu verortet waren. Seine relativ ausgefeilte Version der TH wird unten eingehender betrachtet (2.2.3).
    g) Scott (1986): Von einer detaillierten Analyse des Lukasprologs ausgehend entwickelt Scott32 seine "two-tradition theory". Die mündliche Überlieferung bestand nach Scott aus einer gemeinsamen Erzähltradition, die die Grundlage für alle drei Evangelien bildete, und verschiedenen unabhängigen Traditionen, die Mt und Lk zusätzlich verwendeten.33 Dieselbe Zweiteilung findet sich auch bei Reicke.
    h) van den Brink (1990): G. van den Brink34 verweist in seinem Artikel zur Begründung der Traditionshypothese in vier Abschnitten auf die damalige Gedächtniskultur und die mündliche Belehrung durch Auswendiglernen, auf die mögliche Existenz von schriftlichen

    28 Das ist auch der Grund, warum man Mauerhofer am besten zur TH rechnen sollte. Er selbst kritisiert die "Oral-Traditionshypothese" (Einleitung, Bd. 1, S. 180) und zeigt deutliche Sympathie mit der Griesbachhypothese (S. 180-183, 186), die er aber in seinem eigenen Modell zugunsten der jeweiligen Quellen der Evangelisten dann wiederum stark abschwächte.
    29 Mauerhofer, Einleitung, Bd. 1, S. 208f.
    30 Bo Reicke, "Die Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien", Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, Reihe II: Principat, Bd. 25.2, Berlin: de Gruyter, 1984, S. 1758-1791.
    31 Bo Reicke, The Roots of the Synoptic Gospels, Philadelphia: Fortress, 1986.
    32 James W. Scott, Luke's Preface and the Synoptic Problem, Ph.D. Thesis, St. Andrews, 1986. Vgl. Wenhams kritische Würdigung: John Wenham, Redating Matthew, Mark and Luke: A Fresh Assault on the Synoptic Problem, London: Hodder & Stoughton, 1991, S. 7f.
    33 Scott, Luke's Preface, S. 314.
    34 G. van den Brink, "Redacteur of evangelist? De literaire onafhankelijkheid van de synoptische evangeliën", Verkenningen in de evangeliën, Hg. G. van den Brink u.a., Theologische verkenningen: Bijbel en exegese 5, Kampen: Kok, 1990, S. 77-85. Sein apologetisches Anliegen nennt er gleich zu Anfang: "Drie onafhankelijke getuigen van hetzelfde gebeuren moeten toch ieder overtuigen van de betrouwbaarheid van deze overleveringen!" (S. 77).


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Notizen und die Parallele zu Wortlautübereinstimmungen in den ursprünglich mündlich überlieferten Targumim.
    i) Wenham (1991): Wenham argumentiert in seinem Buch Redating Matthew, Mark & Luke für eine "(o)ral Theory with some measure of successive dependence".35 Die Übereinstimmungen in der Perikopenreihenfolge und an einigen Stellen im Wortlaut erklärt er dadurch, dass spätere Evangelisten die vorher geschriebenen Evangelien (Mk: Mt; Lk: Mt und Mk) zu Rate gezogen haben, aber ansonsten ihre eigenen Traditionen verarbeiteten. Weil Wenham so ausführlich auf die altkirchlichen Zeugnisse eingeht (S. 116-197), weil er eine Reihe von Beobachtungen an den Evangelientexten macht (S. 11-115) und eine interessante Verknüpfung von Abhängigkeit und Unabhängigkeit der Evangelien vertritt, soll er ausführlicher behandelt werden (2.2.4).
    j) Linnemann (1992, 1998): In dem Buch mit dem provokativen Titel Gibt es ein synoptisches Problem?36 will Linnemann anhand von statistischen Analysen die literarische Unabhängigkeit der Evangelien nachweisen. Sie überprüft die typischen Begründungen für eine literarische Abhängigkeit (Akoluthie, die Wortlautübereinstimmungen und gemeinsamer Wortschatz) akribisch an den Evangelientexten, deutet ihre Daten zugunsten einer Unabhängigkeit der Synoptiker und formuliert zum Schluss eine Form der Traditionshypothese. Einige weitere Analysen hat sie 1998 nachgetragen.37 Da Linnemann wie niemand sonst die TH durch empirische Untersuchungen begründet, soll auch sie näher betrachtet werden (2.2.5).

    Bei folgenden Personen ist eine Form der Traditionshypothese (möglicherweise) anzunehmen. Sie stellen sie aber nicht ausführlicher dar.
    k) Robinson (1976): John A. T. Robinson38 wurde nachgesagt, Anhänger der TH zu sein.39 Robinson nimmt offenbar an, dass sich die Evangelien gleichzeitig mit verschiedenen Wechselbeziehungen untereinander entwickelt haben und dabei auf schriflicher und mündlicher Überlieferung beruhen.40 Weiteres lässt
 

    35 Wenham, Redating, hier S. xxviii.
    36 Eta Linnemann, Gibt es ein synoptisches Problem?, 1992, 3., überarb. Aufl. Nürnberg: VTR, 1998.
    37 Eta Linnemann, Bibelkritik auf dem Prüfstand: Wie wissenschaftlich ist die "wissenschaftliche Theologie"?, Nürnberg: VTR, 1998, hier S. 13-52.
    38 John A. T. Robinson, Wann entstand das Neue Testament?, Paderborn: Bonifatius, 1986 (engl. 1976).
    39 Jürgen Roloff, "Neutestamentliche Einleitungswissenschaft: Tendenzen und Entwicklungen", Theologische Rundschau 55 (1990), S. 385-423, zu Robinson S. 417-419: An die Stelle der Zweiquellentheorie "setzt er eine etwas unklare Fassung der alten Traditionshypothese ..." (S. 418).
    40 Robinson, Wann entstand das NT?, S. 103. Er schreibt dort beispielsweise: "So wie wir die Evangelien haben, sind sie eher als parallel, in keinerlei Weise voneinander isoliert zu betrachten, vielmehr als Entwicklungen eines gemeinsamen Materials, die für verschiedene Gegenden der christlichen Mission bestimmend sind; wir sollten sie nicht einfach als eine Reihe von Dokumenten ansehen, die in einer


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er letztlich unklar und begründet es auch nicht näher.
    l) Feneberg (1980): R. Feneberg41 wird von Schmithals unter den Vertretern der TH aufgezählt.42 Er versteht die Gattung Evangelium als "kleine Einheit" im Sinne der Formgeschichte; Mk "mußte die Form Evangelium nur als erster literarisch fassen."43 Auch Mt und Lk haben "primär" diese mündliche Tradition verwendet, aber die Zweiquellentheorie gelte weiterhin, da Mk als "erste literarisch gefaßte Form einen besonderen Einfluß in der Überlieferungsgeschichte" gewonnen habe.44
    m) Blank (1981): Blanks Dissertation bei Reicke (s.u.) wendet sich im Schlussteil ganz allgemein einer Kritik der Zweiquellentheorie zu.45 Bultmann habe sich selbst nicht konsequent an die Zweiquellentheorie gehalten, weil er manchmal die ursprünglichere Fassung in Mt und Lk entdeckte.46 Auch Q wurde für Bultmann zu einem "ständig unter redaktioneller Bearbeitung befindlichen Dokument", dem er die ursprüngliche Form zuschob, wenn kein Evangelium sie bot. Daraus ergibt sich bei Blank, dass die Logienquelle "als mündliche Tradition behandelt werden" muss. Er schließt mit dem Satz: "Diese Vorstellung einer Schriftlichkeit von Q führte auch zwangsweise zu den Benutzungshypothesen."47
    n) Riesner (1981): Rainer Riesner wird ebenfalls eine TH nachgesagt.48 Er selbst präzisiert jedoch, er vertrete "keine reine Traditionshypothese", weil er auch schon frühe schriftliche Aufzeichnungen annehme.49 In seiner Dissertation hatte Riesner unter Berufung auf den jüdischen Lehrbetrieb zeigen wollen, dass die Jünger Worte Jesu auswendig lernten.50 Schon 197751 hatte er Einwände gegen die Zweiquellentheorie erhoben (unerklärbare Redaktion, Verschiebungen von Erzählungsteilen und Minor Agreements), aber auch dort nicht eindeutig für eine TH votiert.
    o) Chilton (1989): B. Chilton, Profiles of a Rabbi: Synoptic Opportunities in Reading About Jesus,
 

    zeitlichen Reihenfolge zu betrachten sind."
    41 Rupert Feneberg, "Formgeschichte und historischer Jesus", Das Leben Jesu im Evangelium, Hg. Rupert u. Wolfgang Feneberg, Quaestiones Disputatae 88, Freiburg: Herder, 1980, S. 19-183.
    42 Schmithals, Einleitung, S. 85.
    43 Feneberg, "Formgeschichte", S. 85.
    44 Ebd.
    45 Reiner Blank, Analyse und Kritik der formgeschichtlichen Arbeiten von Martin Dibelius und Rudolf Bultmann, Theologische Dissertationen 16, Basel: Reinhardt, 1981, besonders S. 202-207. Er wird von Schmithals, Einleitung, S. 84 als Vertreter der Traditionshypothese aufgeführt.
    46 Andreas Lindemann, "Literaturbericht zu den Synoptischen Evangelien 1978-1983", Theologische Rundschau 49 (1984), S. 223-276, hier S. 230f. kritisiert allerdings, dass Blank Bultmann ungenügend darstelle und Bultmann auch hier Q, nicht Mt/Lk für ursprünglich gehalten habe.
    47 Blank, Analyse, S. 205 und 207.
    48 Schmithals, Einleitung, S. 85 und 272.
    49 Rainer Riesner, Jesus als Lehrer: Eine Untersuchung zum Ursprung der Evangelien-Überlieferung, Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II/7, 1981, 3. erw. Aufl. Tübingen: Mohr, 1988, S. 512; vgl. S. 491-498.
    50 Vgl. auch Rainer Riesners Kurzfassung seiner Dissertation "Der Ursprung der Jesus-Überlieferung", Theologische Zeitschrift 38 (1982), S. 493-513 und Riesners Artikel "Jüdische Elementarbildung und Evangelienüberlieferung", Gospel Perspectives: Studies of History and Tradition in the Four Gospels, Hg. R. T. France / David Wenham, Bd. 1, 1980, 2. Aufl. Sheffield: JSOT, 1983, S. 209-223.
    51 Rainer Riesner, "Wie sicher ist die Zwei-Quellen-Theorie?", Theologische Beiträge 8 (1977), S. 49-73. Skeptisch äußerte er sich auch in "Wie steht es um die synoptische Frage?: Gedanken zur Cambridge Griesbach Conference 1979", Theologische Beiträge 11 (1980), S. 80-83.


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Atlanta: Scholars Press, 1989 soll eine Traditionshypothese vertreten, die er mit rabbinischen Parallelen begründet.52
    p) Hörster (1993): Die populäre Kommentarreihe der Wuppertaler Studienbibel wurde ergänzt durch ein kleines Bändchen u.a. zur NT-Einleitung des freikirchlichen Autors Gerhard Hörster.53 Bei seiner Kritik an der Zweiquellentheorie beruft sich Hörster ganz auf Riesners Artikel von 197754. Nach einer relativ ausführlichen Darstellung der Position Godets schließt sich Hörster dann dessen Ansicht an und hält "eine modifizierte Diegesenhypothese" für wahrscheinlich.55 Baum bemerkt jedoch in seiner Rezension, dass Godet eher der Traditionshypothese zugezählt werden muss56 (s.o. 2.2.1) - also auch Hörster?
    q) Verkaik (1995): Eta Linnemann beruft sich in ihrem Buch an mehreren Stellen57 auf die unveröffentlichte Drs.-Arbeit von André Verkaik, The Tenability of Synoptic Independence, Amsterdam 199558, in der Verkaik offenbar besonders das Phänomen der kleineren Überhänge untersuchte. Eine weitere Arbeit von Verkaik zu den kleineren Überhängen wurde im Internet veröffentlicht.59

    Bei diesem Überblick sind drei Dinge deutlich geworden:
    1) Zunächst muss betont werden: Es sind heutzutage insgesamt nur eine Handvoll Theologen, die für die TH Position beziehen. Die TH wird in wenigen Büchern entfaltet, in zwei (auch für Laien gedachten) konservativen Einleitungen kaum mehr als angedeutet und in einigen verstreuten Artikeln kurz begründet (Dyer, Dearing, van den Brink).
    2) Vertreter der TH nehmen kaum Bezug aufeinander. Stattdessen versucht jeder einen völligen Neuansatz bei seiner Argumentation, was zu recht vielen unterschiedlichen Begründungsmustern führt. Es könnte sich als wertvoll erweisen, diesen Reichtum an Argumentationen zusammenzuführen.
    3) Man darf eigentlich nicht undifferenziert von "der" Traditionshypothese sprechen; und wer dies tut, sollte sich bewusst sein, dass es heute sehr verschiedene Ausformungen gibt. Wer "die" TH widerlegen will, muss auch die variablen Elemente zur Kenntnis nehmen, die versuchen, z.B. die Übereinstimmungen zwischen den Evangelien zu erklären.

    52 Wenham, Redating, S. 252f., Endnote 23.
    53 Gerhard Hörster, Einleitung und Bibelkunde zum Neuen Testament, Handbibliothek zur Wuppertaler Studienbibel, Wuppertal: Brockhaus, 1993 (S. 16-24 zum synoptischen Problem).
    54 Riesner, "Wie sicher".
    55 Hörster, Einleitung, S. 24.
    56 Baum, "Rez.: Hörster", S. 167.
    57 Linnemann, Synoptisches Problem, S. 9, 68, 78, 87-89, 111.
    58 In einem Telefongespräch hat mich A. Verkaik an die Vrije Universiteit Amsterdam verwiesen, weil er sein persönliches Exemplar nicht hergeben wollte. Mehrfaches Nachfragen an der Universität blieb aber erfolglos, weil diese Arbeit anscheinend nicht im Datenbestand erfasst war.
    59 André Verkaik, Hangovers over 'Überhänge': A study of the Additional Minor Details of Mark found in neither Matthew nor Luke, www.inexes.com/nt/synoptic_problem/hangovers0t.html (5.3.01).

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2.2.2 John Rist (1978)
    1978 schaltete sich John Rist, ein kanadischer Professor für Altphilologie und Philosophie, in die Diskussion der synoptischen Frage ein und argumentierte in den Monograph Series der Society for New Testament Studies für eine literarische Unabhängigkeit von Mt und Mk. Im ersten und letzten Kapitel des Buches erläutert Rist seine Ansicht und führt im Hauptteil (Kapitel 2-8) Einzeluntersuchungen durch, um die Eigenständigkeit der beiden Evangelien zu demonstrieren. In einem kurzen Anhang wendet er sich gegen Goulders Annahme einer midraschartigen Vermehrung des Evangelienstoffes durch Mt.
    Gleich zu Beginn des ersten Kapitels ("Problems and assumptions") übt Rist ganz grundsätzliche Kritik an der Forschung: Die Markuspriorität sei im 19. Jahrhundert aufgrund von Annahmen akzeptiert worden, die heute falsifiziert seien (Mk sei früher, weil es weniger Legenden wie Kindheitsgeschichte und Auferstehungsberichte enthält); trotzdem wolle man sich nun nicht von ihr lösen. Bei der redaktionsgeschichtlichen Arbeit sei eine "uncritical acceptance of the axioms and presuppositions of the Markan priorists" (S. 2) zu finden. Auch Farmer, Vaganay und Butler hätten sich nicht von der "orthodox view" einer wie auch immer aussehenden literarischen Abhängigkeit trennen wollen.
    Den Benutzungshypothesen von Mt und Lk setzt Rist dann seine eigene Ansicht entgegen. Für die einzelnen Elemente seiner Theorie gibt er zwar jeweils einige Argumente, aber für einen Neuansatz bleibt doch vieles oberflächlich, was auch die Rezensenten Rists bemängeln.60 Das MkEv ist nach Rist auf 60-65 n.Chr. zu datieren, weil Lk das MkEv benutzte61 und das LkEv wegen des plötzlichen Abbrechens der Apg vor 64 n. Chr. geschrieben wurde (S. 4f.). Außerdem stimme diese Chronologie mit den altkirchlichen Angaben überein. Eine Datierung des MtEv nach 70 n. Chr. ausschließlich wegen der vaticinia ex eventu sei nicht haltbar; also gebe es keinen Grund, die Angabe des Irenäus in Zweifel zu ziehen, dass Mt sein Evangelium schrieb, als Petrus und Paulus die Fundamente der Kirche in Rom legten (S. 6f.). Wichtig ist für Rist, dass Irenäus und andere altkirchliche Zeugen (vgl. S. 106f.) von keiner literarischen Abhängigkeit der Evangelien berichten.
Die Existenz von Q wird mit wenigen Argumenten abgeschmettert (keine altkirchliche Erwähnung; keine heutigen Spuren einer Logiensammlung außer dem Thomasevangelium, das eher von den Synoptikern abhängt; auch Mk hat im Beelzebulstreit Q-Material) (S. 7-9; auf S. 108 äußert er sich jedoch vorsichtiger). Das gemeinsame Material von Mt und Lk ist

    60 Kazmierski, "Rez.: Rist"; Longstaff, "Rez.: Rist".
    61 Rist, Independence, S. 5: "... we have to find Mark to have been written some time before the mid-sixties, for he is available for use by Luke about that time." Vgl. S. 4, 10f., 108.


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vielmehr durch eine Benutzung des Mt durch Lk zu erklären, obwohl Lk im Allgemeinen dem MkEv folgte und weitere, mündliche Quellen verwendete (S. 10f.). Dabei konnte Lk eine mündliche Tradition auch dem MtEv vorziehen, wenn er sie für ursprünglicher hielt.
    Die Priorität des MkEv durch inhaltliche Tendenzen begründen zu wollen, indem man gewisse Merkmale der Ursprünglichkeit festlegt und sie bei Mk entdeckt (weniger Wunderberichte usw.), weist Rist mit Hinweis auf die Dissertation von Sanders62 ab (S. 12). Zum "argument from order" der Benutzungshypothese meint Rist, dass vieles schon durch die natürliche Folge der Ereignisse vorgegeben sei. Was es sonst an Übereinstimmungen in der Reihenfolge der Tripeltradition gibt, sei nicht schwer im Gedächtnis zu behalten (S. 14-16).
    Mit den diversen Analysen im Hauptteil hinterfragt Rist eine mögliche redaktionelle Bearbeitung des MkEv durch Mt und des MtEv durch Mk. In seiner ersten Untersuchung wendet sich Rist z.B. Mt 3,1-9,17 mit den Markus- und Lukasparallelen zu. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass es unmöglich sei zu bestimmen, welches Evangelium von welchem abhängt, und dass bei einer literarischen Abhängigkeit Matthäus' Bearbeitung von Mk von sehr unterschiedlicher Qualität gewesen sein müsste (S. 32). Die nächsten Analysen an anderen Texten (Mk 2,23-6,13par; Sturmstillung, reicher Jüngling, Tochter des Jairus u.a., bis hin zu Kreuz und Auferstehung) wollen dann diese Ergebnisse über den gesamten Evangelienstoff verteilt unterstützen: "...even in the passion narrative ..., we find the same phenomena as we found in the earlier sections of the Gospels" (S. 87).
    Im Schlusskapitel fasst Rist seine Argumente gegen eine Benutzung des MkEv durch Mt zusammen (S. 92): 1) Manchmal ist Mt, manchmal Mk ausführlicher. 2) Beim Abschreiben wäre Mt teilweise sehr nachlässig gewesen (Tod Johannes des Täufers, Tochter des Jairus, blinder Bartimäus), teilweise aber auch sehr genau. 3) Mt benutzt in "markinischen" Passagen eine nichtmarkinische Quelle (Bekenntnis des Petrus; vgl. S. 69). Weil also einige Stellen für eine Mt-Priorität und andere für eine Mk-Priorität sprechen, bleiben drei alternative Erklärungen: 1) eine gegenseitige Beeinflussung der beiden Evangelien (E. P. Sanders), 2) eine gemeinsame schriftliche Quelle (das aramäische MtEv), 3) keine gegenseitige Abhängigkeit (S. 93).
    Das Modell von Sanders wird kurz zurückgewiesen; auf die zweite Möglichkeit geht Rist genauer ein. Bei einem aramäischen Mt als gemeinsame Quelle stellt sich zudem die Frage, ob das griechische MtEv dann wiederum von Mk abhängt. Wenn die Vertreter einer Abhängigkeit anführen, dass in der Mt-Mk-Tradition oft genaue LXX-Zitate zu finden seien, dann könnten diese ähnlichen Zitate auch dadurch erklärt werden, dass Mt einfach

    62 E. P. Sanders, The Tendencies of the Synoptic Tradition, Society for New Testament Studies: Monograph Series 9, Cambridge: UP, 1969, besonders S. 275.


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Septuagintalismen hat und Mk sich streng an die LXX hält (S. 95f.). Außerdem sei noch nicht einmal sicher, ob es ein aramäisches MtEv gegeben hat. Nach Untersuchung der einschlägigen Stellen bei Papias und Irenäus meint Rist, dass auf jeden Fall ein aramäischer Text existiert haben müsse, aber ob es das aramäische MtEv war, könne man nicht wissen (S. 98). Rist stellt heraus, "that an Aramaic Gospel of Matthew depends on the uncertain evidence of Papias alone." (S. 99) Selbst wenn es ein aramäisches MtEv gegeben hat, dann müsse es dem griechischen wohl ganz ähnlich sein. Das Postulat eines solchen MtEv kann nach Rist eine literarische Abhängigkeit von Mt und Mk also auch nicht stützen.
    So bleibt für Rist zur Erklärung allein die mündliche Tradition übrig. Zwar hält er dabei einige kleinere schriftliche Quellen für wahrscheinlich, zumal damals auch Briefe an die Gemeinden verfasst wurden, doch die mündliche Überlieferung spielte die wichtigste Rolle.63 Denn nach Lk 1,1-4 schrieb Lk zu einer Zeit, wo noch eine Prüfung der schriftlichen Aufzeichnungen anhand der mündlichen Tradition möglich war. Den Jüngern sei es wichtig gewesen, die aramäischen Worte Jesu so genau wie möglich zu behalten. Für Rist ist es allerdings fraglich, dass Jesus sie ihnen mit wörtlicher Genauigkeit einprägte (S. 100; gegen Riesenfeld und Gerhardsson). Jedoch könne beobachtet werden, dass in den Evangelientexten die Worte Jesu stärker übereinstimmen als ihr narrativer Rahmen (S. 100f.). In der Urgemeinde wurden die Geschichten auf Aramäisch und Griechisch dann immer wieder erzählt (vgl. S. 104), und bald bildete sich auch eine gewisse Reihenfolge heraus. Dadurch kamen die Übereinstimmungen im Wortlaut und Stoffanordnung zustande (S. 101). Rist hält es übrigens auch für möglich, dass verschiedene Gelegenheiten überliefert sind, bei denen Jesus seine Worte wiederholte (S. 92). Diese historischen Überlegungen weisen darauf hin, dass "(a)ll in all a situation might have existed in the mid-sixties such that our three Synoptics could have been written entirely independently of one another" (S. 104; kursiv im Original). Allerdings nimmt Rist, wie gesagt, durchaus eine Abhängigkeit des Lk von Mk und Mt an.
    Es ist eine gewisse apologetische Tendenz bei Rist zu spüren. Er argumentiert relativ

    63 "Common notes, liturgical fragments, collections of sayings and anecdotes are still possible, and indeed almost certain, but the major part of the tradition would be oral" (Rist, Independence, S. 99).


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ausführlich, dass die apostolischen Augenzeugen nicht Geschichten erfunden oder einer Vermehrung des Materials durch andere zugestimmt hätten (S. 102f.). Und ganz zum Schluss betont er, dass "the credibility of at least some of the tradition is strengthened by its being represented to us by two rather than by one identifiable primary document" (S. 108).

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2.2.3 Bo Reicke (1984, 1986)
    (a) Für die renommierte Reihe Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, die nicht nur von Theologen gelesen wird, war Reicke die Aufgabe zugekommen, über die "Entstehungsverhältnisse der synoptischen Evangelien" zu schreiben.64 Hier konnte Reicke eine recht breite Leserschaft mit seiner Ansicht, nämlich der TH, bekannt machen.
    Auf den ersten Seiten stellt er, wie allgemein üblich, zunächst die vier wichtigsten Theorien zur synoptischen Frage samt ihren historischen Vertretern vor: die Benutzungshypothese in ihren Varianten (Augustin, Griesbach, Storr), die Urevangeliumshypothese Lessings, die Traditionshypothese Herders und Gieselers und die Fragmentenhypothese Schleiermachers. Die Formgeschichte habe dann seit 1919/21 Elemente der Traditionshypothese und der Fragmentenhypothese in sich zu integrieren gewusst, sodass ihr Fundament, die Zweiquellentheorie, unangetastet blieb und die Synoptikerfrage stagnierte (S. 1766, 1768). Jedenfalls in Deutschland "wurden Schulmeinungen der Formgeschichte und Zweiquellentheorie einfach übernommen und gegen das vorliegende Material ausgespielt" (S. 1769).
    Empirischer Ausgangspunkt von Reickes Theorie ist die Verteilung der Kontextparallelen und Alibianalogien in den Evangelien. Reicke bezieht sich dazu auf einen Artikel von Joseph B. Tyson65, der folgende Zahlen für die Kontextparallelen ermittelte: Bei Mt und Mk stehen 84 % (90 bzw. 9166) der gemeinsamen Perikopen im gleichen Kontext, bei Mk und Lk 76% (73 bzw. 72) der Perikopen, bei Mt und Lk jedoch treten nur 49% der gemeinsamen Abschnitte im gleichen Textzusammenhang auf. Von diesen 63 bzw. 62 kontextparallelen Perikopen bei Mt und Lk stehen auch 57 bzw. 56 im Markusevangelium an entsprechender Stelle. D. h. die Dreiertradition ist fast immer kontextparallel; es gibt kaum Kontextparallelen zwischen Mt und Lk, die nicht auch durch Mk gestützt werden, und

    64 Reicke, "Entstehungsverhältnisse".
    65 Joseph B. Tyson, "Sequential Parallelism in the Synoptic Gospels", New Testament Studies 22 (1976), S. 276-308.
    66 Die unterschiedlichen absoluten Zahlen kommen dadurch zustande, dass eine Perikope, die in einem Evangelium "ganz" ist, in einem anderen Evangelium aufgeteilt sein kann.


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diese beziehen sich alle nur auf die Täufertradition (Mt 3,7-10par; 4,2-10par; 11,2-6.7-19par). Reickes eigene Zusammenstellung der Alibianalogien (gemeinsame Perikopen, die an verschiedener Stelle bei den Evangelisten vorkommen) ergibt, dass von 75 Mt-Perikopen ohne Kontextparallelen 35 dieser Abschnitte Alibianalogien bei Lk besitzen (der Rest ist Sondergut bzw. gemeinsame Mt-Mk-Tradition). Es ist nun zu bedenken, dass diese 35 Alibianalogien zusammen mit den wenigen Kontextparallelen zwischen Mt und Lk (ohne Mk) den Q-Stoff bilden. Diese Tatsache, dass es im Q-Material fast keine Kontextparallelen gibt67, "läßt jede Annahme einer schriftlich oder mündlich irgendwie fixierten Unterlage der matthäisch-lukanischen Zweiertradition im Stil der angeblichen Logienquelle oder Spruchquelle als Trugbild erscheinen" (S. 1773).
    Diesem Phänomen, dass die Zweiertraditionen im Gegensatz zu den Dreiertraditionen nur selten kontextparallel sind, versucht Reicke dann im nächsten Teil seines Artikels, nämlich bei der historischen Rekonstruktion der Entstehung der Evangelien (S. 1775-1789), gerecht zu werden. Grundlegend ist für Reicke die Annahme, dass jeder Evangelist aus verschiedenen Ortstraditionen schöpfte, die ihm zugänglich waren (S. 1775, 1777-1780).
    Die Erzählungen der weitgehend kontextparallelen Dreiertradition stammen nach Reicke aus der Überlieferung der Jerusalemer Gemeinde, auf die Matthäus, Markus und Lukas jeweils zurückgriffen. Durch das häufige Erzählen wurden dort und in der Missionssituation "formal geprägte Traditionsstücke" (S. 1776) weitergegeben, wie formgeschichtliche Untersuchungen zeigen. Nach Reicke kann man aufgrund hellenistischer Einflüsse annehmen, dass die Tradition in Jerusalem nicht nur aramäisch, sondern auch schon griechisch formuliert und weitergegeben worden ist (vgl. Apg 6,1). Diese Jerusalemer Tradition, die sich ursprünglich auf die Passionsgeschichte beschränkte, war nach und nach durch die Jünger, die in Galiläa oder Peräa das Wirken Jesu erlebt hatten, ergänzt worden. So entstand ein einfaches, dreigeteiltes Bild vom Leben Jesu: sein Wirken in Galiläa, in Peräa und in Judäa. Die einzelnen Evangelisten nun besaßen Kontakte zur Jerusalemer Urgemeinde: (1) Die Mutter des Evangelisten Markus hat in Jerusalem Petrus und andere Glieder der Urgemeinde bei sich zu Gast gehabt (Apg 12,12). Aus dieser Hausgemeinde hat Markus das Traditionsmaterial gekannt, das er später aufschrieb. (2) Abgesehen davon, dass das Matthäus-Evangelium vom Apostel stammen könnte, spricht nach Reicke auf jeden Fall das

    67 Dieses "Durcheinander" in der mt-lk Doppeltradition ist gut sichtbar bei Robert Morgenthaler, Statistische Synopse, Zürich: Gotthelf-Verlag, 1971, S. 252. Morgenthalers Kommentar lautet u.a.: "Es bietet sich ein höchst überraschendes Bild. Die zahlreichen Linienüberschneidungen zeigen an, daß entweder Mt oder Lk oder beide zusammen die ursprüngliche Perikopenfolge einer allfälligen Logienquelle weitgehend zerstört haben" (S. 253).


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Interesse des Evangelisten an Petrus (Matth. 16,17-19) und an Jesu Unterweisung der Apostel (5,1-7,27; 10,1-42) für eine Jerusalemer Herkunft des Erzählmaterials (S. 1782). (3) Lukas hatte Kontakt zu Silas (Apg 15,22-23.40), zu Philippus (Apg 21,8) und schließlich auch zu der Jerusalemer Gemeinde selbst (Apg 21,17). Z.Zt. der Gefangenschaft des Paulus in Cäsarea bot sich dann für Lukas die Gelegenheit, sein Material im Gespräch mit Philippus, der in Cäsarea wohnte (Apg 21,8), zu vervollständigen. Außerdem hatte Lukas dort Verbindungen zu Markus (Phlm 24; vgl. Kol 4,10-14; 2Tim 4,11) (S. 1780-1782).
    Daneben spielen nach Reicke weitere Ortstraditionen eine Rolle, mit denen die Evangelisten in Kontakt kamen: Das peräische Material des lukanischen Reiseberichts (Lk 9,51-18,14) ist weitgehend auf Philippus zurückzuführen, der die - häufig aus Peräa stammenden - Hellenisten zu versorgen hatte (Reicke, S. 1784). Markus dagegen lokalisiert viel Material in Kapernaum wegen seiner Abhängigkeit von Petrus (S. 1783).
    Matthäus und Lukas haben aus einem besonderen Interesse an Unterweisung heraus stärker didaktische Stoffe aufgegriffen, die in den "Zweiertraditionen der Kategorie Q und Sondertraditionen" überliefert sind (S. 1785f.). Logien des Q-Stoffes sind bei Matthäus und Lukas dabei an sehr unterschiedlicher Stelle eingesetzt worden. Matthäus verwendet sie eher als Ergänzungen zur Tripeltradition, Lukas hat sie vielfach in seinen Reisebericht eingebaut (S. 1786). Daraus lässt sich schließen, dass die Q-Traditionen offenbar ohne historische Bindung an das Leben Jesu überliefert worden waren, wohl aufgrund ihres mehrheitlich paränetischen Charakters: "Man zitierte die als einzelne Einheiten überlieferten Jesusworte wegen ihrer aktuellen Bedeutung für die Kirche, nicht wegen ihrer historischen Bedeutung im Leben Jesu" (S. 1780). Außerdem "weist die Beweglichkeit des Materials auf eine mündliche Überlieferung hin" (S. 1780). Ansonsten wäre es unverständlich, warum die Evangelisten der Tripeltradition so treu folgten, aber gleichzeitig den Q-Stoff hin und her schoben.

    (b) In dem zwei Jahre nach dem Artikel erschienenen Buch The Roots of the Synoptic Gospels vertieft Reicke seinen Ansatz einer Traditionshypothese. Kapitel 1 beinhaltet (in englischer Übersetzung) denselben historischen Überblick wie der Artikel, nur dass einige Absätze (Zweiquellentheorie, Urevangeliumshypothese und Fragmentenhypothese) etwas ausführlicher entfaltet werden. Allein der Abschnitt mit neueren Vertretern der vier Theorien (S. 18-23) ist stark erweitert. Die augustinische Sicht wurde u.a. von Butler verteidigt, die Griesbach-Hypothese von Farmer, die Urevangeliumshypothese von Vaganay und Léon-Dufour und die "Multiple Source Theory" von Boismard und Rolland. Was die Traditionshypothese angeht, so hat Reicke in der Betonung der mündlichen Tradition bei


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Riesenfeld und Gerhardsson erste Schritte in diese Richtung entdeckt (S. 20f.). Außerdem könne auch die aus der Folkloreforschung bekannte Variabilität der mündlichen Tradition68 die Übereinstimmungen und Differenzen zwischen den Evangelien erklären.
    Das folgende Kapitel 2 zu Kontextparallelen und Alibianalogien ist zunächst eine Übersetzung des entsprechenden Artikelabschnitts (vgl. S. 24-29 mit S. 1770-1775). Daraus entwickelt Reicke dann aber in seinem Buch noch weitere Argumente gegen eine Benutzungshypothese: (1) Die Dreier-, Zweier- und Sondertradition sind so sehr ineinander verwoben, dass dieses Mosaikmuster nicht durch literarische Abhängigkeit erklärbar ist (S. 29). (2) Bei Benutzungs- und Urevangeliumshypothesen sollte man Wortlautübereinstimmungen in der Tripeltradition immer zwischen bestimmten Evangelien erwarten können, doch tatsächlich ist ein "Zickzackmuster" zu beobachten: Manchmal ähneln sich Mt und Mk im Wortlaut, manchmal Lk und Mk, und dann mehr Mt und Lk (S. 29f.).
    Eine zentrale Stellung hat in diesem Buch die am Ende von Kapitel 2 folgende synoptische Tabelle zu Kontextparallelen (S. 34-44), mit der Reicke veranschaulicht, in welchen Teilen der Evangelien viele kontextparallele Abschnitte vorliegen und in welchen Teilen wenige. Dazu teilt Reicke die Evangelien in 12 Blöcke auf, die er meist aufgrund der Örtlichkeit abgrenzt. Reicke beobachtet nun, dass kontextparallele Tripeltraditionen unterschiedlich auf die Blöcke verteilt sind und besonders im größeren Zusammenhang von Tauf- (Mt 3,1-4,17par; Block 2) und Passionsbericht (Mt 21,1-28,20par; Blöcke 10-12) auftreten. Aufgrund dieser Tabelle erweitert Reicke in Kap. 3 seine schon im ANRW-Artikel skizzierte Theorie der Evangelienentstehung, die er später im Hauptteil des Buches (S. 68-149) Block für Block illustriert.
    Wenn noch bei Papias und bei Ignatius die vox viva (die lebendige mündliche Tradition) eine hohe Bedeutung hatte, dann werden auch die Evangelisten am liebsten auf sie zurückgegriffen haben (S. 46f.). Die mündliche Tradition, die dabei von ihnen aufgenommen wurde, bestand nicht aus spontanen, informellen Erinnerungen, sondern hatte durch häufiges Nacherzählen bereits eine relativ feste Form (S. 47). Bei Taufe und Abendmahl in der Urgemeinde wurden regelmäßig Tauf- und Passionsgeschichte Jesu samt Kontext nacherzählt (Blöcke 2 und 10-12); dann wurden noch weitere Erinnerungen lebendig und zu didaktischen Zwecken ebenfalls überliefert (Material der Blöcke 1 und 3-9) (S. 54f., 67). Die größere Zahl der Kontextparallelen in den erstgenannten Blöcken erklärt Reicke also

    68 Reicke bezieht sich hier auf die Forschungen von A. B. Lord. Vgl. neuerdings Lauri Honko, "Thick Corpus and Organic Variation: An Introduction", Thick Corpus, Organic Variation and Textuality in Oral Tradition, Hg. Lauri Honko, Studia Fennica Folkloristica 7, Helsinki: Finnish Literature Society, 2000, S. 3-28.


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offenbar durch deren zeitliche Priorität in der Überlieferung und durch möglicherweise häufigere Zitation der Abschnitte.
    Auf diese recht feste mündliche Tradition der Jerusalemer Urgemeinde konnten sich nach Reicke die Evangelisten stützen. Das Fundament ihrer Tripeltradition ist also in der apostolischen Predigt, besonders den Erinnerungen des Petrus, zu finden (S. 48). Weil es in Jerusalem auch griechischsprachige Jünger gab, kann die griechische Tripeltradition ebenfalls dort verankert werden (S. 50). Mk und die Übersetzer des aramäischen Mt haben nun den festgefügten griechischen Wortlaut der Jerusalemer Tradition benutzt, und auch Lukas war mit Menschen aus dem griechischsprachigen Teil der Urgemeinde bekannt (S. 51f.). Neben dieser Tripeltradition kursierte noch Q-Material, das nicht innerhalb des Lebens Jesu verortet war und das Mt und Lk dort einfügten, wo es ihnen passend erschien. So wurden Textkomplexe in den Evangelien manchmal unterschiedlich lokalisiert (das Vaterunser steht bei Mt in der Bergpredigt, bei Lk im Reisebericht) (S. 53f.).
    Anhand einer Untersuchung der einzelnen Blöcke (Kapitel 4-6) illustriert Reicke dann seine Theorie der Evangelienentstehung. In seinen Ausführungen zu Block 9 beispielsweise ordnet er die Perikopen der Dreier-, Zweier- oder Sondertradition zu und fragt danach, welche Bedeutung diese Überlieferungen für die Jerusalemer Urgemeinde gehabt haben könnten (z.B. Frage nach der Ehescheidung; Zachäus als "pioneer of benevolence"). Das Gleichnis von den Pfunden, das bei Lk und bei Mt unterschiedlich verortet wird (Lk: Jericho; Mt: Abschiedsrede in Jerusalem), sollte die Jünger ermutigen, "Frucht" zu bringen und die Botschaft vom Reich auszubreiten. Durch diese Bezüge auf die Urgemeinde weist Reicke nach, dass die Textabschnitte von Block 9 "contain material collected for the information of the apostolic and Hellenistic Church in Jerusalem" (S. 127).
    Der Schlussteil des Buches beschäftigt sich im Wesentlichen mit Verfasserschaft, Abfassungsort und -zeit der Evangelien. Reicke behandelt dazu ausführlich die Papiaszitate zur Entstehung der Evangelien (S. 155-166). Da Papias von einem aramäischen MtEv ausgeht, versucht Reicke den Befund im griechischen MtEv so zu erklären, dass die griechischen Übersetzer des aramäischen MtEv noch wie Mk und Lk aus einer vorliterarischen griechischen Tradition der Urgemeinde geschöpft, Semitismen


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reduziert und AT-Zitate der LXX angeglichen haben (S. 159f.). Nach Reickes Rekonstruktion haben sich auch Mk und Lk in Cäsarea 58-60 n. Chr. miteinander ausgetauscht und beide haben dort ihre Evangelien herausgebracht (S. 165f., 170). Lukas hatte in dieser Zeit Gelegenheit, die Hellenisten in Jerusalem und Philippus in Cäsarea zu befragen (S. 170, 173). Reickes weitere Ausführungen zur Chronologie (S. 174-180) wollen diese Abfassungszeit untermauern. Umfassend begründet er, dass die Apg wegen ihres plötzlichen Abbrechens mit Paulus' Aufenthalt in Rom auf 62 n. Chr. anzusetzen ist. Also muss Lk das Evangelium etwa um 60 n. Chr. geschrieben haben. Nach Reickes Interpretation von Lk 1,1-4 sind damals auch andere gerade dabei gewesen, ein Evangelium zu schreiben: Mt und Mk. Also sind auch diese beiden um 60 n. Chr. zu datieren (S. 180).
    Reicke wendet sich abschließend den möglichen persönlichen Beziehungen zwischen den Verfassern zu. Zwischen Mt und Mk ist kein Kontakt überliefert; so erklärt Reicke die Ähnlichkeiten der Evangelien allein mit der gleichen Tradition, aus der beide (bzw. Mk und die Übersetzer des Mt) schöpften. Mt verwendete noch zusätzliches didaktisches Material, das weitgehend auf Petrus zurückgeht (S. 182). Auch zwischen Mt und Lk ist keine Beziehung bekannt, doch stammen ihre Stoffe jeweils aus der Jerusalemer Katechese. Mt bekam sein Material aus der petrinischen Predigt, Lk dagegen das meiste wohl über Philippus und die Hellenisten, was auch Unterschiede in der Q-Tradition erklärt (S. 187f.) (zum Verhältnis von Mk und Lk s.o.).

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2.2.4 John Wenham (1991)
    Wenhams Buch Redating Matthew, Mark & Luke zielt darauf ab, eine Frühdatierung der Evangelien zu begründen (vgl. Kap. 12). Wesentlicher Bestandteil der Argumentation ist dabei die TH, die er in den ersten zehn Kapiteln entwickelt. Auf eine Untersuchung der internen Evidenz (Kapitel 2-4) folgt eine intensive Betrachtung der Kirchenväterzeugnisse (Kapitel 5-9), um anschließend die Entstehungsverhältnisse der Evangelien nachzuzeichnen (Kapitel 10).
    Wenham versucht, einen Mittelweg zwischen der klassischen Traditionshypothese und den Benutzungshypothesen zu finden (S. 10). Dabei nimmt er eine gewisse Abhängigkeit in der Struktur der Evangelien, aber weitgehende Unabhängigkeit im Wortlaut an (S. xxiii; vgl. Kap. 10).69 So kann man sich streiten, ob er eher zur Traditions- oder mehr zur au-

    69 Vgl. schon John Wenham, "Synoptic Independence and the Origin of Luke's Travel Narrative", New Testament Studies 27 (1981), S. 507-515, wo er "a large measure of independence as well as a large measure of interdependence" zwischen den Evangelien feststellte (S. 513). Die Frühdatierung der Evangelien hatte Wenham bereits 1978 vorgeschlagen, vgl. die Antwort von Douglas J. Moo, "'Gospel Origins': A Reply to J. W. Wenham", Trinity Journal N.F. 2 (1981), S. 24-36.


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gustinischen Hypothese neigt. Er selbst hat jedenfalls die Bezeichnung "Oral Theory with some measure of successive dependence" gewählt (S. xxviii), d. h. der Schwerpunkt liegt auf "oral". Die Besonderheit von Wenhams Modell besteht in der von ihm angenommenen sequenziellen Abhängigkeit: Wenham kritisiert bei Rist und Reicke, dass sie die großen Übereinstimmungen in der Reihenfolge der Perikopen nicht hätten erklären können (S. 6f.). Hier sei es wahrscheinlicher, dass ein Evangelist dem anderen folgte oder beide eine gemeinsame Quelle benutzten, anstatt dass die Synoptiker eine auswendig gelernte Reihenfolge verwendeten, die sie dann doch nicht konsequent beibehielten (S. 7). Gegen Scott, der vom Lukasprolog aus für eine Traditionshypothese argumentiert, wendet er ein, dass das Wort paradi&dwmi auch schriftliche Quellen einschließen könne und dass man aus diesem kurzen Abschnitt nicht zu viel herauslesen sollte. Vielmehr sei der Lukasprolog mit verschiedenen Hypothesen kompatibel (S. 8). Die gemeinsame Reihenfolge sei eben nicht allein aufgrund der mündlichen Tradition erklärbar, weil man sich die Anordnung von 72 Perikopen hätte merken müssen (S. 9).
    In Kapitel 2-4 addiert Wenham Stück für Stück die Bausteine seiner Traditionshypothese. Er untersucht anhand der internen Evidenz die gegenseitigen Beziehungen von Lk und Mk (Kap. 2), von Lk und Mt (Kap. 3) und von Mt und Mk (Kap. 4).
    Zunächst geht es um das Verhältnis von Lk und Mk (Kap. 2: S. 11-39). Wenham argumentiert, dass nicht Mk das LkEv benutzt habe, sondern Lk das MkEv. 52 Lk-Mk-Perikopen haben nach Wenham eine gemeinsame Herkunft, weil sich Lk hier eng (höchstens mit Erweiterungen) an Mk hält; 14 gemeinsame Textpassagen sind verschiedener Herkunft, weil die Unterschiede größer sind. Die Einordnung in diese beiden Kategorien demonstriert Wenham durch Analysen der entsprechenden Bibelstellen.
    Kapitel 3 (S. 40-87) behandelt die Beziehung des Lk zu Mt. Lk sei weder von Q noch in größerem Maße von Mt abhängig, weil Lk angesichts von Lk 1,1-4 wohl kaum bewusst den Sinn seiner Quellen verändert hätte, aber solche Sinnunterschiede eben doch im Q-Stoff auftreten, und weil Lk viel Q-Material umgestellt haben müsste (S. 43-51). Die Unterschiede in Sinn und Wortlaut des Q-Materials im lukanischen Reisebericht entstammen nach Wenham verschiedenen Predigten Jesu (S. 76f.).70 Für den Reisebericht könnte dabei einer der 70 als Informant gedient haben (S. 77-79).
    In Kapitel 4 sammelt Wenham Argumente für eine Mt-Priorität (S. 89-109). Das MtEv mache einen frühen und palästinischen Eindruck (S. 95), Mk habe manchmal Mt-Material ausgelassen (S. 97-101), die drei Perikopenumstellungen zwischen beiden Evangelien seien

    70 Vgl. Wenham, "Synoptic Independence", S. 511f.


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in der Richtung Mt => Mk besser erklärbar (S. 101-109) und es gebe Hinweise auf semitische Einflüsse im MtEv. Das MtEv sei von dem Apostel Mt verfasst worden, der als ehemaliger Zöllner schreiben konnte. Er oder jemand anders habe sich auch sehr wahrscheinlich bei den Predigten Jesu Notizen gemacht (S. 113f.).
    Die nächsten vier Abschnitte (Kap. 5-9; S. 116-197) beschäftigen sich im Wesentlichen mit den altkirchlichen Zeugnissen zur Abfassung des MtEv (Kap. 5), des MkEv (Kap. 6) und des LkEv (Kap. 9), womit Wenham seine Thesen unterstützen will. Die Existenz eines aramäischen MtEv und dessen apostolische Verfasserschaft werden von den Kirchenvätern nahezu einmütig bezeugt. Moderne kritische Anfragen an Papias werden von Wenham zurückgewiesen (S. 125-133). Das MkEv sei von Mk, einem Interpreten (nicht Dolmetscher) des Petrus, aufgeschrieben worden und wird bei den Kirchenvätern im Zusammenhang mit der petrinischen Predigt in Rom genannt. Im folgenden Abschnitt versucht Wenham nachzuweisen, dass Petrus schon 42-44 v.Chr. in Rom gewesen sei (S. 146-172), sodass das MkEv entsprechend früh geschrieben wurde. Das LkEv schließlich stamme von dem Arzt Lk, einem Gefährten des Paulus. Problematisch für die traditionelle Reihenfolge Mt-Mk-Lk ist die Aussage des Clemens, dass die Evangelien mit den Genealogien zuerst geschrieben wurden, aber Wenham sucht nach Erklärungsmöglichkeiten (S. 187-195).
    In Kapitel 10-12 (S. 198-244) entwickelt Wenham dann sein eigenes Modell. Zuerst werden in Kapitel 10 (S. 198-216) die Abfassungssituationen der Evangelien rekonstruiert. Die Christen in der Urgemeinde wurden auf Aramäisch und Griechisch in "a more or less stereotyped form" gelehrt (S. 200). Es waren wohl schon einige Notizen im Umlauf (S. 199, vgl. S. 113f.) Das Schreiben war damals sehr mühevoll; darum ist es nach Wenham aus rein praktischen Gründen unwahrscheinlich, dass sich jemand aus mehreren Schriftrollen den Stoff zusammengesucht habe (S. 204-206). Außerdem gebe es in der sonstigen antiken Literatur auch nicht bei herausragenden Schriftstellern eine solch komplexe Redaktionstätigkeit, wie wir sie für die Evangelien annehmen müssten (Wenham verweist auf Downing; vgl. 3.2.3.7). Mk habe vielmehr sein eigenes Material, die Petruspredigten, auf einzelne Blätter geschrieben, sie nach einer Durchsicht des MtEv entsprechend geordnet und dann aus seinen Blättern das eigene Evangelium zusammengestellt (S. 207f.). Auch Lk habe sein Traditionsmaterial der Reihenfolge des Mk und Mt angepasst. Aus Platzgründen habe er beschlossen, den größten Teil des Matthäusstoffes auszulassen. Den Stoff von Mk 6,45-8,26 habe Lk dann wohl übersprungen, als er merkte, dass das gesammelte Material immer noch nicht auf eine Schriftrolle passen würde (S. 209f.). Mk wie Lk hätten in einer letzten vergleichenden Durchsicht kleinere Korrekturen und Anpassungen an ihre Vorlagen vorgenommen. Ob Mk das aramäische oder das griechische MtEv vorlag, sei nicht sicher


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(S. 202).
    Anschließend in Kap. 11 (S. 217-222) versucht Wenham zu beantworten, warum die synoptische Tradition, wenn sie denn früh sei, so wenig in anderen Schriften auftaucht: Eine Dissertation von M. B. Thompson zeige anhand von Röm 12,1-15,13, dass Pls selbst einen großen Teil der Jesustradition gekannt habe und Kenntnisse auch bei den normalen Kirchenmitgliedern voraussetze; Lk habe in der Apg die Jesusworte auch nicht wieder aufgegriffen; in den ersten zwei Generationen habe man die "living voice" vorgezogen und sich dann wohl kaum auf Schriftliches berufen; man hatte die Evangelien noch nicht allgemein zur Hand und konnte das Zitat schwerlich nachprüfen; außerdem habe es eine gewisse Zeit gedauert, bis man im Gottesdienst regelmäßig aus den Schriften vorlas.
    Im letzten Abschnitt (S. 223-244) spitzt Wenham seine Ausführungen - getreu dem Titel des Buches - auf eine Frühdatierung der Evangelien zu. Lk müsse sein Evangelium vor 55 n. Chr. abgefasst haben, weil die Apg vor 62 n. Chr. geschrieben worden sei und Lk und sein Evangelium schon in 2Kor 8,18 erwähnt seien, wobei Wenham gezwungen ist, letzteres ausführlich zu begründen (S. 230-237). Das MkEv sei auf 45 n. Chr. zu datieren, d. h. nach der Abreise des Petrus aus Rom (44 n. Chr.), und das aramäische MtEv vor 42 n. Chr. (hier bezieht sich Wenham auf Irenäus, adv. haer. 3.1.1).

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2.2.5 Eta Linnemann (1992)
    Eta Linnemann, eine inzwischen emeritierte Theologieprofessorin, die Ende der 70er Jahre durch ihre Abkehr von der historisch-kritischen Theologie von sich reden gemacht hat, ist als streitbare Vertreterin konservativer Positionen bekannt. So vertritt sie auch in dem Buch Gibt es ein synoptisches Problem?, das 1998 in dritter Auflage erschien, eine Traditionshypothese mit Betonung der Augenzeugenschaft und historischen Zuverlässigkeit der Berichte. Ihr Buch besteht aus vier Teilen. Zunächst kritisiert sie das gegenwärtige wissenschaftliche theologische Arbeiten, besonders was die Zweiquellentheorie angeht, im zweiten Teil argumentiert sie dann mit empirischen Untersuchungen an den Synoptikern für eine literarische Unabhängigkeit der Evangelien, um im nächsten Kapitel ihre Form der


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Traditionshypothese näher zu entfalten. Im letzten Abschnitt bietet sie einige grobe Skizzen, wie die vier Evangelien zum Bild des Lebens Jesu beitragen. Dass Linnemann in ihrem Buch leider manchmal etwas polemisch wird, braucht uns nicht daran hindern, ihre Argumente anzuhören.
    Im ersten Teil übt sie ganz allgemein Kritik an der "theologischen Wissenschaft", die die Bezeichnung "Wissenschaft" nicht verdiene (S. 11, vgl. S. 29, 33, 40, 63). Unangenehme Thesen werden ignoriert (S. 11), Konzeptionen werden nur schwach mit Argumenten gestützt und der nächsten Generation als wissenschaftliches Ergebnis präsentiert und später vielleicht modifiziert, aber nicht grundlegend hinterfragt (S. 18-21). Dies meint Linnemann exemplarisch an der Forschungsgeschichte der synoptischen Frage zeigen zu können. Sie zählt in chronologischer Folge verschiedene synoptische Theorien auf, die im 18. und 19. Jh. aufgebracht wurden (S. 23-33) und weckt dadurch den Eindruck, die Zweiquellentheorie hätte sich danach einfach deshalb durchgesetzt, weil sie den "aktuellen theologischen Bedürfnissen" entsprach (S. 32). Auch heutige theologische Lehrwerke vermittelten durch eine Ansammlung von Behauptungen ein tendenziöses Bild, sodass dem ahnungslosen Studenten nichts anderes übrig bleibt, als die Zweiquellentheorie für sich zu akzeptieren (S. 40-63).
    Den größten Teil des Buches machen Linnemanns empirische Analysen an den Synoptikern aus (S. 64-145). Anhand von fünf Untersuchungen will sie feststellen, ob die drei Evangelien literarisch unabhängig sind: Zunächst wird die allgemeine Zusammensetzung der Synoptiker beobachtet, im zweiten Schritt hinterfragt sie den Akoluthiebeweis, im dritten Schritt wird ermittelt, wie groß die Parallelität zwischen den Evangelien ist, anschließend die Wortlautübereinstimmungen in der Tripel- und Doppeltradition berechnet und fünftens untersucht sie, ob der markinische Wortschatz auch bei Mt und Lk auftaucht.
    Im ersten Schritt (S. 71-76) berechnet Linnemann das Mt-Sondergut auf 4794 Wörter (26,16% von Mt), das Lk-Sondergut auf 7790 Wörter (40,01% von Lk) und die mt-lk-Doppeltradition auf 3429 Wörter bei Mt (18,71%) und 3315 Wörter bei Lk (17,03%). Dabei zählt sie alles als Sondergut, was formal selbständig ist (also nicht die kleineren Überhänge) und was keine inhaltliche Parallele hat (also auch Verse, die aufgrund des Kontextes sonst Q zugeschlagen werden). Als zweites wird die Akoluthie untersucht (S. 77-85). Linnemann stellt zwar eine Übereinstimmung in der Reihenfolge fest, hält sie aber nicht für allzu hoch und meint dann, diese könne genauso gut auf die Abfolge der historischen Ereignisse zurückzuführen sein (S. 82).
    Bei der Untersuchung des Parallelitätsumfanges zwischen den drei Evangelien (S. 86-99) hebt Linnemann die Unterschiede hervor. Sie macht dazu auf das Fehlen markinischen


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Stoffes (Sondergut und Überhänge) bei Mt und Lk aufmerksam (S. 86-88). Insgesamt handle es sich um 2216 Wörter (19,68% von Mk), die weder von Mt noch von Lk aufgegriffen wurden. Zusätzlich sind 1441 Wörter (12,80% von Mk) nur von Mt nicht übernommen worden, 1571 Wörter (13,95%) nur von Lk nicht. Mt habe kleinere Überhänge von 2270 Wörtern (20,16% von Mk), Lk von 1324 Wörtern (11,76%), wobei dies meist Zusatzinformationen seien (S. 88-90). Aus diesen Zahlen berechnet Linnemann insgesamt einen "Mangel an Parallelität": Bei Mt gegenüber Mk 6498 Wörter (2216+1441+2270; zusätzlich 571 Wörter aus Perikopen, die nur bei Mt nicht vorkommen) (57,71% von Mk) und bei Lk gegenüber Mk 7625 Wörter (67,72%). Die Evangelisten müssten also ein unwahrscheinliches Maß an redaktioneller Arbeit geleistet haben, ganz abgesehen von Wortumstellungen u.a. Angesichts so großer Unterschiede sei die Behauptung einer literarischen Abhängigkeit ungerechtfertigt (S. 98f.). Linnemann betont, es handle sich nämlich "nicht um Dichtungen, die einen vorgegebenen Stoff kreativ umgestalten wollen" (S. 99), sondern die Evangelisten wollten historische Berichte verfassen (Lk 1,1), weswegen man bei literarischer Abhängigkeit eine hohe Übereinstimmung erwarten könnte (von 80-90%, vgl. S. 101). Sie fügt hinzu: "Bei derartigen Abweichungen vom Gemeinsamen der drei Synoptiker müßte man die Evangelienschreiber für unerträgliche Kritikaster halten, denen kaum ein Wort von ihrer Vorlage zusagte. Für eine derartige Einstellung fehlt aber jedes Indiz."
    In der vierten Analyse (S. 100-124) widmet Linnemann sich dem Ausmaß der Wortlautübereinstimmungen innerhalb der Tripeltradition. Die Objektivität ihres synoptischen Vergleichs will sie dadurch gewährleisten, dass die Anzahl der gleichen Wörter in Parallelperikopen ausgezählt werden. In ihrem Beispieltext (Taufe Jesu; Mt 3,13-17par) zählt sie z.B. 13 völlig gleiche Wörter für Mt/Mk/Lk, zusätzlich 12 gleiche Wörter nur bei Mt/Mk usw. Auffälligerweise gibt es bei der Himmelsstimme die größten Übereinstimmungen zwischen den Synoptikern. Anschließend ermittelt sie die Anzahl der Unterschiede in dieser Perikope, indem sie jede Auslassung, jede Hinzufügung, jede Wortumstellung71, jede andere Wortwahl oder andere Wortform als Unterschied rechnet. Wenn ganze Satzteile oder Sätze ausgelassen oder hinzugefügt werden, summieren sich schnell die Abweichungen. So kommt Linnemann in einer Querschnittsuntersuchung (innerhalb der Tripeltradition!) schließlich für Mt auf 95,34% Unterschiede und bei Lk sogar auf 100,48% Unterschiede. Die Wortlautübereinstimmung im "sinnvoll zu untersuchenden" Teil der Dreiertradition beträgt für Mt/Lk 27,39% (bezogen auf die Mk-Wortzahl von 6450 Wörtern in

    71 Linnemann selbst redet neutraler von „kleineren Überhängen", „anderer Stellung der Worte" usw. (S. 109), um in ihren Analysen die Terminologie der Benutzungshypothesen zu vermeiden.


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diesen Perikopen), für Mt/Mk 41,83% und für Mk/Lk 34,42% (S. 123).72 Nach Linnemann müssten bei einer literarischen Abhängigkeit die Übereinstimmungen viel größer sein. Die Evangelisten seien keine Literaten, "die eine Quelle nur als Anregung für ihre Kreativität und als Stoff für ihre Entwürfe benutzten", wie die große Übereinstimmung in den Jesusworten zeige (S. 125).
    Ihr nächstes Argument bezieht sie aus einer Wortschatzuntersuchung. 13,68% des Markuswortschatzes kommen weder bei Mt noch Lk vor (schon das spreche gegen eine Benutzungshypothese; S. 126), 835 Wörter (65,08%) haben alle gemeinsam. Sie sucht  nun nach seltenen Wörter, die Mt und Lk möglicherweise aus Mk übernommen haben könnten. Nach Eliminierung aller häufigen Wörter, die zum allgemeinen NT-Wortschatz gehören, aller Wörter, die ungleichgewichtig in den Evangelien vorkommen, und Streichung von 9 Namen bzw. Ortsbezeichnungen bleiben 42 Wörter mit 54 Vorkommen übrig. Weil sich nur einige davon in den entsprechenden Paralleltexten finden und weitere in einem Jesuswort vorkommen, sprechen schließlich nur noch drei Wörter für eine literarische Abhängigkeit (S. 130). Aber das ist keineswegs signifikant (S. 132).
    Diese Ergebnisse kann man nun nach Linnemann mit keiner der bekannten Arten von literarischer Abhängigkeit in Einklang bringen: Eine redaktionelle Bearbeitung ist unwahrscheinlich, denn sehr oft liegen keine sprachlichen Verbesserungen vor und die Zusatzinformationen in den kleineren Überhängen sind so auch nicht zu erklären (S. 140). Außerdem sind die Unterschiede in Wortwahl und Grammatik einfach zu groß und Sätze und Perikopen auch verschieden angeordnet. Genauso wenig kommt eine theologische Bearbeitung in Frage (S. 140f.), weil dann auch Quellen verschiedener Herkunft verarbeitet wurden und die Veränderungen vornehmlich durch die theologische Tendenz zu erklären sein müssten. Daneben gelten dieselben Argumente wie zur redaktionellen Bearbeitung. Gegen eine kreative Neugestaltung schließlich sprechen die Übereinstimmungen besonders in den Jesusworten (S. 141). Die (klassische) Zweiquellentheorie erinnert Linnemann noch einmal an die Minor Agreements, die kleineren Überhänge, das Fehlen von Mk-Perikopen bei Mt und Lk und an die Unterschiede von 95% bzw. 100% gegenüber Mk in der Tripeltradition, während die Übereinstimmungen vergleichsweise gering sind (S. 143f.).73

    72 Aktualisierte Zahlen auf der Grundlage der gesamten Tripeltradition (d.h. auch unter Einbeziehung der 10 Perikopen, die weniger parallel sind) nach Linnemann, Bibelkritik, S. 49-52: Mt/Mk/Lk 20,01% Wortlautübereinstimmungen, Mt/Mk (d.h. ohne Lk) zusätzlich 21,35% Übereinstimmungen (=41,36%), Mk/Lk zusätzlich 11,46% und Mt/Lk 4,03% (immer bezogen auf die 7625 Mk-Wörter in der Dreiertradition).
    73 Einige zusätzliche Argumente sind in dem späteren Buch Linnemanns Bibelkritik auf S. 13-52 zu finden. Der erste Teil ist auch erschienen als "Q - das verlorene Evangelium: Fantasie oder Faktum?", Jahrbuch für evangelikale Theologie 9 (1995), S. 43-61 und auf englisch unter www.ine-


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    Die These der literarischen Unabhängigkeit könne man empirisch überprüfen, indem man untersucht, wie groß der Anteil an stereotypen Redewendungen im Alltag innerhalb desselben soziokulturellen Kontextes ist. Außerdem könne man bei einer größeren Menge von Nacherzählungen einen synoptischen Vergleich vornehmen (S. 146).
    Die allgemeinen Übereinstimmungen (Inhalt und Reihenfolge) zwischen den Evangelien sind nach Linnemann auf die genaue Erinnerung an Worte und Taten Jesu zurückzuführen (d.h. nicht auf die gemeinsame mündliche Tradition wie bei Reicke), und Unterschiede erklärt Linnemann dadurch, dass die Sprache ein Ereignis immer nur teilweise erfassen kann (S. 149f.). Dass die Ereignisse auch oft mit sehr ähnlichen Worten beschrieben werden, hängt mit persönlichen Sprachstereotypen zusammen (soziokultureller Hintergrund, Sprachbeherrschung, Sprachniveau, Perspektive der Augenzeugenschaft u.a.; S. 150). Außerdem habe der Heilige Geist bei der sprachlichen Erfassung geholfen (S. 150f.). Und man müsse auch deswegen von "Angleichungen" ausgehen, weil die Jünger ihre Erinnerungen miteinander besprochen haben (d.h. an diesem Punkt spielt eine gewisse gemeinsame Tradition doch eine Rolle) (S. 152). Sprachliche Ähnlichkeiten bei den Evangelisten kommen nach Linnemann auch dadurch zustande, dass alle auf eine aramäische Quelle zurückgehen: Das MtEv war ursprünglich aramäisch verfasst, Petrus als Informant des Mk hatte eine mündliche aramäische Tradition im Kopf, und die Berichterstatter des Lk schilderten die Ereignisse ebenfalls auf aramäisch. Diese "Sprachstrukturen des aramäischen Originals" (d.h. wohl Semitismen) seien noch teilweise in den Evangelien aufzufinden und für einige Übereinstimmungen verantwortlich (S. 152).
    Als Erklärung für größere Unterschiede in den Berichten rechnet sie damit, dass verschiedene Abschnitte, z.B. die Bergpredigt / Feldrede oder das Gleichnis von der königlichen Hochzeit, von Jesus an verschiedenen Plätzen variiert worden sind (S. 155). Bei den Summarien, die aufgrund ihres vermeintlich redaktionellen Charakters oft als Argumente

xes.com/nt/synoptic_problem/lostqpr.html (5.3.01). Der Q-Stoff hat auch nur eine Wortlautübereinstimmung von 41-42%, allgemein sei zu beobachten: „Je länger ein Abschnitt ist, desto geringer ist die Zahl der identischen Worte und desto größer die Zahl der Unterschiede" (S. 23). So stimmt Mt 25,14-30 nur zu 20,62% im Wortlaut überein, wobei 79% der Übereinstimmungen in der direkten Rede des Gleichnisses vorkommen. Hier spielt das Erinnerungsvermögen eine Rolle (S. 23f.).
    Von den bisher berechneten Wortlautübereinstimmungen sind durchschnittlich 33% allgemein zu erwartende Basiswörter (kai&, Artikel, Pronomen), d.h. die Übereinstimmung ist weiter zu verringern (S. 35). Das gemeinsame Vokabular der Evangelisten kann auch kein Argument für eine literarische Abhängigkeit sein, denn von 839 gemeinsamen Wörtern in der Tripeltradition kommen schon 793 in der Septuaginta vor, der Rest sind v.a. Namen und zeitgeschichtliche Begriffe (S. 37f.). Eine primitivere Sprache bei Mk als Begründung für die Mk-Priorität kann man nicht an der angeblich geringeren Anzahl an verba composita festmachen (S. 40f.). S. 42-49 nimmt Linnemann die Argumentation von Stein auseinander, der die üblichen Argumente für die Zweiquellentheorie bringt (hohe Wortlautübereinstimmungen im griechischen Text, Akoluthiebeweis usw.; außerdem Übereinstimmungen in Parenthesen).


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für eine literarische Abhängigkeit angeführt werden, weist sie deren geringe Übereinstimmung nach (S. 157f.).
    Schließlich wendet sich Linnemann gegen die Existenz verschiedener (anonymer) Einzeltraditionen, die von der Formgeschichte vorausgesetzt werden, und bemängelt, dass auch viele Evangelikale dies akzeptiert hätten (S. 163, 166). Sie betont stattdessen die persönliche Erinnerung der Apostel, die "(e)in vergessener Faktor" sei (S. 167). Die Apostel und die Verwandtschaft Jesu werden nämlich "aus großem Verantwortungsbewusstsein ... mit Strenge über die Reinerhaltung des Überlieferungsgutes gewacht haben" (S. 170).74 Sie hält es auch für möglich, dass die Jünger einige schriftliche Notizen gemacht haben, aber möchte sich nicht darauf festlegen (S. 171). Nach einer kurzen Betrachtung des Papias- und Irenäuszitates folgert Linnemann, dass das aram. MtEv 63 n. Chr. abgefasst wurde und Lk und Mk ihr Evangelium 64-66 n. Chr. nach dem Tod des Petrus und Paulus aufgeschrieben haben (S. 174f.).
 
 
 

    74 Zitat aus Wolfgang Schadewaldt, "Die Zuverlässigkeit der synoptischen Tradition", Theologische Beiträge 13 (1982), S. 201-223, hier S. 220.

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3. ARGUMENTE DER TRADITIONSHYPOTHESE

    In diesem Kapitel sollen jetzt die Argumente der Vertreter der TH systematisch zusammengetragen werden. Das ist deshalb eine lohnende Aufgabe, weil Befürworter der TH sehr unterschiedliche Begründungsansätze haben und sich oft recht einseitig auf bestimmte Aspekte konzentrieren (Rist: unerklärbare Redaktion; Reicke: Kontextparallelen und historischer Hintergrund der TH; Scott: Lukasprolog; Linnemann: Wortlautübereinstimmungen usw.). Hier soll nun ein umfassendes Bild der Argumente der TH entstehen. Wenn manche Phänomene von Vertretern der TH auf verschiedene Weise erklärt werden (z. B. die gemeinsame Reihenfolge der Evangelien), wird dies entsprechend dargestellt. Ihre Argumente werden gegebenenfalls auch durch passende Untersuchungen solcher Forscher ergänzt, die nicht unbedingt der TH angehören.
    Zunächst wird die externe Evidenz (Lukasprolog, Aussagen der Alten Kirche) behandelt (3.1), weil es methodisch sinnvoll ist, die Quellen zu fragen, ob sie etwas über die Entstehung der Evangelien sagen, bevor man eigene Theorien entwickelt. Dann folgt die Betrachtung der internen Evidenz (3.2), wo gezeigt wird, dass verschiedene Phänomene in den Evangelientexten mit der TH gut erklärt werden können, teilweise besser als im Rahmen der Zweiquellentheorie. Am Schluss des Kapitels stehen historische Überlegungen zur TH (3.3), mit denen nachgewiesen werden soll, dass die Einzelelemente der TH historisch plausibel, also für die damalige Zeit durchaus anzunehmen sind.

3.1 Externe Evidenz

3.1.1 Lukasprolog

)Epeidh&per polloi\ e)pexei/rhsan a)nata&casqai dih&ghsin
     peri\ tw~n peplhroforhme&nwn e)n h(mi=n pragma&twn,
       2 kaqw\j pare&dosan h(mi=n oi( a)p )a)rxh=j au)to&ptai kai\ u(phre&tai geno&menoi tou= lo&gou,
3 e1doce ka)moi\ parhkolouqhko&ti a1nwqen pa~sin a)kribw~j
     kaqech=j soi gra&yai, kra&tiste Qeo&file,
  4 i3na e)pignw~|j peri\ w4n kathxh&qhj lo&gwn th\n a)sfa&leian. (Lk 1,1-4)

    Der Lukasprolog wird sehr unterschiedlich gedeutet, auch innerhalb der Traditionshypothese. Einige, wie Rist und Wenham, gehen wie selbstverständlich davon aus, dass Lk hier von seiner Benutzung anderer Evangelien spricht, ohne dass sie intensiver auf den Lukasprolog eingehen.75 Andere berufen sich auf den Lukasprolog für die Existenz griechischer

    75 Rist, Independence, S. 4f., 10f., 108; Wenham, Redating, S. 8 nennt immerhin ein exegetisches Argument gegen Scott, dass paradi&dwmi auch schriftliche Überlieferungen beinhalten könne. Außer-


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Diegesen;76 eine Abhängigkeit von anderen Evangelien wird dagegen ausgeschlossen77. Nach Reickes Meinung habe Lk mit diesen Versen aussagen wollen, dass auch Mt, Mk und andere es gerade in Angriff genommen hatten (e)pexei/rhsan), ein Evangelium zu schreiben. So gelangt Reicke bei den Synoptikern zu simultanen Abfassungszeiten. Deswegen habe Lk allein die mündliche Tradition verwendet, zumal er sich ausdrücklich auf die para&dosij der Augenzeugen und Diener des Wortes zurückbezieht.78 Linnemann schließlich sieht hier gar keine Erwähnung von anderen Evangelien, denn a)nata&ssomai solle nicht mit "abfassen" übersetzt werden, polloi& könnte sich nicht bloß auf die zwei Evangelien des Mt und Mk beziehen und apokryphe Evangelien hätten damals noch nicht existiert. Vielmehr meine Lk in 1,1 mündliche Berichte vom Leben Jesu.79
    Scott hat in seiner 500-seitigen Dissertation den Lukasprolog wohl so umfassend wie niemand sonst untersucht und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass Lk von anderen schriftlichen Quellen wie Mt, Mk und Q gewusst, aber sie nicht benutzt habe, da er selbst den Berichten der Apostel, deren Begleiter er war, folgte.80 Durch die Unabhängigkeit des Lk müsse auch die Existenz von Q aufgegeben werden (S. 211). So gelangt Scott schließlich zur Traditionshypothese, die er im übrigen auch mit literarischen Untersuchungen begründet (S. 212-265).81
    Neuerdings hat Felix82 den Lukasprolog analysiert. Auch er zieht dieselbe exegetische Bilanz: "Exegetically, the use of Luke 1:1-4 to support the idea that a relationship of literary dependence exists among the gospels written by Matthew, Mark, and Luke is quite

    dem dürfe man aus diesen wenigen Versen nicht viel herauslesen.
    76 Hörster, Einleitung, S. 17; van den Brink, "Onafhankelijkheid", S. 80.
    77 Vgl. Hörster, Einleitung, S. 23; van den Brink, "Onafhankelijkheid", S. 82, 84f.
    78 Reicke, Roots, S. 45, 180; vgl. Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1775f.
    79 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 175f.
    80 Scott, Luke's Preface, S. 171, 207, 209. "Luke recorded the gospel traditions that he had learned directly from the apostles, and wrote independently of Mark, Matthew, Q, or any other possible written source" (S. 207).
    81 Auch Armin D. Baum stellt nach einer Analyse der Interpretationen des Lukasprologs im 18. und 19. Jahrhundert fest, dass die Markushypothese mit dem Lukasprolog "unvereinbar" sei ("Älteste Teilantwort", S. 28). Der Lukasprolog spreche stattdessen am ehesten für eine TH: "Die weitestgehenden Übereinstimmungen mit dem Lukasprolog weist die Traditionshypothese ... auf" (Ebd., S. 30). Vgl. ders., Lukas als Historiker der letzten Jesusreise, Monographien und Studienbücher 379, Wuppertal: Brockhaus, 1993, hier S. 107-111, und Jakob van Bruggen, Christ on Earth: The Gospel Narratives as History, Grand Rapids: Baker, 1998, S. 62-68.
    82 Paul W. Felix, "Literary Dependence and Luke's Prologue", The Master's Seminary Journal 8 (1997), S. 61-82.


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improbable".83 Seine Einzelbeobachtungen, die ihn zu diesem Fazit führen, sind folgende (S. 79-81): 1) Es ist in Lk 1,1 nicht davon die Rede, dass Lk ganze Evangelien (Mt oder Mk) benutzte. 2) Lk spricht von "vielen", nicht von Mk, Q und L. Wenn Lk hauptsächlich nur ein bis zwei Quellen redigierte, passt dies auch nicht zu seiner eigenen Angabe, dass er intensive Nachforschungen betrieben habe (1,3). 3) Mt und Mk konnten nicht zu den polloi& gehören, weil sie zu den Augenzeugen und Wortdienern gezählt werden müssen. 4) Es ist unwahrscheinlich, dass Lk Schriften apostolischer Herkunft durch genaueres Nachforschen und das leicht abwertende e)pexei&rhsan in Frage gestellt hätte. 5) Lk hätte Theophilus einfach das MtEv oder MkEv weitergeben können, wenn er diese Evangelien zur Hand gehabt hätte. 6) Lk hätte nicht betonen müssen, dass er kaqech=j schrieb, wenn Mk dies auch tat. 7) Wahrscheinlicher ist es, dass Lk für sein Evangelium eine Reihe schriftlicher Quellen (die nicht Mk oder Mt entsprechen) (vgl. 1,1) sowie mündliche Berichte der Augenzeugen (vgl. 1,2) verwendete.

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3.1.2 Aussagen der Alten Kirche
    Heutige Modelle zur Entstehung der Synoptiker sollten möglichst im Einklang mit altkirchlichen Aussagen stehen. Die frühkirchlichen Zeugnisse zur Evangelienentstehung machen Angaben zu Verfassern und zu Abfassungszeiten, zur Existenz eines aramäischen Mt, zur chronologischen Reihenfolge der Evangelien und zur Herkunft der Informationen der Evangelisten (Letzteres betrifft auch die Frage nach einer literarischen Abhängigkeit). Auch die ersten beiden Themen werden von Vertretern der TH behandelt, aber für die Frage nach dem Entstehungsmodell sind die letzten drei Punkte besonders relevant.

3.1.2.1 Zur Existenz eines aramäischen Mt
    Die frühe Kirche erklärt einmütig, dass Matthäus seine schriftlichen Aufzeichnungen auf "hebräisch" (d.h. wohl aramäisch) verfasst habe. Wenham ist derjenige unter den Vertretern der TH, der die Existenz eines aramäischen Mt am ausführlichsten verteidigt. Nach seiner Zusammenstellung wird ein aramäischer Mt bezeugt von Papias (bei Euseb, h.e. 3.39.16)84, Irenäus (adv. haer. 3.1.1), Pantaenus (bei Eusebius, h.e. 5.10.3 und bei Hieronymus, de vir. ill. 36), Origenes (bei Eusebius, h.e. 6.25.4), Eusebius (h.e. 3.24.6 und in ad Marinum,

    83 Ebd., S. 82. Scott scheint ihm nicht bekannt zu sein; jedenfalls verweist Felix nicht auf ihn, obwohl er sonst viel Literatur zitiert.
    84 Matqai=oj me\n ou]n  9Ebrai5di diale/ktw| ta\ lo&gia suneta&cato, h(rmh&neusen d 0 au)ta\, w(j h]n dunato\j e#kastoj (Die Apostolischen Väter: Griechisch-deutsche Parallelausgabe, Hg. Andreas Lindemann / Henning Paulsen, Tübingen: Mohr, 1992, S. 294).


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quaestio 2), Epiphanius (adv. haer. 29.9.4; 30.3.7); Kyrill v. Jerusalem (Catecheses 14.15), Hieronymus (Matthäusprolog; de vir. ill. 3) u. a.85 Gegen Versuche, die Aussagen des Papias abzuwerten oder umzudeuten, argumentiert Wenham relativ detailliert (S. 125-133). Auch Reicke, Linnemann und Mauerhofer86 beachten die altkirchlichen Nachrichten und bauen einen aramäischen Mt in ihr Modell mit ein. Für Rist dagegen passen die Aussagen nicht zu der von ihm angenommenen literarischen Abhängigkeit des Lk vom MtEv. Wohl deswegen relativiert er die Aussagen der Kirchenväter zum aramäischen MtEv: Irenäus, adv. haer. 3.1.1, sei möglicherweise von Papias abhängig, und auch das papianische Zeugnis sei nicht sicher zu deuten.87
    Die TH kann ein aramäisches MtEv, das von der Alten Kirche recht gut bezeugt ist, sehr viel besser integrieren als die Zweiquellentheorie. Bekanntermaßen ist es exegetisch fraglich, die lo&gia des Mt, von denen Papias spricht, als Quelle Q zu deuten.88

3.1.2.2 Zur Reihenfolge der Evangelien
    Die Abfolge der Synoptiker lautet bei den Kirchenvätern meist Matthäus - Markus - Lukas. Nur Clemens von Alexandrien weicht etwas ab, wenn er sagt, dass die Evangelien, die die Genealogien enthalten, zuerst geschrieben wurden (bei Eusebius, h. e. 6.14.5). Wenham gibt zu, dass sich die Griesbachhypothese auf dieses Zitat stützen kann, aber er versucht, unter Bezugnahme auf Zahn die Aussage des Clemens zu relativieren. Der Befund bei den anderen Kirchenvätern scheint einfach zu schwer zu wiegen (Origenes bei Eusebius, h. e. 6.25.3-6; wohl auch Irenäus, adv. haer. 3.1.1; das Muratorische Fragment nennt Lk ausdrücklich als dritten Evangelisten; Eusebius, h. e. 3.24.6-11; Augustin, de consensu evangelistarum 1.3).89

    85 Wenham, Redating, S. 117-119.
    86 Reicke, Roots, S. 158f. untersucht nur das Papiaszitat. Linnemann zitiert Papias und Irenäus und meint: "Die Nachrichten sind so exakt, wie wir sie uns nur wünschen können." (Synoptisches Problem?, S. 174). Mauerhofer, Einleitung, Bd. 1, S. 208f. integriert einen aramäischen Mt in seinen Entwurf, ohne vorher genauer auf die Kirchenväter einzugehen (ein wenig auf S. 203).
    87 Rist, Independence, S. 96-99.
    88 Schleiermacher hatte sich mit seiner lo&gia-Deutung geirrt; Weiße hatte aber zur Stützung der Existenz von Q die Schleiermachersche Deutung des Papias benutzt. Vgl. Wenham, Redating, S. 128-130; Reicke, Roots, S. 156-158 und auch Hans-Herbert Stoldt, Geschichte und Kritik der Markushypothese, 1977, 2. erw. Aufl. Gießen: Brunnen, 1986, hier S. 47-50.
    89 Wenham, Redating, S. 188-195. Sehr hilfreich ist Helmut Merkel, "Die Überlieferungen der Alten Kirche über das Verhältnis der Evangelien", The Interrelations of the Gospels: A Symposium, Hg. D. L. Dungan, Bibliotheca ephemeridum theologicarum Lovaniensium 95, Leuven: UP, 1990, S. 566-590, der seinen Artikel nach den einzelnen Kirchenvätern ordnet und jeweils auch nach der von ihnen angenommenen Reihenfolge der Evangelien fragt. Für die abweichende Reihenfolge bei Clemens findet er eine Erklärung (S. 578-581). Vgl. Stephen C. Carlson, "Clement of Alexandria on the 'Order' of the Gospels", New Testament Studies 47 (2001), S. 118-125, hier S. 125: "For the cause of synoptic source


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    Mit der Reihenfolge der Evangelien hat sich Wenham am meisten beschäftigt; andere Vertreter der TH sind hier ausgesprochen knapp. Reicke fragt gar nicht erst nach der Reihenfolge bei den Kirchenvätern, sondern vertritt eine gleichzeitige Abfassung der Evangelien aufgrund seiner Deutung des Lukasprologs.90 Mauerhofer befürwortet die Griesbachsche Reihenfolge und sagt ganz lapidar: "Aufgrund der Väterzitate wird die Reihenfolge bestätigt: Matthäus, Lukas, Markus".91 Linnemann erwähnt das Irenäus-Zitat und setzt das aramäische MtEv daraufhin etwas früher an als die anderen beiden Evangelien.92
    Wichtig für die Diskussion um TH oder Zweiquellentheorie ist die Tatsache, dass die Matthäuspriorität in der Alten Kirche nie angetastet wurde. Die TH kommt als Modell mit jeder Reihenfolge zurecht, die Zweiquellentheorie muss aber eine Markuspriorität annehmen, die bei keinem der Kirchenväter bezeugt ist.

3.1.2.3 Zu einer literarischen Abhängigkeit
    Was die Herkunft der Informationen der Evangelisten angeht, so betonen die Kirchenväter entweder die apostolische Verfasserschaft (Mt) oder die enge Verbindung mit der Predigt eines Apostels (Mk als e9rmhneuth&j des Petrus).93 Weil also ein zuverlässiges Zurückgreifen der Evangelisten auf die Tradition bei den Kirchenvätern im Vordergrund steht, ist eine literarische Abhängigkeit schwerlich anzunehmen.  Papias, Justin, Irenäus, das Muratorische Fragment, Origenes und Eusebius setzen auf diese Weise eine literarische Unabhängigkeit der Evangelien voraus.94 Merkel, ein ausgewiesener Spezialist zu den altkirchlichen Aussagen über die Evangelien, zieht folgendes Fazit:
    "Bei den Kirchenvätern herrscht die Auffassung vor, die Evangelien gingen unmittelbar oder mittelbar auf Augenzeugen zurück. An eine literarische Beziehung zwischen den Evangelien dachte man nur in Ausnahmefällen, und dann stehen dogmatische Erwägungen im Hintergrund. So sollte sich keine moderne 'Benutzungshypothese' auf die Kir-

    criticism ... Clement's testimony can no longer be relied upon as evidence for the relative order of the gospels."
    90 Reicke, Roots, S. 180. Nur bei der Beschreibung der Benutzungshypothesen (S. 2) nennt er kurz die augustinische Hypothese, die die Reihenfolge Mt-Mk-Lk voraussetzt.
    91 Mauerhofer, Einleitung, Bd. 1, S. 203.
    92 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 174f.
    93 Vgl. Wenham, Redating, S. 117-119, 137-142, 184f.
    94 Merkel, "Überlieferungen", S. 569, 572 (Papias), 573 (Justin), 575 (Irenäus), 577 (Muratorisches Fragment), 581 (Origenes, Eusebius). Allein Augustin, De consensu evangelistarum 4.10.11 könnte man zugunsten literarischer Abhängigkeit deuten. Merkel (S. 586-589) kommt aber zu dem Schluss, dass Augustins Aussage dogmatische Gründe habe.


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chenväter berufen."95

    Die Zweiquellentheorie ist also in allen drei Punkten (Existenz eines aramäischen Mt, Reihenfolge der Evangelien, literarische Abhängigkeit der Evangelien) gegenüber der TH anscheinend deutlich im Nachteil. Außerdem gibt es für Q und Dmk keinerlei Anhaltspunkte bei den Kirchenvätern, es sei denn, man nähme die Schleiermachersche lo&gia-Interpretation für die Existenz von Q zu Hilfe. Es sollte also bedacht werden, dass die synoptische Frage nicht von vornherein völlig offen ist. Ein Entstehungsmodell, das sich gegen die Alte Kirche behaupten will, muss dafür schon sehr gute Gründe vorbringen, erst recht, wenn man auch den Lukasprolog gegen den Strich bürstet.
    Im nächsten Teil soll nun die Erklärungsfähigkeit der TH und der Zweiquellentheorie an verschiedenen textlichen Phänomenen geprüft werden.

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3.2 Interne Evidenz

    Die Behandlung der internen Evidenz gliedert sich hier in die drei klassischen Gebiete Stoffauswahl, Stoffreihenfolge und Wortlaut. Sie ist also systematisch geordnet, d. h. die besten Argumente der TH stehen nicht unbedingt immer zu Anfang. Wenn bei einigen Punkten mehr, bei anderen Punkten weniger Namen genannt sind, ist dies auch ein Hinweis darauf, in welchem Maß diese Argumente von Vertretern der TH bisher benutzt wurden.

3.2.1 Stoffauswahl
3.2.1.1 Anteil an gemeinsamen Perikopen
    Linnemann hat auf der Grundlage von Wortzählungen den Umfang der mt-mk und lk-mk Doppeltraditionen neu berechnet. Das Gemeingut des Mt mit Mk macht 55,12% (10101 Wörter) vom Wortumfang des MtEv aus; Lk teilt durch die gemeinsamen Perikopen 42,93% (8365 Wörter) seines Evangeliums mit Mk.96
    Diese inhaltliche Gemeinsamkeit ist nach Linnemann historisch begründet und noch nicht so hoch, dass sie eine literarische Abhängigkeit als notwendig erscheinen lässt.97 In Reickes Modell einer geprägten mündlichen Tradition in der Urgemeinde kann der gemeinsame

    95 Merkel, "Überlieferungen", S. 589.
    96 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 72f.
    97 Ebd., S. 142.


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Stoff so erklärt werden, dass eine bestimmte Auswahl an Geschichten besonders häufig weitergegeben wurde. Der Hinweis auf den Anteil an gemeinsamen Perikopen ist also an sich noch kein Argument gegen die TH, da von ihr zwei Erklärungsansätze angeboten werden.

3.2.1.2 Sondergut bei Mk
    Nach Linnemanns Zählungen fehlen bei Mt und Lk sieben98 Markusperikopen ganz (549 Wörter, 4,88% des MkEv). Mt hätte bei seiner Benutzung des MkEv insgesamt 16 Abschnitte (1120 Wörter, 9,95% des MkEv) gestrichen, und Lk hätte sogar 31 Perikopen (3063 Wörter, 27,20% des MkEv) weggelassen (ganz abgesehen von den Änderungen in der gemeinsamen Tradition), obwohl beide ansonsten eher die Tendenz zur Hinzufügung neuen Stoffes aufweisen.99
    Die TH hat keine Probleme mit der Existenz von Sondergut in den Evangelien; es ist nach dieser Hypothese sogar zu erwarten. Umso größer ist das Problem für die Zweiquellentheorie, das Sondergut bei Mk zu erklären. Warum hat Mt 16 Perikopen ausgelassen und Lk 31 Perikopen?100 Was ist mit der lukanischen Lücke (Auslassung von Mk 6,45-8,26)? Die Hilfsannahmen, dass Mt und Lk eine überarbeitete Fassung des Mk (=Dmk) verwendeten und dass Lk außerdem nur ein lückenhafter Dmk zugänglich war,101 empfindet Linnemann als außerordentlich hypothetisch.102 Noch drängender ist die Erklärungsnot für die Griesbachhypothese, weil Mk sehr viel von Mt und Lk weggestrichen haben müsste.103

3.2.1.3 Kleinere Überhänge
    Linnemann verweist auf die "kleineren Überhänge in beide Richtungen", die von der Zweiquellentheorie erklärt werden müssten.104 Sie bezieht sich hier besonders auf Verkaiks Arbeit The Tenability of Synoptic Independence.105 Demnach gibt es in der Dreiertradition bei Mk 321 kleinere Überhänge (1667 Wörter, 14,80% des MkEv), die weder bei Mt noch

    98 Zu den klassischen Sondergut-Perikopen Mk 3,20f.; 4,26-29; 7,31-37; 8,22-26 rechnet sie zusätzlich Mk 1,12f.; 13,33-37 und den Markusschluss 16,9-20.
    99 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 86f., 98.
    100 Ebd., S. 143.
    101 Vgl. Schnelle, Einleitung, S. 184-186, der Dmk ausdrücklich auch als Lösung für das Problem des markinischen Sondergutes anbietet (S. 184).
    102 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 52f.
    103 Ebd., S. 145.
    104 Ebd., S. 143f., vgl. S. 98f.
    105 Vgl. auch die ähnliche Arbeit Verkaiks im Internet: "Hangovers".


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bei Lk auftauchen.106 Mit dem Hinweis auf die kleineren Überhänge ist impliziert, dass an den Stellen, wo Mt oder Lk inhaltliche Ergänzungen zu Mk bieten, diese entweder erfunden sind107 oder auf (mündlichen) Zusatzinformationen beruhen. Im zweiten Fall würde ihr "Sondergut" aber dann auch Teile des Mk-Stoffes enthalten haben.

3.2.1.4 Doppelüberlieferungstexte Mk/Q
    Rist beobachtet an Mt 3,7-17par und an Mt 4,1-11par, dass hier Mk und Q teilweise einen gemeinsamen Inhalt bieten.108 Dieses Phänomen der Doppelüberlieferung betrifft Mk 1,2.7f.12f.; 3,22-26.27.29; 4,21.22.24.25; 4,30-32; 6,7-13; 8,11.12; 8,34-35; 8,38; 9,37.40.42.50; 10,10f.; 10,31; 11,22f.; 12,37b-40; 13,9.11.33-37 mit Parallelen.109
    Rist kritisiert an der Zweiquellentheorie, dass an den von ihm untersuchten Stellen eine mt Angleichung des Mk-Textes an Q unwahrscheinlich ist und Q überhaupt in Frage gestellt werden muss.110 Im Rahmen der TH jedoch sind gerade solche Überschneidungen zu erwarten, da die einzelnen mündlichen Überlieferungen nicht streng voneinander getrennt werden können. Nach Reickes Deutung hat Mk deswegen weniger didaktisches Material (d.h. auch Q-Traditionen) verwendet, weil ihm diese Traditionen nicht allzu "nahe" waren111 bzw. weil er größeren Wert auf die Auferbauung der Gläubigen durch narrative Stoffe legte.112 Das kerygmatische und didaktische Material, das stärker bei Mt und Lk zu finden ist, hat nach Reicke dagegen primär der Evangelisation und Vorbereitung zur Taufe gedient.

    106 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 88. Stoldt, Markushypothese, S. 16-22 bietet eine Liste von "nur" 180 kleineren Überhängen bei Mk.
    107 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 99: "Bei den synoptischen Evangelien handelt es sich nicht um Dichtungen, die einen vorgegebenen Stoff kreativ umgestalten wollten, wie Goethe das mit dem alten Volksbuch vom Dr. Faustus tat." Vgl. auch Rists Thesen (Independence, S. 109-111) gegen Goulders Midrash and Lection in Matthew, der gerade eine solche Kreativität bei Mt und Lk vermutet.
    108 Rist, Independence, S. 17-23.
    109 Diese Stellen nennt Schnelle, Einleitung, S. 209. Seine Erklärung für den gemeinsamen Stoff von Mk und Q ist folgende: "Die gemeinsamen Textkomplexe weisen auf einen unabhängigen Zugang beider zu alten Jesustraditionen hin, aber auch Berührungen auf vorredaktioneller Ebene sind nicht auszuschließen." (S. 210) Die Frage nach dem Verhältnis von Mk und Q wird kontrovers diskutiert. Joachim Schüling, Studien zum Verhältnis von Logienquelle und Markusevangelium, Forschungen zur Bibel 65, Würzburg: Echter, 1991 meint, dass Mk und Q unabhängig sind; Harry T. Fleddermann, Mark and Q: A Study of the Overlap Texts. With an Assessment by F. Neirynck, Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium 122, Leuven: UP, 1995 vertritt die Auffassung, dass Mk Q gekannt und benutzt hat (S. 214f.).
    110 Rist, Independence, S. 21f. Es ist für ihn wahrscheinlicher, dass Mt und Mk hier jeweils auf die mündliche Tradition zurückgreifen; falls Mt auch eine schriftliche Quelle verwendete, war es jedenfalls nicht Mk (S. 23, vgl. S. 22).
    111 Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1774.
    112 Reicke, Roots, S. 57.

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3.2.2 Stoffanordnung
3.2.2.1 Übereinstimmende Reihenfolge
    Diesem wichtigen Einwand gegen die TH, dass die gemeinsame Akoluthie der Evangelien nicht ohne literarische Abhängigkeit erklärbar sei, versucht man von Seiten der TH auf verschiedene Weise zu begegnen.
    Linnemann113 berechnet eine gemeinsame Reihenfolge von 75% bei Mt/Mk und von 69,82% bei Mt/Lk (S. 77-85) und meint, dass diese Übereinstimmungen in der Akoluthie "ebensogut historisch vermittelt sein" können (S. 82), z. B. bei der Passionsgeschichte, wo die Gemeinsamkeiten besonders deutlich sind (vgl. S. 79). Auch gewisse wichtige Eckdaten des Lebens Jesu wie dessen Taufe, das Petrusbekenntnis, Verklärung usw. seien ohne literarische Vorlage zu erklären, und dazwischen stimme die Reihenfolge nicht allzusehr überein (S. 161). Der "einlinige Aufbau" der Evangelien (Galiläa - Reise nach Jerusalem - Jerusalem) entstehe dadurch, dass die früheren Jerusalembesuche nicht so zentral waren, aber die letzte Reise Jesu einfach erwähnt werden musste (S. 160f.). Die erste Möglichkeit ist also die einer rein historischen Erklärung der Akoluthie.
    Reicke dagegen, der seine empirischen Untersuchungen übrigens fast ganz auf die Stoffreihenfolge beschränkt, führt die übereinstimmende Akoluthie auf die gefestigte mündliche Tradition zurück. Die vielen Kontextparallelen in der Dreiertradition weisen darauf hin, dass nicht nur der Wortlaut, sondern auch die Reihenfolge der Geschichten geprägt war - ganz im Gegensatz zur Q-Tradition114. Die stark vereinfachte Dreiteilung des Lebens Jesu beruhe auf Erinnerungen an Jesu letzte Reise und an sein Wirken in Galiläa, die dann durch verschiedene Ortstraditionen ergänzt wurden.115
    Wenham schließlich meint speziell für dieses Phänomen eine literarische Abhängigkeit annehmen zu müssen und geht davon aus, dass die späteren Evangelisten ihre Erzählungen in der Reihenfolge ihrer Vorgänger geordnet hätten.116

3.2.2.2 Die Platzierung des Q-Stoffes
    Eine zentrale Rolle spielt bei Reicke die Beobachtung, dass die Q-Tradition durch ein "ungehemmtes Vagantentum"117 geprägt ist, während andererseits die Tripeltradition

    113 Linnemann, Synoptisches Problem? Die Seitenzahlen im Text beziehen sich auf dieses Buch.
    114 Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1787f.
    115 Ebd., S. 1778-1780.
    116 Wenham, Redating, S. 207-210.
    117 Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1787.


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weitgehend kontextparallel verläuft.118 Dieses Phänomen verwendet er als Argument gegen die Existenz von Q: "Die eigenartige Streuung der betreffenden Einheiten ... läßt vielmehr jede Annahme einer schriftlich oder mündlich irgendwie fixierten Unterlage der matthäisch-lukanischen Zweiertradition im Stil der angeblichen Logienquelle oder Spruchquelle als Trugbild erscheinen."119  Reicke selbst entwickelt daraus seine Theorie, dass es zwei Sorten von mündlicher Tradition in der Urgemeinde gab: die kontextparallele, weitgehend narrative Tripeltradition und die flexible, hauptsächlich didaktische Zweiertradition.120

[Top]

3.2.3 Wortlaut
3.2.3.1 Die Höhe der Wortlautübereinstimmungen
    Linnemann hat in ihrem Buch die durchschnittliche Höhe der Wortlautübereinstimmungen sowie der Wortlautunterschiede berechnet. In dem "sinnvoll zu untersuchenden" Stoff der Tripeltradition finden sich folgende Übereinstimmungen im Wortlaut: Mt/Mk/Lk 1420 Wörter (22,01%), Mt/Lk 1767 Wörter (27,39%), Mt/Mk 2698 Wörter (41,83%) und Mk/Lk 2220 Wörter (34,42%).121 Andererseits lassen sich nach Linnemann in der Tripeltradition durchschnittliche Wortlautunterschiede von 95,34% bei Mt/Mk und 100,48% bei Mk/Lk feststellen.122 In Q (Mt: 4319 Wörter; Lk: 4253 Wörter) hat Linnemann in einer späteren Untersuchung 1792 (d.h. 41,49% bzgl. Mt und 42,13% bzgl. Lk) gleiche Wörter gezählt.123
    Sie folgert aus ihren Beobachtungen: "Das sind keine Befunde, die für literarische Abhängigkeit sprechen."124 Denn bei redaktioneller Tätigkeit sei - angesichts der Tatsache, dass man Fakten vermitteln wollte - eine Wortlautübereinstimmung von 80-90% zu erwar-

    118 Ebd., S. 1770-1775; Reicke, Roots, S. 24-30.
    119 Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1773. Vgl. ebd.: "Nur bei der Annahme von frei zirkulierenden, nicht geordneten Traditionen, aus denen Matthäus und Lukas nach Bedarf größere und kleinere Einheiten übernahmen, erklärt sich die offenbar konstitutive Flexibilität der Zweiertradition."
    120 Vgl. Reicke, Roots, S. 56-65.
    121 Angaben nach Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 122f. Die Prozentzahlen sind auf die 6450 Markuswörter in diesen untersuchten 66 Perikopen der Tripeltradition bezogen. In die Zahlen von Mt/Lk, Mt/Mk, Mk/Lk sind auch jeweils die Wortlautübereinstimmungen zwischen allen drei Synoptikern integriert.
    122 Ebd., S. 111f. Die Prozentangaben beziehen sich auf 3945 Markuswörter in 38 analysierten Perikopen der Dreiertradition, die Linnemann in einem ersten Durchgang analysierte, aber auf 66 Perikopen nicht allzusehr abweichen dürften (vgl. die nur geringfügigen Prozentveränderungen bei den Übereinstimmungen im zweiten Durchgang, S. 123).
    123 Linnemann, Bibelkritik, S. 22.
    124 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 142.


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ten.125 Die vorhandenen Übereinstimmungen von 30-40% werden von Linnemann durch denselben Inhalt und mit einer sprachlichen Fixierung des Ereignisses126 auf aramäisch erklärt, wobei auch "Angleichungen" durch Austausch von Erinnerungen nach der Himmelfahrt berücksichtigt werden müssten.127 Reicke dagegen geht mehr von einer durch ständige Wiederholung geformten mündlichen Tradition aus, um die Wortlautübereinstimmungen plausibel zu machen.128
    In diesem Zusammenhang könnte sich auch die Experimentalpsychologie als hilfreich erweisen. Baum hat unter Hinweis auf ein Gedächtnisexperiment von Hunt / Love exemplarisch gezeigt, dass selbst eine 50%ige Wortlautübereinstimmung keine literarische Abhängigkeit erfordere, sondern durch Gedächtnisleistung erklärt werden könne.129

3.2.3.2 Das Vorkommen hoher Wortlautübereinstimmungen
    Der Hinweis auf besonders hohe Wortlautübereinstimmungen gilt als wichtiges Argument gegen die TH. Um diese Übereinstimmungen zu erklären, haben Vertreter der TH verschiedene Ansätze gewählt (die sich auch miteinander kombinieren lassen):
    a) Die hohen Übereinstimmungen sind durch häufiges Wiederholen der Geschichten zustande gekommen. Nach Reicke ist auch die von der Formgeschichte beobachtete Stilisierung ein Anzeichen für wiederholte Predigten. "Gegenstand der Sammlungen der Evangelisten waren also Traditionen, die sich im Rahmen der Predigt und Lehre der Gemeinden zu relativ stilisierten Perikopen entwickelt hatten."130
    b) Für viele ist es - im Anschluss an Gerhardsson131 - wahrscheinlich, dass die Jünger

    125 Ebd., S. 100f., Fußn. 60. Vgl. besonders S. 100: "Wenn ein Berichterstatter Quellen benutzt, weil er nicht aus eigener Kenntnis als Zeuge der Ereignisse berichten kann, dann ist nicht damit zu rechnen, daß er seine Vorlagen ändert, weil er sich damit von den historischen Ereignissen entfernt, deren Kenntnis ihm nur durch die Quelle zugänglich ist."
    126 Damit meint Linnemann anscheinend, dass man beim erstmaligen Erzählen eines Ereignisses bestimmte Aspekte hervorhebt und Formulierungen festlegt, die sich bei späterer Wiedergabe nicht wesentlich verändern. Weil die Augenzeugen den gleichen soziokulturellen Hintergrund besitzen, hätten sie beim Erzählen ähnliche Aspekte betont und Formulierungen gewählt (vgl. die Grafik auf S. 151).
    127 Ebd., S. 149, 152.
    128 Vgl. Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1776f.
    129 Armin D. Baum, "Experimentalpsychologische Erwägungen zur synoptischen Frage", Biblische Zeitschrift 44 (2000), S. 37-55, hier S. 48.
    130 Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1777.
    131 Birger Gerhardsson, Memory and Manuscript: Oral Tradition and Written Transmission in Rabbinic Judaism and Early Christianity, Acta Seminarii Neotestamentici Upsaliensis 22, Uppsala: Almqvist & Wiksells, 1961.


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Jesusworte bewusst auswendig gelernt haben.132 Darauf weist auch eine weitgehend poetische Formung der Jesusworte hin.133 Dadurch kommt es hier in geringerem Maß zu Variationen.
    c) Teilweise wird auch angenommen, dass einzelne schriftliche Notizen in Umlauf waren.134 Notizen lagen demnach wohl dort vor, wo die Wortlautübereinstimmung ausgesprochen hoch ist.135 Im Unterschied zur Diegesenhypothese spielt die mündliche Tradition allgemein aber immer noch eine wichtige Rolle.
    d) Schließlich wird darauf hingewiesen, dass völlige Übereinstimmungen nur auf sehr kurze Textpassagen beschränkt seien. Linnemann meint, dass die Wortlautübereinstimmung "kaum über einen ganzen Vers, nie über eine ganze Perikope und schon gar nicht über größere Abschnitte der Evangelien" reiche.136

3.2.3.3 Das Vorkommen niedriger Wortlautübereinstimmungen
    Bei gemeinsamen Textpassagen mit niedriger Wortlautübereinstimmung ist die Zweiquellentheorie in Erklärungsnot. Wenham unterscheidet gemeinsame Mk/Lk-Perikopen von "common origin" von denjenigen mit "no signs of common origin", die auch vom Sinn her abweichen.137 Auch Riesner138 führt solche Beispiele an, die nach seiner Meinung besser auf unabhängige mündliche Überlieferung zurückgeführt werden sollten. Das mündliche "Sondergut" des Mt und des Lk hat dann inhaltliche Überschneidungen mit Mk, was wohl nicht unwahrscheinlich ist. Damit werden aber die einst klaren Zuordnungen der Zweiquellentheorie immer unsicherer (vgl. kleinere Überhänge und Overlap Texts Mk/Q).
    Ähnlich liegt die Frage bei (in Wortlaut und Sinn) sehr unterschiedlichen Q-Texten. Entweder man begreift sie als mündliche Überlieferung, was Wenham tut,139 oder man muss

    132 Z.B. Riesner, Lehrer, S. 440-453; Dyer, "Do the Synoptics Depend", S. 243f.; van den Brink, "Onafhankelijkheid", S. 79f.
    133 Riesner, Lehrer, S. 392-404;  Riesner, "Ursprung", S. 507; van den Brink, "Onafhankelijkheid", S. 80.
    134 Z.B. Riesner, Lehrer, S. 491-498; Hörster, Einleitung, S. 22-24; van den Brink geht ebenfalls von "geschreven Griekse teksten" aus ("Onafhankelijkheid", S. 80).
    135 Vgl. Dearing, "Synoptic Problem", S. 133-136.
    136 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 142.
    137 Wenham, Redating, S. 11, 19-28, 28-39, besonders S. 39.
    138 Riesner, "Wie sicher?", S. 69. Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 122 listet Passagen auf, die "auf den ersten Blick mangelnde Parallelität erkennen lassen", aber sie verwendet sie nicht als Argument gegen die Zweiquellentheorie.
    139 Für unterschiedliche Mt/Lk-Fassungen von Q schlägt Wenham wiederholte Predigten Jesu mit ähnlichem Inhalt vor (Redating, S. 76f.). Nach Reickes Theorie würden diese Abweichungen eher auf unterschiedliche Versionen der mündlichen Tradition zurückgehen.


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die Existenz verschiedener Q-Rezensionen annehmen, wie es in neueren deutschen Standardwerken geschieht.140

3.2.3.4 Die Unterschiedlichkeit der Wortlautübereinstimmungen
    Wenn man die einzelnen Perikopen der Tripeltradition nacheinander untersucht, bemerkt man eine ausgesprochen wechselnde Höhe von Wortlautübereinstimmungen.141 Mt und Lk hätten also in sehr unterschiedlichem Ausmaß in den Mk-Text eingegriffen. Rist bemerkt bei seiner Prüfung einer literarischen Abhängigkeit: "If we suppose that Matthew depends on Mark, we have to account for substantial differences in the quality of his abbreviating."142 Ist dies wirklich redaktionell erklärbar, oder müsste redaktionelle Arbeit wie z.B. Austausch, Auslassung oder Umstellung von Wörtern nicht gleichmäßiger vorgenommen worden sein?
    Nach der TH müssten diejenigen Perikopen eine hohe Wortlautübereinstimmung haben, die besonders wichtig erscheinen und oft erzählt worden sind. Darauf weist Reicke hin, indem er Gieseler zitiert.143 Die Variabilität der Wortlautübereinstimmungen kann nach Baum durchaus auf menschliche Gedächtnistätigkeit zurückgeführt werden.144 Auch innerhalb der Perikopen sind die Übereinstimmungen unterschiedlich. Z.B. haben die Jesusworte eine weitaus höhere Wortlautübereinstimmung als die narrativen Teile des Textes.145 Dies zeigt, dass auch innerhalb der Texte diejenigen Sätze sehr wörtlich behalten wurden, die man für wichtig und sinntragend hielt.146 Dearing beschreibt dies kurz anhand der Perikope vom Hauptmann von Kapernaum und verweist auf unsere Alltagserfahrung, dass

    140 Georg Strecker, Literaturgeschichte des Neuen Testaments, UTB 1682, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1992, S. 152; Schnelle, Einleitung, S. 189f., 200.
    141 Vgl. Morgenthaler, Statistische Synopse, S. 239-243, der die Perikopen dort schon nach der Höhe der Wortlautübereinstimmung sortiert hat.
    142 Rist, Independence, S. 32.
    143 Vgl. die Aussage Gieselers (zitiert nach Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1764): "Durch nichts läßt es sich so bequem als durch die Annahme einer gemeinsamen mündlichen Quelle erklären, wie es gekommen ist, daß die Erzählungen, je wichtiger sie den Schülern scheinen mußten, desto übereinstimmender vorgetragen werden. Natürlich wurden diese am häufigsten vorgetragen, und ihre ursprüngliche Form erhielt sich also durch die öftere Wiederholung reiner, als die der übrigen Erzählungen, von denen mehr die Materie als die Form in dem Gedächtnisse der Einzelnen bewahrt wurde."
    144 Baum, "Experimentalpsychologische Erwägungen", S. 48-51.
    145 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 141 spricht von einer "annähernd 80-prozentige(n) sprachliche(n) Übereinstimmung in den Jesusworten" (vgl. S. 99).
    146 Vgl. dazu wieder Gieseler (nach Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1794): "... Daß aber auch in diesen mehr oder weniger die  a u f f a l l e n d e n Ausdrücke gleich sind, während vor und nach denselben in Synonymen variiert wird, mußte auch die natürliche Folge eines mündlichen Typus sein."


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man beim Erzählen von Witzen einen gewissen Teil wörtlich wiedergeben muss.147

3.2.3.5 Gemeinsamer Wortschatz
    Wenn eine literarische Abhängigkeit vorläge, dann müsste dies nach Linnemann auch in einem auffallend gemeinsamen Vokabular zu erkennen sein.148 Bei ihrer Untersuchung des Wortschatzes stellt sie fest, dass 13,68% des Markusvokabulars weder bei Mt noch bei Lk und 835 Wörter (65,08%) bei allen drei Evangelisten auftreten. Nach Eliminierung aller häufigen NT-Wörter, aller nicht gleichgewichtig vorkommenden Wörter, der Ortsnamen, der Wörtern in Jesuslogien und Schriftzitaten usw. bleiben nur noch drei Wörter übrig. Darüber hinaus hätten Mt und Mk 28 und Lk und Mk zehn "relevante" Wörter gemeinsam. Mit diesen wenigen Wörtern kann man laut Linnemann keine literarische Abhängigkeit begründen.149

3.2.3.6 Minor Agreements
    Die Minor Agreements sind eins der beliebtesten Argumente der TH gegen die (klassische) Zweiquellentheorie. Linnemann zählt 347 Wortlautübereinstimmungen von Mt/Lk gegen Mk (5,38%).150 Insgesamt ist wegen gleicher Auslassungen, gleicher Wortverschiebungen usw. mit mehr Minor Agreements zu rechnen; Ennulat meint, er habe "etwa 1000" untersucht.151 Als Argument gegen die Zweiquellentheorie wird dieses Phänomen z.B. von Linnemann, Riesner und Mauerhofer genannt.152 Die Existenz von Dmk, mit dem man die Minor Agreements zu erklären versucht, wird von Linnemann als unwahrscheinlich angesehen.153

    147 Dearing, "Synoptic Problem", S. 132f.: "Part of the narrative is 'free,' so to speak, but part is 'bound.' The teller must remember the bound part nearly word-for-word or he will spoil the joke."
    148 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 125.
    149 Ebd., S. 132.
    150 Ebd., S. 123. Die Prozentzahl ist bezogen auf die 6450 Markuswörter in den untersuchten Perikopen der Tripeltradition.
    151 Andreas Ennulat, Die "Minor Agreements": Untersuchung zu einer offenen Frage des synoptischen Problems, Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II/62, Tübingen: Mohr, 1994, S. 417. Interessanterweise beobachtet er in den Doppelüberlieferungstexten Mk/Q eine signifikant höhere Anzahl von Minor Agreements, die eine Traditionsmischung nahelege (S. 18, 23). Vgl. zur Diskussion um die Minor Agreements auch: Minor Agreements: Symposium Göttingen 1991, Hg. Georg Strecker, Göttinger Theologische Arbeiten 50, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1993 und The Minor Agreements of Matthew and Luke Against Mark, with a Cumulative List, Hg. Frans Neirynck, Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium 37, Leuven: UP, 1974.
    152 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 143; Riesner, "Wie sicher?", S. 61-64, 68, 71; Mauerhofer, Einleitung, Bd. 1, S. 201. Vgl. auch Stoldt, Markushypothese, S. 22-26.
    153 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 52f.


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3.2.3.7 Unerklärbare Redaktion
    Ebenfalls ein sehr häufiges Argument der TH gegen die Zweiquellentheorie sind Stellen, an denen die Unterschiede zwischen den Evangelien nicht durch redaktionelle Bearbeitung durch Mt und Lk erklärbar sind. Besonders Rist154 kommt in seinen Analysen immer wieder zu dem Ergebnis, dass "if Matthew were basing himself on Mark, his abridgement is poorly done" (S. 28), "(t)his is not the only passage in which the price paid for the thesis that Matthew depends on Mark is the conviction of Matthew for incompetent work" (S. 32), "(s)ometimes the theory that Matthew depends on Mark entails extraordinary carelessness on the part of Matthew" (S. 62) usw. Für eine Benutzung des MtEv durch Mk findet Rist genauso wenig Anhaltspunkte (S. 55, 62). Wenham macht Mk/Lk-Passagen ausfindig, die seiner Meinung nach voneinander unabhängig sein müssen, weil sie zu verschieden sind.155 Riesner durchforscht ebenfalls eine Reihe von Texten und beobachtet, dass eine redaktionelle Bearbeitung "kaum zur Erklärung ausreicht".156 Dyer formuliert sehr anschaulich, "that the writers would have had to perform literary gymnastics with their sources".157 Linnemann beklagt, dass man von Seiten der Zweiquellentheorie an diesem Punkt "keine Falsifikation zuläßt".158
    Aufschlussreich ist hier die Dissertation von E.P. Sanders über The Tendencies of the Synoptic Tradition. Nach Sanders zeigen die verschiedenen untersuchten Kriterien keine Tendenz, die eindeutig für eine Priorität eines Evangelisten sprechen könnte.159 Sein Buch bzw. sein Anhang "Suggested Exceptions to the Priority of Mark"160 wird natürlich gerne von Vertretern der Griesbachhypothese161 und der TH162 aufgegriffen. Aufgrund dieser Uneindeutigkeit finden eben auch Befürworter der Griesbachhypothese Stellen, die sie für ihre Meinung, dass Mk das MtEv benutzte, in Anspruch nehmen können. Allerdings ver-

    154 Die folgenden Seitenzahlen beziehen sich auf Rist, Independence.
    155 Wenham, Redating, S. 28-39.
    156 Riesner, "Wie sicher?", S. 60-72, hier S. 69.
    157 Dyer, "Do the Synoptics Depend", S. 242.
    158 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 57.
    159 Sanders, Tendencies, S. 272: "There are no hard and fast laws of the development of the Synoptic tradition. On all counts the tradition developed in opposite directions. It became both longer and shorter, both more and less detailed, and both more and less Semitic. ... For this reason, dogmatic statements that a certain characteristic proves a certain passage to be earlier than another are never justified" (kursiv im Original).
    160 Sanders, Tendencies, S. 290-293.
    161 Ein Nachdruck dieses Anhangs ist in einem Sammelband der Griesbachhypothese zu finden: E. P. Sanders, "Suggested Exceptions to the Priority of Mark", The Two-Source Hypothesis: A Critical Appraisal, Hg. Arthur J. Bellinzoni Jr., Macon: Mercer UP, 1985, S. 199-203.
    162 Vgl. Rist, Independence, S. 12, 56.


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sucht Goodacre schwache redaktionelle Leistungen bei Mt und Lk plausibel zu machen, indem dem er an einigen Stellen Unaufmerksamkeit bei ihnen vermutet.163
    Crook hat die Gleichnisse vom Senfkorn und vom Sauerteig daraufhin untersucht, welche der drei z. Zt. einflussreicheren Benutzungshypothesen sie am ehesten unterstützen.164 Er kommt zu dem Ergebnis, dass die Zweiquellentheorie eine redaktionelle Bearbeitung am besten erklären kann, aber selbst auch nicht ohne Schwierigkeiten ist.165 Engelbrecht, der die griesbachschen Mk-Kommentare von Mann und Riley analysiert, urteilt, dass sie mehr Probleme offen ließen als die Zweiquellentheorie.166 So ist heute wohl deutlich, dass die Zweiquellentheorie unter den Benutzungshypothesen viel für sich hat, aber unbestritten einige Redaktionstätigkeiten unerklärt bleiben.
    Im Rahmen der TH stellen diese Phänomene keine Schwierigkeit dar. Wenn mal diese zwei Evangelien ähnlich sind, mal andere, so weist diese "zigzag structure" auf die jeweilige mündliche Tradition hin, die dem Evangelisten verfügbar war.167 Gewisse Unterschiede wie Verwendung von Synonymen, kleinere Auslassungen von Namen und Details, Wort- und Satzumstellungen können problemlos auf die Charakteristik der Erinnerung zurückgeführt werden.168
    Außerdem wird von Vertretern der TH auf antike Vergleichstexte aufmerksam gemacht:
    a) Abweichungen und wörtliche Übereinstimmungen wie in den Evangelien kommen auch in den mündlich überlieferten Targumen vor. - Van den Brink169 verweist hier auf eine Untersuchung von Chilton170. Auch dieser äußert sich unzufrieden mit Benutzungshypo-

    163 Mark S. Goodacre, "Fatigue in the Synoptics", New Testament Studies 44 (1998), S. 45-58. Goodacre ist Anhänger der Farrer-Goulder-Hypothese, die sich im Gegensatz zur Zweiquellentheorie von Q verabschiedet hat.
    164 Zeba Antonin Crook, "The Synoptic Parables of the Mustard Seed and the Leaven: A Test-Case for the Two-Document, Two-Gospel and Farrer-Goulder Hypotheses", Journal for the Study of the New Testament 78 (2000), S. 23-48. Die Farrerhypothese wird besonders in Großbritannien vertreten, die Griesbachhypothese in den USA.
    165 "Not one of them was able to account for all the data equally well; some encountered problems dealing with specific words, others with presenting coherent redactional procedures. ... It might be a sad state of affairs that we need to accept as the better answer the one that fails the fewest times, but this is the current state of the synoptic problem." Crook fügt hinzu, dass die Zweiquellentheorie mit den beiden untersuchten Perikopen jedenfalls "in the least problematic manner" zurechtkomme (Ebd., S. 47).
    166 J. Engelbrecht, "Challenging the two-source hypothesis: how successful are the commentaries", Neotestamentica 30 (1996), S. 89-101, hier S. 98f.
    167 Vgl. Reicke, Roots, S. 29f.; Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1775.
    168 Vgl. Baum, "Experimentalpsychologische Erwägungen", S. 39, 42f., 54.
    169 Van den Brink, "Onafhankelijkheid", S. 79f.
    170 Bruce Chilton, "Targumic Transmission and Dominical Tradition", Gospel Perspectives: Studies of History and Tradition in the Four Gospels, Hg. R. T. France / David Wenham, Bd. 1, 1980, 2. Aufl. Sheffield: JSOT, 1983, S. 21-45.


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thesen: "Literal agreement and frustrating variety in diction pose a major difficulty to theories of documentary dependence."171 Um dafür eine Erklärung anzubieten, vergleicht Chilton synoptische Parallelperikopen mit untereinander parallelen Targumtexten und prüft die Art der jeweiligen Abweichungen. Wie er feststellt, sind die Analogien allerdings nicht immer perfekt.172 Chilton stellt darum den Unterschied heraus, dass die Targume auf schriftliche Texte bezogen seien, die Evangelien dagegen auf eine Person, und spricht bewusst nur von "Analogien", nicht von "Parallelen".173
    b) Bei den Synoptikern wird eine sehr komplexe Redaktionstätigkeit vorausgesetzt, während selbst bekannte Schriftsteller der Antike nur eine recht simple redaktionelle Bearbeitung vornahmen. - Wenham174 bezieht sich dabei auf einen Artikel von Downing im Journal of Biblical Literature175. Dort weist Downing anhand verschiedener Beispiele nach, dass redaktionelle Arbeit in der Antike recht einfach ablief. "We can tell on the basis of many examples of practice and some indications of theory: even the most highly literate and sophisticated writers employ relatively simple approaches to their 'sources.'" Eine Verschmelzung von Quellen war selten: "Conflation was itself only rarely attempted, and then very simply effected."176 Außerdem teilte ein antiker Schreiber seine Quellen normalerweise nicht in ihre Bestandteile auf. Livius hat immerhin Abschnitte aus Polybius, die er paraphrasierte, mit Blöcken aus seiner römischen Quelle abgewechselt, aber "such conflation as this is rare and ... clearly unsuccessful".177 Anschließend untersucht Downing die redaktionelle Arbeit bei Plutarch und Josephus. - Downing setzt eine literarische Abhängigkeit der Evangelien voraus178 und will mit seinem Artikel die Zweiquellentheorie gegenüber der Farrer- und der Griesbachhypothese, die beide ein noch höheres Maß an "conflation" bei den redigierenden Evangelisten annehmen, als wahrscheinlicher erweisen. Wenham jedoch meint, Downings Material würde auch die Zweiquellentheorie nicht gerade unter-

    171 Ebd., S. 32.
    172 Ebd., S. 35.
    173 Ebd., S. 36. Chilton selbst scheint mir hier etwas zurückhaltender zu sein als van den Brink, der sich auf ihn beruft.
    174 Wenham, Redating, S. 206f.
    175 F. Gerald Downing, "Compositional Conventions and the Synoptic Problem", Journal of Biblical Literature 107 (1988), S. 69-85.
    176 Beide Zitate ebd., S. 70.
    177 Ebd., S. 71.
    178 Das betont er ausdrücklich gleich zu Anfang (ebd., S. 69). Ihm geht es hier nur um den Vergleich dieser drei Theorien.


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stützen: "... his evidence in fact argues for even less literary dependence than he admits."179

[Top]

3.3 Historische Überlegungen

    Ein historisches Erklärungsmodell wie die TH (und auch die Zweiquellentheorie) muss zum einen möglichst viele Phänomene erklären können (3.2) und zum anderen auch historisch plausibel sein. Letzteres wird nun in diesem Teil der Argumentation erörtert.

3.3.1 Die Bedeutung der apostolischen Lehre in der Urgemeinde
    Heute wird mehrheitlich wieder angenommen, dass es einen Zwölferkreis um Jesus gegeben hat.180 Es wäre kaum verständlich, warum man sonst nachösterlich die Zwölf inklusive Verräter erdichtet hätte; außerdem taucht diese Zwölfergruppe auch bei Paulus in 1Kor 15,5 auf. In der Apg wird erzählt, dass für Judas ein Apostel nachgewählt wurde, während dies später beim Tod des Jakobus (Apg 12) nicht mehr geschah. Nicht zuletzt werden die Zwölf auch in alten Evangelientraditionen erwähnt (Mt 10,2-4par).
    Dieser Zwölferkreis wurde zum Träger der Tradition, selbst wenn Jesus dies nicht beabsichtigt haben sollte. Sie waren Zeugen des Wirkens Jesu und hörten seine Worte.181 Aber sehr wahrscheinlich hat Jesus ihnen tatsächlich auch bewusst Dinge eingeprägt, so wie es im jüdischen Umfeld bei den Rabbinen der Fall war.182 Nach Pfingsten waren sie darum in der Lage, in der Urgemeinde authentische Jesustraditionen weiterzugeben. Dabei ist anzunehmen, dass man auf sie gehört hat, denn in der Apg spielt die "Lehre der Apostel" (z.B. 2,42 und die Predigten) eine wichtige Rolle.183 Diese Betonung der apostolischen Augenzeugen184 und ihrer Lehre bei den frühen Christen ist zugleich ein Argument gegen

    179 Wenham, Redating, S. 207.
    180 Riesner, Lehrer, S. 483f.; auch die hier aufgeführten Argumente sind von ihm.
    181 Ebd., S. 485.
    182 Vgl. Gerhardsson, Memory; Riesner, Lehrer und der Gerhardsson-Schüler Samuel Byrskog, Jesus the Only Teacher: Didactic Authority and Transmission in Ancient Israel, Ancient Judaism and the Matthean Community, Coniectanea Biblica: New Testament Series 24, Stockholm: Almqvist & Wiksells, 1994.
    183 Zusätzliche Beobachtungen: Außerdem betont Lk im Prolog die Augenzeugenschaft (1,2) und stellt in Apg 1 heraus, dass der nachgewählte Apostel während der ganzen Zeit des Wirkens Jesu dabei gewesen sein sollte. Auch den Kirchenvätern ist die apostolische Herkunft der Evangelien wichtig gewesen. Vgl. die Bedeutung der Apostel z.B. in Mt 28,16-20; Joh 14,26 und 2Petr 3,2.
    184 Zu Augenzeugen in der Urkirche vgl. Samuel Byrskog, Story as History - History as Story: The Gospel Tradition in the Context of Ancient Oral History, Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 123, Tübingen: Mohr, 2000, S. 65-91. Zur Bedeutung der Jünger für die Überlieferung vgl. Alfred F. Zimmermann, Die urchristlichen Lehrer: Studien zum Tradentenkreis der dida&skaloi im frühen Urchristentum, Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament II/12, Tübingen: Mohr, 1984.


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die klassische Formgeschichte. Riesner bemerkt, dass man eine "Vernachlässigung der Personalkontinuität bei der Evangelien-Überlieferung" bei ihr kritisierte.185 Anfragen an die klassische Formgeschichte hat es nicht gerade selten gegeben.186
    Linnemann wendet sich ebenfalls gegen die Existenz von anonymen "isolierten Einzeltraditionen"; für sie steht stattdessen die apostolische Erinnerung im Mittelpunkt.187 Für andere Vertreter der TH ist eine Überlieferung durch die Apostel eine Selbstverständlichkeit, die sie einfach voraussetzen. Bei einer Bildung der Geschichten in der Urgemeinde ohne eine Autorität, die Konstanz gewährt, müsste man dagegen sehr unterschiedliche Stoffauswahl, Stoffreihenfolge und Wortlaut erwarten. Dieser Punkt ist also eine zentrale Vorbedingung für die TH, denn nur durch eine gewisse (apostolische) Norm kann eine Festigkeit der mündlichen Tradition möglich werden - ob die Apostel nun auswendig gelernt, sich Notizen gemacht oder oft gepredigt haben oder alle drei Dinge gemeinsam.

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3.3.2 Existenz einer mündlichen griechischen Tradition
    Vertreter der TH haben nachzuweisen, a) dass eine Tradition vom Leben Jesu in der Urgemeinde überliefert wurde, b) dass man diese Tradition auch griechisch weitergegeben hat. Wenham und Reicke haben sich dazu geäußert.
    a) Weil in den Briefen des NT kaum Jesusworte aufgegriffen werden, hat man vermutet, dass es damals noch keine synoptische Tradition gegeben haben kann. Wenham argumentiert darum in einem kurzen Kapitel für die Existenz einer frühen Tradition vom Leben Jesu: 1) Eine Dissertation von M. B. Thompson habe anhand von Röm 12,1-15,13 gezeigt, dass auch Paulus einen Großteil der Jesusüberlieferung gekannt habe und solche Kenntnisse auch bei den einfachen Gemeindemitgliedern voraussetze. 2) Lk habe in der Apg die Jesusworte auch nicht wieder aufgegriffen. 3) In den ersten zwei Generationen habe man die "living voice" vorgezogen und sich dann wohl kaum auf Schriftliches berufen (vgl. 3.3.5).

    185 Riesner, Lehrer, S. 20. Vgl. Birger Gerhardsson, Die Anfänge der Evangelientradition, Wuppertal: Brockhaus, 1977, S. 42-47.
    186 Vgl. z.B. Erhardt Güttgemanns, Offene Fragen zur Formgeschichte des Evangeliums: Eine methodologische Skizze der Grundlagenproblematik der Form- und Redaktionsgeschichte, Beiträge zur evangelischen Theologie 54, 1970, 2., verbess. Aufl. München: Kaiser, 1971; Walter Schmithals, "Kritik der Formkritik", Zeitschrift für Theologie und Kirche 77 (1980), S. 149-185; ders., "Vom Ursprung der synoptischen Tradition", Zeitschrift für Theologie und Kirche 94 (1997), S. 288-316; Riesner, Lehrer, S. 6-18; Helge Stadelmann, "Die Entstehung der synoptischen Evangelien: Eine Auseinandersetzung mit der formgeschichtlichen Synoptikerkritik", Bibel und Gemeinde 77 (1977), S. 46-67; Klaus Haacker, Neutestamentliche Wissenschaft: Eine Einführung in Fragestellungen und Methoden, 1981, 2., erw. Aufl. Wuppertal: Brockhaus, 1985, S. 48-63; E. Earle Ellis, The Making of the New Testament Documents, Biblical Interpretation Series 39, Leiden: Brill, 1999, S. 19-27.
    187 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 163, 167-173.


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4) Man habe die Evangelien noch nicht allgemein verfügbar gehabt und ein Zitat kaum nachprüfen können. 5) Außerdem habe es eine gewisse Zeit gedauert, bis man die Evangelien regelmäßig im Gottesdienst vorlas (vgl. 2.2.4).188
    b) Nach Reicke haben die Apostel einerseits einen Gesamtaufriss des Lebens Jesu weitergegeben, andererseits einzelne didaktische Stoffe je nach aktuellem Anlass. Diese Traditionen seien schon bald ins Griechische übersetzt worden, weil in Jerusalem und Judäa das Griechische von großer Bedeutung war: Viele Einwohner Palästinas sind zweisprachig gewesen, wie es die Qumranbibliothek und die Barkochbabriefe zeigen; in Jerusalem hielten sich viele griechischsprachige Juden auf (Joh 12,20; Apg 2,9f.; 6,9; 7,58; 9,29; Synagogeninschrift von Theodotus auf dem Berg Ophel). Außerdem gab es in der Urgemeinde griechischsprachige Gläubige und Hellenisten (Apg 4,36; 6,1.5; 12,12; 15,22).189 In diesem Kreis der Gläubigen wurde die aramäische Predigt ins Griechische übersetzt. Der griechische Wortlaut von Mt, Mk und teilweise von Lk sei von diesen mündlichen griechischen Überlieferungen beeinflusst worden. Die beste Erklärung für die Übereinstimmungen "is found in the public activity of preachers and teachers in the Jerusalem church, where Aramaic and Greek were used in alternation."190

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3.3.3 Die Festigkeit der mündlichen griechischen Tradition
    Von Befürwortern der TH werden drei Ansätze (auch in Kombination miteinander) vorgetragen, um eine Festigkeit der mündlichen Tradition wahrscheinlich zu machen: a) dass das Auswendiglernen der Worte Jesu eine wichtige Rolle spielte; b) dass man sich früh Notizen machte und diese Notizen beim Predigen oder bei der Niederschrift der Evangelien verwendete; c) dass die in den Evangelien zu beobachtende Stilisierung der Geschichten auf häufige Wiederholung hinweise.

    188 Wenham, Redating, S. 217-222. Weitere Argumente bei Gerhardsson, Anfänge, S. 25-31.
    189 Reicke, Roots, S. 50f.; vgl. Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1777.
    190 Reicke, Roots, S. 50. - Auch Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 152f. nennt Argumente für Ähnlichkeiten im griechischen Wortlaut: 1) Die "Sprachstrukturen des aramäischen Originals" seien für einige Übereinstimmungen verantwortlich. 2) Mk und der Übersetzer des MtEv seien aramäische Muttersprachler gewesen, Übersetzungsgriechisch führe aber zu gemeinsamen Formulierungen. Auch bei Lk könne man "nicht ausschließen, daß die aramäischen Formulierungen der ... Augenzeugenberichte in seiner griechischen Fassung durchschlugen." 3) Der gemeinsame Gebrauch der Septuaginta in christlichen Gemeinden habe zu sprachlichen Anpassungen geführt. 4) Durch Verbindungen der Gemeinden untereinander sei bald ein allgemeiner christlicher Grundwortschatz entstanden.


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3.3.3.1 Memorieren
    An dieser Stelle gab es bereits viele Forschungen und Diskussionen, und Vertreter der TH haben das mögliche Memorieren von Jesusworten gerne als Argument gebraucht. Aufgrund der rabbinischen Parallelen sei es wahrscheinlich, dass auch Jesu Jünger dessen Worte auswendig gelernt haben. Wichtige Impulse dazu kamen besonders von Riesenfeld191 und Gerhardsson192. Riesner, der sich von Gerhardsson anregen ließ,193 führte dessen Ansatz in seiner Dissertation weiter aus.194 Auch Byrskog steht in der Gerhardsson-Tradition.195 Auf ein Auswendiglernen der Jesusworte durch die Jünger, was keineswegs unwidersprochen geblieben ist196, berufen sich (als Argument für die TH) Dearing, Dyer, van den Brink und Mauerhofer.197 Rist macht Einschränkungen,198 und Linnemann will diese Frage ganz offenlassen.199

    191 Harald Riesenfeld, The Gospel Tradition and its Beginnings: A Study in the Limits of 'Formgeschichte', London: Mowbray, 1957, hier S. 17-25. Riesner, "Jüdische Elementarbildung", S. 209 macht auf Vorläufer aufmerksam.
    192 Gerhardsson, Memory; vgl. ders., Tradition and Transmission in Early Christianity, Coniectanea Neotestamentica 20, Lund: Gleerup, 1964, wo Gerhardsson auf Einwände von M. Smith eingeht; ders., Anfänge, S. 16-18; ders., "Der Weg der Evangelientradition", Das Evangelium und die Evangelien: Vorträge vom Tübinger Symposion 1982, Hg. Peter Stuhlmacher, Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament I/28, Tübingen: Mohr, 1983, S. 79-102, hier S. 89-91; ders., The Gospel Tradition, Coniectanea Biblica: New Testament Series 15, Lund: Gleerup, 1986, S. 39. Ähnlich auch I. C. M. Fairweather, "Two Different Pedagogical Methods in the Period of Oral Transmission", Studia Evangelica, Bd. 6, Hg. Elizabeth A. Livingstone, Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 112, Berlin: Akademie-Verlag, 1973, S. 100-108.
Siehe außerdem Zimmermann, Lehrer, S. 12-35 zur Diskussion um Riesenfeld und Gerhardsson sowie Peter H. Davids, "The Gospels and Jewish Tradition: Twenty Years After Gerhardsson", Gospel Perspectives: Studies of History and Tradition in the Four Gospels, Hg. R. T. France / David Wenham, Bd. 1, 1980, 2. Aufl. Sheffield: JSOT, 1983, S. 75-99, der gegenüber Gerhardsson auch schriftliche Notizen betont.
    193 Vorwort in Riesner, Lehrer, S. IV.
    194 Riesner, Lehrer. Vgl. Riesner, "Jüdische Elementarbildung" und seine Kurzfassung der Dissertation in der Theologischen Zeitschrift: "Jesus-Überlieferung".
    195 Byrskog, Only Teacher.
    196 Vgl. nur den Einwand gegen Riesner bei Lindemann, "Literaturbericht 1978-1983", S. 231f. und die Antwort Riesners in Lehrer, S. 503-505 sowie Zimmermann, Lehrer, S. 12-35 und die Literaturangaben in Gerhardsson, Anfänge, S. 66.
    197 Dearing, "Synoptic Problem", S. 131; Dyer, "Do the Synoptics Depend", S. 243; van den Brink, "Onafhankelijkheid", S. 78-80; Mauerhofer, Einleitung, Bd. 1, S. 208f.
    198 Rist, Independence, S. 100: "It is hard to believe that they did not treasure them in as exact a form as possible - though that is not to suggest, as some have done, that Jesus actually coached them in verbal precision."
    199 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 171. Wenham ist skeptischer. Er hält es für unwahrscheinlich, dass man die Reihenfolge der Geschichten auswendig lernte, weil man sich nicht konsequent daran hielt (Redating, S. 7).


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3.3.3.2 Möglichkeit von Notizen
    Als zweite Erklärung für die Festigkeit der mündlichen Tradition wird häufig darauf hingewiesen, dass es sehr wahrscheinlich Notizen gegeben haben müsste. Riesner meint, dass die "ortsfesten Anhänger" Jesu für Aufzeichnungen verantwortlich sein könnten.200 Rist vermutet, dass die neutestamentlichen Briefe wohl kaum das einzige waren, was damals von Christen aufgeschrieben wurde. Es sei gut möglich, dass man eben auch andere Schriftstücke abfasste, die teilweise für das Verlesen im Gottesdienst verwendet wurden.201 Ähnlich äußert sich Wenham: "There is no reason ... why notes of Jesus' teaching should not have been made during the time of his ministry."202 Für Hörster spielen die schriftlichen Aufzeichnungen eine wichtige Rolle, so dass er schon mit der Diegesenhypothese sympathisiert.203 Auch Mauerhofer geht von "notizenhafte(m) Festhalten der Reden und des Wirkens Jesu" aus.204 Van den Brink spricht ebenfalls von "geschreven Griekse teksten", die "een goede verklaring geeft voor de vaak woordelijke overeenstemming van onze Griekse evangeliën."205 Dearing nimmt für bestimmte Passagen, die er genau benennt, eine gemeinsame schriftliche Quelle an.206 Selbst Reicke ist der Möglichkeit von Notizen nicht völlig abgeneigt.207 Linnemann hält Aufzeichnungen für möglich, will sich aber (auch) an diesem Punkt nicht festlegen.208
    Ein großer Teil der Vertreter der TH bejaht also die Existenz von Notizen oder sogar den Gebrauch von einzelnen Diegesen durch die Evangelisten.

    200 Riesner, Lehrer, S. 491-498, hier S. 491. Vgl. E. Earle Ellis, "New Directions in Form Criticism", Jesus Christus in Historie und Theologie: Neutestamentliche Festschrift für Hans Conzelmann zum 60. Geburtstag, Hg. Georg Strecker, Tübingen: Mohr, 1975, 299-315, der auf S. 304-309 eine reine "oral period" vor der Verschriftung in den Evangelien in Frage stellt. Siehe auch Davids, "Gospels", S. 79, 89f. und später Gerhardsson, "Weg der Evangelientradition", S. 88 und (hier) S. 100: "Schriftliche Aufzeichnungen verschiedenen Umfangs vom Typ Notizen, Gedächtnisstützen (u(pomnh&mata) gab es aber sicherlich sehr früh im Urchristentum."
    201 Rist, Independence, S. 100.
    202 Wenham, Redating, S. 199. Vgl. S. 113f.
    203 Hörster, Einleitung, S. 24.
    204 Mauerhofer, Einleitung, Bd. 1, S. 208f.
    205 Van den Brink, "Onafhankelijkheid", S. 81.
    206 Dearing, "Synoptic Problem", S. 133-136.
    207 Reicke meint, dass "sporadische Aufzeichnungen dieser Traditionseinheiten nicht undenkbar sind" ("Entstehungsverhältnisse", S. 1773). In den Evangelien sind solche nach Reicke jedoch nicht erkennbar: "No fixed written sources are distinguishable among the persistently changing and merging frequency types" (Roots, S. 29).
    208 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 171.


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3.3.3.3 Stilisierung der Geschichten
    Reicke209 verweist auf die Beobachtung der Formgeschichte, dass "durch Predigt und Lehre" Einheiten ausgebildet wurden, die regelmäßige Strukturen erkennen lassen und einzelnen Gattungen zugeordnet werden können. Das bedeutet aber, dass diese Geschichten durch vielfache Wiederholung zu dieser recht stilisierten Form gelangt sind. Die Weitergabe geschah dabei durch die "ersten Augenzeugen und ihre Mitarbeiter", die "schon in Jerusalem und dann auf dem Missionsfeld ihre Berichte wiederholt vortragen" mussten. Reicke belegt das mit Apg 2,42; 1Kor 11,23; 15,3. Dabei hatten sich die Traditionen "im Rahmen der Predigt und Lehre der Gemeinden zu relativ stilisierten Perikopen entwickelt". Weil zu den Gemeinden griechischsprachige Christen gehörten (vgl. 3.3.2b) und deshalb ebenfalls in ihrer Sprache die Erzählungen weitergegeben wurden, kam es auch im griechischen Wortlaut zu relativer Festigkeit. Gerade die stilisierten Geschichten zeigen also, dass sich schon eine recht feste mündliche griechische Tradition ausgebildet hatte.
    Damit zu vergleichen sind die experimentalpsychologischen Beobachtungen von Bartlett, die von Baum zusammengefasst werden:
    "Nach einer wiederholten Wiedergabe der Geschichte im Abstand von zwei, vier und acht Wochen kommt es zu einer Fixierung ihrer allgemeinen Form sowie zahlreicher Formulierungen ... Einzelheiten unterliegen innerhalb dieses stereotypen Rahmens jedoch weiterhin der Veränderung ... Die Elemente eines Textes, die einem speziellen Interesse der Versuchsperson entsprechen, werden allerdings mit großer Sicherheit reproduziert".210

3.3.4 Die Fortdauer der festen mündlichen Tradition bis zur Abfassung der Evangelien
    Wahrscheinlich waren z. Zt. der Abfassung der Evangelien noch Augenzeugen am Leben. Linnemann stellt heraus, dass die Apostel bis in die 60er Jahre lebten, Johannes sogar noch länger.211 Jüngere, die vielleicht teilweise auch noch das Wirken Jesu erlebt hatten, "haben das, was in der Autorität der Augenzeugenschaft vorgetragen wurde, persönlich gehört." Angesichts der Menge der Jünger, die die Erzählungen kannten, wäre es niemandem möglich gewesen, die Augenzeugentradition "bis zur Unkenntlichkeit"

    209 Für alles in diesem Absatz Zusammengefasste: Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1776f. Meines Wissens hat nur Reicke als Vertreter der TH dieses Argument erwähnt. Vgl. aber auch Wikenhauser / Schmid, Einleitung, S. 277, die es ebenfalls sehen.
    210 Baum, "Experimentalpsychologische Erwägungen", S. 39.
    211 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 61. Bei Frühdatierungen der Evangelien wie bei Wenham ist die apostolische Kontinuität natürlich erst recht gewahrt.


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abzuändern.212
    Selbst wenn man Apostel, Augenzeugen und "Diener des Wortes" völlig beiseite ließe (was sicher nicht gerechtfertigt ist), kann auch die Gemeinschaft eine feste mündliche Tradition längerfristig überliefern: In einem Zeitschriftenartikel213 gibt Bailey, der sein Leben im Nahen Osten zugebracht hat, aus seiner eigenen Erfahrung "concrete evidence as to how oral tradition actually functions in a middle-eastern setting", weil man im Westen gerne annehme, dass mündliche Tradition instabil sei. Neben "informal uncontrolled oral tradition" (vgl. Bultmann; Gerüchte von einem Anschlag werden immer weiter dramatisiert) und "formal controlled oral tradition" (vgl. Gerhardsson; lange Hymnen oder der Koran werden wörtlich rezitiert) gebe es im Nahen Osten aber auch noch ein drittes Phänomen, das Bailey "informal controlled oral tradition" nennt.214 Abends treffen sich die Dorfbewohner, um Geschichten zu erzählen, Gedichte zu rezitieren und anderes Traditionsmaterial weiterzugeben. Diese Treffen heißen haflat samar. Das Traditionsgut darf jeder weitergeben, der es beherrscht, und andere greifen auch verbessernd ein. Eine Tradition wird hier also von der Gemeinschaft weitergegeben, aber nahezu wörtlich. Bailey berichtet, dass er selbst erlebt habe, dass die Ereignisse um einen Missionar in Ägypten im 19. Jahrhundert mit ca. 90% wörtlicher Übereinstimmung von den Dorfbewohnern wiedergegeben werden konnten (Bailey verglich ihre Erzählungen mit Aufzeichnungen ihrer Tradition in einem Buch von 1914, von dem die Einwohner nichts wussten).215

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3.3.5 Der Vorzug der mündlichen Tradition („viva vox")
    Bereits am Lukasprolog wird es laut Reicke deutlich, dass Lk wie auch die anderen dort erwähnten Autoren die "living tradition" als gemeinsame Basis hatten. Außerdem hatte auch Papias in Eusebius, h. e. 3.39.15-16, berichtet, dass die Evangelisten mündliche Berichte aufschrieben. Es sei überhaupt ein generelles Prinzip des Papias gewesen, "that living traditions, called the vox viva, were always more reliable than written documents" (vgl. Eusebius, h. e. 3.39.4).216 Baum hat bei diesem Papiaszitat angesichts möglicher kanongeschichtlicher Implikationen präzisiert, dass Papias sicher nicht jede mündliche Tradition bevorzugte, sondern nur wenn sie historisch zuverlässiger als schriftliche Quellen war.217 Reicke weist außerdem darauf hin, das auch Ignatius die mündliche Tradition betont

    212 Ebd.
    213 Kenneth E. Bailey, "Informal controlled oral tradition and the Synoptic Gospels", Themelios 20 (1995), S. 4-11. Der Artikel ist ein Abdruck aus dem Asia Journal of Theology 1991. Für eine Kurzfassung des Artikels vgl. ders., "Middle Eastern Oral Tradition and the Synoptic Gospels", Expository Times 106 (1995), S. 363-367.
    214 Bailey, „Informal controlled", S. 6.
    215 Bailey, "Middle Eastern", S. 366; vgl. Bailey, "Informal controlled", S. 8f.
    216 Reicke, Roots, S. 47. Vgl. Papias bei Eusebius, h. e. 3.39.4: "ou) ga_r ta_ e)k tw~n bibli&wn tosou=to&n me w)felei=n u9pela&mbanon, o#son ta_ para_ zw&shj fwnh=j kai\ menou&shj" (Apostolische Väter, Hg. Lindemann / Paulsen, S. 290).
    217 Armin D. Baum, "Papias, der Vorzug der viva vox und die Evangelienschriften", New Testament Studies 44 (1998), S. 144-151.


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habe.218 Nach Wenham ist es unwahrscheinlich, dass solche, die in den ersten zwei Generationen die "living voice" noch kannten, sich auf die schriftliche Fassung stützten.219 "Only gradually did confidence in the process of oral transmission wane and the superiority of written apostolic traditions establish itself."220
    Der Hauptgedanke hierbei ist: Wenn die viva vox noch im 2. Jh. vorgezogen wurde, dann hat man wohl auch im 1. Jh. lieber mündliche als schriftliche Quellen genommen, sofern sie erreichbar waren. Auch Lk hielt es ja nach eigenen Angaben für besser, allen pra&gmata von Anfang an sorgfältig nachzugehen, als sich auf die Aufschreibeversuche der polloi& zu stützen (vgl. 3.1.1). So kann man annehmen, dass die Evangelisten lieber die mündliche Tradition verwendeten, selbst wenn ihnen auch schriftliche Quellen zur Verfügung standen - also anders als bei uns heute.221

    In diesem dritten Kapitel haben wir gesehen, welche Argumente Vertreter der TH für ihre Ansicht vorbringen: Die TH stimmt demnach mit dem Lukasprolog überein, hat auch die Kirchenväter hinter sich (3.1) und kann die Phänomene im Evangelientext besser erklären als Benutzungshypothesen (3.2). Darüber hinaus ist sie auch historisch plausibel (3.3): Bedingt durch die Autorität der apostolischen Lehre konnte sich  durch Auswendiglernen, schriftliche Notizen und wiederholtes Vortragen eine feste mündliche aramäische und griechische Tradition ausbilden, die bis zur Abfassung der Evangelien andauerte und die von den Evangelisten möglichen schriftlichen Quellen vorgezogen wurde.

    218 Reicke, Roots, S. 47, 153; Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1765. Vgl. Ignatius, Philad. 8.2 (Apostolische Väter, Hg. Lindemann / Paulsen, S. 222).
    219 Wenham, Redating, S. 220.
    220 Ebd., S. 222.
    221 Vgl. Bailey, "Middle Eastern", S. 363: "Probably everyone to some extent universalizes his or her own cultural attitudes. ... For us in the West oral tradition is fluid and unreliable. 'Get it in writing' is the cry! Do we perhaps unconsciously assume that oral tradition in other cultures must likewise be un-stable?" Reicke sieht mehr den zeitlichen als den kulturellen Abstand: Er kritisiert "die literarischen Anachronismen der Benutzungs- und Urevangeliumshypothesen" und dass man das "Archiv- und Schreibtischdenken" nicht auf früher übertragen könne (Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1765; vgl. das Zitat von Schleiermacher ebd. und das Herderzitat S. 1763).

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4. ARGUMENTE GEGEN DIE TRADITIONSHYPOTHESE

    Ich beschränke mich an dieser Stelle auf die Einwände, die in neuerer Zeit direkt gegen die TH vorgebracht wurden. Dies betrifft in erster Linie die Einleitungen und dann auch Literaturberichte und einzelne Rezensionen. Längere Abschnitte oder gar Bücher, die die TH in neuerer Zeit widerlegen, sind mir - abgesehen von den Ausführungen bei Stein222 und bei Schmithals223 - nicht begegnet.224 Darum ist dieser Teil beträchtlich kürzer als Kapitel 3. Es ist natürlich gut möglich, dass man in verschiedenen Spezialstudien der Zweiquellentheorie zu Ergebnissen gekommen ist, die auch gegen die TH verwendet werden könnten. Doch hier geht es darum, was bisher tatsächlich an Argumenten genannt wurde.

4.1 Externe Evidenz

4.1.1 Lukasprolog
    Nicht nur Vertreter der TH, auch Befürworter einer Benutzungshypothese berufen sich ganz selbstverständlich auf den Lukasprolog. Die Einleitungen erwähnen ihn darum oft nur kurz. Wikenhauser / Schmid konstatieren: Die TH "muß sich ... über das allerälteste Zeugnis der Tradition hinwegsetzen, das Vorwort zum Lk-Ev, das ausdrücklich vom Vorhandensein 'vieler' Evv-Schriften spricht."225 Kümmel zeigt der TH, dass "Lk ausdrücklich von Vorgängern in der schriftlichen Berichterstattung spricht 1,1"226, und auch Schnelle trumpft auf: "... Zudem setzt zumindest Lk 1,1-4 explizit die Benutzung literarischer Quellen voraus!"227 Schmithals, der ein wenig mehr auf den Lukasprolog eingeht, meint, dass demnach bei Lk "die Kenntnis von mündlichen Augenzeugenberichten eher unwahrscheinlich sein" dürfte.228 Steins Deutung ist etwas moderater: "Luke no doubt 'followed' these

    222 Robert H. Stein, The Synoptic Problem: An Introduction, Grand Rapids: Baker, 1987, S. 29-44.
    223 Schmithals, Einleitung, S. 90-126.
    224 Die meisten Einleitungen nennen nur eine Handvoll Argumente gegen die TH und gehen dann zum nächsten Punkt über. Andere Einleitungswerke bleiben recht allgemein (Willi Marxsen, Einleitung in das Neue Testament: Eine Einführung in ihre Probleme, 1963, 4. völlig neu bearb. Aufl. Gütersloh: Mohn, 1978, S. 122 meint lapidar, dass die TH "die Verwandtschaft der synoptischen Evangelien untereinander" nicht erklären könne; auch Vielhauer, Geschichte, S. 266 wird nicht konkreter), oder sie geben einfach nur eine Beschreibung der TH (D. A. Carson / Douglas J. Moo u.a., An Introduction to the New Testament, Leicester: Apollos, 1992, S. 28f.). Es zeigt sich, dass eine eingehendere Diskussion - wie bezüglich der Griesbachhypothese - in den Einleitungen offenbar (noch?) nicht nötig ist.
    225 Wikenhauser / Schmid, Einleitung, S. 277.
    226 Kümmel, Einleitung, S. 21.
    227 Schnelle, Einleitung, S. 194.
    228 Schmithals, Einleitung, S. 34.


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things via these written narratives as well as the oral traditions available to him".229 Eine eingehendere Diskussion des Lukasprologs findet in den Einleitungen offenbar nicht statt.230

4.1.2 Aussagen der Alten Kirche
    Kümmel beschäftigt sich noch recht ausführlich mit der Papiasnotiz.231 Er wehrt sich dagegen, "bei der Klärung der literarischen Verhältnisse der Synpt. zueinander und der Entstehung des Mt und Mk von den Angaben des Papias auszugehen", weil Sinn und Übersetzung der Notiz "umstritten" seien und weil "Papias keine klaren Kenntnisse hatte", die besser wären als eine eigene Untersuchung der Synoptiker. Papias' Aussage über das MkEv sei fraglich, 1) weil man nicht wisse, was e9rmhneuth&j heißt, da Petrus sicher keinen Dolmetscher verwendet habe, 2) weil Papias bei dem Presbyter Johannes eine bessere Kenntnis von der ta&cij des Lebens Jesu voraussetzt, die dieser "schwerlich" gehabt haben konnte. Die Notiz über das aramäische MtEv könne ebenfalls nicht ernstgenommen werden, "(w)eil unser Mt zweifellos keine Übersetzung aus dem Aramäischen ist". Kümmel zieht das Fazit: "... es ist daher geraten, die Papiasnotizen trotz ihres hohen Alters bei der Untersuchung der literarischen Beziehung der Synpt. außer Betracht zu lassen".232
    Mit Kümmels Urteil scheint - jedenfalls in den Einleitungen - das letzte und entscheidende Wort gesprochen worden zu sein.233 Schnelle erwähnt immerhin die Papiasnotiz bei seiner Behandlung der Verfasserschaft des MkEv und des MtEv, hebelt sie dort aber ebenfalls aus (keine petrinische Theologie im MkEv feststellbar; eine "hebräische Urfassung" des MtEv ließe sich nicht belegen; Mt konnte nicht der Augenzeuge und Apostel gewesen sein, weil er das MkEv benutzte).234

    229 Stein, Synoptic Problem, S. 42.
    230 Vgl. auch die Einschätzung bei Baum, "Älteste Teilantwort", S. 9.
    231 Kümmel, Einleitung, S. 27-29.
    232 Ebd., S. 29.
    233 Merkel, "Überlieferungen", S. 566 bringt dies auf den Punkt, wenn er sagt: "Die in diesem Jahrhundert erschienenen neutestamentlichen Einleitungen zeigen ein kontinuierliches Zurückgehen des Interesses an den patristischen Überlieferungen; zum einen glaubte man sie schlecht und recht mit der vorherrschend gewordenen Zwei-Quellen-Theorie versöhnen zu können, zum anderen konnte vieles als legendarisch entlarvt und damit als historisch irrelevant beiseitegeschoben werden." Merkel stellt sich  jedoch der Aufgabe, angesichts des "zerbrechenden Konsens(es) über die Zwei-Quellen-Theorie" (S. 566) wieder neu die altkirchlichen Angaben zu untersuchen - und kommt zu dem Ergebnis, dass sie keine literarische Abhängigkeit der Evangelien unterstützen.
    234 Schnelle, Einleitung, S. 215f., 235f.


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    Manchmal werden Spezialstudien auch nicht genau gelesen. Lindemann235 berichtet über Merkels Aufsatz, dass dieser gesagt habe, "aus der Überlieferung der Alten Kirche lasse sich für keine Hypothese eine Schlußfolgerung ableiten", und bekräftigt dies anhand eines Beispiels, um zu zeigen, dass den Aussagen der Kirchenväter nicht immer zu trauen ist. Das entspricht nicht Merkels Ergebnis, der bewusst die Benutzungshypothesen ausschloss und nicht die Wertlosigkeit der Kirchenväter für die synoptische Frage feststellte.236

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4.2 Interne Evidenz

4.2.1 Stoffauswahl
4.2.1.1 Anteil an gemeinsamen Perikopen (zu 3.2.1.1)
    Kritiker der TH weisen auf die gleichartige Stoffauswahl in den drei Evangelien hin. Schmithals nennt u.a. "die begrenzte Auswahl des Stoffes" als Beispiel dafür, dass sich die von der TH angenommene mündliche Tradition "wie ein schriftliches Evangelium" verhalten haben müsste, was nicht wahrscheinlich ist.237 In eine ähnliche Richtung geht wohl Davies' Kritik an Wenham:238 Wenham erkläre nicht, warum die Evangelien so kurz sind, wenn den Evangelisten eine Menge an schriftlichem und mündlichem Material zur Verfügung stand.

4.2.1.2 Abwesenheit der Q-Tradition bei Mk
    Nach Harrisons Meinung ist mit der TH kaum erklärbar, warum Mk den gemeinsamen Mt/Lk-Stoff nicht hat, da dies Material auch in der mündlichen Tradition vorhanden sein müsste. Dass es zwei Arten von Traditionen gegeben habe, wie Wright es vorschlägt (vgl. auch Reicke), findet Harrison nicht überzeugend.239 Auch Guthrie erwähnt dieses Argument.240

    235 Andreas Lindemann, "Literaturbericht zu den Synoptischen Evangelien 1984-1991", Theologische Rundschau 59 (1994), S. 41-100, hier S. 75.
    236 Merkel, "Überlieferungen", S. 589.
    237 Schmithals, Einleitung, S. 91 ("wie ... Evangelium" ist bei ihm kursiv).
    238 Meg Davies, "Rez.: John Wenham, Redating Matthew, Mark and Luke: A Fresh Assault on the Synoptic Problem, London: Hodder & Stoughton, 1991", Expository Times 102 (1990/91), S. 377.
    239 Everett F. Harrison, Introduction to the New Testament, 1964, 2. überarb. Aufl. Grand Rapids: Eerdmans, 1971, S. 144f.
    240 Guthrie, Introduction, S. 143. Guthrie gibt jedoch selbst mögliche Antworten: 1) Diese Schwierigkeit besteht für jede Theorie, die sagt, dass Mt und Lk das MkEv benutzten. 2) Außerdem könnte Mk narratives Material einfach dem Diskursmaterial vorgezogen haben (S. 144).


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4.2.2 Stoffanordnung
    Als eines der entscheidenden Indizien, die gegen eine TH sprechen, wird recht häufig die ähnliche Reihenfolge der Perikopen genannt, und zwar bei Martin, Wikenhauser / Schmid, Conzelmann / Lindemann, Schmithals, Guthrie und Stein.241 Voraussetzung für dieses Argument ist, dass der große narrative Rahmen für die Einzeltraditionen erst von den Evangelisten geschaffen wurde und nicht schon in der mündlichen Tradition existierte: "Gerade die Reihenfolge der einzelnen Abschnitte läßt sich nicht in das vorliterarische Stadium der Überlieferung zurückführen, muß vielmehr in der Hauptsache der redaktionellen Arbeit der Evangelisten zugeschrieben werden."242 Guthrie erwähnt das Argument from Order zwar, meint allerdings unter Hinweis auf Gerhardsson, dass "the preservation of narrative sequences would not be an insuperable problem. ... The dominant sequence might have become deeply imprinted through constant repetition", aber man könne sich hier nicht sicher sein.243 Stein ist der Ansicht, dass Memorisieren von einzelnen Abschnitten und Sprüchen sicher möglich war, aber dass man kein ganzes Evangelium in einer bestimmten Reihenfolge der Perikopen auswendig gelernt habe.244

4.2.3 Wortlaut
4.2.3.1 Die Höhe der Wortlautübereinstimmungen (zu 3.2.3.1)
    Wohl das häufigste Argument gegen die TH ist die hohe Wortlautübereinstimmung bei den Synoptikern. Die Übereinstimmungen seien zu groß, als dass sie mit der TH, also ohne literarische Abhängigkeit, erklärt werden könnten. Wikenhauser / Schmid, Conzelmann / Lindemann, Martin, Harrison, Guthrie, Kümmel, Schmithals, Schnelle und Meiser / Kühneweg bringen alle dieses Argument gegen die TH vor.245

    241 Ralph P. Martin, New Testament Foundations: A Guide for Christian Students, Bd. 1: The Four Gospels, Grand Rapids: Eerdmans, 1975, S. 140; Wikenhauser / Schmid, Einleitung, S. 277; Hans Conzelmann / Andreas Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, 12., überarb. u. erw. Aufl. Tübingen: Mohr, 1998, S. 65; Schmithals, Einleitung, S. 91; Guthrie, Introduction, S. 142f.; Stein, Synoptic Problem, S. 34-37, 43.
    242 Wikenhauser / Schmid, Einleitung, S. 277.
    243 Guthrie, Introduction, S. 143.
    244 Stein, Synoptic Problem, S. 43.
    245 Wikenhauser / Schmid, Einleitung, S. 277; Conzelmann / Lindemann, Arbeitsbuch, S. 65; Martin, Foundations, S. 139 betont, dass die Übereinstimmungen im griechischen Text vorkommen; Harrison, Introduction, 145: hohe Wortlautübereinstimmung auch in Details; Guthrie, Introduction, S. 142; Kümmel, Einleitung, S. 21 meint: Mit der TH "allein läßt sich das komplizierte Problem der Parallelen und Widersprüche in den Synpt. nicht lösen"; Schmithals, Einleitung, S. 85 benennt "die wörtlichen Übereinstimmungen im griechischen Wortlaut der Synoptiker auch in ungewöhnlichen Worten und Wendungen und in langen Passagen"; Schnelle, Einleitung: "... allerdings finden die zahlreichen wortwörtlichen Übereinstimmungen keine überzeugende Erklärung" (S.180, vgl. S. 194); Martin


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    Für Stein steht ebenfalls fest, dass "the exactness of wording between the synoptic Gospels is better explained by the use of written sources than oral ones."246 Es sei nicht möglich, dass die Wortlautübereinstimmungen bloß dadurch verursacht sind, dass über dasselbe Ereignis berichtet wird.247 Außerdem seien die Übereinstimmungen im griechischen Wortlaut zu finden.
Auch Williams beanstandet in seiner Rezension zu Linnemann,248 dass sie die 40,99% Wortlautübereinstimmung zwischen Mt und Mk nicht genügend erkläre. Wenn nämlich zwei Menschen einfach dasselbe Ereignis berichten (worauf Linnemann die Übereinstimmungen im Wesentlichen zurückführt), haben die Berichte sehr unterschiedlichen Wortlaut - Williams hatte zwei Zeitungsberichte von einem Basketballspiel untersucht.249 Eine Analyse des Wortlauts müsse auch die Motive für die Veränderungen ermitteln und nicht einfach nur die Wortlautunterschiede zählen. Solche Bearbeitungen könnten sowohl sprachliche Verbesserungen als auch theologische Änderungen beinhalten, nicht nur eins von beiden, wie Linnemann offenbar meint.

4.2.3.2 Gleiche Parenthesen
    Stein ist fast250 der einzige, der als Argument die Parenthesen nennt. Das sind erklärende Hinzufügungen, die nach allgemeiner Annahme auf den Evangelienschreiber zurückgehen. Auch in diesen Parenthesen gibt es Übereinstimmungen.251 Stein führt folgende Stellen an:252 1) Mt 24,15 / Mk 13,14 ("der Leser möge überlegen"); 2) Mt 9,6 / Mk 2,10 / Lk 5,24 ("sagte er zu dem Gelähmten"); 3) Mk 5,8 / Lk 8,29 ("denn er hatte ihm geboten ...");

    Meiser / Uwe Kühneweg u. a., Proseminar II Neues Testament - Kirchengeschichte: Ein Arbeitsbuch, Stuttgart: Kohlhammer, 2000, S. 55 weisen auf den "häufig weitgehend identische(n) Wortlaut vor allem in der Logientradition" hin.
    246 Stein, Synoptic Problem, S. 43. S. 29-34 bringt er Beispiele für die Wortlautübereinstimmungen.
    247 Ebd., S. 33. Stein bestätigt allerdings an anderer Stelle selbst, was hier die Antwort der TH wäre: "Actually, why should we assume that an eyewitness testimony must be non-rounded? If we assume for the moment that Peter repeated a pericope every month up to the time that Mark wrote his Gospel ..., this would mean that he told the same account 420 times (35 years x 12). ... Surely Peter's eyewitness testimony could become quite 'stereotyped and generalized' in such a process" (ebd., S. 196).
    248 Matt Williams, "Rez.: Eta Linnemann, Is There A Synoptic Problem? Rethinking the Literary Dependence of the First Three Gospels, Grand Rapids: Baker, 1992", Trinity Journal 14 (1993), S. 97-101.
    249 Ebd., S. 100.
    250 Harrison, Introduction, S. 145 weist auf die Parenthese in Mk 2,10par hin.
    251 In eine ähnliche Richtung geht das Argument, dass auch gleiche Summarien ein Beweis für literarische Abhängigkeit sind. Darauf verweist Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 157f., die nach einer Analyse in den meisten Summarien allerdings nur eine geringe Wortlautübereinstimmung feststellte. Aber das Argument der Kritiker der TH besteht wohl darin, dass an diesen Stellen überhaupt Summarien auftreten.
    252 Stein, Synoptic Problem, S. 37-41.


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4) Mt 27,18 / Mk 15,10 ("denn er wusste ..."); 5) Mt 9,21 / Mk 5,28 ("denn sie sagte sich..."); 6) Mt 26,5 / Mk 14,2 / Lk 22,2 ("denn sie sagten ..."); 7) Mt 26,14 / Mk 14,10 / Lk 22,3 und Mt 26,47 / Mk 14,43 / Lk 22,47 ("Judas, einer der Zwölf"). Besondere Argumentationskraft haben hier sicher die identischen Kommentare in Mt 24,15 und Mk 13,14 (o( a)naginw&skwn noei&tw), die den Leser anreden.

4.2.3.3 Die Andersartigkeit des Johannesevangeliums
    Schmithals kritisiert die TH mit der Anfrage, warum sich das JohEv nicht an die mündliche Tradition hielt, da Joh sie doch gekannt haben müsste. Dass Joh die anderen Evangelien ergänzen wollte, sei kaum wahrscheinlich, denn "(m)an gewinnt nirgendwo den Eindruck, daß sein Verfasser den synoptischen Stoff beim Leser des Evangeliums als bekannt voraussetzt und ihn insofern seinem Werk zugrundegelegt hat." Auch wo es Parallelen zu den ersten drei Evangelien gibt, schreibe Joh "in voller Freiheit".253 Stein argumentiert ebenfalls, dass Joh dort, wo er ein ähnliches Ereignis berichtet, kaum Wortlautübereinstimmung aufweise.254 Auch Williams stellt die Frage: "(W)hy is John so different from the Synoptic Gospels since he, too, was an independent eyewitness of the same events recorded in the gospels?"255

4.2.3.4 Nachweisbare Redaktion (zu 3.2.3.7)
    Schnelle nennt als Argument gegen die TH "die nachweisbare sprachliche und inhaltliche Bearbeitung zahlreicher Markustexte durch Matthäus und Lukas".256 Martin konstatiert Ähnliches: "When there is 'improvement,' it is always by Matthew of Mark, or by Luke of Matthew and Mark. This is a decisive point against the oral theory."257
    Die Rezensenten von Rist, dessen Hauptargument die unerklärbare Redaktionstätigkeit der Evangelisten ist, werfen ihm Unkenntnis der redaktionsgeschichtlichen Arbeiten vor. Kazmierski meint, dass die Redaktionsgeschichte "valuable advances ... in our understanding of transpositions and alterations within the gospels" ermöglicht habe.258 Longstaff betont ebenfalls, dass Rist "seems particularly unaware of the many form and redaction

    253 Schmithals, Einleitung, S. 92f.
    254 Stein, Synoptic Problem, S. 33.
    255 Williams, "Rez.: Linnemann", S. 101.
    256 Schnelle, Einleitung, S. 194.
    257 Martin, Foundations, S. 140f.
    258 Kazmierski, "Rez.: Rist", S. 495.


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critical studies which have provided clear and cogent explanations of Matthew's use of Mark (or, in a smaller number of cases, of Mark's use of Matthew)."259

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4.3 Historische Überlegungen
4.3.1 "Die Fragwürdigkeit mündlicher synoptischer Tradition überhaupt"  (zu 3.3.2)260
    Schmithals bezweifelt, dass es überhaupt eine mündliche Überlieferung vom Leben Jesu gegeben hat. Das ist auch sein Hauptargument gegen die TH.261 Schmithals weist gegenüber der TH auf die literarische Bildung in der damaligen Zeit hin und meint:
    "...warum griff man nicht von Anfang an zu dem vertrauten Mittel der schriftlichen Fixierung und Tradierung des evangelischen Stoffes? ... Ein Handbuch für die Evangelisten und ein Vorlesebuch für die Lehrer wären dem Geist der Zeit in hohem Maße angemessen gewesen."262
    Auswendig gelernt habe man damals auch von schriftlichen Texten (d.h. dem AT). Um die synoptische Tradition mündlich in fester Form weitergeben zu können, hätte es einen bestimmten "Stand" eines "Evangelisten" geben müssen, der sich die Tradition einprägte. Zwar werden Menschen im NT mit dem Titel eu)aggelisth&j bedacht, aber "(a)n keiner dieser Stellen findet sich der geringste Hinweis auf evangelische Überlieferung".263 Außerdem sei ein Aufschreiben einfacher gewesen.
    In einem längeren Unterkapitel sucht Schmithals nach Spuren der synoptischen Tradition bei Paulus, im übrigen NT und bei den Apostolischen Vätern und findet nur vereinzelt Traditionen. Er argumentiert, dass die synoptische Tradition im frühchristlichen Schrifttum sich stärker hätte niederschlagen müssen, wenn sie damals bekannt gewesen wäre, und urteilt abschließend: "Die Beobachtung, daß die synoptische Tradition über mehr als 100 Jahre frühkirchlicher Entwicklung eine im wesentlichen apokryphe Tradition war, mußte für die Traditionshypothese tödlich sein."264 Gleichwohl gibt Schmithals zu, dass eine Erklärung, warum die evangelische Überlieferung in den frühen Schriften so auffällig fehlt,

    259 Longstaff, "Rez.: Rist", S. 130. Sein Zusatz in Klammern ist bemerkenswert, denn Longstaff vertritt die Griesbachhypothese, die eine Benutzung des MtEv durch Mk annimmt.
    260 Dies ist die Überschrift eines Unterkapitels bei Schmithals, Einleitung, S. 93-126, wo er sein wichtigstes Argument gegen die TH begründet.
    261 Vgl. ebd., S. 90-126; ders., "Evangelien", S. 582f.
    262 Schmithals, Einleitung, S. 90f.
    263 Ebd., S. 92.
    264 Ebd., S. 125.


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immer noch aussteht.265
    Mit diesem Argument steht Schmithals allerdings recht alleine da. Andere Einleitungen betonen gerade, dass die TH an diesem Punkt, nämlich der Existenz einer mündlichen Tradition, recht gehabt habe. Kümmel sagt zustimmend: "Zweifellos ist der Niederschrift der Evv. eine Zeit mündlicher Überlieferungen vorangegangen".266 Schnelle meint wohlwollend: "Bei der Traditionshypothese wurde zum ersten Mal der große Anteil der mündlichen Tradition für die Evangeliumsbildung erkannt".267 Und Meiser hält fest: "Richtig und wichtig ist, daß die schriftliche Form der evangelischen Überlieferung nicht die erste Form gewesen ist."268 Wohl nur wenige werden also wie Schmithals die Existenz einer mündlichen Tradition in Frage stellen.

4.3.2 Zweifel an der Festigkeit der mündlichen Tradition (zu 3.3.3)
    Als sich die Evangelientradition immer weiter ausbreitete, konnte sie nach Meinung von Harrison wohl kaum fest geblieben sein, besonders die Reihenfolge der Geschichten wird sich geändert haben.269 Dasselbe denkt auch Schmithals: "(D)aß eine allerorten verbreitete mündliche Evangelientradition ... sich zu einem festen Typus bzw. zu verschiedenen festen Typen ausbildet, hat keine Wahrscheinlichkeit für sich" (S. 91).
    Außerdem wird angezweifelt, ob die Jünger überhaupt Worte Jesu auswendig gelernt haben. Gegen Riesner hat Lindemann eingewendet, dass Riesner nur nachweise, dass das Auswendiglernen in der damaligen Zeit allgemein Sitte war. In den Evangelien jedoch gebe es keine Aufforderungen zum Auswendiglernen, und auch bei dem Vaterunser, wo man es erwarten könnte, sei keine einheitliche Überlieferung festzustellen.270 Auch nach Wikenhauser / Schmid beweisen die Unterschiede zwischen den Evangelien, gerade auch  im Vaterunser und bei den Einsetzungsworten, dass "die Überlieferung des Ev nicht in dem Ausmaß stereotyp war, wie die Traditionshypothese voraussetzt" (S. 277, vgl. S. 296).271 Meiser weist ebenfalls auf die Abweichungen hin, um die These vom Auswendiglernen zu

    265 Ebd.
    266 Kümmel, Einleitung, S. 21.
    267 Schnelle, Einleitung, S. 180.
    268 Meiser / Kühneweg, Proseminar, S. 55.
    269 Harrison, Introduction, S. 144.
    270 Lindemann, "Literaturbericht 1978-1983", S. 232 zu Riesner, "Jesus-Überlieferung" und S. 271 zu Riesner, "Jüdische Elementarbildung". Vgl. die Wiederholung des Einwands bei Lindemann, "Literaturbericht 1984-1991", S. 62f. zu Riesner, Lehrer.
    271 Wikenhauser / Schmid, Einleitung, S. 277, vgl. S. 296. Das gleiche Argument nennt Harrison, Introduction, S. 145.


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widerlegen.272 Für Schnackenburg schließlich reicht das Memorieren gar nicht aus, um die Übereinstimmungen zu erklären.273
 
 
 

    272 Meiser / Kühneweg, Proseminar, S. 55.
    273 Rudolf Schnackenburg, "Rez.: Bo Reicke, The Roots of the Synoptic Gospels, Philadelphia: Fortress Press, 1986", Biblische Zeitschrift 31 (1987), S. 281-283: "Die oft verbalen Übereinstimmungen lassen sich kaum durch Memoriertechnik oder persönliche Kontakte erklären" (S. 282).
 

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5. BEURTEILUNG

    Nach einem Überblick über gegenwärtige Vertreter der TH (Kap. 2), einer systematischen Zusammenstellung ihrer Argumente (Kap. 3) und der aktuellen Gegenargumente zur TH (Kap. 4) kann nun eine Zusammenfassung und Bewertung versucht werden. In einem ersten Absatz wird jeweils kurz der Argumentationsaustausch gebündelt (falls es ihn gab) und dessen Schwerpunkte festgestellt, danach folgt eine eigene Beurteilung der Argumente und ggf. weiterführende Überlegungen zum entsprechenden Abschnitt.

5.1 Externe Evidenz

5.1.1 Lukasprolog
    Der Lukasprolog war bereits Gegenstand einiger Untersuchungen, die die Zweiquellentheorie von dort aus hinterfragten (Scott, Baum, Felix). Die ausführliche Dissertation von Scott ist hier besonders hervorzuheben. Allerdings sind diese Analysen von Seiten der Zweiquellentheorie offenbar noch nicht wahrgenommen worden, wohl weil sie abgelegen (Baum, Felix) bzw. gar nicht (Scott) veröffentlicht wurden. Es erscheint allgemein immer noch selbstverständlich, dass Lk im Prolog von seiner Benutzung von Mk und Q spricht.274
    Eine synoptische Theorie, die der Bezeugung der eigenen Quellen zuwiderläuft, muss als unwahrscheinlich angesehen werden. Wenn sich wirklich herausstellt, dass sich die Zweiquellentheorie mit dem Lukasprolog nicht vereinbaren lässt, ist dies eine schwere Anfrage an diese Theorie. Meiner Beobachtung nach spricht der Lukasprolog viel eher für die TH, 1) weil Lk nicht sagt, er würde sich auf diese anderen Berichte, sondern selbst auf Augenzeugen und Diener des Wortes stützen; 2) weil Mk und der Verfasser von Q (und eventuell gar der Verfasser des lukanischen Sondergutes) eben nicht polloi& sind.
    Mein eigener Vorschlag für das Verständnis des Lukasprologs ist folgender: Die polloi& sind einzelne Christen in griechischen und lateinischen Gemeinden, die schreiben konnten und die die Traditionen über das Leben Jesu schriftlich zusammenstellten (a)nata&ssesqai), so wie die Missionare und Reiseprediger es der Gemeinde jeweils erzählt hatten. Solche Notizen waren sekundär, von recht unterschiedlicher Reihenfolge und darum nicht recht zuverlässig. 1) Diese Deutung kommt mit der Erwähnung von polloi& (nicht: wenige) am besten zurecht. 2) Sie kann die relative Abwertung (e)pexei&rhsan) der anderen Berichte erklären. 3) Darum konnte es Lk für nötig befinden,

    274 Vgl. nur Schnelle, Einleitung, S. 194: "Zudem setzt zumindest Lk 1,1-4 explizit die Benutzung literarischer Quellen voraus!"


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die Berichte nun wirklich in der "offiziell" gepredigten Reihenfolge (kaqech=j) aufzuschreiben. 4) Deswegen erschien es Lk auch notwendig, noch selbst einen weiteren Lebensbericht zu schreiben (sonst hätten Mt und Mk ja ausgereicht; er hätte höchstens einen lukanischen Anhang verfassen brauchen, aber keine unerklärbaren Wortumstellungen usw. in der Tripeltradition vorgenommen). 5) Wenn Lk in Vers 1 solche bekannten Leute wie Mt od Mk gemeint hätte, hätte er sie vielleicht mit Namen genannt. 6) Darum hat Lk als erstes Wort e)peidh&per "da ja" (durch -per verstärkt!), weil Theophilus von diesen anderen Notizen, die nicht ganz zuverlässig waren, auch wusste. - Als sich dann die offiziellen Evangelien in den Gemeinden ausbreiteten, wurden die sekundären Notizen nicht mehr weiter überliefert. So erklärt es sich auch, dass wir für diese anderen "Evangelien" keine historischen Anhaltspunkte haben (die uns überlieferten apokryphen Evangelien sind später verfasst).

5.1.2 Aussagen der Alten Kirche
    Merkel hat deutlich festgestellt, dass sich keine heutige Benutzungshypothese auf die Aussagen der frühen Kirche stützen könne.275 So ist es nun die entscheidende Frage, wie man mit diesen Mitteilungen umgeht. Weil die Aussagen eine literarische Unabhängigkeit der Evangelien nahelegen, sind sie ein wichtiges Argument für Vertreter der TH. Wenham behandelt darum zu Recht sehr ausführlich die altkirchlichen Zeugnisse. Von Seiten der Zweiquellentheorie dagegen hat man sich bemüht, die Kirchenväter als unglaubwürdig zu widerlegen; inzwischen werden sie hier nur noch marginal zur Kenntnis genommen.
Zu Kümmels Widerlegung des Papias ist anzumerken, 1) dass e(rmhneuth&j sehr wohl "Dolmetscher" (vgl. h(rmh&neusen im nächsten Vers) heißen kann, weil Petrus sicher nicht fließend Griechisch konnte und einen Übersetzer brauchte, um als Prediger ernst genommen zu werden, 2) dass die mündliche Tradition bekanntermaßen auch nach Abfassung der Evangelien noch weiterbestand (vgl. Eusebius, h. e. 3.39.4) und in außersynoptischer mündlicher Überlieferung z. B. aus Erzählungen des Apostels Johannes eine bessere ta&cij des Lebens Jesu durchaus bekannt sein konnte.
    Ob es sich bei dem MtEv um eine Übersetzung handeln kann, wäre sicher noch genauere Untersuchungen wert, auch ein Vergleich mit der Qualität antiker Übersetzungen könnte weiterführen. Allgemein sollte die Diskussion um die Glaubwürdigkeit der Kirchenväterzeugnisse zur Evangelienentstehung wieder neu einsetzen - in dem Bewusstsein, dass methodisch die externe Evidenz der internen Evidenz vorzuordnen ist.

    275 Merkel, "Überlieferungen", S. 589.

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5.2 Interne Evidenz

5.2.1 Stoffauswahl
5.2.1.1 Anteil an gemeinsamen Perikopen
    Der hohe Anteil an gemeinsamen Perikopen wird hin und wieder als Argument gegen die TH verwendet, weil anzunehmen ist, dass die mündliche Tradition noch mehr Erzählungen enthielt. Linnemann antwortet darauf, dass die Übereinstimmungen im Stoff auch einfach historisch begründet sein können. Nach Reickes Überzeugung von der Existenz einer durch häufige Wiederholung gefestigten mündlichen Tradition hat man sich damals mit der Zeit auf eine gewisse Auswahl an Stoffen konzentriert, die man oft weitererzählte.
    Meiner Meinung nach ist Reickes Modell geeigneter, um die Übereinstimmungen in der Stoffauswahl zu erklären. Denn die Apostel haben sicher noch weitaus mehr erlebt und gehört, als uns in den Evangelien überliefert ist (vgl. nur Joh 20,30; 21,25). Also muss sich im Lauf der Zeit ein gewisser "Kanon" herauskristallisiert haben von dem, was man regelmäßig über das Leben Jesu weitergab. Eine häufige Wiederholung der Erzählungen erklärt auch die nahezu identische Stoffreihenfolge und den ähnlichen Wortlaut, stimmt mit formgeschichtlicher Beobachtung der Geschichten überein und kann für die Zeit der ersten Christen auch als wahrscheinlich angesehen werden. Mit dieser einen plausiblen Annahme ist also eine Deutung vieler Phänomene möglich.

5.2.1.2 Verhältnis von Mk und Q
    Von Harrison wurde die Abwesenheit der Q-Tradition bei Mk als Argument gegen die TH verwendet, von der TH dagegen werden gerade die Doppelüberlieferungstexte Mk/Q gegen die Zweiquellentheorie ins Feld geführt (Rist). In neueren Publikationen ist es sicher unbestritten, dass es diese Overlap Texts gibt.276
    Die Doppelüberlieferungstexte Mk/Q sind, wie andere Überschneidungen auch (Q/Sondergut, Mk/Sondergut), m. E. ein wichtiges Argument der TH, das von ihr leider nur am Rande erwähnt wird. Wenn Morgenthaler bei der Betrachtung der Mischlogien Mk/Q277 zu dem Schluss kommt: "Sicher liegen bei Mt und Lk recht komplizierte Mischungen von Mk- und Q-Stoff vor"278, dann widerspricht dies der von Downing beobachteten einfachen Redaktionsweise in der Antike. Andererseits kann dies Phänomen von der TH

    276 Vgl. Schnelle, Einleitung, S. 209; Schüling, Studien; Fleddermann, Mark and Q.
    277 Morgenthaler, Statistische Synopse, S. 125-127.
    278 Ebd., S. 127.


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hervorragend erklärt werden.279
    Trotzdem bleibt die Frage, warum Mk relativ wenig Q-Material verwendete. Die Frage nach dem "Sitz im Leben" des Q-Materials und der narrativen Stoffe könnte hier durchaus weiterhelfen. Dazu könnte man auch die Theologie der Tripeltradition und die Theologie von Q vergleichend gegenüberstellen. Es ist dann gut möglich, dass man mit Reicke zu dem Ergebnis kommt, dass Evangelisation und Paränese unterschieden werden können. Meine These ist allerdings, dass die narrativen Mk-Stoffe mehrheitlich der Evangelisation dienten, und dass das Q-Material von den Aposteln vor allem zur Paränese der Gemeinde verwendet wurde.280 Für die Evangelisation braucht man Geschichten, um die Menschen zu fesseln und ihnen Jesus und seine Macht vor Augen zu malen; für die geistliche Ermahnung der Gemeinde können einzelne Worte Jesu zitiert werden, die man in eine konkrete Problemsituation hinein spricht und die darum auch keine feste Reihenfolge haben (vgl. die wenigen Kontextparallelen im Q-Stoff). Das schließt natürlich eine hin und wieder umgekehrte Verwendung nicht aus, weil die Grenzen hier auch fließend sind.

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5.2.2 Stoffanordnung
5.2.2.1 Übereinstimmende Reihenfolge
    Das wichtigste Argument gleich nach den Wortlautübereinstimmungen scheint den Kritikern der TH die ähnliche Akoluthie in der Tripeltradition zu sein. Dass Vertreter der TH dafür inzwischen drei verschiedene Erklärungsmöglichkeiten anbieten, wird fast281 gar nicht beachtet. Linnemann hält die übereinstimmende Reihenfolge einfach für "historisch vermittelt", nach Reicke beruht die gemeinsame Akoluthie auf der festen mündlichen Tradition, die Erinnerungen und Lokaltraditionen in einem dreistufigen Leben Jesu verband, und Wenham schließlich hält speziell in Bezug auf die gemeinsame Reihenfolge eine literarische Abhängigkeit für wahrscheinlich.

    279 Als mögliches zusätzliches Argument kann man anführen, dass es eine Reihe von Abschnitten gibt, die schon auf den ersten Blick nicht parallel sind, aber doch grob gesehen den gleichen Inhalt haben. Solche werden in Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 122 aufgezählt, aber sie benutzt sie nicht als Argument; vgl. auch Wenham, Redating, S. 11-39, der 14 Textpassagen herausfiltert, die nicht direkt gemeinsamer Herkunft sein können. Nach der Zweiquellentheorie sind dies wahrscheinlich Abschnitte, die "weniger mechanisch" (vgl. Schnelle, Einleitung, S. 194) eingeordnet werden können. Nach der TH dagegen wäre es verwunderlich, wenn es solche Abschnitte nicht gäbe.
    280 Reicke, Roots, S. 57 denkt sich dies genau umgekehrt.
    281 Vgl. nur Guthrie, Introduction, S. 143, der sich unsicher ist, ob die Reihenfolge nicht doch "through constant repetition" eingeprägt worden sein konnte. Stein, Synoptic Problem, S. 43 kennt offenbar das Argument des häufigen Erzählens nicht, da er hier nur das Memorieren als unzureichende Erklärung kritisiert, aber an anderer Stelle (ebd., S. 196) durchaus von ständig wiederholten Predigten ausgeht.


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    Wenn der "Rahmen der Geschichte Jesu" erst durch Mk geschaffen wurde, ist das Argument from Order tatsächlich ein sehr starkes Argument gegen die TH. Denn es wäre kaum denkbar, dass die Evangelisten unabhängig voneinander die vielen kleinen Einzeltraditionen in denselben redaktionellen "Rahmen", der womöglich noch ähnlichen Wortlaut aufweist, eingefügt hätten. Aber könnte es nicht genauso gut sein, dass der ungefähre narrative Rahmen in der mündlichen Tradition durch Geschichtsserien auch mit überliefert wurde? Durch das häufige Nacherzählen hat sich demnach in der "Standard"-Erzählung der Apostel bald eine recht feste Anordnung herausgebildet, die nicht unbedingt der historischen Chronologie entsprach (vgl. den einlinigen Aufbau der Synoptiker). Die verschiedenen Einzellogien, die sonst noch im Umlauf waren (Q-Überlieferung), haben Mt und Lk dann an unterschiedlicher Stelle eingefügt (kaum Kontextparallelen im Q-Stoff).
    So scheint mir Reickes Erklärung für die ähnliche Abfolge der Perikopen die beste zu sein. Linnemanns offenbar rein historische Begründung ist als eher unwahrscheinlich anzusehen. Und Wenhams Rekonstruktion der Abfassung der Evangelien282 klingt sehr fantasievoll. Da ist es schon eher möglich, dass sich die Apostel durch häufiges Nacherzählen die Reihenfolge dieser (laut Wenham) 72 Perikopen merken konnten.

5.2.2.2 Die Platzierung des Q-Stoffes
    Eine für Reicke wichtige Beobachtung ist die völlig unterschiedliche Platzierung des Q-Stoffes bei Mt und Lk. Damit wendet er sich gegen "jede Annahme einer schriftlich oder mündlich irgendwie fixierten Unterlage" nach der Art von Q.
Die Flexibilität des Q-Materials spricht durchaus für dessen Mündlichkeit. Es ist tatsächlich nicht einfach zu erklären, warum die Evangelisten eine schriftliche Quelle Q so auseinanderrissen, während sie Mk in seiner Reihenfolge treu blieben. (Allerdings kann man einwenden, dass die einzelnen Logien in Q unverbunden untereinander standen und deswegen zur willkürlichen Einfügung in die Tripeltradition einluden.) Dass Mt und Lk stattdessen einen Stapel von Notizzetteln mit Aussprüchen Jesu vor sich liegen hatten, ist wohl auch kaum anzunehmen. Wenn aber eine mündliche Q-Tradition mit solchen Wortlautübereinstimmungen möglich ist, dann wären auch die Wortlautübereinstimmungen in der Tripeltradition kein Hindernis mehr für deren Mündlichkeit. Damit kommen wir zum nächsten Punkt:

    282 Wenham, Redating, S. 207-210.

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5.2.3 Wortlaut
5.2.3.1 Die Höhe der Wortlautübereinstimmungen
    Das meistgenannte Argument gegen die TH sind die hohen Wortlautübereinstimmungen zwischen den Evangelien. In der Regel aber beachten die Kritiker dabei nicht die Erklärungen, die von der TH für dieses Phänomen gegeben werden. Anstatt dass man sich konkret mit ihren Deutungen der Wortlautübereinstimmungen auseinandersetzt, wird dieser Allgemeinplatz von Einleitung zu Einleitung weitergetragen. Eine Ausnahme machen Stein und die Rezension von Williams, denen das Argument bekannt ist, dass die Übereinstimmungen einfach durch den Bezug auf dasselbe Ereignis zustandekommen.283 Dies ist im Wesentlichen die Position von Linnemann, obwohl auch sie von "Angleichungen" durch Austausch der Jünger über die Ereignisse ausgeht. Daneben gibt es aber auch den Ansatz von Reicke, der die ständige Wiederholung der Geschichten als Ursache für die Übereinstimmungen sieht. Drittens wird bei hohen Wortlautübereinstimmungen teilweise davon ausgegangen, dass die Jünger diese Worte Jesu auswendig lernten. Viertens wird von Vertretern der TH auch sehr häufig die Existenz von einzelnen Notizen (teilweise als u(pomnh&mata für die Verkündigung) vorausgesetzt.
    Auf diese vier Erklärungsansätze müsste von Seiten der Zweiquellentheorie wirklich eingegangen werden, wenn man die TH durch den Hinweis auf die hohen Wortlautübereinstimmungen widerlegen will. Allerdings sind nicht alle vier Erklärungen gleich gut. Mit den m. E. schlechtesten, dem schlichten historischen Rückbezug und dem Memorieren, hat man so bisweilen auch schon abgerechnet. Anscheinend nicht beachtet werden dagegen die besseren Argumente der TH für die Wortlautübereinstimmungen: die Möglichkeit von schriftlichen Gedächtnisstützen und besonders die durch ständige Wiederholung gefestigte mündliche Tradition.

5.2.3.2 Die Unterschiedlichkeit der Wortlautübereinstimmungen
    Die Variabilität der Wortlautübereinstimmungen ist ein Argument, dass meiner Meinung nach von der TH bisher sehr unterbewertet wurde. Für die Benutzungshypothesen ist es nämlich schwer zu erklären, warum die redigierenden Evangelisten in so wechselndem Ausmaß in den Text eingegriffen haben sollten, sodass an einer Stelle weitaus mehr Wortumstellungen, Synonyme, andere grammatische Konstruktionen usw. vorkommen, an einer anderen Stelle weniger. Man könnte anhand eines psychologischen Experiments untersuchen, ob nicht doch eine gewisse Gleichmäßigkeit bei redaktioneller Arbeit vorauszusetzen

    283 Stein, Synoptic Problem, S. 33; Williams, "Rez.: Linnemann", S. 100.


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ist.284 Damit sind nicht theologische Verbesserungen gemeint, die natürlich variieren können, sondern die Abänderung der sprachlichen Struktur des Textes, die sich innerhalb eines gewissen Rahmens bewegen müsste (vgl. dagegen Abbildung 5).285 Stattdessen ist eine kontinuierliche(!) Abstufung der Wortlautübereinstimmungen von 100% bis 7% in den Mk/Mk-Perikopen zu beobachten.286
    Wie kann diese Unterschiedlichkeit nun im Rahmen der TH erklärt werden? Perikopen mit hoher Übereinstimmung im Wortlaut wurden in der Urgemeinde wohl sehr häufig weitergegeben, so dass die Festigkeit ihres Wortlauts entsprechend hoch ist. Oder die Urgemeinde hatte sich hier Notizen gemacht. Man muss psychologisch außerdem damit rechnen, dass die "Pointen", d.h. die Kernsätze oder z.B. Jesusworte in Apophthegmata am besten behalten wurden.287

5.2.3.3 Gleiche Parenthesen
    Bei Stein begegnet das Argument, dass das Vorkommen ähnlicher Parenthesen literarische Abhängigkeit erfordert. Linnemann hat diese Einschübe als schon im Leben Jesu verortet, als notwendige redaktionelle Überbrückung der Evangelisten oder einfach wegen geringer Wortlautübereinstimmung als nicht literarisch abhängig angesehen.288
    Meines Erachtens wäre es bei den meisten dieser Beispiele kein Problem, sie schon als Teil der narrativen Struktur der festen mündlichen Tradition anzusehen. Anders ist dies bei Mt 24,15 / Mk 13,14 (o( a)naginw&skwn noei&tw), wo die TH tatsächlich in größeren Erklärungsschwierigkeiten steckt. Linnemanns Deutung auf das Lesen des Profeten Daniel, der kurz vorher erwähnt wird, erklärt m. E. nicht, warum diese Bemerkung in einer Paren-

    284 Vgl. Rist, Independence, S. 32: "If we suppose that Matthew depends on Mark, we have to account for substantial differences in the quality of his abbreviating."
    285 Die Zahlen für Wortlautübereinstimmungen im Q-Stoff bei Lk habe ich Linnemann, Bibelkritik, S. 28-31 entnommen und sie in der Lk-Reihenfolge sortiert. Es sind nur die Werte für die ersten 23 Perikopen (aus Lk 2-10) abgebildet.
    286 Vgl. Morgenthaler, Statistische Synopse, S. 239-241.
    287 Vgl. Dearing, "Synoptic Problem", S. 132f.; Gieseler bei Reicke, "Entstehungsverhältnisse", S. 1764.
    288 Linnemann, Bibelkritik, S. 47-49 (S. 42-49 zu Stein).


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these steht und ein Subjektwechsel (u(mei=j - o( a)naginw&skwn) stattfindet. Es sind aber weitere Möglichkeiten zur Auflösung des Problems denkbar: 1) Bei der Übersetzung des aramäischen MtEv ins Griechische hat der Wortlaut des MkEv abgefärbt. 2) Mk hat nach dem Schreiben seines Evangeliums noch das Mt-Exemplar durchgesehen (Wenham). 3) Die Parenthesen in Mt und Mt sind sehr früh kurz nach 70 n. Chr. hinzugefügt, zumal der Leser hier auf den unmittelbaren Gegenwartsbezug des Abschnitts aufmerksam gemacht wird. - Die letzte Möglichkeit halte ich für die wahrscheinlichste.

5.2.3.4 Die Andersartigkeit des Johannesevangeliums
    Dieses Argument müsste von der TH noch bearbeitet werden, da es einige Kritiker der TH (Schmithals, Stein, Williams) vorbringen. Ein kleiner Vorschlag von mir: Einmal angenommen, dass das JohEv von dem Apostel geschrieben wurde und er das bewusste Ziel hatte, die anderen Evangelien zu ergänzen, die ta&cij des Lebens Jesu genauer einzuhalten (vgl. "das erste Zeichen" (Joh 2,11), "das zweite Zeichen" (Joh 4,54), die verschiedenen Jerusalembesuche nach Joh sowie Papias bei Eusebius, h. e. 3.39.15) und in Gesprächen Jesu "evangelistische" Christologie für ein griechisches Umfeld zu vermitteln, dann könnte dies die völlige Neukonzeption erklären. Nach der Art, wie die Geschichten erzählt werden, sind sie nicht durch häufige Wiederholung abgeschliffen, was auch auf die Erzählung eines Augenzeugen hindeuten könnte.

5.2.3.5 Gemeinsamer Wortschatz
    Linnemann hat hier etwas untersucht, was mir in keiner Publikation als Argument gegen die TH begegnet ist. Möglicherweise ist es darum kein relevanter Punkt zur Argumentation für die TH. Mir stellt sich außerdem die Frage, ob Linnemanns Methode der Wortschatzuntersuchung so glücklich gewählt ist, wenn sie einfach die Anzahl der Wörter herausfiltert, die in den Evangelien selten und gleichgewichtig vorkommen. Literarische Abhängigkeit kann sich auch bei häufigen Wörtern zeigen, und seltene Wörter können auch ungleichgewichtig übernommen worden sein. Eine Untersuchung des Vokabulars muss wohl anders angegangen werden. Außerdem wären Vergleichsstudien nötig, um Kriterien zu gewinnen, an denen man entscheiden kann, wann gemeinsames Vokabular ein Indiz für literarische Abhängigkeit ist und wann nicht. Last but not least erscheint mir eine solche Analyse lange nicht so aussagekräftig wie z. B. die Untersuchung, ob die redaktionelle Bearbeitung des Mk durch Mt und Lk (selbst unter Annahme eines Dmk) durchgängig erklärbar ist.


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5.2.3.6 Minor Agreements
    Der Hinweis auf die Minor Agreements gegenüber der Zweiquellentheorie scheint ins Leere zu treffen, weil inzwischen schon häufig ein Dmk angenommen wird, der mit diesem Phänomen zurechtkommt. Doch ob nun zur Erklärung der Minor Agreements ein Dmk postuliert wird oder nicht: Die Wahrscheinlichkeit der Zweiquellentheorie sinkt meiner Meinung nach in beiden Fällen, entweder durch die Zusatzannahme oder durch die unerklärbare Existenz der Minor Agreements. Die Richtigkeit dieser Zusatzannahme könnte allerdings durch zwei Untersuchungen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher gemacht werden.
    Zum einen wäre zu fragen, ob die angenommene deuteromarkinische Redaktion des MkEv eine einheitliche Tendenz zeigt oder ähnlich unerklärbar bleibt wie eine mt oder lk Redaktion an manchen Stellen. Im letzteren Fall wäre dies ein Argument gegen Dmk und die Zweiquellentheorie überhaupt.
    Zum anderen muss geprüft werden, ob sich ein Dmk textkritisch niedergeschlagen hat. Ennulat, der diese Forderung auch erhebt, erwähnt eine nicht publizierte Vorstudie von P. Lampe, der dort gemeint habe, dass "am ehesten" im Freerianus (W) und der Ferrar-Gruppe (f 13) "mit Nachklängen einer vormtlk Mk-Bearbeitung gerechnet werden kann."289 In diesem Zusammenhang sehr aufschlussreich ist ein neuerer Aufsatz von U. Victor, einem Berliner Texthistoriker, der sich dem Thema möglicher Evangelienredaktionen widmete.290 Victor sucht nach früheren Evangelienauflagen und betont, dass Redaktionen textkritisch nachweisbar sein müssten,291 zumal auch die redaktionelle Hinzufügung der Markusschlüsse, der Adultera-Perikope und die zwei Fassungen der Apg textkritisch deutlich wahrzunehmen sind292. In den textkritischen Varianten in frühen Handschriften (er untersucht hier den P66) sind nach Victor nur Fehler festzustellen, die für die normale antike Handschriftenüberlieferung typisch sind und auch in deren Grenzen verlaufen; dagegen gebe es

    289 Ennulat, Minor Agreements, S. 429f. Er äußert sich an diesem Punkt optimistisch, sagt aber auch deutlich (S. 430): "... Ein Negativ-Befund im Hss-Material wäre dagegen ein deutlicher Hinweis darauf, daß eine eine [sic] vormtlk Mk-Bearbeitung zur Erklärung der mtlk Übereinstimmungen gegen den MkText [sic] eher nicht in Frage kommt."
    290 Ulrich Victor, "Was ein Texthistoriker zur Entstehung der Evangelien sagen kann", Biblica 79 (1998), S. 499-514.
    291 Ebd., S. 500: "Wenn also verschiedene Auflagen, Ausgaben, Fassungen, Editionen, Redaktionen eines Textes erst einmal an die Öffentlichkeit gelangt waren, war es nahezu unmöglich, die jeweils frühere(n) Auflage(n) aus der zukünftigen Überlieferung des Textes auszuscheiden, wie es im Zeitalter des Buchdrucks geschieht." Außerdem komme es bei unterschiedlichen Fassungen wie bei der Apg auch im Lauf der Zeit zur Kontamination, z.B. wenn nichtwestliche Handschriften an einigen Stellen westlichen Text angenommen haben.
    292 Ebd., S. 501.


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keine "Spur einer früheren unterschiedlichen Auflage".293 Wenn Victor schließlich aufgrund fehlender textkritischer Evidenz einen Ur-Mk, eschatologischen Ur-Johannes usw. klar ablehnt,294 so kann man dies wohl auch auf Dmk übertragen.

5.2.3.7 Unerklärbare oder nachweisbare Redaktion?
    Von Seiten der Benutzungshypothesen wird gerne auf "die nachweisbare sprachliche und inhaltliche Bearbeitung"295 durch die redigierenden Evangelisten hingewiesen (Schnelle, Martin, Kazmierski, Longstaff). Die TH dagegen bemüht sich, eine ausreichende Menge an Gegenbeispielen zu sammeln, wo eine solche Redaktion eben nicht erklärbar ist (Rist, Riesner). Sie wird darin unterstützt durch die Beobachtungen von Sanders und durch Arbeiten der Griesbachhypothese, die gerade in die umgekehrte Richtung eine Redaktionstätigkeit nachweisen wollen. Außerdem spricht auch die Tatsache, dass in der Antike offenbar keine vergleichbar komplexe Redaktionstätigkeit vorkam, für die TH.
    Meiner Meinung nach ist die unerklärbare Redaktion ein wichtiges Argument für die TH. Der Kommentar Longstaffs in seiner Rezension zu Rist zeigt sehr schön, wie unklar eigentlich die Begründung mit anscheinend nachweisbarer Redaktion ist, da man offenbar für beide Richtungen "clear and cogent explanations" finden kann.296 Crook meint zwar nach seiner Untersuchung der Gleichnisse, dass eine Redaktionstätigkeit im Rahmen der Zweiquellentheorie am besten erklärt werden könne, aber auch nur als "the one that fails the fewest times".297 Wenn Mk allgemein eher kürzer ist und eine einfachere Sprache hat, dann kann man unter Annahme einer literarischen Abhängigkeit gut zu diesem Ergebnis kommen, dass die Zweiquellentheorie besser als andere Benutzungshypothesen redaktionelle Bearbeitung erklären kann. Aber stilistische und theologische Unterschiede zwischen den Evangelien müssen eben nicht auf Redaktion zurückgeführt werden, sondern können einfach auf persönliche Faktoren des Evangelisten zurückgehen. Viel versprechend (für die TH) scheint außerdem auch der Vergleich mit antiker Redaktionstätigkeit zu sein.

    293 Ebd., S. 503f.
    294 Ebd., S. 513.
    295 So meint Schnelle, Einleitung, S. 194.
    296 Longstaff, "Rez.: Rist", S. 130.
    297 Crook, "Synoptic Parables", S. 47.

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5.3 Historische Überlegungen

5.3.1 Existenz einer mündlichen griechischen Tradition
    Dass überhaupt Traditionen vom Leben Jesu in der Urgemeinde kursierten, muss als Teil des Argumentationsgangs natürlich auch von der TH verteidigt werden. Wenham schreibt ein kurzes Kapitel dazu; doch insgesamt ist es wohl kein relevantes Problem, weil eine mündliche Tradition vom Mainstream der Theologie gar nicht angezweifelt wird.
    Es ist bezeichnend, dass gerade derjenige, der sich in neuerer Zeit intensiver mit der TH beschäftigt hat, als sein zentrales Argument gegen die TH die Existenz einer mündlichen Tradition überhaupt anzweifelt. Entweder kennt Schmithals keine weiteren Argumente, weil(?) er mit den Erklärungsmöglichkeiten der TH vertraut ist, oder er hat nach dieser ganz grundsätzlichen Widerlegung nicht weiter über Gegenargumente nachgedacht.

5.3.2 Die Festigkeit der mündlichen griechischen Tradition
    Harrison und Schmithals denken, dass sich mit der räumlichen Ausbreitung der evangelischen Überlieferung die feste Form immer stärker verflüchtigt haben müsste, und ich kann ihnen an dieser Stelle voll zustimmen. Das war meiner Ansicht nach auch das Problem der polloi& im Lukasprolog, deren Niederschriften sekundär und eben nicht kaqech=j und sorgfältig waren. Aber bei den Aposteln selbst bzw. im engsten Kreis um die Apostel müssten die Traditionen weiterhin mit ganz ähnlichem Wortlaut bewahrt worden sein.
    Für die Festigkeit der mündlichen Tradition werden von der TH drei verschiedene Argumente (Memorieren, Notizen, Wiederholung) vorgetragen, jedoch spielt nur eines davon in der Diskussion eine Rolle, und zwar das Auswendiglernen der Worte Jesu. Weil in besonders zentralen Texten wie dem Vaterunser auch keine völlige Wortlautübereinstimmung zu beobachten ist, schließt man, dass das Memorieren erst recht nicht an anderer Stelle zur Anwendung kam.
    Aber muss das Memorieren als Erklärung gleich versagen, wenn die Wortlautübereinstimmung in den Evangelien nicht 100% beträgt? Es wäre doch z.B. auch denkbar, dass der Schreiber des Evangeliums die Jesustradition von jemandem gehört hat, der ein Jesuswort absolut genau reproduzieren konnte, doch der Evangelist selbst hat dies Wort dann nur ungefähr aufgeschrieben. Andererseits wird wohl niemand ein ganzes Evangelium memoriert haben, was Stein aber den Vertretern einer literarischen Unabhängigkeit zu glauben vorwirft. Jedoch kann das Memorieren für bestimmte Wortlautübereinstimmungen ein Stück weit mit verantwortlich sein, aber ich würde darauf kein großes Gewicht legen.
    Die zweite Möglichkeit für eine Festigkeit der mündlichen Tradition ist die Existenz von


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Notizen. Auf diesen Punkt wird offenbar bei den Gegnern der TH gar nicht eingegangen, obwohl diese Annahme bei der TH weit verbreitet ist. Es sollte hier streng unterschieden werden zwischen einzelnen Diegesen, die zwei oder drei Evangelisten gleichzeitig vorlagen, und zwischen Notizen als Gedächtnisstützen für die Verkündiger der evangelischen Überlieferung, die die Evangelisten aber nicht direkt benutzten.
    Im ersten Fall wäre bei den Wortlautübereinstimmungen in den Perikopen eine "Lücke" zu erwarten: Abschnitte mit sehr hoher (z.B. 90%) Wortlautübereinstimmung müssten auf gemeinsamem Gebrauch von Notizen beruhen; Perikopen mit mittelhoher Übereinstimmung gäbe es dann wieder sehr wenige, und mit durchschnittlicher Übereinstimmung gäbe es danach wieder mehr. Aber so sieht die Realität nicht aus. Abbildung 6 zeigt jeweils die Anzahl der Perikopen, die eine gewisse Wortlautübereinstimmung besitzen.298 Zwischen Mk und Mt gibt es beispielsweise 14 Perikopen, die eine Übereinstimmung von 40-45% haben. An dieser Tabelle wird nun deutlich, dass die Wortlautübereinstimmungen keineswegs disparat verteilt sind, sondern eine langgezogene Kumulation bilden, von der sich wohl kaum Hinweise auf Notizen abtrennen lassen.
    Meiner Meinung nach waren schriftliche Aufzeichnungen bei den Aposteln und deren Umfeld als u(pomnh&mata durchaus möglich; aber die Evangelisten haben dennoch die viva vox gegenüber evtl. vorhandenen Notizen bevorzugt. Wenn den Evangelisten Aufzeichnungen gemeinsam vorgelegen hätten, dann hätte sich dies wohl in auffällig hoher Wortlautübereinstimmung bemerkbar gemacht. Gegenüber Dearings eindeutiger Bestimmung der Abschnitte, die auf gemeinsame Notizen zurückgehen, bin ich darum eher skeptisch.
    Die dritte Möglichkeit zur Erklärung der Festigkeit ist m. E. die überzeugendste. Unter Berufung auf die Formgeschichte kann ein Vertreter der TH deutlich machen, dass die Geschichten stilisiert sind und so darauf hindeuten, dass sie häufig erzählt worden sind. Wenn sie aber ständig wiederholt wurden und dadurch eine bestimmte Form annahmen,

    298 Die Werte sind aus den Listen bei Morgenthaler, Statistische Synopse, S. 239-243 zusammengezählt.


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hindert uns auch nichts daran, bei ihnen eine gewisse sprachliche Fixierung zu vermuten.299 Dass Wiederholung zu ähnlichen Formulierungen führt, kann man an sich selbst bemerken, wenn man ein Ereignis aus seinem Leben häufig erzählt. Bald verwendet man ähnliche Worte und betont dieselben Aspekte.
    Unglücklicherweise hat sich die Diskussion an dem Punkt des Memorierens festgebissen und ist nicht auf die Festigkeit durch häufiges Wiederholen eingegangen.

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5.4 Zusammenfassung

    1) Zunächst muss gesagt werden, dass die Argumente der TH allgemein nur sehr wenig bis gar keine Beachtung finden. Was an Kritik vorgebracht wird, sind häufig noch die klassischen Gegenargumente, ohne dass danach gefragt wird, wie die TH die hohen Wortlautübereinstimmungen oder die ähnliche Akoluthie nun tatsächlich zu erklären versucht.
    2) Besonders starke Argumente der TH sind der Lukasprolog, die Unterschiedlichkeit der Wortlautübereinstimmungen, die unerklärbare Redaktion und die Plausibilität einer festen mündlichen Tradition durch die beobachtbare Formung der Geschichten.
    3) Wichtige Gegenargumente, die bis jetzt kaum von der TH beantwortet wurden, betreffen die Andersartigkeit des Johannesevangeliums und die gemeinsamen Parenthesen.

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5.5 Ausblick

    Die Forschungen in Bezug auf Argumente, die für oder gegen eine TH sprechen, stehen häufig noch am Anfang. Für weitere Untersuchungen seien hier noch einige Gedanken genannt:
    a) Meines Wissens fehlt noch eine längere Forschungsarbeit über die Art redaktionellen Arbeitens in der Antike und deren Vergleich mit den Evangelien. Die redaktionellen Abänderungen in beiden Textkorpora müssten klassifiziert, alle einzelnen Veränderungen diesen Klassen zugeordnet und anschließend bestimmt werden, welches Ausmaß und welche Art von Veränderungen in Bezug auf die jeweiligen persönlichen Voraussetzungen des Redaktors (Wunsch nach Zusammenfassung, stilistische Vorlieben usw.) zu erwarten sind.
    b) Es sind noch mehr empirische Untersuchungen zur menschlichen Gedächtnistätigkeit nötig. Baum hat schon nachgewiesen, dass beim Aufschreiben aus der Erinnerung gewisse

    299 Vgl. Marxsen, Einleitung, in seinem Abschnitt zur Formgeschichte: "In mündlicher Tradition konnte durchaus schon eine ziemlich stabile Fixierung geschehen, vor allem wenn man sich für die Überlieferung vorgegebener Formen bediente" (S. 131).


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Unterschiede, die oft als redaktionell gedeutet werden, ebenfalls auftreten. Außerdem könnte man erforschen, nach wieviel Wiederholungen z. B. 40% an Wortlautübereinstimmungen eintreten und eine Reihenfolge von 72 Geschichten, die nicht selten inhaltlich zusammenhängen, weitgehend beibehalten wird.
    c) Es muss erforscht werden, wie man am besten die Parallelität im Wortlaut von Texten ausdrückt. Wir müssen unsere Methoden verfeinern. Die Parallelität zwischen den Evangelien auf eine Weise zu berechnen, wie Linnemann es tut, ist jedenfalls ein recht grobes Raster. Wenn 40,56% Übereinstimmungen 95,34% Unterschiede entgegenstehen sollen, dann klingen diese Werte sehr unglücklich. Außerdem ist der Unterschied zwischen zwei Texten auch nicht so groß, wenn es sich einfach um andere Wortformen handelt, als wenn dort ein ganz anderer Satz steht; das kann man durch einfaches Zählen von Wortlautübereinstimmungen nicht berücksichtigen. Z.B. in Mt 3,16/Lk 3,21 benutzt Mt das participium coniunctum baptisqei\j de\ o(  0Ihsou=j, Lk nur den genitivus absolutus kai\  0Ihsou= baptisqe&ntoj, was bei Linnemann natürlich nicht als Wortlautübereinstimmung gerechnet wird.300 Um das Ausmaß der Übereinstimmungen und Unterschiede zu ermitteln und in einen einzigen Wert zusammenzufassen, sind auch Wortposition und Formen desselben Wortstammes sowie weitere Faktoren mit in den "Parallelitätswert"301 einzubeziehen.
    d) Der "Parallelitätswert" sollte in verschiedenen Stoffen (Jesuslogien in Apophthegmata, Q-Material, narrativer Rahmen usw.) gesondert berechnet und verglichen werden.
    e) Allgemein sollte man Forschungsarbeiten zur synoptischen Frage mehr von der Phänomen-Seite her aufbauen. Die Versuchung ist sonst zu groß, sich jeweils zu einen erdachten Modell als Argumente diejenigen Phänomene zusammenzusuchen, die zu passen scheinen. Zu selten (außer bei der Untersuchung der altkirchlichen Bezeugung) geht man

    300 Linnemann, Synoptisches Problem?, S. 105.
    301 Der "Parallelitätswert" könnte ein künstlicher Wert zwischen 0 und 100 sein. Wenn alle Wörter parallel laufen, ist P=100 bei dieser Perikope. Wenn z.B. zwei von 50 Wörtern ganz anders lauten oder fehlen, ist P=100-(2:50*100)=96. Wenn es sich bei diesen zwei Wörtern jedoch nur um andere Wortformen handelt, sollte man beispielsweise den Faktor f=0,5 hinzunehmen: P=100-((0,5*2):50*100). Für andere Wortpositionen schlage ich den Faktor 0,3 vor, weil ein solcher Austausch leichter möglich ist als z.B. eine Konstruktion zu verändern (part. coni. als gen. abs. u.a.). Insgesamt ergibt sich also für den Parallelitätswert die Formel: P=100-((wa+0,5*wf+0,3*wp):wges*100); wges: Gesamtzahl der Wörter, wa: Anzahl der Wörter, die ganz anders lauten, wf: Anzahl der Wörter, die eine ähnliche Wortform haben und wp: Anzahl der Wörter, die gleich sind oder eine ähnliche Wortform haben, aber an einem anderen Ort stehen. Beispiel für Mt 3,17 und Lk 3,22b: P(Mt 3,17 bzgl. Lk 3,22b) = 100-((3+0,5*5+0,3*0):17*100) = 67,6 (auf die Wortzahl von Mt bezogen). - Diese Formel wäre zwar etwas genauer, wird aber den Textstrukturen immer noch nicht vollständig gerecht, denn wenn z.B. ein Substantiv in der Parallele im Pl. erscheint, werden auch die dazugehörigen Adjektive im Pl. stehen. Es ergäbe sich dann derselbe P-Wert wie bei zwei oder drei unabhängigen Änderungen. Vielleicht wäre es deswegen am besten, die syntaktischen Einheiten zur Grundlage von Parallelitätsuntersuchungen zu machen. Linnemanns Angaben von 100% Unterschiedlichkeit usw. sollten jedenfalls weiter überdacht werden.


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von den Einzelerscheinungen aus und fragt, wie gut diese von den einzelnen Modellen erklärt werden. Ein positives Beispiel ist Crook, der beim "Einzelphänomen" einer Gleichnisperikope der Tripeltradition beginnt und von da aus drei verschiedene Modelle prüft. Wer dennoch lieber vom Modell ausgeht, muss dafür sicherstellen, dass möglichst alle Argumente dafür und dagegen auch zur Kenntnis genommen werden. Das ist für die TH genauso wichtig wie für die Zweiquellentheorie.
    f) Kritiker der TH haben die Aufgabe, sich ernsthafter mit ihr auseinanderzusetzen, als sie nur pauschal mit dem Hinweis auf bestimmte Phänomene abzulehnen, für die schon längst eine oder mehrere Lösungen angeboten werden. Es müssen also auch weiter Argumente gegen die TH zusammengetragen werden, denn wOrqfxjwA w=h('r"-)bfw= wObyrIb; NwO#O)rIhf qydIca  (Spr 18,17). Das gilt in beide Richtungen.
    g) Wir sollten eine Domain www.traditionshypothese.de einrichten, auf der die Argumente für und gegen eine Traditionshypothese weiter systematisch gesammelt werden. Unterkategorien wie interne Evidenz, historische Überlegungen und diesen wiederum untergeordnete Argumente können sehr gut in entsprechenden Subdomains (z. B. www.traditionshypothese.de/extern/lukas) untergebracht werden. Mails an den Webmaster können zur Korrektur und Ergänzung der Argumente dienen. Die Zweiquellentheorie, die Griesbach- und die Farrerhypothese u. a.302 sind schon im Internet - warum nicht auch die Traditionshypothese?
 
 

    302 Eine Einführung für Studenten aus der Sicht der Zweiquellentheorie gibt es unter www.religion.rutgers.edu/nt/primer (5.3.01). Online-Artikel von Farrer, Goulder, Goodacre usw. sind zu finden unter "The Synoptic Problem and Q: Articles", www.ntgateway.com/synoptic/articles.htm (5.3.01). Zur Griesbachhypothese kann "A Catalogue of Resources for the Study of the Two-Gospel Hypothesis", www.colby.edu/rel/2gh/catalog.html (5.3.01) zu Rate gezogen werden. Vgl. außerdem die "Greek Notes Hypothesis", die Brian E. Wilson 1999 beim SBL International Meeting vorstellte und Ähnlichkeiten zur Urevangeliumshypothese hat ("The Greek Notes Hypothesis and The Logia Translation Hypothesis Homepage", www.twonh.demon.co.uk (5.3.01)). Zukunftsweisend ist auch die von Mark Goodacre betreute Mailing List zur synoptischen Frage "Synoptic-L" (groups.yahoo.com/group/synoptic-l (5.3.01)) mit bis jetzt über 5000 Diskussionsbeiträgen.

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6. FAZIT

    Die TH, die seit 20 Jahren wieder von einer kleinen Minderheit von Forschern vertreten wird (Kapitel 2), kann in verschiedenen Bereichen gute Argumente vorbringen (Kapitel 3), die bisher kaum zur Kenntnis genommen wurden (Kapitel 4). Es ist also notwendig, dass von neuem eine wirkliche Diskussion über die TH einsetzt (Kapitel 5).
    In Kapitel 2 wurden die neueren Vertreter der TH dargestellt. Nach einem stetigen Rückgang der TH im 20. Jahrhundert sind seit Ende der 1970er Jahre immer wieder vereinzelte Versuche zu beobachten, die TH wiederzubeleben. Es handelt sich insgesamt nur um eine kleine Zahl von Forschern, die sich untereinander kaum wahrnehmen und die ausgesprochen unterschiedliche, einseitige Argumentationsansätze haben. Eine "reine" TH kommt bei ihnen nur selten vor; oft wird z. B. auch die Existenz von Notizen bejaht.
    Aus ihnen wurden vier wichtige Vertreter ausgewählt und ihre Argumentationen und Modelle ausführlicher beschrieben. Rist will durch Einzeluntersuchungen nachweisen, dass eine redaktionelle Bearbeitung des MkEv durch Mt (und umgekehrt) unwahrscheinlich ist. Reicke geht es speziell um die Stoffreihenfolge sowie um die historische Einordnung seines Modells in die damalige urkirchliche Situation. Er trennt eine feste mündliche narrative Dreiertradition von der hauptsächlich didaktischen Zweiertradition. Wenham macht Parallelperikopen unterschiedlicher Herkunft ausfindig und untersucht die Kirchenväterzeugnisse; er nimmt eine literarische Abhängigkeit für die Reihenfolge der Perikopen an. Linnemann befasst sich vorrangig mit Wortlautübereinstimmungen zwischen den Synoptikern. Alle diese Ansätze werden verwendet, um eine literarische Abhängigkeit der Evangelien zu widerlegen.
    Gebündelt entfalten diese Begründungen durchaus eine nicht zu verachtende Argumentationskraft (Kapitel 3). Der Lukasprolog wurde schon recht ausgiebig bearbeitet und scheint eine TH deutlich zu unterstützen. Die Aussagen der Kirchenväter passen ebenfalls sehr gut zur TH, eine Benutzungshypothese oder Markuspriorität liegt ihnen fern. Der hohe Anteil an gemeinsamen Perikopen, die ähnliche Reihenfolge und die Wortlautübereinstimmungen können auf eine durch Wiederholung gefestigte mündliche Tradition zurückgeführt werden. Das Vorkommen von Doppelüberlieferungstexten, kleineren Überhängen und inhaltlich verwandter Passagen mit ganz anderem Wortlaut sind dagegen Argumente gegen die Zweiquellentheorie. Außerdem können besonders die Variabilität der Wortlautübereinstimmungen, nicht redaktionell erklärbare Änderungen sowie der Vergleich mit der recht einfachen Redaktionsarbeit in der Antike gegen die Zweiquellentheorie vorgebracht wer-


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den. Bei der Frage nach der historischen Plausibilität der TH wurde festgehalten, dass es eine apostolisch bestimmte, mündliche griechische Tradition des Lebens Jesu gab und dass die Tradition durch Auswendiglernen, Notizen und/oder häufige Wiederholung des Stoffes eine recht feste Form annahm. Auf diese feste Tradition konnten die Evangelisten noch zurückgreifen, und weil sie auch mündliche, zuverlässige Quellen schriftlichen vorzogen, verfassten sie ihre Evangelien auf der Basis der mündlichen Überlieferung.
    Gegen die TH werden wohl aus Unkenntnis ihrer Argumente zumeist Dinge eingewendet (Kapitel 4), für die sie bereits Erklärungen anbietet. Man nennt den Lukasprolog, die gemeinsame Stoffanordnung und besonders den übereinstimmenden Wortlaut. Nicht zuletzt weist man zur Begründung einer literarischen Abhängigkeit auch auf die Ergebnisse der Redaktionsgeschichte hin. Schmithals stellt außerdem die mündliche Tradition ganz in Frage, ist damit aber eine Ausnahme. Darüber hinaus werden Zweifel an einem Auswendiglernen der Worte Jesu geäußert. Von der TH kaum beachtet sind die Einwände, die die Andersartigkeit des JohEv und die gemeinsamen Parenthesen bei den Synoptikern betreffen.
    In Kapitel 5 wird deutlich, dass nie ein wirklicher Dialog zustandekam. Von Seiten der TH versuchte man, die typischen Kritikpunkte zu entkräften, doch werden ihre Argumente nicht oder nur unvollständig wahrgenommen. Denn solange sich eine Alternative nicht wirklich bemerkbar macht, braucht man ihr auch nicht viel Aufmerksamkeit widmen. Von den Argumenten, die bisher noch gar nicht auf der Seite der Kritiker angekommen sind, scheinen mir der Lukasprolog, die Unterschiede in der Wortlautübereinstimmung und die an der Stilisierung erkennbare Wiederholung besonders wichtig zu sein.

    Die TH muss also genau sagen können, was ihre Argumente sind, denn viele kennen sie nicht ausreichend. Sie braucht sich mit ihren Begründungen m. E. nicht verstecken. Entsprechend steht auch eine umfassende, gründliche Antwort von Seiten der Zweiquellentheorie auf die Argumente der TH noch aus. Eines steht jedenfalls fest: Die TH hat ein solche Menge an guten Argumenten hinter sich, dass sie nicht mit wenigen Sätzen in einer Rezension oder NT-Einleitung abgetan werden kann.

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