Übersicht über die Kapitel bei Gieseler:
Vorrede
Erster Theil: Ueber die Entstehung
der schriftlichen Evangelien. (S. 1)
Einleitung. (S. 1)
§. 1. Kurze Darstellung
des Verhältnisses der drei ersten canon. Evangelien zu einander. (S.
3)
§. 2. Characteristik
der ältesten apocryphischen Evangelien. (S. 8)
§. 3. Evangelische
Stellen in den Reden und Briefen der Apostel. (S. 26)
§. 4. Gedrängte
Uebersicht der bisherigen Versuche, die Entstehung der Evangelien zu erklären.
(S. 30)
§. 5. In dem frühesten
apostolischen Zeitalter ist das Evangelium zum Behuf der Lehrvorträge
nicht aufgeschrieben, sondern nur mündlich fortgepflanzt. (S. 53)
§. 6. Es bildeten
sich unter den Aposteln sehr früh gleiche Erzählungsformen des
Evangelii. (S. 82)
§. 7. Ueber die
Art, wie sich unter den Aposteln ein gleichförmiges mündliches
Evangelium ausbildete. (S. 92)
§. 8. Ueber die
Fortpflanzung des Evangelii als paradosij,
nebst einigen historischen Parallelen. (S. 104)
§. 9. Pauli Evangelium.
(S. 111)
§. 10. Uebersetzung
des Evangelii ins Griechische. - Evangelium der Beschneidung und Evangelium
der Vorhaut. (S. 113)
§. 11. Niederschreibung
des Evangelii. (S. 116)
§. 12. Die Polloi
des Lucas (S. 118)
§. 13. Niederschreibung
unserer drei ersten canonischen Evangelien. (S. 120)
§. 14. Aelteste
apocryphische Evangelien. (S. 130)
§. 15. Das Evangelium
Johannis. (S. 133)
Zweiter
Theil: Ueber den Gebrauch der schriftlichen Evangelien in der ersten
Kirche, und der Canonisirung unserer vier Evangelien. (S. 142)
Einleitung (S. 142)
§. 1. Frühere
Untersuchungen über diesen Gegenstand. (S. 143)
§. 2. Die älteste
Kirche gebrauchte keine Syngraphen des Evangeliums als kirchliche Schriften,
sondern blieb bei der mündlichen Tradition. (S. 149)
§. 3. Ueber die
ersten Spuren von dem Gebrauche schriftlicher Evangelien bei Orthodoxen.
(S. 179)
§. 4. Ueber die
Sammlung und kirchliche Einführung der vier Evangelien. (S. 190)
Historisch=kritischer Versuch
über die
Entstehung und die frühesten Schicksale
der
schriftlichen Evangelien.
Von
Dr. Johann Carl Ludwig Gieseler,
Conrector am Gymnasio zu Minden.
Leipzig, 1818
bei Wilhelm Engelmann.
Die nicht ungünstigen Beurtheilungen, deren sich mein Aufsatz: "Ueber die Entstehung und die frühesten Schicksale der schriftlichen Evangelien," in den Analecten von Keil und Tzschirner (Bd. 3. St. 1.) zu erfreuen gehabt hat, haben mir den Muth gegeben, meine dort geäußerten Ansichten noch weiter zu verfolgen. So ist diese kleine Schrift erwachsen, deren ersten Theil jener Aufsatz ausmacht, nachdem derselbe ganz von neuem durchgearbeitet, mit vielen Bemerkungen bereichert, und insbesondere durch eine Uebersicht der bisher über die Entstehung der Evangelien aufgestellten Hypothesen und durch einen Abschnitt über das Evangelium Johannis erweitert ist. Der zweite Theil ist ganz von neuem hinzugefügt.
Wenige Gegenstände der theologischen Wissenschaft sind so oft und so gründlich bearbeitet, wie der, welcher im ersten Theile behandelt wird. Je mehr ich von hoher Achtung gegen meine Vorgänger durchdrungen bin, und je tiefer ich es fühle, was ich ihren Schriften verdanke; desto anspruchsloser trete ich mit diesem Versuche hervor, und desto mehr bitte ich um nachsichtsvolle Aufnahme und Beurtheilung dieser Schrift.
Ueber die Entstehung der schriftlichen Evangelien.
E i n l e i t u n g.
Unter den vielen wichtigen Begebenheiten, welche die älteste
Kirchengeschichte kurz übergeht, und deren Erklärung sie als
Räthsel der Nachwelt aufgiebt, ist gewiß eine der wichtigsten
die Entstehung der schriftlichen Evangelien. Schon an sich ist es einflußreich
für die Geschichte, zu erfahren, wodurch die Abfassung dieser späterhin
so wichtigen Schriften veranlaßt; auf welche Art und aus welchen
Quellen sie verfaßt; wie sie von ihren christlichen Zeitgenossen,
wie von den nächsten Geschlechtern aufgenommen wurden; aber alle diese
Fragen gewinnen sowohl an Interesse, als an Schwierigkeit, wenn man dabei
auf das auffallende innere Verhältniß der Evangelien unter sich
Rücksicht nimmt, welches doch in der Art ihrer Entstehung gegründet
seyn und aus derselben erklärt werden muß.
Man muß sich gleich im Anfange
bescheiden, daß man, so verschiedene Wege man auch zur Erklärung
dieser Dunkelheiten einschlagen mag, bei dem Unzureichenden der historischen
Nachrichten doch nie zu vollkommener Gewißheit, sondern nur zu der
Wahrscheinlichkeit gelangen kann, welcher historische Conjecturen überhaupt
fähig sind.
Da die größere oder geringere
Wahrscheinlichkeit einer jeden historischen Conjectur davon abhängt,
ob und wie sie den nothwendig an sie zu machenden historischen Forderungen
genüge; so ist es nöthig, mit der Aufstellung dieser Forderungen
zu beginnen.
D i e E r st e geht aus
der Beschaffenheit der Evangelien selbst hervor. Eine Conjectur über
die Entstehung der Evangelien, die auf Wahrscheinlichkeit Anspruch machen
will, muß das innere Verhältniß der Evangelien unter sich
vollständig erklären.
Da aber verschiedene äußere
Beziehungen der Schriftsteller gedacht werden können, durch welche
jenes Verhältniß an sich betrachtet gleich gut erklärt
werden kann; so muß die Geschichte die größere oder geringere
Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Conjecturen bestimmen. Sie giebt Einer
den Vorzug, je nachdem diese
a) mit dem allgemeine Geiste des Urchristenthums
am meisten übereinstimmt;
b) sich an vorhergegangene und nachfolgende
Erscheinungen am genauesten anknüpft;
c) die vorhandenen alten Nachrichten
über die Entstehung der Evangelien befriedigend erklärt, sie
entweder treffend mit sich vereiniget, oder ihren Ungrund genügend
darthut.
Nach diesen Forderungen muß
also die Untersuchung mit der Darstellung des innern Verhältnisses
der Evangelien zu einander, als des zu Erklärenden, anfangen, bei
der Erklärung selbst aber jene historischen Bedingungen stets fest
im Auge behalten.
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K u r z e D a r s t e l l u n g d e s V e r h ä l t n i s s e s d e r d r e i e r st e n c a n o n. E v a n g e l i e n z u e i n a n d e r.
Allen drei Evangelien sind 42 Abschnitte gemein, Matthäus
und Marcus haben außerdem 12, Marcus und Lucas 5, Matthäus und
Lucas 14 Abschnitte mit einander gemein, die dem rücksichtlich dritten
Evangelisten fehlen. Endlich haben Matthäus 5, Marcus 2, Lucas 9 Abschnitte
ganz eigenthümlich.
Marcus und Lucas haben ihre gemeinschaftlichen
Abschnitte in derselben Reihenfolge, indem jeder nur das ihm Eigenthümliche
dazwischen schiebt. Nur in zwei Stellen weichen sie in der Ordnung gemeinschaftlicher
Abschnitte von einander ab *). Matthäus hat hingegen bis zum Ende
des 13. Cap. meist eine andere Ordnung der Erzählungen, als die beiden
andern Evangelisten; vom Anfange des 14. Cap. aber fängt er an, in
genauer Harmonie mit ihnen die gemeinschaftlichen Erzählungen zu ordnen.
Allgemeine Aussprüche Jesu finden
sich indeß höchst verschieden zu den Begebenheiten vertheilt.
Ein Beleg
*) Den Abschnitt Marcus 3, 21-30 hat Lucas erst 11, 14-23. Die Erzählung von der Ankunft der Mutter und der Brüder Jesu steht bei Marcus 3, 31-35. vor dem Gleichnisse vom Säemann, bei Lucas 8, 19-21. nach demselben.
dazu ist die Bergpredigt des Matthäus, von der einzelne
Stücke bei den andern Evangelisten an andern Orten zerstreut sind.
Die Sprache aller drei Evangelien
ist ein hebraizierendes Griechisch. Marcus hat die meisten Hebraismen,
Lucas die wenigsten. In den gemeinschaftlichen Abschnitten haben Matthäus
und Marcus gewöhnlich dieselbe Ideenfolge, und treffen häufig
wörtlich zusammen. Lucas hat zwar meistentheils mit ihnen gleiche
Ideenfolge, verbindet aber damit einen abweichendern, gewöhnlich mehr
griechischen Ausdruck. Doch fehlt es auch, besonders in einzelnen Reden
Jesu oder Anderer nicht an Stellen, wo er mit den andern Evangelisten wörtlich
zusammentrifft. Insbesondere merkwürdig ist die wörtliche Uebereinstimmung
der Evangelisten unter sich in manchen Citaten des A. T., wobei sie weder
dem hebr. Texte noch der LXX. genau folgen.
Mit diesen großen Aehnlichkeiten
verbinden sich indeß in manchen Erzählungen nicht eine consequente
Aehnlichkeit oder Verschiedenheit. Häufig treffen dieselben in einzelnen
Gedanken wörtlich zusammen, und verlassen sich in demselben Augenblicke
wieder, um abweichende Gedanken aufzunehmen, oder gemeinschaftliche verschieden
auszudrücken.
Wenn also die gemeinschaftlichen Erzählungen
in Hinsicht der Aehnlichkeit des Sachinhalts, der Gedankenfolge und des
Ausdrucks in eine genaue Ordnung ge=
bracht werden sollten; so würde eine Stufenleiter
von beinahe eben so vielen Stufen, als gemeinschaftliche Erzählungen
sind, entstehen, welche von wörtlicher Uebereinstimmung bis zu den
beträchtlichsten Abweichungen in jenen drei Rücksichten fortführte.
Indessen lassen sich gewissen Hauptgesichtspunkte
bemerken, nach welchen die verschiedenen Verhältnisse der Darstellungen
zu einander näher bestimmt werden können.
1) In Rücksicht auf die Zeitfolge
ist der Anfang und das Ende, oder die Erzählungen aus den Zeiten vor
der Taufe und nach dem Begräbnisse am meisten verschieden. Matthäus
und Lucas, die allein die Jugendgeschichte Jesu in ihren Plan mit aufgenommen
haben, theilen nur eine gemeinschaftliche Erzählung in derselben mit,
und auch diese - die von den Magiern bei dem Matthäus, von den Hirten
beim Lucas - wird höchst verschieden bei ihnen dargestellt.
Mit der Erzählung von Johannes
dem Täufer beginnt erst das oben näher beschriebene Verhältniß
der Darstellung. Bei den Erzählungen von den letzten Schicksalen Jesu
bis zu seinem Begräbnisse erreicht die Darstellung besonders beim
Matthäus und Marcus den höchsten Grad der Aehnlichkeit; von da
an beginnt wieder eine größere Verschiedenheit. Nur die Erzählung
von den nach dem Grabe gehenden Weibern ist allen in gleicher Ausführlichkeit
gemein, aber der Ausdruck ist auch hier viel abweichender und trifft nur
selten in einzelnen Worten zusammen *).
*) S. die nach dieser Rücksicht angestellte Vergleichung in Schmidts hist. krit. Einleitung ins N. T. Bd. 1. S. 82-98.
2) In Hinsicht auf die redenden Personen
bestehen die Evangelien theils aus Erzählungen in der Person des Verfassers
vorgetragen, theils aus eingeflochtenen Reden Jesu und Anderer.
Was zuerst jene betrifft, so findet
sich hier die größte Abweichung in den Uebergangs= und Bindungsformeln,
wodurch die einzelnen Erzählungen an einander geknüpft sind.
Dagegen läßt es sich bemerken, daß, je wichtiger eine
Begebenheit den Schülern Jesu erscheinen mußte, sie mit desto
übereinstimmenderm Ausdrucke erzählt wird.
Z. B. Berufung der 4 ersten Jünger
(Matth. 4, 18. Marc. 1, 14.); des Matthäus (Matth. 9, 10. Marc. 2,
15. Luc. 5, 35.); Verklärung Jesu auf dem Berge (Matth. 17, 1. Marc.
9, 2. Luc. 9, 35.).
Deshalb findet man auch in andern
Erzählungen, daß sie, in ihrem Anfange wenig harmonirend, je
näher sie der Hauptsache kommen, desto mehr im Ausdrucke zusammentreffen,
und daß die Haupthandlung selbst mit völlig gleichen Worten
vorgetragen wird.
Z.B. die Heilung eines Aussätzigen,
wo in folgenden Worten die höchste Gleichheit ist (Matth. 8, 3. Marc.
1, 41. Luc. 5, 13.): Kai ekteinaj thn xeira hyato
autou o Ihsouj legwn: qelw kaqarisqhti: kai euqewj aphlqen ap )autou h
lepra. Die Speisung der 5000, wo die Uebereinstimmung am stärksten
ist (Matth. 14, 19. 20. Marc. 6, 41. 42. Luc. 9, 16. 17.): labwn
touj pente artouj kai touj duo ixquaj anableyaj eij ton ouranon euloghse
kai klasaj edwke toij maqhtaij - - - kai efagon pantej kai exortasqhsan.
Dagegen weichen viele andere Erzählungen
von einander ab, entweder im A u s d r u ck e, welches insbesondere
die allgemeinen Erzählungen trifft (cf. Matth. 12, 15. 16. Marc. 3,
7-12. Luc. 6, 17-19), oder in der A u f f a s s u n g der Begebenheiten
(cf. Matth. 22, 35., wo der fragende Schriftgelehrte als Versucher, Marc.
12, 34, wo er als frommer Mann genommen wird), oder in der B e st
i m m u n g e i n z e l n e r U m st ä n d e (Matth.
20, 29. z w e i Blinde h i n t e r Jericho, Marc.
10, 46. Luc. 8, 35. e i n Blinder v o r Jericho).
In den angeführten Reden anderer
Personen, insbesondere in den Reden Jesu, ist die Uebereinstimmung unverkennbar
größer, als in den eigenen Erzählungen der Evangelisten.
Selbst wenn die einleitenden Begebenheiten mit verschiedenem Ausdrucke
erzählt waren, so treffen dennoch die angeführten Worte Anderer
gewöhnlich zusammen. Indessen ist auch in den Reden Jesu die Uebereinstimmung
nicht überall gleich groß, und auch hier gilt die Bemerkung,
daß dieselben nach dem Grade, wie sie den Jüngern characteristischer
und wichtiger erscheinen mußten, desto übereinstimmender erzählt
werden.
Daher findet sich unter den Weissagungen
die höchste Uebereinstimmung des Ausdrucks:
Z. B. Matth. 11, 21. Luc. 10,
31. (das Wehe über Chorazin etc.).
Matth. 22,
37. Luc. 13, 34. (über Jerusalem).
Matth. 20,
18. Marc. 10, 33.
Matth. 26,
21. Marc. 14, 18.
Matth. 26,
29. Marc. 14, 25. Luc. 22, 18. (Vorherverkündigungen seines
eigenen Schicksals).
Eben so gleichförmig sind die
Erklärungen in Bezug auf seine Person und seinen Zweck ausgedrückt:
Z. B. Matth. 11, 25-27. Luc.
10, 21. 22. (Vor den Weisen ist dieses verborgen - Alles ist mir übergeben).
Matth. 16, 24-26. Marc. 8, 34-37.
Luc. 9, 23-25. (Erfordernisse zu einem Jünger Jesu).
Matth. 22, 44. Marc. 12, 36.
Luc. 20, 42. (Wie der Messias Davids Sohn heißen könne?).
Unter den Parabeln werden zwar auch
Einige wörtlich übereinstimmend erzählt (z. B. von dem Säemann
Matth. 13, 3-8. Marc. 4, 3-8.); Andere sind aber von den Evangelisten
verschieden aufgefaßt (z. B. Matth. 18, 12. bezieht die Parabel vom
verlornen Schaafe auf Kinder; Luc. 15, 4. auf Sünder); Andere zwar
gleich aufgefaßt, aber verschieden dargestellt (z. B. die Parabel
von dem Gastmahle. Matth. 22, 1. Luc. 14, 16.).
[Top]
C h a r a c t e r i st i k d e r ä l t e st e n a p o c r y p h i s ch e n E v a n g e l i e n.
Außer unsern canonischen Evangelien gab es im Alterthume eine so große Menge anderer Evangelien, daß wir nach den Aeußerungen der Kirchenväter nur den kleinsten Theil von denselben zu kennen glauben müssen *).
*) Iren. 1, 17. redet von einer Inenarrabilis multitudo apocryphorum et perperam scripturarum. Orig. ad Luc. 1, 1. rechnet viele apocryph. Evangelien her und setzt hinzu: alia plura legimus. Hieron. prooem. in comm. super Matth. illud juxta Aegyptios et Matthiam et Bartholomaeum duodecimque Apostolorum et Basilidis atque Apellis ac reliquorum, quas enumerare longissimum est.
Da alle diejenigen, von denen uns Notizen und Fragmente
übrig geblieben sind, wegen äußerer Umstände eine
gewisse Celebrität in der christlichen Welt besaßen, so dürfen
wir muthmaßen, daß jene noch größere Zahl blos deswegen
in der Geschichte ganz verwischt ist, weil sie auf kleinere Kreise und
geringere Wirksamkeit eingeschränkt blieb, bis sie von den canonischen
Evangelien ganz verdrängt wurde.
Alle diese älteren Evangelien
- denn von den Apocryphen, die uns noch ganz erhalten sind, und die sich
selbst deutlich genug als Producte einer jüngern Zeit ankündigen,
kann hier nicht die Rede seyn - alle die älteren Evangelien, vondenen
uns noch Notizen und Fragmente übrig sind, standen zu unsern drei
ersten Evangelien in einem ähnlichen Verhältnisse, wie diese
unter sich. Dieß lehrt theils eine Vergleichung der vorhandenen Bruchstücke,
theils geht es aus den häufigen Versicherungen der Kirchenväter
hervor, daß jene Apocryphen nur verfälschte canonische Evangelien,
oder daß sie mit denselben identisch seyen.
Die uns jetzt noch näher bekannten
Evangelien sind folgende:
1. [sic] Die Evangelien k
a q ' E b r a i o u j. Die Alten reden nur von Einem
Evangelium der Hebräer, führen als synonyme Benennungen desselben
an evang. sec. Apostolos, sec. Syros, Nazarenorum und Ebionitarum *),
*) Euseb. h. e. IV, 22. to
kaq' Ebraiouj euaggelion kai to Suriakon.
Hier. adv. Pelag.
III, 1. Evang. juxta Hebraeos, quod Chaldaico quidem Syroque sermone sed
hebraicis literis scri-
und behaupten, daß es ein etwas verändertes
Evangelium Matthäi gewesen sey. Indeß gebrauchten wahrscheinlich
die verschiedenen Partheien der hebräischen Christen wenn auch ähnliche
doch verschiedene modificirte Evangelien, welche die Namen sec. Hebraeos
und sec. Apostolos gemein hatten. Insbesondere läßt sich dieß
aus den Characteristiken der Evangelien der Nazaräer und Ebioniten
beim Epiphanius schließen, aus denen deutlich genug eine Verschiedenheit
derselben hervorgeht. Hieronymus eben angeführte Stelle, worin er
sagt, daß die Nazaräer und Ebioniten das Evangelium der Hebräer
gebrauchten, beweist schwerlich etwas dagegen. Er kannte nur das Evangelium
der Nazaräer (welches er in Beröa und in der Bibliothek des Pamphilus
in Cäsarea fand), und war ein zu eifriger Orthodox, um durch Verbindungen
mit den ketzerischen Ebioniten sich die Kenntniß ihres Evangeliums
zu verschaffen. Er folgte also nur dem Gerüchte, nach welchem die
Ebioniten auch ein hebr. Evangelium hatten, und trug so wenig Bedenken,
dieß mit dem hebr. Evangelium der Nazaräer zu identificiren,
wie andere Kirchenväter, in beiden Evangelien den catholischen Matthäus
zu finden.
Verschiedene Evangelienbücher
dieser Classe sind also:
a) D a s E v a n g e l
i u m d e r N a z a r ä e r nach Epiphanius ein
übervollständiges Evangelium des Mat=
ptum est, quo utuntur usque hodie Nazareni, secundum Apostolos sive
ut plerique autumant juxta Matthaeum.
Id. comm. in Matth. lib.
2. ad Matth. 12, 13. Evangelium, quo utuntur Nazareni et Ebionitae,
quod nuper in Graecum de Hebraeo sermone transtulimus et quod vocatur a
plerisque Matthaei authenticum.
thäus *). Epiphanius scheint es nicht vor sich gehabt
zu haben, als er schrieb, denn er bekennt, es nicht zu wissen, ob dasselbe
das Geschlechtsregister Jesu enthalten habe **). Hieronymus fand es in
Beröa und Casarea [sic] und übersetzte es ins Lateinische. Da
er es also aufs genaueste kannte, so muß der Umstand, daß er
zweimal zu Stellen des 2. Capitels Matthäi Parallelen aus diesem Evangelio
anführt ***), für einen Beweis gelten, daß dasselbe auch
die Abschnitte enthielt, welche Matthäus in seinen 2 ersten Capiteln
erzählt. Die Stellen, die Hieronymus aus dem evangel. Hebraeorum anführt,
sind aus diesem evangel. Nazarenorum und eine Vergleichung derselben mit
den Parallelstellen unseres canonischen Matthäus rechtfertigt hinlänglich
das obige Urtheil des Epiphanius +). Außerdem hatte dasselbe aber
viele Stellen, zu denen unser Matthäus keine Parallelen liefert. Eine
ist uns noch übrig, welche sich, obgleich mit anderm Ausdrucke, auch
noch beim Lucas findet ++).
b) D a s E v a n g e l
i u m d e r E b i o n i t e n nach
*) Epiphan. haer. 29. §. 9. exousi
de to kata Matqaion euaggelion plhrestaton ebrai"sti.
**) Epiph. l. c. ouk oida de,
ei kai taj genealogiaj taj apo tou Abraam axri Xristou perieilon.
***) Hier. in quaest. adv. Matth. 2, 6. und catal.
viror. illustr. v. Matthaeus.
+) Eichh. Einl. ins N. T. Th. 1. S. 28. 35.
++) Die Stelle beim Ignat. epist. ad Smyrn. 3. labete,
yhlafhsete kai idete, oti ouk eimi daimonion aswmaton (cf. Luc.
24, 39.) fand sich nach Hieron. catal. s. v. Ignat. in dem Evangelio der
Nazaräer.
Epiphanius ebenfalls ein euaggelion
kata Matqaion *), von den Ebioniten selbst aber kaq'
Ebraiouj **) genannt. Es fehlten in ihm die beiden ersten Cap. des
Matthäus, und es fing mit Matth. 3, 1. an ***). Wenn Epiphanius es
als unvollständig characterisirt, so bezieht sich dieß nicht
auf seine kurze, mangelhafte Darstellungsart, sondern auf die Auslassung
mehrerer Abschnitte des catholischen Matthäus. Wenn wir nach Epiphanius
Citaten, die freilich sehr ungenau sind ****), urtheilen dürfen, so
war die Darstellung selbst weit umständlicher, als in unsern canon.
Evangelien. Außerdem ist zu bemerken, daß eine noch übrige
Stelle desselben sich nur noch beim Lucas findet +).
c) D a s E v a n g e l
i u m d e r E l c e s a i t e n war nach Epiphanius das
Evangelium Matthäi, von ihnen aber to Ebrai"kon
genannt ++). Da er keinen Wink giebt, daß es mit dem von ihm anderweitig
beschriebenen Evangelium der Ebioniten einerlei sey, so dürfen wir
auch in demselben ein, wenn auch diesem ähnliches, doch nicht mit
ihm identisches Evangelium vermuthen.
2) D a s E v a n g e l
i u m k a t a P e t r o n.
Obgleich wir nur sehr wenige Data zur Beurtheilung dieses
*) Epiph. haer. 30. §. 13. en
tw goun par' autoij euaggeliw kata Matqaion onomazomenw, oux olw de plhrestatw
alla nenoqau[?]menw kai hkrwthriaimenw k. t.
l.
**) l. c. §. 3.
***) l. c. §. 13.
****) Er citirt namentlich den Anfang des Evangeliums
zweimal §. 13 und §. 14 mit bedeutenden Abweichungen.
+) Epiph. haer. 30. §. 22. mh
epiqumia epequmhsa krean touto to pasxa fagein meq' umwn; (cf. Luc.
22, 15.).
++) l. c. §. 3.
Evangeliums haben, so reichen dieselben doch hin, zu erkennen, daß dasselbe den Evangelien kaq' Ebr. nahe verwandt gewesen seyn muß. Insbesondere gehört hierher die Behauptung des Theodoret, daß die Nazaräer dieses Evangelium gebrauchten *), die wenigstens, analog mit ähnlichen Aeußerungen der Kirchenväter beurtheilt, auf eine Verwandtschaft dieses Evangeliums mit dem der Nazaräer schließen läßt. Diese bestätigt sich dadurch, daß Origenes in seinem Commentare zu Matth. 13, 54-56 dieß Evangelium mit der Tradition der Hebräer als gleichartig zusammenstellt **). Ferner: die Stelle des Ignatius epist. ad Smyrn. 3. labete, yhlafhsete kai idete oti ouk eimi daimonion aswmaton wird vom Hieronymus ***) aus dem Evangelio der Nazaräer, von dem Origenes +) hingegen aus der didaxh Petrou abgeleitet. Das letztere Buch enthielt also evangelische Nachrichten. Dürfen wir nun daraus schließen, daß es mit dem Evangelio Petri eins gewesen sey, so wäre obige Stelle eine Probe der Uebereinstimmung dieses Evangelii mit dem der Nazaräer. Daß es von Doketen vorzüglich gebraucht sey, spricht nicht dagegen. Serapion selbst, der es in dieser Hinsicht untersuchte, sagt, daß das Meiste richtige
*) Theod. haer. fab. comp. II, 2. oi
de Nazaraioi - - tw kaloumenw kata Petron euaggeliw kexrhmenoi k.
t. l.
**) Orig. ad Matth. 13, 54-56. Existimabant igitur
illum esse Ioseph et Mariae filium. Fratres autem Iesu putabant nonnulli
esse, ex traditione Hebraeorum sumpta occasione, ex Evangelio
quod titulum habet juxta Petrum, aut ex libro Iacobi, filios
Ioseph ex priore uxore etc.
***) Hieron. catal. s. v. Ignatius.
+) Orig. de princ. I. prooem.
Lehre Jesu und nur einiges verdreht sey *). So waren nach
dem Urtheile der Orthodoxen die meisten Evangelien der Ketzer beschaffen,
ohne daß sie dadurch aufgehört hätten, einem der canonischen
Evangelien ähnlich zu seyn.
3) Die apomnhmoneumata
twn Apostolwn **) bei dem Justinus Martyr, die bei ihm auch unter
den Namen apomnhmoneumata ***), apomnhm.
autou (i. e. Xristou) ****), euaggelia
+) und euaggelion ++) vorkommen, nach seiner
Versicherung von den Aposteln und deren Nachfolgern geschrieben waren +++),
und in den Versammlungen der Christen gelesen wurden ++++). Nach den von
ihm erhaltenen Fragmenten zu urtheilen, hatten diese apomnhmon.
eine sehr vollständige Jugendgeschichte Jesu, harmonirten in einzelnen
Stellen wörtlich mit Matthäus, entfernten sich aber häufiger
von demselben durch eine kürzere und abgebrochenere Darstellung, enthielten
auch einzelne, dem Lucas eigenthümliche Abschnitte, außerdem
viele Stellen, die sich in unsern Evangelien nicht finden, aber nichts
von dem, was dem Marcus und Johannes eigenthümlich ist. Bei diesen
we=
*) Serap. ap. Euseb. VI. c. 12. ta
men pleiona ton orqou logou tou swthroj, tina de proj diestalmena.
**) Apol. II. (ed. Paris. 1636.) p. 68. Dial. c.
Tryph. p. 332.
***) Dial. c. Tr. l. c.
****) ibid. p. 333.
+) Apol. II. p. 98.
++) Dial. c. Tryph. p. 326.
+++) Dial. c. Tryph. p. 331. apomnhmoneumata,
a fhmi upo twn Apostolwn autou kai twn ekeinoij para kolouqhsantwn suntetaxqai.
++++) Apol. II. p. 98.
nigen Daten zur Bestimmung, wie dieses Evangelium beschaffen gewesen und wie es entstanden sey, war es unvermeidlich, daß darüber die verschiedensten Meinungen geäußert wurden. Die alte Meinung, daß Justin unsere 4 Evangelien gebraucht habe, ist neuerdings wieder von S ch ü tz *) und M y n st e r **) vertheidigt; indeß scheinen alle Gegengründe nicht hinlänglich beseitigt werden zu können. Denn es bleibt immer auffallend, daß Justin, der sonst g e w ö h n l i ch seinen Citationen aus fremden Schriften den Namen des Verfassers zusetzt, niemals einen Verfasser seines Evangeliums nennt. Noch weniger ist die Consequenz erklärbar, womit er mehreremal dieselben Stellen gleich abweichend von den Parallelstellen unserer canonischen Evangelien citirt ***). Der Plural euaggelia, den er an einer Stelle gebraucht +), entscheidet noch nicht für die Mehrheit seiner Evangelien. Auch andere Kirchenväter gebrauchen das Wort Evangelium von einer e i n z e l n e n Erzählung des Evangelii ++), einem apomnhmoneuma, und in
*) D. Fr. S c h ü t z,
de evangeliis, quae ante evang. canon. in usu eccl. Christ. fuisse dicuntur.
diss. pars post. pag. 1. Regiom. 1812.
**) J. P. M y n st e r (Prediger
in Copenhagen) über den Gebrauch, den Justin d. Märt. von unsern
Evangelienbüchern gemacht hat, in: Videnskabelige Forhandliger ved
Siaellands Stifts Landemode, herausgegeben von Hjort und Mönster.
Kopenh. 1r Bd. S. 126-167. (1811).
***) Matth. 3, 17. cf. Dial. c. Tryph. p. 316 und
p. 331. Matth. 7, 15 cf. Dial. c. Tr. p. 253 und Apol. II. p. 64.
+) Apol. II. p. 98. oi gar
apostoloi en toij genomenoij up' autwn apomnhmoneumasin, a( kaleitai euaggelia,
outwj paredwkan.
++) cf. Iren. III, 15. operatus est Deus plurima
evangelia ostendi per Lucam.
diesem Sinne kann Evangelia einerlei seyn mit Evangelium. Da nun Justin in jener Stelle die Plurale apomnhmoneumata und euaggelia als Synonyme zusammenstellt, sonst aber nur von Einem euaggelion redet, so ist es um so wahrscheinlicher, daß er das Wort in jenem Sinne genommen habe. Wenn Justin ferner behauptet, daß sein Evangelium von den Aposteln und ihren Schülern herrühre, so kann derselbe Mißverstand zum Grunde liegen, der die Marcioniten bewog, zu behaupten, ihr Evangelium sey von Christus selbst verfaßt, und später von Paulus vollendet *). Wegen den besondern Benennungen und den abweichenden Citaten dieses justinischen Evangelii haben daher Andere es für verschieden von unsern canonischen Evangelien gehalten. S t r o t h, S t o r r und W e b e r **) halten es für das Evangelium der He=
*) Orig.
dial. c. Marcion. I. pag. 534. Adam. Quisnam est, qui
evangelium litteris commendavit, quod unum esse praedicas? Megeth.
Christus. Adam. Quid? scripsitne ipsemet: in crucem
affixus eram etc.? Megeth. Paulus Apostolus illud addidit.
Die Namen "evangelium Christi" oder "evangelium Apostolorum," welche das
Evangelium überhaupt, insofern es ächt war, führte (cf.
Orig. praef. in ev. Ioann. 164. G. Ad haec et illud de evangelio
sciamus necesse est, evangelium inprimis esse Iesu Christi, qui
est caput totius corporis eorum qui servantur, dicente Marco: initium evangelii
Iesu Christi, deinde etiam Apostolorum), scheinen Anlaß gegeben
zu haben, daß einzelne christliche Partheien ihr Evangelium von Christo
oder von den Aposteln verfaßt glaubten.
**) F. A. S t r o t h s Fragmente des Evangel.
nach den Hebräern (in Eichhorns Repert. für bibl. und morgenl.
Liter. Th. 1. S. 1. 1777.).
G. Chr. S t o r r
über den Zweck der evangel. Geschichte und der Briefe Johannis. Tübingen,
1786. S. 363-375.
C. F. W e b e r s
Beiträge zur Geschichte des neutestam. Canons. Tübingen, 1791.
S. 105-114.
bräer, P a u l u s und G r a tz
*) für eine Evangelienharmonie, E i ch h o r n **) für
ein unvollkommenes Evangelium des Stammes, der im Matthäus erst seine
Vollkommenheit erreicht habe, S ch m i d t ***) hingegen für eine
neue Bearbeitung des Matthäus.
4) D a s d
i a t e s s a r w n d e s T a t i a n, eines
Schülers von Justinus Martyr, nach den Kirchenvätern eine Harmonie
unserer 4 Evangelien ****), der aber die Genealogien und alle die Erzählungen,
welche Jesum als Nachkommen Davids darstellten, fehlten +), und welche
von Einigen euagg. kata Ebraiouj genannt wurde
++). Ein bedeutendes Moment für die Meinung, daß es eine Harmonie
der 4 canonischen Evangelien gewesen sey, wie unter den Neueren H
u g und S ch ü tz +++) behaupten, wäre das Zeugniß
des Dionysius Bar=Salibi ++++), nach welchem Tatians Evangelium mit Joh.
1, 1. en arxh hn o logoj etc. anfing, wenn
es über allen Zweifel erhoben wäre. Auch das Zeugniß des
Eusebius, nach welchem Severus, welcher zu der von Tatian gestifteten Secte
*) H. E. G. P a u l u s Ob das Evangel.
Justins das Evangel. nach den Hebräern sey? (in den exeget. krit.
Abhandlungen. Tübingen, 1784).
Dr. G r a tz
kritische Untersuchungen über Justins apostolische Denkwürdigkeiten.
Stuttgart, 1814.
**) E i ch h o r n ' s Einleitung ins
N. T. Th. 1. S. 78-106.
***) J. E. C. S ch m i d t ' s Einleitung
ins N. T. Th. 1. S. 117-124.
****) Euseb. h. e. 4, 29.
+) Theodoret. haer. fab. comp. 1, 20.
++) Epiph. haer. 46, 1.
+++) H u g Einl. ins N. T. Th. 1. S.
45.
S ch ü tz a.
a. O.
++++) Assemanni Bibl. orient. T. I. P. III. p. 568.
der Encratiten gehörte, die Evangelien annahm *),
spricht für jene Meinung. Dessen ungeachtet halten Andere dieß
dia
tessarwn mit dem Evangelium des Justin für identisch, wie
S ch m i d t und G r a tz **), obgleich alsdann der Mangel
der Jugendgeschichte, welche Justins Evangelium hatte, schwer zu erklären
ist. E i ch h o r n ***) hält es für eine Harmonie von
4 ältern Evangelienbüchern, zu denen namentlich das Evangelium
der Hebräer gehörte.
5) D a s E v a n g e l
i u m k a t ' A i g u p t i o u j
nur aus wenigen Fragmenten, die Clemens Alexandrinus erhalten hat, bekannt.
Sein Hauptcharacter war Mysticismus, und namentlich legte es Jesu viele
geheimnißvolle, mystische Erklärungen in den Mund +), daher
es auch von den Encratiten, dem Julius Cassianus und den Sabellianern gebraucht
wurde. Schmidt ++) folgert aus dem Umstande, daß eine evangel. Stelle
im 2. Briefe des Clemens Romanus +++) vom Clemens Alexandrinus aus diesem
Evangelio citirt wird, daß der Verfasser jenes Briefes das ägypt.
Evangelium gebraucht habe; und da sich für andere evangelische Stellen
desselben Briefes Parallelstellen
*) Euseb. IV. c. 29.
**) In den oben angeführten Schriften.
***) E i ch h. Einl. ins N. T. Th. 1.
S. 110-113.
+) Epiph. haer. 42. §. 2. en
autw (tw Aiguptiw euaggeliw) gar
polla poiauta wj en parabustw musthriwdwj ek projwpou [sic] tou
swthroj anaferetai, wj autou dhlountoj toij maqhtaij, ton auton einai
patera ton auton einai uion, ton auton einai agion pneuma.
++) S ch m i d t ' s Einleit. ins N.
T. Th. 1. S. 103-185.
+++) Clem. Rom. ep. II. c. 12. cf. Clem. Alex. Strom.
III. c. 9.
im Matthäus und Lucas finden, so schließt er
daraus eine Verwandtschaft des ägyptischen Evangelii mit diesen beiden
Evangelien. Diese wird noch wahrscheinlicher, wenn man erwägt, daß
das Evangelium der Aegyptier bei seinem hohen Alter und seinem Ansehen
unter den gnostischen Partheien wohl nicht ohne Einfluß auf die Evangelien
des Cerinths, Carpocrates und Basilides geblieben seyn dürfte, daß
aber diese beständig als dem Evangelio des Matthäus nahe verwandt
geschildert werden.
6) D a s E v a n g e l
i u m d e s C e r i n t h s u n d d e s C
a r p o c r a t e s glich einem unvollständigen Matthäus
*), enthielt aber die Genealogie, welche die Abstammung Jesu vom Joseph
und von der Maria beweisen sollte. Wenn Irenäus das Evangelium des
Cerinth mit dem des Marcus identificirt **), so kann dieß nicht auffallen,
wenn man erwägt, wie geneigt die Kirchenväter überhaupt
zur Identificirung eines apocryphischen Evangeliums mit einem canonischen
waren, und wie auch wirklich Marcus nicht minder als das cerinthische Evangelium
einem abgekürzten Matthäus gleicht.
7) D a s E v a n g e l
i u m d e s B a s i l i d e s. Basilides hat nach dem
Zeugnisse des A g r i p p a C a s t o r sei=
*) Epiph. haer. 30. c. 14. O
men gar Khrinqoj kai Karpokraj tw autw xrwmenoi dhqen par' autoij Euaggeliw
etc.
Id. haer. 28. c. 5. xrwntai
tw kata Matqaion euaggeliw apo merouj kai ouxi olw etc.
**) Iren. III, 11. qui Iesum separant a Christo
et impossibilem perseverasse Christum, passum vero Iesum dicunt, id, quod
secundum Marcum est, praeferentes evangelium etc.
nes Bestreiters *) einen Commentar von 24 Büchern
zum Evangelio geschrieben; Andere **) erwähnen eines Evangeliums des
B a s i l i d e s; dieses sind alle Nachrichten, die man von diesen
Schriften hat. Das Evangelium war in den Commentar verwebt, wie sich dieses
bei allen Commentaren der Alten findet; ob es auch getrennt von demselben
vorhanden war, kann gleichgültig seyn. Fragen wir nach der Beschaffenheit
dieses Evangelii, so bieten die wenigen Fragmente desselben ***) eine so
auffallende Aehnlichkeit mit Matthäus dar, daß wir nicht anstehen
können, dasselbe für eine dem Matthäus verwandte Schrift
zu erklären. Zum Beweise diene folgende Zusammenstellung:
Um zu erweisen, daß es erlaubt
sey, den Märtyrertod zu fliehen, berief sich B a s i l i d e
s +) auf die Worte Jesu: mh balhte touj margaritaj
emprosqen twn xoirwn, mhde dote to agion toij kusi; zwei Sätze,
die bei Matth. 7, 6. nur umgestellt sind.
Um die Enthaltung von der Ehe zu vertheidigen,
berief sich B a s i l i d e s auf Worte, die mit Matth. 19,
11. 12. harmoniren ++):
*) Euseb IV, 7. (Agrippa Kastwr)
fhsin,
auton (Basileidhn)
eij
to euaggelion tessara proj toij eikosi suntacai biblia. Hieron.
de script. eccles. c. 31.
**) Orig. homil. 1. in Luc. Hieron.
prooem. in comm. super Matth. Ambros. comm. in Luc. prooem.
***) Zu diesen gehören außer denen, die
ausdrücklich als solche angeführt werden, doch auch diejenigen
evangel. Stellen, die Basilides als Stützen seiner Dogmen aufstellte.
Er wird diese am wenigsten in seinem Evangelio vergessen haben.
+) Bei Epiph. haer. 24. §. 5.
++) Clem. Alex. Strom. III, 1.
ou pantej xwrousi ton logon touton:
eisi gar eunouxoi oi men ek genethj: oi de ec anagkhj. und weiter
unten: oi de eneka thj aiwniou Basileiaj eunouxisantej
eautouj. - -
Eine Vergleichung mit Matthäus
lehrt, daß der Ideengang zwar völlig gleich ist, die Worte aber
nur zum Theil übereinstimmen, zum größern Theile abweichen.
Außerdem findet sich vielleicht
auch eine Spur von einer mit Lucas übereinstimmenden Stelle *): oi
de apo Baseleidou - - - tou baptismatoj autou thn hmeran - fasi einai to
pentekaidekaton etoj Tiberiou Kaisaroj k. t. l. (cf. Luc. 3, 1.)
-
8) D a s E v a n g e l
i u m B a r t h o l o m ä i, welches Pantänus aus
Indien (d. i. dem glücklichen Arabien, Babylonien etc.) mitbrachte,
war nach Eusebius das Evangelium Matthäi **). Wenn es wirklich von
Bartholomäus herrührte, so kann es dieses schwerlich gewesen
seyn. Dieß fühlte schon Hieronymus und drückte sich darüber
so aus, daß Bartholomäus die Erscheinung Jesu nach dem Evangelium
Matthäi gepredigt habe ***), das heißt nicht etwa nach der Anleitung
desselben, sondern übereinstimmend mit ihm. Wir müssen also entweder
annehmen, daß dieses Evang. der hebräische Matthäus ge=
*) Clem. Alex. Strom. I, 21. pag. 407. ed. Potter.
**) Euseb. h. e. 5, 10.
***) Hieron. de vir. ill. c. 36.: - - ubi (Pantaenus)
reperit, Bartholomaeum de XII. apostolis adventum domini nostri Iesu Christi
juxta
Matthaei evangelium praedicasse, quod hebraicis literis scriptum revertens
Alexandriam secum detulit.
wesen, aber erst später in jene Gegenden gekommen,
oder daß es vom Bartholomäus oder seinen Zuhörern verfaßt
und ein dem Matthäus ähnliches Evangelium gewesen sey.
9) So wie sich diese Evangelien dem
Evangelio des Matthäus am nächsten anschlossen, so näherte
sich das Evangelium des Marcion, welches aber schon von dessen Lehrer
C e r d o n *) gebraucht war, und vom Tertullian auch e v a n g e
l i u m p o n t i c u m **) genannt wird, so sehr dem Lucas, daß
es allgemein für ein vom Marcion verfälschtes Evangelium Lucä
galt ***). Die Marcioniten nannten es, da sie kein anderes Evangelium gebrauchten,
schlechthin evangelium, oder evangelium Christi +), behaupteten aber späterhin,
Christus sey der Verfasser desselben, und Paulus habe es nach dessen Tode
vollendet ++). Gleichwie Basilides sein Evangelium
*) Tert. lib. de praescriptione adv. haer. c. 51.
(Cerdon) solum evangelium Lucae nec tamen totum recipit.
**) Tert. adv. Marc. IV. c. 2.
***) Iren. 1, 29. (Marcion) id quod est secundum
Lucam evangelium circumcidens - - - - semetipsum veraciorem esse, quam
sunt hi, qui evangelium tradiderunt Apostoli, suasit discipulis suis etc.
cf. 3, 12. 14. Tertull. c. Marc. 4. c. 2 et 5. Orig. c. Cels. 2. pag. 77.
Epiph. haer. 42.
+) Tert. adv. Marc. IV, 2. Marcion evangelio
suo nullum adscribit autorem, quasi non licuerit illi titulum quoque adfingere,
cui nefas non fuit ipsum corpus evertere.
++) Orig. dial. c. Marc. I. pag. 534. s. oben
S.
16. Wäre zu Tertullians Zeit dieß schon die Meinung der
Marcioniten gewesen, so würde der strenge Kirchenvater sie schon dafür
gezüchtigt haben. Dagegen bezeugt er, daß sie ihrem Evangelium
keinen Verfasser a n d i ch t e t e n, denn in der allgemeinen Benennung
evangelium Christi fand er so wenig als die damaligen Marcioniten eine
Benennung des Verfassers. Erst späterhin geriethen
durch einen exegetischen Kommentar zu sichern suchte, so schrieb Marcion für das seinige Antitheses oder Gegeneinanderstellungen der jüdischen von dem gerechten Gotte herrührenden Vorstellungen und der christlichen, welche nach seiner Ansicht den guten Gott zum Urheber hatten *). Das Evangelium hatte keine Jugendgeschichte Jesu, sondern fing mit der Zeitbestimmung Luc. 3, 1. an, womit es aber sogleich die Erzählung Luc. 4, 31. verband, so daß es mit folgenden Worten begann: Anno quinto decimo principatus Tiberiani descendit in civitatem Galilaeae Caphernaum. **). Eben so fehlte das Ende des Evangel. Lucä ***). Vielleicht endigte sich Marcions Evangel. mit Lucä 24, 49., denn Epiphanius schließt sein Verzeichniß mit Luc. 24, 38. 39., welches aber mit dem folgenden bis V. 49. genau zusammenhängt. Nach den Fragmenten, welche Tert. adv. Marc. IV. und Epiph. haer. 42, 11. beibringen, zu urtheilen, stimmte es meistens wörtlich mit Lucas überein, hatte aber mehrere abweichende Lesarten und oft einen kürzern
die Letzteren auf diesen Mißverstand, vielleicht auch wohl durch
die Neckereien der Orthodoxen, daß sie ein anonymes Evangeliumbuch
besäßen, auf dieses expediens aufmerksam gemacht.
*) Tert. adv. Marc. IV, 1. Ut fidem instrueret,
dotem quandam commentatus est illi (evangelio suo), opus ex contrarietatum
oppositionibus Antitheses cognominatum, et ad separationem legis
et evangelii coactum, qua duos Deos dividens proinde diversos, alterum
alterius Instrumenti - - - ut exinde evangelio quoque secundum Antitheses
credendo, patrocinaretur.
**) Tert. adv. Marc. 4. c. 7.
***) Epiph. haer. 42, 11. mhte
arxhn exon, mhte mesa, mhte teloj.
mangelhaften Text. Außer einzelnen Versen fehlten
folgende Abschnitte ganz darin *): Luc. 13, 1-9. 29-35. 15,
11-32. 16, 19-31. 18, 31-34. 19, 29-46. 20, 9-18.
32[sic], 32-45.
Unter den Neuern haben sich
B o l t e n, H u g, S t o r r und S ch ü tz
**) vornämlich auf die Autorität der ältern Zeugnisse gestützt,
für die Meinung erklärt, daß dieses Evangelium ein vom
Marcion interpolirter Lucas gewesen sey. Aehnlich ist die Meinung des
R e c e n s e n t e n der Schützischen Dissertationen in der
A. L. Z. ***), daß das sogenannte Evangelium des Marcion nur in dessen
Antithesen vorhanden gewesen, und dadurch entstanden sey, daß Marcion
den größten Theil des Evangelium Lucä, eines ihm am wenigsten
verdächtigen Pauliners, partienweise, d. h. die Stellen, die auf seine
Lehrmeinungen Beziehung hatten, in sein Antithesenwerk einrückte,
um darüber seinen Zweck gemäß zu commentiren, sie entweder
nach seinen Ansichten zu deuten, oder zu zeigen, daß sie interpolirt
seyen. Dieser Ansicht steht aber die oben mitgetheilte Notiz entgegen,
daß schon Cerdon dieses Evangelium gebraucht habe. Der Meinung, daß
Marcion nach dogmatischen Rücksichten den Lucas verstümmelt habe,
ist die Beschaffenheit der Fragmente ganz zuwider; denn unter ihnen finden
sich mehrere, die
*) E i ch h. Einleit. ins N. T. Th. 1.
S. 40-78. 605-629.
**) J. A. B o l t e n Vorrede
zu der Uebersetzung des Lucas (Altona, 1796). - H u g Einleit.
ins N. T. Th. 1. S. 60. - S t o r r Zweck der evangel. Geschichte
etc. S. 254. - S c h ü t z l. c. diss. I. pag.
26-40.
***) A. L. Z. Mai 1813. St. 105. S. 5-8.
seiner Lehre ganz widersprechen. So gut wie er diese stehen ließ, und nach seinem Systeme erklärte, so gut konnte er auch den ganzen Lucas, wenn er ihn kannte, unverändert annehmen. Da zu diesen Gründen noch die Bemerkungen kommen, daß die Marcioniten selbst ihr Evangelium so wenig vom Lucas ableiteten, daß sie die Orthodoxen deshalb tadelten, weil sie die Evangelien des Marcus und Lucas gebrauchten, die doch keine Apostel gewesen wären *); daß Tertullian seine Behauptung nur als Vermuthung ausspricht **); daß Marcion, wenn er unsere canonischen Evangelien gekannt hätte, gewiß das des Johannes zu seinem Zwecke am passendsten gefunden haben würde; und daß endlich die Alten überhaupt geneigt waren, ähnliche Evangelien mit einander zu identificiren, oder Eines von dem Andern abzuleiten; so haben die meisten Neueren, und unter ihnen vorzüglich L ö f f l e r, C o r r o d i, E i ch h o r n und S ch m i d t ***) jenes Evangelium für eine dem Lucas ähnliche, aber von ihm unabhängige Schrift erklärt.
*) Dial. contr. Marc. II. Megeth. Marcum
et Lucam non habuit in discipulis Christus et propterea vel hinc reprehendi
potestis, falsa quippe effingentes. Cur enim ea non perscripserunt hi,
quorum nomina in evangelio descripta sunt, sed ii, qui non extant inter
discipulos.
**) Tert. adv. Marc. 4. c. 2. ex iis commentatoribus,
quos habemus, Lucam videtur Marcion elegisse, quem caederet.
***) I. F. E. L o e f
f l e r disp. qua Marcionem Pauli epistolas et Lucae evangelium
adulterasse dubitatur. Frcf. 1788. (in Velth. Kuin. et Ruperti comm. theol.
Vol. I. p. 180-218).
(C o r r o d i) Versuch
einer Beleuchtung der Geschichte des Bibelcanons. Halle, 1793. Th. 2.
E i ch h o r n a.
a. O.
S ch m i d t Einl.
ins N. T. Th. 1. S. 126-133.
Das Hauptresultat dieser Zusammenstellung ist also, selbst wenn sich bei Einzelnen dieser Evangelien, wie bei denen des Justins und Tatians, ihre Identität mit andern entweder canonischen oder apocryphischen sehr wahrscheinlich machen ließe, daß im zweiten Jahrhunderte mehrere andere Evangelien existirten, die mit unsern 3 ersten canonischen nahe verwandt waren, ohne daß eine historische Spur uns nöthigte, sie von diesen abzuleiten, daß hingegen bei Einzelnen entscheidende Gründe für ihre Unabhängigkeit sprechen.
[Top]
E v a n g e l i s ch e S t e l l e n i n d e n R e d e n u n d B r i e f e n d e r A p o st e l.
Dieselbe Erscheinung der Aehnlichkeit
mit unsern drei ersten canonischen Evangelien gewähren einzelne evangelische
Stellen, die in den Reden und Briefen der Apostel zerstreut sind. Es findet
sich bei der Vergleichung derselben ebenfalls ein häufiges Zusammentreffen
in den Worten, aber auch verbunden mit eben solchen Variationen des Ausdrucks,
wie wir sie in den Evangelien selbst gefunden haben.
Hierher gehören zuerst
a u s d r ü ck l i ch e C i t a t i o n e n des Evangelii,
dergleichen von P e t r u s nur kürzere erhalten sind:
|
|
erxetai met' eme ou( ouk eimi acioj to upodhma twn podwn lusai. |
erxetai o isxuroteroj mou opisw mou ou( ouk eimi ikanoj kuyaj lusai ton imanta twn upodhmatwn autou. |
eij on egw eudokhsa. |
en w| eudokhsa autou akouete. |
Von Paulus ist zuerst das agrafon
erhalten: (Act. 20, 35.) Makarion esti mallon didonai
h lambanein. - Besonders auffallend ist aber die Uebereinstimmung
der Erzählung von dem Abendmahle Jesu 1 Cor. 11, 23-26. mit der des
Lucas 22, 19. 20.
24. kai euxaristhsaj eklase kai eipe: touto mou esti to swma to uper umwn klwmenon touto poieite eij thn emhn anamnhsin: 25. Wsautwj kai to pothrion meta to deipnhsai legwn: |
euxaristhsaj eklase kai edwken autoij legwn: touto esti to swma mou to uper umwn didomenon touto poieite eij thn emhn anamnhsin 20. Wsautwj kai to pothrion meta to deipnhsai legwn: |
touto to pothrion h kainh diaqhkh
esti en tw emw aimati
(touto poieite osakij an pinhte eij thn emhn anamnhsin). |
touto to pothrion h kainh diaqhkh
en tw aimati mou
(to uper umwn ekxunomenon). |
Außerdem kommen in den Briefen
aller Apostel Stellen vor, die zwar nicht ausdrücklich Citate des
Evangeliums, aber dennoch mit Stellen unserer 3 ersten Evangelisten so
ähnlich sind, daß man sie für evangelische Reminiscenzen
halten muß. Außer denen, die man noch jetzt in unsern Evangelien
nachweisen kann, und von denen die folgenden Proben seyn mögen, sind
unstreitig wohl noch andere darin verborgen, die man zu erkennen keine
sichern Mittel mehr hat, weil sie in den Evangelien fehlen *).
1 Tim. 5, 18. und Luc. 10, 7. wörtlich
übereinstimmend: acioj o ergathj tou misqou autou
(Matth. 10, 10. hat thj trofhj autou).
|
|
|
|
*) Versuche, solche Stellen aufzufinden, s. in: H. H. C l u d i u s Uransichten des Christenthums. Altona, 1808. Von dem Evang. Pauli, S. 142-145. Jacobi, S. 252. Von Beziehungen der Apocalypse auf das Evang. S. 318.
mh omnuete
mhte thn ghn (mhte allon tina orkon.)
|
mh omosai olwj mhte en tw ouranw - - - - - mhte en th gh - - - - - (mhte eij Ierosoluma mhte en th kefalh etc.) estw de o logoj umwn nai, nai ou, ou to de perisson toutwn ek tou ponhrou estin. |
Hierher gehört auch B a
r n a b a s, der schon in den frühesten Zeiten Mitglied der
Gemeinde von Jerusalem war *), und später mit dem Paulus als Heidenapostel
von den Jüngern Jesu anerkannt wurde **). In dem noch von ihm vorhandenen
Briefe sind nur kürzere Anspielungen auf Stellen unserer Evangelien
enthalten, welche aber auch beweisen, daß das Evangelium des Barnabas,
mag es ein schriftliches oder ein mündliches gewesen seyn, mit unsern
canonischen Evangelien auch im Ausdrucke sehr verwandt war.
In dem nur noch lateinisch vorhandenen
Anfange des Briefs wird der Ausspruch Matth. 22, 14. citirt:
*) Act. 4, 36.
**) Gal. 2, 9. cf. Act. 14, 14.
attendamus ergo, ne forte sicut scriptum est, multi vocati,
pauci electi inveniamur.
kalesai dikaiouj alla amartwlouj eij metanoian. |
kalesai dikaiouj all' amartwlouj eij metanoian. |
Die Zusammenstellung aphoristischer,
moralischer Vorschriften am Ende des Briefes ist ganz in der Manier, die
wir in der Bergpredigt, in den Worten Jesu an den reichen Jüngling
(Matth. 19, 17-19.) und in andern Stellen der Evangelien finden; und obgleich
Barnabas seinen eignen Gang nimmt, so drückt er doch einzelne Vorschriften
ganz so aus, wie wir sie in den Evangelien finden. Z. B.
|
|
|
|
Außerdem kommt im 11. Capitel eine mit Matth. 22, 41-46., und im 6. Capitel eine mit Matth. 16, 24. verwandte Stelle vor.
[Top]
G e d r ä n g t e U e b e r s i ch t d e r b i s h e r i g e n V e r s u ch e, d i e E n t st e h u n g d e r E v a n g e l i e n z u e r k l ä r e n.
Nach diesen hier kurz zusammengefaßten Notizen finden sich im christlichen Alterthume theils viele Evange=
lien, die sich entweder aus dem apostolischen Zeitalter
herschreiben, oder nahe daran gränzen, theils viele einzelne evangelische
Stellen in den Schriften der Apostel, so in Hinsicht auf Gedanken, Ideengang
und Ausdruck verwandt, daß sie nothwendig aus Einer Quelle, die schon
in dem apostol. Zeitalter zu suchen ist, geflossen seyn müssen; neben
dieser Aehnlichkeit aber auch wieder in jenen Rücksichten so von einander
abweichend, daß dadurch die Ausmittlung jener gemeinschaftlichen
Quelle und der Art, wie sie jeder benutzte, sehr erschwert wird.
So lange in der Kirche die strenge
Inspirationstheorie herrschte, nach welcher die heiligen Schriftsteller
nur Instrumente des heiligen Geistes waren, so lange konnte jene Uebereinstimmung
der Evangelien nicht auffallen. Man fand es natürlich, daß der
heilige Geist für dieselbe Sache nur denselben (besten) Ausdruck gebraucht
habe, und fand in dieser Uebereinstimmung daher einen Beweis für den
göttlichen Ursprung der Evangelien *). Desto mehr Mühe wandte
man bei dieser Ansicht auf die disharmonirenden Stellen, und alle Kir=
*) Epiph. adv. haer. 51 c. 6.
ina - - ta men sumfwnwj kai iswj khrucwsin, ina deixqwsin oti e c
a u t h j t h j p h g h j wrmhntai. cf. c. 4.
oti
ekastw Euaggelisth memelethtai, sumfwnwj men toij eteroij lalhsai ta up'
ekeinwn eirhmena - - o u g a r h n a u t w n
t o q e l h m a a l l a e k p n e u m a t o j
agiou h didaskalia k. t. l.
Chrysostom. Homil. I. in Matth. Nam cum videris
quatuor, qui non in unum locum convenerunt simul, aliis et aliis in locis
vitam egisse, et de iiisdem rebus quasi ex uno ore scripsisse, non admiraberis
evangelii veritatem, sed fateberis, quod ex spiritu Sancto locuti fuerint.
chenväter liefern daher Versuche, solche mit einander
zu vereinigen.
Nachdem die Socinianer und Arminianer
zuerst diese strenge Theorie verlassen, und die Inspiration auf eine, zwar
Irrthümer verhindernde, aber die individuelle Darstellungsweise des
Schriftstellers nicht beschränkende Wirksamkeit des heiligen Geistes
zurückgeführt hatten; mußten ihre Gelehrten, wie darin
die Arminianer G r o t i u s, J o h. C l e r i c u s
und W e t t st e i n vorangingen, auch die Harmonie der Evangelien
auf eine natürliche Weise zu erklären suchen, worin ihnen in
der Folge, so wie allmählig in den übrigen protestantischen Partheien
die Inspirationstheorie gemäßigter wurde, auch andere Gelehrte
folgten. Von den zwei Wegen, die es zur Erklärung dieses Verhältnisses
der Evangelien überhaupt nur geben kann:
D e m E i n e n, daß
sie sich unter einander,
D e m A n d e r n, daß
sie gleiche Quellen genutzt haben,
fand anfangs der Erste die meisten Anhänger, erst
in neuern Zeiten erhielt die zweite Annahme, obgleich unter den verschiedensten
Modificationen einen allgemeinern Beifall.
I. Diejenigen, welche eine Benutzung
der Evangelisten unter sich annehmen, weichen wieder in Ansehung der Anordnung
derselben sehr von einander ab. Sie stellen alle Einen der drei canonischen
Evangelisten an die Spitze, und lassen diesen von den beiden Andern unabhängig
genutzt werden, oder lassen jenen Ersten von den Zweiten und Beide von
dem Dritten gebrauchen. Die
wichtigsten dieser Annahmen, nach den Evangelisten, die
an die Spitze gestellt werden, geordnet, sind folgende:
1. M a t t h ä u s,
G r o t i u s, M i l l, W e t st e i n, T o w n s o n
und H u g *) lassen den Marcus zuerst aus ihm, den Lucas aber aus
Matthäus und Marcus schöpfen.
Nach O w e n, G r i e
s b a ch und A m m o n **) schöpfte dagegen zuerst Lucas
aus Matthäus, Marcus aus beiden.
2. M a r c u s, S t o
r r ***) läßt aus ihm den Matthäus und Lucas schöpfen.
3. L u c a s. Nach
B ü s ch i n g +) schöpfte Matthäus aus ihm, und Marcus
aus Matthäus und Lucas. Nach V o g e l ++) gebrauchte ihn Marcus
zuerst, Matthäus benutzte nachher den Marcus und Lucas.
*) G r o t i u s ad Matth. 1, 1. ad
Luc. 1, 1.
M i l l i i
proleg. in N. T. §. 109. 116.
W e t s t e i n
in praef. ad Marc. et Lucam.
T h. T o w n s o n
Abhandlungen über die 4 Evangelien, übersetzt v. J. T. Semler.
Leipzig, 1783.
J. L. H u g
Einleit. in das N. T. Th. 2 S. 4. ff.
**) Owen's Observations of the four Gospels.
Lond. 1764. p. 32.
G r i e s b a c h
comm. qua Marci evangelium totum e Matthaei et Lucae commentariis decerptum
esse monstratur. Ienae, 1789. 1790. (wieder abgedruckt in comm. theol.
ed. Velthusen, Kuinoel et Ruperti. Vol. 1.).
A m m o n diss.
de Luca emendatore Matthaei. Erl. 1805.
***) S t o r r über den Zweck der evangel.
Geschichte etc. S. 274. und comm. de fontibus evangeliorum Matthaei et
Lucae. Tüb. 1794. (in Velthus. etc. Comment. Vol. III. p. 140.).
+) A. F. B ü s ch i n g ' s Harmonie
der Evangelien. Hamburg, 1766. S. 99. 108. 118. ff.
++) V o g e l über die Entstehung der
drei ersten Evangelien (in Gablers Journ. für auserl. theol. Literatur.
Bd. 1. St. 1. 1804.).
Unter allen diesen Hypothesen stützt sich keine auf ein historisches Datum, sondern alle auf Argumentationen, die aus dem Verhältnisse der Evangelien zu einander entlehnt sind. Zwar pflegen die Vertheidiger von Nr. 1 sich auf den Augustin zu berufen; aber abgesehen davon, daß Augustins Meinung hier von gar keinem Gewichte seyn kann, so scheint die angeführte Stelle in der That das gar nicht zu behaupten, was sie nach jener Meinung behaupten soll, daß nämlich Marcus wirklich der Epitomator des Matthäus gewesen sey. Wenige kirchliche Schriftsteller drücken sich über die Inspiration der heiligen Bücher so stark aus als gerade Augustin. In demselben Buche, aus welchem jene Stelle genommen ist, hält er es für einerlei, ob Christus selbst oder die Apostel etwas geschrieben haben: "denn was jener von seinen Thaten oder Aussprüchen uns bekannt machen wollte, das ließ er durch diese gleichwie durch seine Hände schreiben **)." Kurz vor jener Stelle sagt er: "So wie es jedem eingegeben wurde, so fügte er den nicht überflüssigen Beitrag seiner Arbeit hinzu ***)." Bei dieser strengen Inspirationstheorie konnte Augustin an ein eigentliches Epitomiren des Marcus nicht denken, und wenn man die Stelle genau und insbesondere das
*) A u g u s t i n de consens. evang.
1. c. 4.: Marcus Matthaeum subsecutus tanquam pedissequus et breviator
ejus videtur.
**) l. c. c. 35. quidquid enim ille de suis factis
vel dictis nos legere voluit, hoc scribendum illis tanquam manibus suis
imperavit.
***) l. c. c. 2. sicuti unicuique inspiratum est,
non superfluam cooperationem sui laboris adjunxit.
"tanquam" in ihr genau erwägt, so giebt sie auch
zu dieser Annahme keine Veranlassung. Sie sagt nur: Marcus scheint gleichsam
des Matthäus Fußstapfen zu folgen und ihn abzukürzen, d.
h. das Verhältniß beider Evangelien zu einander ist in Hinsicht
auf den Reichthum des Inhalts dem ähnlich, das zwischen einem Epitomator
und dem Originale statt findet. Wäre Augustin weiter nach dem Grunde
dieser Erscheinung gefragt, so würde er diesen gewiß nicht in
einem wirklichen Epitomiren, sondern in der Oeconomie des heiligen Geistes
gefunden haben.
Außer der Ermangelung alles
historischen Grundes kann allen diesen Hypothesen noch folgendes entgegengesetzt
werden:
1. Man sieht nicht, was den späteren
Evangelisten überhaupt bewog, wenn er die Arbeit eines tüchtigen
Vorgängers kannte, statt diese (fand er es nöthig, allenfalls
mit Supplementen versehen) zu verbreiten, sie nach einer, wenigstens in
Rücksicht des Inhalts unbedeutenden Ueberarbeitung unter seinem Namen
heraus zu geben.
2. Wie man auch die Evangelisten ordnen
möge, immer bleibt doch in den Früheren vieles, was die Späteren
übergangen haben. Für unrichtig können sie es doch nicht
gehalten haben; schwerlich möchte sich aber gerade von diesen Stellen
zeigen lassen, daß diese nicht für alle Kreise von Lesern paßten.
Die Auslassung dieser Stellen bleibt also unbegreiflich.
3. Die Bearbeitung selbst, die man
annehmen muß, wie sehr weicht sie von dem Geiste einer oligographischen
Zeit ab! Hier giebt der spätere Evangelist ganzen Erzäh=
lungen und einzelnen Sentenzen eine ganz andere Stelle,
er muß also seines Vorgängers Schrift bald hierhin bald dorthin
umgeblättert haben, um - jene Stellen abschreiben zu können!
Hier schreibt er anfangs wörtlich ab, dann wechselt er spielend die
Gedanken oder Wortfolge, nun läßt er Gedanken aus, endlich vertauscht
er ohne alle Veränderung des Gedankens Ausdrücke mit Synonymen!
Und bei aller dieser Ziererei tragen dennoch diese Schriften das Gepräge
der Einfachheit und Anspruchslosigkeit so deutlich an sich, daß selbst
ihre Feinde dieß an ihnen erkennen.
4. Vorzüglich aber widerstrebt
diesen Hypothesen die Bemerkung, daß man, mag auch die Ordnung der
Evangelien festgesetzt werden, wie sie will, immer gezwungen bleibt, zuzugeben,
daß der spätere Evangelist in vielen Fällen nicht nur die
deutlichere Darstellung seines Vorgängers mit einer mangelhaftern,
ungenauern vertausche, sondern daß er auch nicht selten seiner Quelle,
wo nicht wirklich, doch scheinbar widerspreche *), und oft auf eine solche
Art, daß man annehmen muß, er habe seiner Quelle wirklich widersprechen
w o l l e n, weil Ungenauigkeiten bei der Benutzung nicht alles erklärt.
II. Der zweite Hauptweg zur genetischen
Erklärung des Verhältnisses der Evangelien geht von der Annahme
gemeinschaftlicher außer jenem Kreise liegenden Quellen
*) E i ch h o r n ' s Einleit. Th. 1. S. 155-162.,
an einzelnen Beispielen erwiesen S. 196. 203. 217. 226. u. s. w.
B e r t h o l d t ' s Einleit. in die Schriften
des A. und N. T. 3r Th. S. 1127-1173.
aus. Da diese entweder schriftliche oder mündliche
Quellen seyn können, so theilt er sich von selbst in zwei Aeste.
Am häufigsten ist die Hypothese
von gemeinschaftlichen s ch r i f t l i ch e n Quellen vorgetragen,
welche aber wieder auf die verschiedenste Art bestimmt wurden.
1. C l e r i c u s *), der überhaupt
zuerst diese Erklärungsart andeutete, (denn Epiphanius **) wird von
Bertholdt hier mit Unrecht genannt, da derselbe den heiligen Geist als
gemeinschaftliche Quelle der Evangelien denkt), M i ch a e l i s,
B r i e st l e y, K o p p e und H a l f e l d ***) fanden
dieselben zum Theil durch Luc. 1, 1. geleitet, theils in m e h r
e r e n älteren Evangelien, theils in Schriften über einzelne
Theile der Merkwürdigkeiten des Lebens Jesu, welche von den Evangelisten
gemein=
*) C l e r i c i hist. eccl. Amstelod.
1716. pag. 429.: Quod volunt ex collatione evangelii Lucae cum Matthaei
et Marci evangeliis liquere, Lucam ab illis loca integra verbaque et loquendi
genera mutuatum esse, id vero minime perspicuum est; quidni enim credamus,
tria haec evangelia partim petita esse ex similibus aut iisdem fontibus,
hoc est, e commentariis eorum, qui varios Christi sermones audiverant:
aut actorum ejus testus fuerant, eaque ne oblivioni traderentur, illico
scriptis mandarant?
**) B e r t h o l d t ' s Einl. Th.
3. S. 1174. 1206. Die Stelle des Epiphanius (haer. I. c. 6.) ist oben
v o l l st ä n d i g mitgetheilt.
***) J. D. M i ch a e l i s Einleitung
ins N. T. 4e Ausgabe. Th. 2. §. 129.
B r i e s t l e y
observations on the Harmony of the Evangelists. 1777. p. 73.
I. B. K o p p e
progr. Marcus non epitomator Matthaei. Gotting. 1782. (in syll. comm. theol.
ed. a Pott et Ruperti. Vol. I. p. 55.).
H. G. H a l f e
l d de origine quatuor evangeliorum. Gottingae, 1794.
schaftlich gebraucht seyen. - Allerdings läßt
sich durch diese Hypothese vieles erklären, weil man einem jeden Evangelisten
bei jedem Abschnitte, je nachdem es sein Verhältniß zu den Uebrigen
erfordert, nach Belieben gemeinschaftliche oder abweichende, reichere oder
ärmere Quellen zutheilen kann; indeß ist diese Hypothese durch
eine solche genauere Anpassung an die verschiedenen Abschnitte der Evangelien
noch nicht vertheidigt. Unaufgelöst bleibt aber durch dieselbe die
Uebereinstimmung, namentlich des Marcus und Lucas in der Zusammenstellung
der Erzählungen, da doch beide ihre Evangelien aus unzusammenhängenden
kleineren Schriften zusammengesetzt haben sollen.
Ein gemischtes Product aus dieser
und den Hypothesen der ersten Art ist die Meinung, welche P a u l u s *)
aufgestellt hat, nach welcher die Evangelien des Matthäus und Lucas
aus einer Reihe Apomnemoneumaten oder früheren Aufzeichnungen über
einen oder über ein Paar Tage des Lebens Jesu, welche wahrscheinlich
von sogenannten Evangelisten herrührten, zusammengesetzt sind, das
Evangelium Marci aber mit den Character einer ergänzenden Abkürzung
aus jenen beiden geschöpft ist.
2. Allgemeiner ist in den neuern Zeiten
die Annahme E i n e s s y r o ch a l d ä i s ch e n
E v a n g e l i i als gemeinschaftlicher Urschrift unserer drei ersten
Evangelien
*) H. E. G. P a u l u s Anzeige von Gray's neuem Versuche, die Entstehung der 3 ersten Evangelien zu erklären, in den Heidelb. Jahrb. 1812. Nr. 17. 18.
geworden, welche von S e m l e r *) zuerst angedeutet,
von Andern verschieden angewandt und bearbeitet wurde.
a) L e s s i n g **) fand dieses
Urevangelium zuerst in dem E v a n g e l i u m d e r
H e b r ä e r; N i e m e y e r, W e b e r, T h i
e ß und V e n t u r i n i ***) folgten ihm darin, nahmen
aber mehrere frühere Nachträge und Ueberarbeitungen desselben
an.
b) Andere zogen dagegen, vorzüglich
auf die berühmte Stelle des P a p i a s *) gestützt, aus
der indeß, da sie aus ihrem Zusammenhange gerissen ist, schwerlich
etwas mit Gewißheit gefolgert werden kann, die Annahme vor, daß
ein s y r o ch a l d ä i s ch e r M a t t h ä u s
die Quelle unserer Evangelien gewesen sey. Nach C o r r o d i ++)
wurde dieser syrochaldäische Matthäus schon früh
*) J. S. S e m l e r in den Anmerkungen
zu Townson's Abhandlungen über die 4 Evangelien. 1r Bd. S. 146. 147.
221. 290.
**) G. E. L e s s i n g s theol. Nachlaß.
1784. S. 45-72.
***) A. H. N i e m e y e r conjecturae
ad illustrandum plurimorum N. T. scriptorum silentium de primordiis vitae
Iesu Christi. Halae, 1790.
C. F. W e b e r ' s Beiträge zur
Geschichte des Neutestamentlichen Canons. Tübingen, 1791. S. 21. ff.
D e s s e n neue Untersuchung über das
Alter und das Ansehen des Evang. d. Hebr. Tübingen, 1806.
J. O. T h i e ß neuer crit. Commentar
über das N. T. Bd. 1. Einleit. (Halle, 1804.).
V e n t u r i n i Geschichte des Urchristenthums
in seiner natürlichen Gestalt. Th. 2. S. 8.
+) P a p i a s ap. Euseb. 3,
39.: Matqaioj men oun Ebraidi dialektw ta logia sunetacato,
hrmhneuse d'auta wj hn dunatoj ekastoj.
++) C o r r o d i Versuch einer Beleuchtung
der Geschichte des jüdischen und christlichen Bibelcanons. Bd. 2.
S. 149-152.
ins Griechische übersetzt, und aus dieser griechischen Version (den apomnhmon. des Justinus Martyr) schöpften unsere Evangelisten. Nach F e i l m a s e r *) wurde eine solche frühe griechische Uebersetzung des aramäischen Matthäus in verschieden überarbeiteten Recensionen nur vom Marcus und Lucas gebraucht. Matthäus hingegen veranstaltete von seinem Evangelio eine neue vermehrte syrochaldäische Recension, aus der von einem Späteren (vielleicht von dem Johannes) mit Benutzung der alten griechischen Uebersetzung unser canonischer Matthäus übersetzt wurde. S ch m i d t **) nimmt im Allgemeinen nur an, daß die drei ersten Evangelien unabhängige Uebersetzungen des aramäischen Matthäus (wahrscheinlich in verschiedenen Recensionen) sind, und macht darauf aufmerksam, daß manche Uebereinstimmungen erst durch spätere Veränderungen hervorgebracht seyn mögen. B o l t e n und S e i l e r vereinigen die Annahme eines aramäischen Matthäus als gemeinschaftlicher Quelle mit der Behauptung, daß die frühern Evangelisten von den Spätern genutzt seyen. Nach B o l t e n ***) wurde aus dem aramäischen Original des Matthäus zuerst unser canonischer Matthäus übersetzt, Marcus benutzte zu seinem Auszuge beide Schriften, Lucas hatte sowohl den aramäischen und griechischen Matthäus, als den Marcus
*) A. B. F e i l m a s e r s Einleitung
in die Bücher des neuen Bundes. S. 52. ff. (Insbruck, 1810.).
**) S ch m i d t ' s Einleit. in das
N. T. Th. 1. S. 68.
***) J. A. B o l t e n der Bericht des
Matthäus von Jesu dem Messia. Altona, 1792. - des Marcus 1795. - des
Lucas 1796.
vor sich. Nach S e i l e r *) hingegen wurde ein
kurzes aramäisches Evangelium Matthäi zuerst vom Marcus mit einigen
Erweiterungen in das Griechische übersetzt. Nachher überarbeitete
Matthäus sein syrochald. Evangelium und vermehrte es; eine unbekannte
Person übersetzte aus dieser zweiten Ausgabe mit Zuziehung des Evang.
Marci unsern canon. Matthäus. Lucas benutzte darauf sowohl das Evangelium
Matthäi als Marci.
Da die Hypothesen von a und b in Hinsicht
ihres Werthes in Erklärung des Problems ganz zusammenfallen - denn
man darf sich den ganzen syrochaldäischen Matthäus wie die meisten
Theile des Evangeliums der Hebräer unter Gestalten denken, wie man
sie gebraucht -; so werden sie auch von gleichen Schwierigkeiten gedrückt.
Nimmt man an, daß die Evangelisten unmittelbar aus der syrochaldäischen
Quelle schöpften, so bleiben ihre wörtlich übereinstimmenden
Stellen unerklärt. Stellt man eine ältere griechische Uebersetzung,
um dieß zu vermitteln, dazwischen, so muß man wieder zu wenig
Uebereinstimmung des Ausdrucks finden. Besonders schwierig bleibt es anzugeben,
wie die Stellen, in denen sich bei unsern Evangelisten wahre oder scheinbare
Widersprüche finden, in der Quelle gestaltet gewesen seyn mögen.
Es giebt nämlich unter diesen Mehrere, welche in Hinsicht des Ausdrucks
so ähnlich sind, daß man nach jener Hypothese sie aus der gemeinschaftlichen
Quelle nothwendig ableiten muß. Nur in einigen Bestimmungen - und
*) S e i l e r dissertat. II. de tempore et ordine, quibus tria evangelia priora canonica scripta sunt. Erlang. 1805. 1806.
diese sind zu wesentlich, als daß sie etwa in der
Quelle ganz weggedacht werden könnten - weichen sie von einander ab
*). Die Quelle muß also nur von Einem Evangelisten treu benutzt seyn,
der Andere, oder wenn man zwischen ihm und der Quelle Recensionen annimmt,
muß eine dieser Recensionen geändert und sich dennoch in Hinsicht
des Ausdrucks strenger, als an andern Orten, wo doch Uebereinstimmung der
Sachen sich findet, der Quelle angeschlossen haben. Eine sonderbare Art
der Ueberarbeitung!
c) Die neueste Hypothese dieser Art
ist die Annahme eines k u r z e n, j e tz t g a n z
u n b e k a n n t e n s y r o ch a l d ä i s ch e n U
r e v a n g e l i i, welche von E i ch h o r n zuerst
vorgeschlagen wurde **). Im Ganzen ist diese Hypothese dieselbe mit der,
durch welche derselbe Gelehrte das Verhältniß der Chronik zu
den BB. Samuel und der Könige zu erklären sucht. So wie hier
für die Abschnitte von Davids Regierung eine alte kurze Lebensbeschreibung
Davids, die aber schon vorher manche verändernde und bereichernde
Ueberarbeitungen erlitten habe, als gemeinschaftliche Quelle angenommen
wird ***);
*) So ist eine auffallende Gleichheit des Ausdrucks
zwischen Matth. 21, 1-9., und Marc. 11, 1-9., und dennoch hat jener onon
kai pwlon met' authj, dieser nur pwlon.
- Eben so hat bei übrigens großer Uebereinstimmung in den Worten
Marc. 10, 46. ekporeuomenou autou apo Ierixw.
Luc. 18, 35. en tw eggizein auton eij Iericw.
cf. Matth. 8, 28. sq. Marc. 5, 1. sq. Luc. 8, 26. sq.
**) J. G. E i ch h o r n über den
Ursprung der 3 ersten Evangelien in dessen Bibl. der bibl. Liter. Bd. 5.
S. 761. (1794.).
***) E i ch h. Einleit. ins A. T. Th.
2. S. 512. Auch zur Würdigung der spätern Hypothese enthält
die Critik den [sic] frühern
so wie ferner die Harmonie des 1. Buchs der Könige
mit 2. Chron. in dem Leben Salomos durch die gemeinschaftliche Benutzung
einer kurzen Lebensbeschreibung Salomos, die mit jener des David verbunden
gewesen sey, erklärt wird *), so nimmt der Herr Hofrath als Grundlage
der Evangelien ebenfalls eine kurze Lebensbeschreibung Jesu in syrochaldäischer
Sprache an, die etwa um die Zeit des Märtyrertodes Stephani verfaßt,
nachher vielfältig überarbeitet und in verschiedenen syrochaldäischen
Recensionen von den Evangelisten übersetzt sey. M a t t h ä
u s legte die Recension A zum Grunde, stellte ihre erste Hälfte
in eine andere Ordnung, und schaltete aus andern Quellen, wozu namentlich
eine aramäische Schrift D gehörte, vieles ein. L u c a
s legte eine andere Recension B zum Grunde, schaltete eine andere
ältere Schrift c. 9-18. ein, und nahm aus jener Schrift D die Abschnitte,
die er blos mit Matthäus gemein hat. M a r c u s übersetzte
die Recension C, in welcher die Zusätze von A und B vereinigt waren,
ins Griechische, und that selbst nur wenig Eigenes hinzu. So sind also
die gemeinschaftlichen Abschnitte aller Evangelisten schon in dem Urevangelio
enthalten gewesen, die des Matthäus und Marcus eigenthümliche
Bereicherungen der Recension A, die des Marcus und Lucas eigenthümliche
Bereicherungen der Recension B, die des Lucas und Matthäus endlich
der Recension D eigen gewesen.
Da dieser älteren Hypothese Eichhorns
vorgeworfen
in d e W e t t e ' s Beiträgen zur Einleitung
in das A. T. Bd. 1. S. 14. ff. mehrere Winke.
*) a. a. O. S. 548.
wurde *, daß sie das häufige Zusammentreffen
der Evangelisten, daß sich oft auf die kleinsten Zufälligkeiten
des Ausdrucks erstreckt, unerklärt lasse, weil man von unabhängigen
Uebersetzern derselben Schrift dieß ohne Wunder nicht erwarten dürfe,
so begegnete der Verfasser bei der zweiten Aufstellung **) diesem Einwurfe
dadurch, daß er aus jenen syrochaldäischen Recensionen des Urevangeliums
auf die eben beschriebene Weise die drei Evangelisten nur aramäische
Texte zusammenschreiben ließ, welche dann mit Hülfe älterer
griechischer Uebersetzungen der Recensionen A und D ins Griechische übersetzt
wurden.
Der Uebersetzer des Matthäus
gebrauchte beide griechische Versionen von A und D.
Bei der Uebersetzung des Marcus wurde
die griechische Version von A, soweit sie auf den Codex C paßte,
benutzt - daher die Uebereinstimmung des Matthäus und Marcus in den
gemeinschaftlichen Abschnitten.
Bei der Uebersetzung des Lucas wurde
die Uebersetzung von D genutzt, daher seine Uebereinstimmung mit Matthäus
in den Abschnitten, welche er mit diesem allein hat. Von der Recension
B (der gemeinschaftlichen Quelle des Lucas, und insofern sie auch in C
enthalten war, des Marcus) hingegen war keine griechische Uebersetzung
vorhanden, Marcus und Lucas übersetzten also diese Abschnitte unabhängig
- daher ihre Abweichungen im Ausdrucke neben der Aehnlichkeit der Ideenfolge.
*) S. bes. H u g Einleitung in die Bücher
des N. T. Erstes Heft. Basel, 1797. S. 60-68.
**) J. G. E i ch h o r n ' s Einleitung
ins N. T. 1r Bd. Leipzig, 1804.
Die so entstandenen Evangelien erlitten aber - so fährt diese Hypothese fort -, wie früher, das Urevangelium, auch nachher noch Veränderungen, obgleich diese nicht so bedeutend waren und nur in einzelnen Glossemen und Wortvertauschungen bestanden. In der ersten und zweiten Generation wurden diese aus der Tradition, in der dritten und vierten aus apocryphischen Evangelien genommen. Weit bedeutender aber wurden seit dem Ende des 2. Jahrhunderts die Abänderungen der Evangelien nach Parallelstellen, indem man theils jeden Evangelisten mit sich selbst in analogen Stellen, theils seine Citate aus dem A. T. mit den LXX, theils die parallelen Abschnitte der Evangelisten mit einander verglich und zu conformiren suchte.
Wenn wir von der historischen Wahrscheinlichkeit dieser Hypothese absehen, so kann nicht geläugnet werden, daß sie die meisten Schwierigkeiten des Verhältnisses der Evangelien zu einander erklärt, und daß ihre etwanigen Mängel in dieser Rücksicht leicht verbessert werden können. Zu diesen gehört es namentlich, daß durch sie die wörtlichen Uebereinstimmungen des Marcus und Lucas nicht erklärt werden können, weil diese als unabhängige Uebersetzer eines aramäischen Textes ihrer gemeinschaftlichen Abschnitte gedacht werden. Der Herr Verf. stellt zwar die Stellen Marc. 1, 24. 24. und Luc. 4, 34. 35. als die e i n z i g e n Beispiele wörtlicher Uebereinstimmung zwischen Marcus und Lucas auf *), es sind ihm aber
*) E i ch h. Einleit. ins N. T. Th. 1. S. 339.
davon noch mehrere nachgewiesen *), die, wenn sie auch
nicht d u r ch g ä n g i g in a l l e n Worten
übereinstimmend sind, doch in minder wichtigen Ausdrücken so
häufig zusammentreffen, daß sie einen gemeinschaftlichen griechischen
Text vorauszusetzen scheinen **).
Der Hypothese von einem aramäischen
Urevangelio traten bald sehr viele Gelehrte bei, namentlich trugen sie
vor, mehr oder weniger ins Detail eingehend: R u ß w u r m,
Z i e g l e r, H ä n l e i n, K u i n o e l und
B e r t h o l d t ***). Andere aber, namentlich H e r d e r,
M a r s ch [sic] und G r a tz, vereinigten sie mit der
Annahme, daß die späteren Evangelisten auch ihre Vorgänger
gebraucht hätten. Nach H e r d e r +) wurde das aramäische
Urevan=
*) Recension dieses Buchs in d. A. L. Z. 1805. Nr.
127-132. (S. 379.).
**) Luc. 6, 9. cf. Marc. 3, 4.
Luc. 8, 18. cf. Marc. 4,
35.
Luc. 8, 28. 33. 35. cf.
Marc. 5, 7. 13. 15.
Luc. 8, 49. 50. cf. Marc.
5, 35. 36.
Luc. 9, 26. cf. Marc. 8,
38.
Luc. 9, 45. cf. Marc. 9,
32.
Luc. 9, 48-50. cf. Marc.
9, 37-40.
Luc. 18, 18-24. cf. Marc.
10, 19-23.
Luc. 20, 46. 47. cf. Marc.
12, 38-40.
Luc. 21, 2. 4. cf. Marc.
12, 42. 44.
***) R u ß w u r m Untersuchung
über den Ursprung der Evangelien etc. Th. 1. Ratzeburg, 1797.
Z i e g l e r Ideen
über den Ursprung der 3 ersten Evangel. (in Gablers neuestem theol.
Journ. Bd. 4. S. 417.).
H ä n l e i n
Handbuch der Einleit. in das N. T. Th. 3. S. 30.
K u i n o e l
comm. in libr. N. T. histor. T. I. pag. 4.
B e r t h o l d t
Einleitung in die Schriften des A. u. N. T. Th. 3. S. 1205-1254.
+) H e r d e r vom Erlöser der
Menschen nach unsern 3 ersten Evangelien. 1796. (Werke. Th. 11.). - Bes.
aber in: Regel der
gelium des Matthäus zu einem vollständigern
aramäischen Evangelium ausgearbeitet, vom Marcus aber griechisch übersetzt.
Lucas nahm das Urevangelium ebenfalls zur Grundlage, benutzte aber dabei
auch das Evangelium der Hebräer. Der spätere griechische Uebersetzer
des Matthäus hat sowohl den Marcus als Lucas zu Hülfe genommen.
Verwickelter ist die Hypothese, welche
M a r s h *) ausstellt: von dem aramäischen Urevangelium wurde, ehe
es noch Zusätze erhalten hatte, eine griechische Uebersetzung gemacht.
Später wurde die Urschrift auf folgende Art bereichert. In die Abschrift
X (des Matthäus) kamen die Zusätze a
und die neuen Abschnitte A, in die Abschrift
Y (des Marcus) die Zusätze b und die neuen
Abschnitte B, in die Abschrift Z (des Lucas)
die Zusätze g und die neuen Abschnitte
G.
Bei einer Erneuerung wurden in die Abschrift X die Zusätze g
und die Abschnitte G, in die Abschrift Y hingegen
a
und A, in die Abschrift Z endlich b
und B eingetragen. Diese so vermehrten Codices
wurden die Grundlagen unserer Evangelien; Matthäus verfaßte
aus X sein aramäisches Evangelium, Marcus übersetzte aus Y, Lucas
aus Z, beide mit Benutzung der alten griechischen Uebersetzung des Urevangelii.
Hierbei aber nahmen Matthäus und Lucas
Zusammenstimmung unserer Evangelien und ihrer Entstehung und Ordnung.
1797. (Werke. Th. 12.).
*) H e r b e r t M a r s h Abhandlung
über die Entstehung und Abfassung unserer ersten 3 canon. Evangelien
(in dessen Anmerk. und Zusätzen zu J. D. Michaelis Einleit. in das
N. T., übers. v. E. F. K. Rosenmüller. Th. 2. S. 137.). 1803.
aus einer besondern Hülfsschrift b
noch eigenthümliche Zusätze, die jetzt bei ihnen in einer verschiedenen
Ordnung eingeschaltet stehen. Endlich wurde der aramäische Matthäus
von einer spätern unbekannten Person ins Griechische übersetzt,
wobei dieselbe die Evangelien Marci und Lucä vor Augen hatte.
Neuerdings gab G r a tz *) folgende
einfachere Vorstellung von der Entstehung der Evangelien: Von dem aramäischen
Urevangelio wurde für Antiochien früh eine griechische Uebersetzung
gemacht, welche Lucas und Marcus, beide Begleiter Pauli, zum Grunde legten,
und mit neuen Abschnitten, aus andern schriftlichen Fragmenten genommen,
bereicherten. Matthäus hingegen arbeitete aus dem aramäischen
Urevangelio sein aramäisches Evangelium, indem er manches aus eigener
Erfahrung ergänzte, namentlich aber auch eine Spruchsammlung gebrauchte,
welche mit einer von Lucas (C. 9-18.) eingeschalteten Chronologie sehr
verwandt war. Der griechische Uebersetzer des Matthäus benutzte den
Marcus stark, und trug aus demselben in seine Uebersetzung alle die Abschnitte
über, welche gegenwärtig Matthäus und Marcus allein gemeinschaftlich
haben. Die Abschnitte, welche Lucas und Matthäus gemeinschaftlich
haben, sind später von Andern, theils aus dem Matthäus in den
Lucas, theils umgekehrt, übergetragen.
Obgleich sich gegen die einzelnen
Formen, in denen die Hypothese vom Urevangelio aufgetreten ist, immer
*) Neuer Versuch, die Entstehung der 3 ersten Evangelien zu erklären. Vom Pfarrer G r a tz. Tübingen, 1812.
noch Einwendungen machen lassen; so muß man doch
zugeben, daß dieselbe, ganz im Allgemeinen gehalten, allerdings das
Verhältniß der Evangelien zu einander erklärt. Es läßt
sich nicht läugnen, daß die Gleichheit dreier Schriftsteller
in einigen Abschnitten und ihre größere oder geringere Verwandtschaft
in Andern sich durch die Annahme erklären lasse, daß sie bald
gleiche, bald mehr oder weniger verwandte Quellen in derselben oder in
einer andern Sprache benutzten; und auf eben die Art lassen sich die eigenthümlichen
Abschnitte eines jeden auf eigenthümliche Quellen zurückführen.
Die einzelnen Formen der Hypothese,
die genaueren Bestimmungen, w e l ch e Bearbeitungen des Urevangelii
vorangegangen, und w i e dieselben von den Evangelisten genutzt
sind, beruhen aber mehr oder weniger alle auf subjectiven Ansichten; es
können mehrere gleich gut das Problem lösen, aber schwerlich
wird je eine Einzelne auf allgemeine Annahme Ansprüche machen können.
Denn:
1. Das Factum liegt ja nach den Untersuchungen
derselben Männer, welche diese Hypothese aufgestellt haben, nicht
mehr rein vor. Viele Stellen der Evangelien sind später erst mit einander
conformirt, andere aus einem in das andere Evangelium übergetragen.
Je stärker man sich diese spätern Ueberarbeitungen denkt, desto
geringer wird die ursprüngliche Verwandtschaft der Evangelien, desto
geringer muß also auch die Zahl der Abschnitte werden, die aus ganz
identischen Quellen gemeinschaftlich geschöpft sind, wie dieß
besonders aus einer Vergleichung der Gratzischen Hypothese mit der Eichhornischen
erhellt.
2. Hat man sich aber auch über
die ursprüngliche Beschaffenheit des Textes unserer Evangelien vereinigt,
so lassen sich die Quellen derselben doch nur dann nachconstruiren, wenn
man über die Art einig ist, wie die Evangelisten ihre Quellen benutzten.
Leicht wird man bei den wörtlich übereinstimmenden Stellen sich
zwar über eine gemeinschaftliche griechische Quelle, bei den Abschnitten,
wo sich nur gleicher Ideengang findet und nur einzelne Worte zusammentreffen,
über den gemeinschaftlichen Gebrauch einer aramäischen Quelle
etwa in Verbindung mit einer früheren griechischen Uebersetzung vereinigen;
wo aber ein Evangelist weitläufiger ist, als der Andere, wo er ganz
eigenthümliche Abschnitte hat; dürfte da nicht den E i
n e n Forscher die Annahme, daß jener Evangelist eigene Reminiscenzen
eingetragen habe, eben so befriedigen, als den A n d e r n,
daß jene Vollständigkeit schon der besondern Quelle des Evangelisten
eigen gewesen sey?
3. Wenn man darauf nun auch über
die Abschnitte übereingekommen ist, worin alle Evangelisten mit oder
ohne Hülfe einer ältern Version aus vorliegenden Quellen schöpften,
und wo jeder Eigenthümliches hinzuthat; so lassen sich doch diese
Quellen der einzelnen Abschnitte zu mehrern oder wenigern aramäischen
und griechischen g a n z e n Schriften zusammenordnen. Sie
können eben so gut einzelne Apomnemoneumata gewesen und von den Evangelisten
nach dem Faden des Urevangelii zusammengeordnet seyn, als vollständige
Recensionen des Urevangelii. Nimmt man auch das Letzte an, so kann man
ferner diese Abschnitte in mehr oder weniger Recensionen nach Willkühr
vertheilen, so daß jeder Evangelist entwe=
der schon E i n e vervollständigte Recension
vor sich hatte, oder daß er M e h r e r e nutzte und
die Eine aus der Andern selbst vervollständigte.
4. Wenn auf diese Art die Bestimmung
der u n m i t t e l b a r e n Quellen der Evangelisten schon
ganz auf subjectiven Ansichten beruht; so ist dieß noch mehr der
Fall mit der Entwickelung der Art, wie jene unmittelbaren Quellen aus dem
Urevangelio entsprungen sind. Da auch die Bereicherungen des Urevangelii,
welche in jenen enthalten waren, zum Theil mit einander verwandt gewesen
seyn müssen (nämlich die Abschnitte, welche jetzt nur zwei Evangelisten
gemeinschaftlich haben); so öffnet sich jetzt ein weites Feld der
Willkühr; eine Recension aus der Andern vervollständigen zu lassen.
Die erschienenen Entwickelungen der
Hypothese von einem Urevangelio haben daher nur den Werth, daß sie
die Möglichkeit verdeutlichen, vermittelst jener Hypothese das Verhältniß
der Evangelien genetisch zu erklären. Mit ihnen fällt die Hypothese
im Allgemeinen durchaus nicht, und es kann auch dieser nicht als ein Mangel
vorgeworfen werden, daß sie nicht in einer genau bestimmten Form
auftreten kann; denn dazu sind wir von allen Daten zu sehr entblößt.
So wenig aber dieser Hypothese eine
mangelhafte Erklärung des Factums vorgeworfen werden kann, so viel
steht ihr in historischer Rücksicht entgegen. Sie setzt historische
Facten ohne Zeugnisse voraus, und muß deshalb nothwendig sich auch
historisch rechtfertigen. Die Behauptung, daß die Critik aus dem
Verhältnisse der Evangelien zu einander eben so nothwendig die Existenz
eines Urevangelii schlösse, als der mathematische
Geograph aus Petrefacten, die in südlichen Ländern gefunden werden,
beweise, daß diese Länder einmal ein nördliches Clima hatten
*), zerfällt in sich selbst, sobald ein anderer historisch erwiesener
Weg eben so gut jenes Verhältniß erklärt. Wenn also diese
Schutzmauer der Hypothese, womit sie sich gegen alle Anfälle der Geschichte
wehrt, nämlich die Behauptung, daß das Verhältniß
der Evangelien in sich n o t h w e n d i g ein schriftliches
Urevangelium voraussetze, wenn - sage ich - diese Schutzmauer niedergerissen
ist, so kann sie sich vor einer andern Hypothese, die das Factum eben so
gut erklärt, nur auf historischem Wege den Vorzug verdienen, durch
den Beweis, daß sie sich der Geschichte am Besten anschließe.
Wenn dagegen dargethan ist:
1. daß jene Hypothese durchaus
keine historische Spuren mit Sicherheit für sich benutzen kann;
2. daß viele historische Daten
ihr widersprechen; und
3. daß ein anderer Weg, der
sich historisch rechtfertigen läßt, die Entstehung der Evangelien
in ihrem jetzigen Verhältnisse zu einander völlig erklärt;
so muß unstreitig dieser, insofern er den oben
aufgestellten Forderungen, die an eine historische Hypothese gemacht werden
müssen, besser entspricht, den Vorzug verdienen.
*) B e r t h o l d t ' s Einleit. Th. 3. S. 1209.
[Top]
I n d e m f r ü h e st e n a p o st o l i s ch e n Z e i t a l t e r i st d a s E v a n g e l i u m z u m B e h u f d e r L e h r v o r t r ä g e n i ch t a u f g e s ch r i e b e n, s o n d e r n n u r m ü n d l i ch f o r t g e p f l a n z t.
Gleich bei den ersten Bestimmungen über das Urevangelium collidiren zweierlei Rücksichten. Insofern man erwägt, daß so viele Recensionen davon vorhanden waren, und von den drei Evangelisten sowohl, als den Verfassern der apocryphischen Evangelien in den verschiedensten Ländern benutzt wurden, möchte man eine weite Verbreitung desselben annehmen; auf der andern Seite wird man, da es so ganz spurlos verschwunden ist, geneigt, den Kreis seines Gebrauchs so viel als möglich einzuschränken. Es ist auf verschiedene Arten versucht, das Urevangelium durch diese beiden historischen Klippen hindurch zu bringen; aber ganz scheint es damit nicht geglückt zu seyn. Nach E i ch h o r n rührte es zwar nicht von den Aposteln selbst, sondern von einem ihrer Gehülfen her *), wurde aber den apostolischen Gehülfen auf ihren Missionsreisen mitgegeben, theils als historisches Formular zum Gebrauche beim Unterrichte, theils als Beglaubigungsschrift ihres Unterrichts **). Ursprünglich war es für die Missionsreisen unter Juden aramäisch verfaßt, wurde aber nachher von einem Hermeneuten ins Griechische übersetzt ***). Man begreift bei dieser Stel=
*) E i ch h. Einl. ins N. T. Th. 1. S.
44.
**) a. a. O. S. 3. 4.
***) a. a. O. S. 183.
lung der Hypothese nicht, wie eine Schrift, die doch nicht von den Aposteln herrührte, ja selbst nicht einmal ganz die Billigung derselben erhalten hatte *), doch für eine Beglaubigungsschrift auf Missionsreisen gelten, und nach Bearbeitungen von vielen unbekannten Händen dennoch von einem A p o st e l - Matthäus - gebraucht werden konnte. Nach einem ähnlichen Beispiele der Art zu urtheilen, so war es übrigens dem Character der apostolischen Zeit gemäßer, die Aechtheit einer Schrift durch ein mündliches Zeugniß, als umgekehrt das mündliche Zeugniß durch eine Schrift zu beglaubigen. Denn dem Briefe der Apostel an die Antiochenische Gemeinde werden Judas und Silas ausdrücklich deswegen zugegeben, damit sie durch ihr mündliches Zeugniß demselben Glauben verschaffen sollen **). In diesem Falle war also die Schrift minder glaubwürdig, als das mündliche Zeugniß, bei dem Urevangelio soll das umgekehrte Verhältniß geherrscht haben; und dennoch rückt Lucas j e n e n B r i e f in seine Apostelgeschichte ganz ein, giebt aber von dieser w i ch t i g e r n S ch r i f t, die überdieß als ein Beweis der Sorgfalt der Jünger für die Reinerhaltung des Evangelii eine vorzüglich ehrenvolle Erwähnung in der Apostelgeschichte verdiente, die Lucas in erweiterten Recensionen selbst benutzte, so wenig Nachricht, daß er vielmehr in der Vorrede seines Evangelii es zu verhüllen scheinen muß, wenn er von einer neuen genauern Erfor=
*) a. a. O. S. 411. Nr. 4. Matthäus mußte
die Begebenheiten des ersten Theils umstellen. "Ein Apostel würde
ihnen gleich Anfangs eine bessere Stelle nach der Zeitordnung gegeben haben."
**) Act. 15, 27. cf. v. 32.
schung der Thaten Jesu als der Quelle seines Evangelii
redet *).
H e r d e r sucht diesen Einwürfen
dadurch zu begegnen, daß er jene Diegese ein nicht herausgegebenes
Evangelium, eine Privatschrift in den Händen der Evangelisten nennt
**), die von den drei Aposteln, Petrus, Jacobus und Johannes als Paradigma
des historischen Evangeliums ***), als eine Anweisung zum Evangelistenamte
verfaßt sey. Aber eine g e h e i m e Schrift der Lehrer
war sie doch wohl nicht, denn wozu sollte sie verborgen gewesen seyn, da
ihr Inhalt doch öffentlich gepredigt und nachher erweitert herausgegeben
wurde? War sie aber allgemeiner bekannt, so bleibt immer das tiefe Schweigen
über sie unerklärt. Ihm nähert sich B e r t h o l
d t +), nach welchem das Urevangelium als Grundnorm des historisch=dogmatischen
Unterrichts von sämmtlichen Aposteln, als sie noch in Jerusalem zusammen
waren, entworfen, aber nur von E i n e m (nicht Matthäus,
denn dieser spielte eine zu untergeordnete Rolle) concipirt, nicht
*) Ueberhaupt steht die Vorrede des Lucas der Hypothese
von einem Urevangelio in der That eben so sehr entgegen, als sie auf den
ersten Anblick dieselbe zu begünstigen scheint. V i e l e
hatten zwar vor ihm das Evangelium geschrieben, aber er war doch offenbar
von ihrer Arbeit nicht befriedigt, weil er die seinige sonst für überflüssig
gehalten haben würde. Durfte er denn die apostolische Diegese, die
so weit verbreitet, und Grundnorm des evangel. Unterrichts war, dadurch
mit unter die "Viele" begreifen, daß er ihrer nicht besonders erwähnte?
Offenbar waren die Syngraphen, die er kannte, nur Privatschriften, wie
die seinige selbst.
**) H e r d e r s Regel der Zusammenstimmung
unserer Evangelisten. Th. 12. S. 38.
***) a. a. O. S. 12.
+) B e r t h o l d t ' s Einleit. Th.
3. S. 1205.
e d i r t, aber auch nicht als g e h e i m e Schrift betrachtet ist. Ueber den Untergang desselben dürfen wir uns nicht wundern, da es gleich den übrigen Evangelien von den 4 canon. Evangelien verdrängt wurde. - Ob eine Schrift, die a l l e n Evangelisten mitgetheilt und keinem Christen mit Fleiß vorenthalten wurde, im Alterthume, wo doch alle Bücher nur durch Abschriften verbreitet wurden, für n i ch t e d i r t gelten, und deshalb spurlos verschwinden konnte, mußte bezweifelt werden. Denn das Urevangelium existirte ja auf jeden Fall in mehreren Exemplaren, als viele apocryphische Evangelien späterer Zeiten; und dennoch haben wir von diesen mehr oder weniger Nachrichten, von jener ä ch t a p o st o l i s ch e n Schrift keine Spur! Ueberdieß hat es noch seine eigenen Schwierigkeiten, das Urevangelium so allein in den Händen der Evangelisten zu lassen. Niemand wird es doch läugnen, daß den Aposteln daran gelegen seyn mußte, eine genaue Kenntniß des Lebens Jesu so viel als möglich unter den Gemeinden zu verbreiten. Nimmt man nun an, daß sie eine Diegese für das sicherste Mittel hielten, die Evangelisten genau mit dem Leben Jesu bekannt zu machen; so muß man in diesem einmal supponirten Geiste auch weiter schließen, daß den Aposteln dieselbe für die Gemeinden noch weit nothiger däuchte [sic]. Denn die Evangelisten waren, wenn auch nicht selbst, Zeugen des Lebens Jesu, doch genauer von den Aposteln unterrichtet, und da sie so oft dieselben Erzählungen wiederholen mußten, so wurden sie doch gewiß bald derselben genau kundig, und jener ärmlichen Stütze unbedürftig. Die Gemeinden hingegen, die nur auf kürzere Zeit Apostel bei sich hat=
ten, waren in der That einer solchen Syngraphe bedürftiger,
und es wäre unbegreiflich, warum die Apostel sie auch nicht ihnen
mittheilten, wenn sie eine solche für die Evangelisten angefertigt
hätten. Dann aber wäre ihr nachheriges Verschwinden freilich
noch unbegreiflicher.
Es ist indeß von mehreren Vertheidigern
des Urevangelii, am umständlichsten von B e r t h o l d t *),
versucht worden, historische Spuren für dasselbe als m i t t
e l b a r e Zeugnisse aufzufinden:
1. Die Namen apomnhmoneumata
twn Apostolwn, euaggelion twn Apostolwn bedeuteten doch wohl eine
von s ä m m t l i ch e n A p o st e l n v e r f
a ß t e Schrift. Wenn man auch im zweiten und dritten Jahrhunderte
Schriften so nannte, denen dieser Name nicht gebührte, so folgt doch
daraus, daß eine a l t e S a g e den Aposteln ein
Evangelium zuschrieb, daß diese aber später mißverstanden,
und auf andere Schriften bezogen wurde. Dieselbe Sage hat auch noch andere
falsche Deutungen erfahren, z. B. die Nachricht von dem Ursprunge des apostolischen
Glaubensbekenntnisses. - Es ist schon oben von der Bedeutung des "evangelium
apostolorum" die Rede gewesen. So wenig sich aus dem "evangelium Christi"
der Marcioniten etwas für eine alte Sage, daß Christus ein Evangelium
geschrieben habe, folgern läßt, so wenig scheint dieß
hier geschehen zu dürfen. Beides waren Benennungen des Evangeliums
im Allgemeinen, bei Ketzern wie bei Orthodoxen gewöhnlich, die eigentlich
nur die Aechtheit des Evangeliums bezeich=
*) a. a. O. S. 1208-1223.
nen sollten, dann aber freilich auch dahin mißverstanden
wurden, daß Christus und die Apostel selbst gewisse Syngraphen des
Evangeliums verfaßt hätten. Daß ferner die Erzählung
von der Entstehung des apostolischen Symbolums aus der Doppelsinnigkeit
des Worts sumbolon entstanden ist, haben schon
Viele bemerkt.
2. Justinus Martyr gedenkt eines apomnhmoneuma
Petrou *) - ein Beweis, daß Petrus das Urevangelium
i n H ä n d e n h a t t e u n d g e b r a
u ch t e. - Das "autou," welches hier
auf Petron bezogen wird, möchte wohl passender,
wie das vorhergehende auton, auf Christum bezogen
werden, von dem in der ganzen Stelle als dem "autoj"
(wie im Pythagoräischen autoj efa) die
Rede ist **). Bezieht man es indeß auf Petrus, so würde der
natürliche Sinn der Worte wohl die Abfassung eines Evangelii vom Petrus,
keineswegs aber den bloßen Gebrauch eines solchen andeuten.
3. In den Briefen Pauli kommen nicht
undeutliche Spuren vor, daß auch Paulus das Urevangelium gebraucht
habe. Wahrscheinlich bezeichnet er es an mehrern Stellen durch kurioj
***), wie auch die Marcioniten ihr Evangelium o kurioj
nannten. - Da weiter unten ausführlich bewiesen werden soll, daß
in den Paulinischen Briefen nie eine Spur von schriftlicher Abfas=
*) I u s t. M a r t. Dial.
c. Tryph. p. 333. kai to eipein metwnomakenai
a u t o n Petron ena twn Apostolwn, kai gegrafqai en toij apomnhmoneumasin
a u t o u gegenhmenou kai touto k. t. l.
**) So auch Lardner Glaubw. d. evangel. Gesch. übers.
von D. Bruhn. Th. 2. Bd. 1. S. 487.
***) 1 Cor. 11, 23. 7, 25. 2 Cor. 11, 17. 1 Cor.
9, 14. etc.
sung des Evangelii gefunden wird, so darf ich in Hinsicht
der ersten Behauptung dahin verweisen. Die zweite Combination ist zwar
allerdings sehr scharfsinnig und blendend, möchte aber wohl keine
Haltbarkeit haben. Denn wie könnte sich Paulus beständig auf
ein n i ch t e d i r t e s Evangelium berufen, was nur
er und seine Evangelisten kannten, auf einen kurioj,
der allen Gemeinden u n b e k a n n t war? Offenbar will er
durch solche Zusätze seinen Befehlen Nachdruck geben, und dieß
konnte er wohl am Besten durch Berufung auf Jesum, das Haupt der Kirche
(kefalh thj ekklhsiaj. Eph. 1, 22. 4, 15. 5,
23. Col. 1, 18.). Daß übrigens die Marcioniten ihr Evangelium
o
kurioj genannt hätten, kann nicht verbürgt werden, wir
wissen nur, daß s p ä t e r e Marcioniten (es ist
sogar ungewiß, ob zu irgend einer Zeit Alle?) behaupteten, Christus
habe ihr Evangelium geschrieben *).
Um den positiven Gegenbeweis gegen
das Urevangelium zu führen und zu zeigen, daß ein solches in
den frühesten apostolischen Zeiten nicht existiren konnte, ist es
nöthig, aus unserer Zeit und ihren Verhältnissen uns ganz herauszureißen,
und uns in den Geist des Urchristenthums ganz hinein zu denken. Dieß
mag die Weitläufigkeit des Folgenden entschuldigen.
So reich um die Zeit Jesu die Literatur
der Griechen und Römer war, so arm war die der Palästinensischen
Juden. Bei jenen waren schon seit dem 6. Jahrhunderte vor Christo die früheren
Sagen von Logogra=
*) S. oben über das Evangelium Marcions Anm.
phen gesammelt, und die folgende Geschichte successive entweder von gleichzeitigen oder bald nach den Begebenheiten lebenden Schriftstellern niedergeschrieben; bei den Juden war mit ihrer Selbständigkeit auch die Periode der Blüthe ihrer Literatur untergegangen, und wenn nach Esra's und Nehemia's Zeiten auch einzelne Schriftsteller aufstanden, so waren ihre Producte doch so wenig geachtet, daß dieselben nur in griechischen Uebersetzungen durch die a l e x a n d r i n i s ch e n Juden auf die Nachwelt kommen konnten. Nach den Zeiten des Antiochus Epiphanes zog sich das gemißhandelte Volk immer mehr auf sich selbst zurück voll bittern Hasses gegen alles Fremde, den es auch wohl nicht allein auf fremde Literatur, sondern überhaupt auf die fremdartige Polygraphie übertrug. Sie glaubten, daß alles zum Heile des Volkes Nöthige ihnen schon in den heiligen Schriften gegeben sey, und hielten daher nicht eigene schriftstellerische Thätigkeit, sondern die Fähigkeit, diese heiligen Schriften zu verstehen, für ein Kennzeichen von Weisheit *). Dagegen war Tradition bei ihnen desto ungewöhnlicher. Selbst ihre heiligen deuterwseij, die, seit dem babylonischen Exilium ausgebildet, im neuen Testamente als hoch angesehen im Volke erwähnt werden, wurden trotz dieses Ansehens bis 200 Jahr n. Chr. nur von Mund zu Mund fortgepflanzt, ohne daß die Gelehrten - die eigentlichen Erhalter dieser
*) Ioseph. Ant. Iud. XX. am Schlusse: par' hmin gar ouk ekeinouj apodexontai touj pollwn eqnwn dialekton ekmaqontaj, - - monoij de sofian marturousi, toij ta nomima safwj epistamenoij, kai thn ierwn grammatwn dunamin ermhneusai dunamenoij.
Sagen - das Bedürfniß gefühlt hätten,
sie durch schriftliche Aufzeichnungen zu fixiren. Noch weniger dachten
ächt hebräische Juden an Abfassung historischer Werke; dieß
gesteht Josephus selbst, wenn er am Schlusse seiner Archäologie seine
griechische Bildung als den Grund angiebt, weswegen er mehr als andere
gelehrte Juden im Stande gewesen sey, ein solches Werk zu verfassen. Hebräische
Geschichtsbücher findet man daher seit den letzten Schriften des A.
T. bis auf die neueren Zeiten nicht mehr, denn die sogenannte Geschichte
in dem misnischen [sic] Tractat Pirke Abcth [sic], in der Responsio R.
Serirae um 967 pl. (im Buche Juchasin eingeschaltet), in den beiden Soder
olam in dem Sepher hakkabalah des Abraham ben Dior (1161 p. C.) besteht
blos aus Aufzählungen der Successionen der Lehrer.
Wenn nun aber schriftstellerische
Thätigkeit selbst unter den gelehrten Ständen so selten, und
mündliche Tradition das vorzüglichste Mittheilungsmittel war,
so muß dieß in den niedern Ständen - und dazu gehörten
sowohl die Apostel als bei weitem die meisten Christen *) - noch weit mehr
der Fall gewesen seyn. Daher finden wir auch, je höher wir in der
christlichen Kirchengeschichte hinaufgehen, desto weniger Schriftsteller,
und befragen wir darüber spätere Kirchenväter, so antworten
sie, daß man in diesen Zeiten die Abfassung von Büchern für
un=
*) Agrammatoi - idiwtai. Act. 4, 13. Daher u r s p r ü n g l i ch der Name Mynwyb) für a l l e Christen. cf. Orig. c. Cels. II. init. Ebionaei dicuntur e caeteris Iudaeis, qui Iesum pro Christo receperunt. - Iac. 2, 5. oux o qeoj ecelecato touj p t w x o u j tou kosmou; etc.
wesentlich, aber das lebendige Wirken durch mündliche
Vorträge für den eigentlichen Beruf des christlichen Lehrers
gehalten, und sich daher nur wegen der besondern Bedürfnisse Einzelner
zu Schriften entschlossen habe. Insbesondere lichtvoll darüber ist
folgende Stelle eines Alexandriners des dritten Jahrhunderts:
"Unsere Vorfahren schrieben nicht,
denn sie wollten von dem Lehrgeschäfte der Tradition keine Zeit zum
Schreiben abmüßigen, und sich die Zeit zur Vorbereitung auf
ihre Vorträge nicht nehmen, um Schriften zu verfassen. Da sie aber
vielleicht einsahen, daß die beiden Arten der Belehrung durch Schriften
und durch mündlichen Unterricht nicht Erweckungsmittel gleicher Art
wären, so gaben sie denen nach, die jener mehr empfänglich waren
*)."
Zwar gingen die Ketzer zu weit, welche,
um sich wegen der Nichtannahme des Canons zu vertheidigen, behaupteten,
die Apostel hätten überhaupt g a r n i ch t s
geschrieben, n u r mündlich das Evangelium hinterlassen
**),
*) Eclogae ex script. Prophet. c. 27. hinter Clem.
Alex. ed. Potter. T. II. p. 996.: Ouk egrafon de oi
presbuteroi, mhte apasxolein boulomenoi thn didaskalikhn thj paradosewj
frontida th| peri to grafein allh| frontidi, mhde mhn ton tou proskeptesqai
ta lexqhsomena kairon katanaliskontej eij grafhn, taxa de oude thj authj
fusewj katorqwma, to suntaktikon kai didaskalikon eidoj einai pepeismenoi,
toij eij touto pefukosi sunexwroun.
**) Iren. adv. haer. III, 2. Non per literas
traditam illam (paradosin), sed per vivam
vocem, ob quam causam et Paulum dixisse: sapientiam autem loquimur
inter perfectos. Daraus folgerten sie den geringsten Werth der Schriften,
quasi non recte habeant, nec sint ex auctoritate et quia varie sint dictae
etc. Orig. contra Marcion. dial. II. p. 543. A. E u t r
o p. Age
und deshalb müsse man nur aus der Tradition die reine apostolische Lehre schöpfen; aber ihre Behauptungen stützten sich doch auf alte, wenn auch von ihnen nach dogmatischen Zwecken übertriebene Sagen. Denn auch die Orthodoxen konnten es nicht läugnen, daß die Apostel A n f a n g s nur das Evangelium mündlich gepredigt hätten, wenig bekümmert um die Niederschreibung desselben, weil sie j e n e s Geschäft für größer und erhabener hielten *). Deshalb - setzt Eusebius hinzu - habe auch Paulus, ein sonst so beredter und so hoher Erkenntniß gewürdigter Mann, nur sehr kurze Briefe hinterlassen (er war Diener des Geistes, nicht des Buchstabens, weit und breit predigte er das Evangelium, aber nicht an alle Gemeinden, die er gestiftet hatte, schrieb er Briefe, und die, welche er schrieb, bestanden nur aus wenig Zeilen **); deshalb hätten aus der Zahl der Schüler nur zwei - Matthäus
hoc mihi dicas: Praedicarunt et evangelium promulgarunt omnes? Marcus
Praedicarunt. Eutrop. Scriptisne prodita praedicarunt annon? Marcus. Nihil
scriptis relictam.
*) Iren. adv. haer. III, 1. Non enim per alios dispositionem
salutis nostrae cognovimus, quam per eos, per quos Evangelium pervenit
ad nos, quod quidem tunc praeconiaverunt, postea vero per Dei voluntatem
in scripturis nobis tradiderunt.
Euseb. h. e. III, 24. -
- thj twn ouranwn basileiaj thn gnwsin epi pasan kathggellon
thn oikoumenhn: s p o u d h j t h j p e r i t o
l o g o g r a f e i n m i k r a n p o i o u m e n o i
f r o n t i d a. k a i t o u t ' e p r a t t o n,
a t e m e i z o n i k a i u p e r a n q r w p o
n e c u p h r e t o u m e n o i d i a k o n i a.
**) Orig. (ap. Euseb. 6, 25.) o
de ikanwqeij diakonoj genesqai thj kainhj diaqhkhj, ou grammatoj alla pneumatoj,
Pauloj - - - oude pasaij egrayen aij edidacen ekklhsiaij: alla kai aij
egrayen, oligouj stixouj epesteile.
und Johannes - Evangelien geschrieben, und auch diese
hätten, w i e e s d i e S a g e v e
r s i ch e r e, nur der Nothwendigkeit nachgebend geschrieben *).
Wir dürfen diese Stellen nicht
als unbedeutende Declamationen späterer Zeiten abweisen. Denn zuerst
harmoniren sie mit dem Geiste der palästinensischen Juden, aus denen
das Christenthum hervorging, zu auffallend; dann muß man doch Eusebius
Versicherung bei einem innig mit dem Ganzen zusammenhängenden Theile
seiner Stelle, daß er eine Sage referire, berücksichtigen; endlich
aber disharmonirt der Geist dieser Ansichten mit den dogmatischen Bedürfnissen
der damaligen Orthodoxen so, daß wir uns dieselben nur als von einem
frühern Zeitalter auf diese vererbt denken können. Sie boten
alles auf, den hohen Werth der heiligen Schriften den Ketzern zu beweisen;
wie konnten sie zu gleicher Zeit diesen dadurch die Waffen gegen sich in
die Hände geben, daß sie zugestanden, auch die Apostel hätten
den mündlichen Unterricht dem schriftlichen weit vorgezogen? Sonst
sind später entstandene Sagen daran leicht zu erkennen, daß
das spätere Zeitalter unkritisch genug s e i n e Individualität
in ihnen hervortreten ließ, wie sehr weichen aber jene Ansichten
von der polygraphischen Zeit eines Eusebius ab!
Diese Sagen verdienen also Berücksichtigung,
und wir müssen die eigenthümliche L a g e und die
S ch r i f t e n der Apostel durchprüfen, ob sie auch hier ihre
Bestätigung finden.
*) Euseb. III, 24. ouj (Matqaion kai Iwannhn) kai e p a n a g k e j epi thn grafhn elqein k a t e x e i l o g o j.
Soviel geht schon aus dem früher
Beigebrachten hervor, daß die Apostel nach ihrer Lage o h n
e b e s o n d e r e G r ü n d e nicht darauf kommen
konnten, schon früh ein Evangelium zu schreiben, da selbst die Gelehrten
ihrer Nation ihre heiligen deuterwseij durch
mündliche Tradition erhielten. Die Vertheidiger des Urevangelii finden
diese besondern Gründe in der Nothwendigkeit, welche die Apostel bald
fühlen mußten, theils selbst in ihren Erzählungen übereinzustimmen,
theils ihren Gehülfen eine Norm zur Einrichtung ihrer historischen
Vorträge zu geben.
Daß jene Nothwendigkeit vorhanden
war, läßt sich nicht leugnen, [sic] und ohne Zweifel würden
die Apostel zu dem Mittel einer schriftlichen Diegese gegriffen haben,
wenn sie im Geiste unsers Zeitalters gebildet gewesen wären: ob es
ihnen in ihrer Lage gleich nahe lag, muß erst geprüft werden.
Ohne die oft besprochene Frage zu
erneuen, ob die Apostel, außer Matthäus und Paulus, überhaupt
schreiben konnten, wollen wir gleich das Höchste zugeben, daß
sie nämlich ungefähr so fertig schrieben, wie der gemeine Mann
in unsern Zeiten. Und wenn man den damaligen Mangel an allgemeinen Bildungsanstalten
gegen die Menge unserer Landschulen, die Entbehrlichkeit der Schreibekunst
in jenem oligographischen Zeitalter gegen die in unsern Zeiten so dringende
Nothwendigkeit derselben, und endlich die Schwierigkeit, mit der damals
bei der Unbequemlichkeit des Alphabets und der Unbehülflichkeit der
Schreibmaterialien einige Fertigkeit im Schreiben erworben werden konnte,
gegen die Leichtigkeit, womit man jetzt dazu gelangen kann, hält:
so wird man es nicht
einmal wahrscheinlich finden, daß galiläische
Fischer, die durch Jesu Unterricht zwar in Weisheit aber nicht in mechanischen
Fertigkeiten zugenommen hatten, so geläufig schreiben konnten, als
der gemeine Mann in unsern Zeiten. Würde aber dieser wohl, um ähnliche
Absichten, wie die oben angedeutet sind, zu erreichen, nicht die mündliche
Abrede der ihm immer noch mühsamern schriftlichen Abfassung vorziehen?
Indessen fragt es sich billig, ob
wir bei jenen Orientalen neben ihrem Enthusiasmus für Jesum wohl eine
solche diplomatische Genauigkeit in Conformirung ihrer Erzählungen
vermuthen dürfen? Ließ die lebendige Erinnerung an das Leben
Jesu sie wohl die Möglichkeit eines Widerspruchs befürchten?
Sie gaben mit zu großer Kraft ihr Zeugniß, als daß sie
sich an todte Buchstaben hätten fesseln können *), sie waren
es sich zu sehr bewußt, selbst deutlich gesehen und gehört zu
haben, sie fühlten sich zu sehr gedrungen, ihre eigenen Erfahrungen
auszusprechen **), als daß sie ihr lebendiges Andenken an fremde
Ausdrücke hätten binden können.
Wohl schwerlich konnte also in diesem
begeisterten Apostelkreise der Gedanke entstehen, durch eine schriftliche
Norm ihren evangelischen Predigten Uebereinstimmung zu verschaffen; aber
war es nicht anders, als auch andere, die nicht Augenzeugen gewesen waren,
sich zur Predigt
*) Act. 4, 33. kai megalh dunamei
apedidoun to marturion oi apostoloi thj anastasewj tou kuriou Ihsou.
**) Act. 4, 20. ou dunameqa
gar hmeij, a eidomen kai hkousamen, mh lalein. cf. 2 Petr. 1, 16.
des Evangelii mit ihnen verbanden? Bedurften diese nicht
einer Diegese als Leitfaden bei ihren Vorträgen?
Die ersten Nichtapostel, welche das
Evangelium predigten, waren die Gläubigen, welche aus der engsten
Verbindung, in der sie mit den Aposteln in Jerusalem zusammen lebten, durch
die Verfolgung gerissen wurden, welche der Steinigung des Stephanus folgte.
Sie zerstreuten sich vorzüglich in Judäa und Samaria *), gingen
aber auch zum Theil nach Phönicien und Cypern **) und zu ihnen gehörten
auch die Cyprier und Cyrenäer, welche zuerst in Antiochien den Heiden
das Evangelium predigten ***). Hier in Antiochien bildete sich unter Paulus
und Barnabas die erste Missionsanstalt für die Heiden, bei der die
Apostel sich völlig leidend verhielten.
In welchem Puncte dieser Missionsgeschichte
soll die Abfassung einer Diegese ihren Platz finden? Die ersten Missionen
wurden so plötzlich durch jene Verfolgung veranlaßt, daß
die Glieder der Gemeinde von Jerusalem nicht erst mit Diegesen versehen
werden konnten, als die Verfolgung ausbrach. Die Diegese müßte
erst dann angefertigt und herumgeschickt seyn, als schon in allen jenen
Ländern Viele bekehrt w a r e n. Dann war sie aber theils
nicht mehr nothwendig, theils wird alsdann das Stillschweigen des Lucas
über diese Versendungen ganz unerklärlich.
Aber bedurften denn diese ersten Missionaire
[sic] eines solchen schriftlichen Entwurfs? Nach Ephes. 4, 11. gab es
*) Act. 8, 1.
**) Act. 11, 19.
***) Act. 11, 20.
eine besondere Classe von Lehrern "Evangelisten," welche nach den Erklärungen der Kirchenväter das Geschäft (ergon euaggelistou. 2 Tim. 4, 4.) hatten, denen, die noch nichts von Christo gehört hatten, das Evangelium zu predigen, das heißt, theils ihnen den historischen Beweis der Messianität Jesu vorzutragen, theils sie durch Ermahnungen zur Annahme des Christenthums und, wenn sie es angenommen hatten, zur Beharrlichkeit in demselben zu ermuntern *). Wenn der Grundsatz der Apostel, daß der vor allen andern geschickt sey, von Jesu zu zeugen, der ihn selbst gehört und gesehen habe, auch hier angewandt wurde; so mußten sie bei der Auswahl der Evangelisten vorzüglich auf die 70 Jünger fallen, welche nach Lucas Erzählung schon Jesus zur Predigt des Evangelii ausgesendet hatte. Wie dem aber auch ist, mögen die ersten Evangelisten Augenzeugen gewesen seyn oder nicht, wir beurtheilen sie nach unsern Bedürfnissen, wenn wir zu ihrer Bildung eine Diegese für nothwendig halten. Alle oben genannten Eigenthümlichkeiten der damaligen Zeit, welche den geringern Palästinenser den Gebrauch einer Schrift erschwerten, und ihn die viva vox vorziehen ließen, treten hier wieder ein. Der Evangelist mußte jene
*) Origenes comm. in Evang. Ioannis. Tom. I. praef. - Cum accurate examinaverimus, quodnam sit Evangelistae officium, et invenerimus, pertinere ad eum, non (solum) semper enarrare, quonam pacto servator coecum a nativitate sanaverit, foetentem mortuum excitarit, vel aliquid supra hominum opinionem fecerit, non dubitamus affirmare aliquo modo evangelium esse, quae scripserint Apostoli, cum ad evangelistae munus attineat, adhortoria etiam oratione fidem eis, quae de Iesu tradita sunt, acquirere. cf. Euseb. III, 37.
Erzählungen doch seinem Gedächtnisse einprägen,
um sie bei seiner Predigt frei vortragen zu können: jenes mußte
ihm aber leichter werden, wenn er sie mit Feuer und Leben oft von Andern
vortragen hörte, als wenn er sie erst mit Mühe aus seiner Diegese
entzifferte. Ueberdieß muß man ja diese Diegese, theils der
Natur der Sache, theils der Hypothese wegen, für die sie erfunden
ist, für einen so armen Entwurf machen (insofern sie nur die allen
3 Evangelisten gemeinschaftlichen Abschnitte aber i n w e i
t k ü r z e r e r F o r m enthielt); daß man
auf der einen Seite so wenig sieht, wie es Schwierigkeiten machen konnte,
ihren Inhalt sogleich auswendig zu lernen, und sie selbst alsdann zu entbehren,
als man einsieht, was jene Evangelisten mit ihr anfangen, wie sie aus ihr
das Evangelium predigen konnten.
Jene Sagen bestätigen sich also
dadurch, daß man einsieht, d i e A p o st e l,
d i e n a ch i h r e r B i l d u n g w o h l
n u r d u r ch N o t h w e n d i g k e i t z u m
S ch r e i b e n b e w o g e n w e r d e n k o n n t
e n, h a t t e n a n f a n g s k e i n e s o l
ch e A u f f o r d e r u n g e n d a z u, d e n e n
s i e n i ch t d u r ch m ü n d l i ch e M
i t t h e i l u n g e b e n f a l l s g e n u g t h u n
k o n n t e n. Wenn sich nun aber noch in der Eigenthümlichkeit
ihrer Lage und ihrer Denkungsart Seiten auffinden lassen, d i e
d e m G e b r a u ch e e i n e r D i e g e s e
a l s H ü l f s = u n d B e g l a u b i g u n g
s s ch r i f t g e r a d e z u w i d e r s p r e ch e n,
wenn sich i n i h r e n S ch r i f t e n a l l
e s n u r m i t d e r A n n a h m e v e r
e i n i g e n l ä ß t, daß sie nur mündlich
das Evangelium predigten; so muß man unbedingt jene Sagen als historisch
erwiesen annehmen, und die Aufhel=
lung des Phänomens, für welches das Urevangelium
erfunden ist, von einer andern Seite her erwarten.
Was zuerst die Lage und die Ansichten
der Apostel betrifft, so erwäge man:
1. daß sie aufs festeste davon
überzeugt waren, daß der Paraclet, wie er sie überhaupt
mit dem, was ihnen zum Lehramte nöthig wäre, versähe, so
insbesondere in ihnen d a s A n d e n k e n a n
d i e B e g e b e n h e i t e n d e s L e b e n s
J e s u n e u u n d r e i n e r h i e l t e.
Beim Johannes verspricht Jesus seinen Jüngern, daß der heilige
Geist sie an das, was er zu ihnen geredet hätte, von neuem erinnern
werde *). Der Evangelist würde dieß unstreitig nicht bemerkt
haben, wenn er nicht geglaubt hätte, daß nach der Erscheinung
des Paracleten sich durch dessen Hülfe das Andenken an Jesu Leben
wirklich bei den Jüngern verlebendigt hätte. Mit Hülfe des
heiligen Geistes wurde also von den Jüngern (diakonoij
pneumatoj) auch das historische Evangelium verkündigt **),
und deshalb drückte man sich auch so aus, daß der heilige Geist
u n d die Jünger (eigentlich der h. G. d u r ch
die Jünger) zugleich das Evangelium bezeugten ***).
Konnten aber die Jünger bei dieser
Ueberzeugung wohl eine schriftliche Stütze des Gedächtnisses
für ihre
*) Ioh. 14, 26. upomnhsei umaj
panta, a eipon umin.
**) 1 Petr. 1, 12. euaggelisamenoi
- en pneumati agiw (cf. Clem. ap. Eus. H. E. VI, 14. tou
Petrou - pneumati to euaggelion eceipontoj). cf. Act. 1, 8.
2 Tim. 1, 14.
***) Ioan. 15. 26. 27. ekeinoj
(o paraklhtoj) marturhsei
peri emou. Kai umeij de martureite. - Act. 5, 32. kai
hmeij esmen marturej - - kai to pneuma etc.
Schüler für nöthig halten, denen sie den
heiligen Geist - diesen erhabenen Beistand - mitgetheilt hatten? Oder hieß
dieß nicht geradezu mißtrauisch seyn gegen die göttliche
Kraft, die in ihnen wirkte?
2. Die Juden erwarteten bei dem Eintritte
des messianischen Zeitalters nichts weniger, als neue heilige Bücher;
sie hofften im Gegentheile, daß das vorhandene Gesetz in noch höheres
Ansehen kommen, und daß Gott selbst es eindrücklich in die Herzen
der Menschen schreiben würde *). Jesus selbst hatte es ausdrücklich
erklärt, daß er nicht gekommen sey, das Gesetz aufzuheben, sondern
es zu erfüllen, und daß dasselbe bis ans Ende der Welt fortdauern
werde **). Eben so reden auch die Apostel in den Briefen. Die Herzen der
Christen sind die heiligen Schriften Christi, bereitet von den Aposteln
durch den heiligen Geist, der in die Herzen hineingesenkt ist ***) durch
die Verkündigung des Evangelii +). Daher wird das Evangelium als pneuma
dem geschriebenen Gesetze als gramma entgegengesetzt
++), daher sind die christlichen Lehrer diakonoi kainhj
diaqhkhj, ou grammatoj, alla pneumatoj, ihr Amt eine diakonia
tou pneumatoj, wie das Amt der alttestamentlichen Lehrer eine diakonia
tou qanatou en grammasin +++).
*) Es. 54, 13. cf. Ioh. 6, 45. -
Ier. 31, 33. cf. Hebr. 8, 10. 10, 16.
**) Matth. 5, 17. 18.
***) 2 Cor. 3, 3. cf. 1, 22.
+) Gal. 3, 3. 5.
++) Röm. 7, 6. kainothj
pneumatoj - palaiothj grammatoj.
+++) 2 Cor. 3, 6. 7.
Aus diesen Stellen folgt zwar unmittelbar
nur, daß die Apostel von heiligen Schriften der christlichen Gemeinde
noch gar nichts wußten, und jene Diegese soll nach dem Willen ihrer
Urheber n i ch t eine solche heilige Schrift seyn. Aber ich
gebe es dem unbefangenen Gefühle zu erwägen, ob Paulus die evangelischen
Lehrer mit solcher Parrhesie diakonoi o u
g r a m m a t o j nennen konnte, wenn er selbst, wie alle
Evangelisten, S c l a v e einer Diegese war?
3. Indeß waren ja die ersten
evangelischen Lehrer durchaus nicht ohne alle schriftliche Norm, sie waren
ja ganz eigentlich an das Alte Testament gewiesen worden. Jesus kündigte
sich als den schon lange vorher im A. T. versprochenen Messias an, und
legitimirte sich als solchen durch sein jenen Weissagungen genau entsprechendes
Leben und Wirken. Bei vielen Begebenheiten seines Lebens deutet er ausdrücklich
auf diesen Zusammenhang hin, in der letzten Rede an seine Jünger,
worin er denselben ihren Zweck vor Augen legt, fordert er sie feierlich
auf, seine Thaten in diesem Verhältnisse zu bezeugen *). Bedurften
also dieselben einer Hülfsschrift, so hatten sie diese ja im A. T.,
denn schon die Propheten hatten hier ja beseelt von Christi Geiste dessen
Leiden und Erhöhung, und alles das, was jetzt von den Evangelisten
verkündet werden sollte, voraus gesagt **). Dieses Zusammentreffen
der messianischen Weissagungen mit den Begebenheiten des Lebens Jesu war
es, worauf die Apostel in ih=
*) Luc. 24, 44-49.
**) 1 Petr. 1, 11. 12. (profhtai)
hmin
dihkonoun auta a nun anhggellh umin dia twn euaggelisamenwn.
ren Predigten den höchsten Werth legten. Die
heiligen Schriften zeugten überall von Jesu *), von ihnen gingen sie
daher aus, in dem Leben Jesu zeugten sie - als Augenzeugen - ihre Erfüllung,
und so bewiesen sie aus dem A. T., daß Jesus der Christ sey **),
so predigten sie ihn aus dem Gesetze Mosis und den Propheten ***). Einzelne
Beispiele, wie die Apostel überall das Alte Testament ihren Predigten
zum Grunde legten, finden sich nicht selten in der Apostelgeschichte +).
Wie sehr dieses das Bedürfniß einer schriftlichen Diegese verringere,
wird noch deutlicher werden, wenn man Folgendes erwägt:
Die Weissagungen der Propheten waren
einem großen Theile nach ihnen selbst unverständlich gewesen,
sie glichen einem schwachen Lichte an einem dunkeln Orte, welches diesen
ganz zu erhellen nicht hinreichend war ++). Erst durch Jesu Menschwerdung
und Leben erhielten dieselben ihre klare Bedeutung, und das Licht glänzte
zur Sonne auf. Folglich war das A. T. großentheils für die frühern
Generationen unverständlich, viele Stellen darin waren nur für
die Christen geschrieben +++), und so konnten Lehren, die früher Geheimnisse
gewesen waren,
*) Ioh. 5, 39. ekeinai eisin
ai marturousai peri emou. cf. Theodoret. ad Psalm. 67, 28. kai
toutou marturej duo: o men profhthj, o de euaggelisthj, o men prolegwn,
o de thn marturian proferwn.
**) Act. 18, 28. epideiknuj
dia twn grafwn, einai ton Xriston Ihsoun.
***) Act. 28, 23. peiqwn te
autouj ta peri tou Ihsou apo te tou nomou Mwusewj kai twn profhtwn.
+) Act. 8, 30-35. 13, 15. ss.
++) 2 Petr. 1, 19. 20. cf. 1 Petr 1, 10-12.
+++) Rom. 4, 24. 15, 4. 1 Cor. 10, 11.
d u r ch d i e S ch r i f t e n d e
r P r o p h e t e n zu Christi Zeit geoffenbaret werden *).
Das Alte Testament war also in einem
a n d e r n und h ö h e r n Sinne die heilige Schrift
der Christen, als es solche bisher bei den Juden gewesen war. Die Christen
fanden in demselben alle Lehren des Christenthums, wenn auch oft nur dunkel
doch ihnen verständlich, angedeutet; der Unterricht Jesu enthielt
nur Wiederholungen und weitere Entwickelungen (deuterwseij)
**); konnten die Jünger diese nicht eben so gut ohne andere Hülfsschriften
unmittelbar an die Aussprüche des A. T. anknüpfen, wie die Gelehrten
ihres Volks die ihrigen? Oder ist es nicht vielmehr in der Natur der Sache
gegründet, zu schließen, daß, wenn die Gelehrten mündliche
Aufbewahrung für ihre deuterwseij für
hinlänglich hielten, dieß den Jüngern noch w e i
t e h e r genüget haben werde?
So wurde auch später den Proselyten
aus dem Heidenthume das A. T. als heilige Schrift übergeben; ohne
dasselbe hätte ja die ganze Messiasidee fallen müssen, und der
Name "Christus" wäre ohne Sinn gewesen. - Freilich durfte man hier
nicht mit der Voraussetzung, daß das A. T. eine göttliche Schrift
sey, beginnen; allein noch die Schriften der christlichen Apologeten zeigen
es, daß nichts tiefern Eindruck auf die Heiden machte, als die Vorstellung,
daß so specielle Weissagungen uralter Männer in Jesu eingetroffen
wären.
*) Rom. 16, 25. 26.
**) So findet Origenes (peri
arxwn lib. III. 472. M.) in dem Deuteronomium ein Vorbild des Evangeliums
als der secunda lex (deuterwsij).
Es bleibt nun noch übrig, in den Briefen der Apostel die Stellen zu vergleichen, die über die Art, wie das Evangelium gepredigt ist, Licht geben können, um von dieser Seite über die Existenz oder Nichtexistenz einer Diegese zu urtheilen. Prüfen wir in dieser Rücksicht die Briefe an die Gemeinden, so fällt es bald in die Augen, daß diesen nur durch mündliche Predigt das Evangelium bekannt geworden seyn kann. Paulus kann es sich gar nicht denken, daß Jemand an das Evangelium glauben könne, ohne einen Evangelisten gehört zu haben: der Glaube an dasselbe konnte nach seiner Meinung nur durch die mündliche Predigt erzeugt werden *). Daher heißt das Evangelium: logoj, khrugma, logoj akohj (1 Thess. 2, 13. Hebr. 4, 2.); von der Verbreitung desselben werden die Ausdrücke: khrussein, lalein, paradidonai to euaggelion, euaggelizein gebraucht, wie von der Annahme desselben die Worte: akouein, akroasqai, dexesqai und paralambanein - lauter Ausdrücke, die theils n u r, theils a m b e q u e m st e n von mündlicher Ueberlieferung gefaßt werden können. Paulus selbst lehrt uns eine doppelte Art der Belehrung, die den Gemeinden zu Theil wurde, kennen **), die erste durch die mündliche Ankündigung des Evangelii (dia logou), die zweite durch Briefe (di ) epistolhj), die aber nur den Zweck hatte, die Gemeinden in dem angenommenen Evangelio zu befestigen und zu stärken, nicht das Evangelium zu verkündigen.
*) Rom. 10, 14. pwj de pisteuousin
ou ouk hkousan; pwj de akouousi xwrij khrussontoj; cf. v. 17. ara
h pistij ec akohj. Daher Gal. 3, 2 und 5. h
ec akohj pistij.
**) 2 Thess. 2, 2. 15. 2 Cor. 10, 10. 11.
Die Verkündigung dia logou
durch den Gebrauch einer Syngraphe überflüssig zu machen, fiel
ihm nicht ein; nach den oben angeführten Stellen war dieß jenem
Zeitalter so heterogen, daß Paulus es sich nicht zu denken vermag.
Indeß dürfen wir ja in
den Briefen an Gemeinden nicht Spuren einer Diegese suchen, die blos für
Evangelisten bestimmt war. Zum Glück haben wir in unserm Canon noch
Briefe Pauli an zwei seiner vertrautern Schüler, die darin über
die Führung ihres Lehramts, wozu auch das Geschäft eines Evangelisten
gehörte *), unterwiesen werden sollen **). Findet sich h i e
r keine Spur von jener Diegese, so muß diese nothwendig verdächtig
werden; werden aber überdieß hier ganz andere Quellen genannt,
aus denen die Schüler die Kenntniß des Evangeliums haben sollen,
so ist dieß doch wohl ein schwer zu entkräftender Beweis gegen
die Existenz einer solchen Schrift. Und nirgends erklärt sich gerade
Paulus so deutlich, als in diesen Briefen, daß er bei seinen Schülern
nur einen mündlichen Unterricht im Evangelio voraussetze. Die deutlichste
Stelle darüber ist 2 Tim. 3, 14. 15. durch den Gegensatz, worin die
iera
grammata (das A. T.) mit dem, a emaqe kai epistwqh
o Timoqeoj para Paulou (die evangelische Deuterosis) stehen. Unter
dem letzteren, was Timotheus von Paulus mündlich empfangen hatte,
ist alles das begriffen, was dem Christen außer dem A. T. noch zu
wissen nöthig war - die in dem historischen
*) 2 Tim. 4, 5. ergon poihson
euaggelistou.
**) 1 Tim. 3, 15.
Evangelio gegebene heilsame Lehre Jesu *). Daß dieser
Unterricht m ü n d l i ch gewesen war, ist zwar schon
aus dieser Stelle selbst deutlich, wird aber in andern Stellen noch deutlicher
ausgedrückt durch die Umschreibung: "was du von mir gehört hast
**)." Man würde aber der urchristlichen Ansicht Gewalt anthun, wenn
man hier das historische Evangelium von der Lehre Jesu trennen, und die
letzte allein in jener Stelle finden wollte. Beides war zu eng mit einander
verbunden, es stützte sich eines zu genau auf das andere, als daß
man eine solche Sonderung vornehmen dürfte. Die g a n z e
christliche Deuterosis machte den köstlichen Schatz aus, den Paulus
in das Herz des Timotheus niedergelegt hatte ***), und den zu bewahren
er ihn oft ermahnet +), zu welchem Ende er ihn auch erinnert, einen Ueberblick
über die empfangene heilsame Lehre sich zu erhalten ++).
Eine andere, besonders über die
Art der Fortpflanzung des Evangelii, Licht verbreitende Stelle ist 2 Tim.
2, 1. 2.
Su oun, teknon
mou, endunamou en th xariti th en Xristw Ihsou: kai a hkousaj par ) emou
dia pollwn marturwn, tauta paraqou pistoij anqrwpoij, oitinej ikanoi esontai
kai eterouj didacai.
*) h ugiainoush didaskalia
(1 Tim. 1, 10. 2 Tim. 4, 3. den muqoij
entgegengesetzt. Tit. 1, 9. 2, 1.) = logoi ugiainontej
(1 Tim. 6, 3. 2 Tim. 1, 13.).
**) a par ) emou hkousaj.
2 Tim. 1, 13. 2, 2.
***) vergl. oben.
+) thn kalhn paraqhkhn fulacon.
1 Tim. 6, 20. 2 Tim. 1, 14.
++) 2 Tim. 1, 13. upotuppsin
[sic] exe twn ugiainontwn logwn.
Die Stelle beginnt mit einer Ermunterung zur Thätigkeit in den übernommenen Amtspflichten, das verbindende kai läßt im Folgenden eine Erklärung von dem erwarten, worin Paulus gerade vorzüglichen Eifer angewandt wissen will. Wenn wir das schwierige dia pollwn marturwn einstweilen übersehen, so geben die andern Worte deutlich den passenden Sinn: "das, was du von mir empfangen hast, das vertraue erprobten Männern wieder an." Was dieses sey, darüber läßt uns die Parallelstelle 2 Tim. 1, 13., wo ugiainontej logoi vorhergehet, nicht lange im Zweifel: es ist eben die heilsame Lehre, welche Timotheus vom Paulus empfangen hatte. Auf diese para qhkh winkt auch das in jener Stelle gebrauchte paraqou *). - Diese natürliche Erklärung ist indeß wegen des in den Vordersatz verwebten dia pollwn marturwn häufig verändert. Man erklärt diese Worte gewöhnlich durch: coram multis testibus, und bezieht nun das Ganze auf die Feierlichkeit der Händeauflegung oder der Amtsweihe, wie 1 Tim. 6, 12. Diese Stellen können aber schwerlich mit einander verglichen werden, denn in der letzten redet der Apostel offenbar nicht eigentlich zum Timotheus, sondern zu den Christen, die in Gefahr sind, verführt zu werden, und ermahnt sie, ihres öffentlichen Christengelübdes eingedenk zu seyn. In unserer redet er Timotheus namentlich an, und giebt ihm eine Aweisung [sic], wie er christliche Lehrer vorbereiten
*) So auch Theodoret ad h. l. touj th pistei kekosmhmenouj tauta didacon, a memaqhkaj, ina kakeinoi palin proj eterouj thn didaskalian diaporqmeuswsi.
soll. Nach der gewöhnlichen Erklärung müssen
a
hkousaj par' hmwn die Worte seyn, welche Paulus bei der Ordination
gebrauchte. Sollte Paulus das Wichtigere - nämlich den vorbereitenden
Unterricht vergessen haben über dieser Ordinationsformel? Bedurfte
es ferner bei der Ermahnung, diese zu gebrauchen, einer Einleitung, wie
diese ist: "Zeige dich muthig, thätig durch den gnädigen Beistand
Christi?" Welche Bedeutung giebt man endlich dieser Erklärung wegen
der Präposition dia, die hier mit
enwpion
gleichbedeutend seyn soll?
Am passendsten wäre hier wohl
die Ellipse eines von den naheliegenden Participien marturoumena,
bebaioumena anzunehmen, so daß die Stelle mit synonymen Ausdrücken
aus Hebr. 2, 3. so umschrieben würde:
a hkousaj par'
emou upo twn akousantwn eij hmaj bebaioumena.
So nimmt auch Clemens in einem Fragmente
seiner Hypotyposen die Bedeutung von dia. Er
denkt zwar bei den marturej an das Gesetz und
die Propheten, welche der Apostel Zeugen seiner Predigt zu nennen pflegte
*); die grammatische Erklärung bleibt indeß unverändert,
wenn wir die marturej in den Aposteln suchen,
auf deren persönliche Zeugnisse die Glaubwürdigkeit des Evangelii
beruhete. Uebersetzt würde also jene Stelle lauten:
"Was du von mir durch viele Zeugen
bezeugt ge=
*) Clem. Hypotyp. l. VII. (ap. Oecumen. in h. l. - in Potters Ausgabe des Clem. Th. 2. S. 1015) dia pollwn marturwn toutesti nomou kai profhtwn. toutouj gar Apostoloj epoieito marturaj tou idiou khrugmatoj.
hört hast, das vertraue sichern Männern an,
welche tüchtig sind, es Andern zu verkünden?"
Verbindet man diese Stelle mit einigen
andern sich dahin beziehenden, so werfen diese ein helleres Licht auf die
Art der Fortpflanzung des Evangelii in den ersten Zeiten des Christenthums.
Auf den Aposteln als Augenzeugen ruhte
die Gewißheit des Evangelii und die Kraft des Zeugnisses. Ihre Predigt
war nach dem durchgängigen Sprachgebrauche des N. T. *) ein Zeugniß,
das durch ihre Persönlichkeit erst seine Kraft erhielt. Darum legten
sie stets ein so hohes Gewicht darauf, daß sie Augenzeugen gewesen
waren **); daher war es zu einem Apostel ein so unentbehrliches Erforderniß,
daß er Jesum selbst gesehen und gehört hatte, daß bei
der Wahl eines neuen Apostels dieß als etwas, was sich von selbst
verstand, berührt wurde ***), und daß Paulus sich auf seine
Autopsie beruft, um seine apostolische Würde zu erweisen +). Die Uebereinstimmung
dieses Zeugnisses mit den Weissagungen des Alten Testaments war der Ueberzeugungsgrund
des Christenthums, und so wurde es erbaut auf den Grund der Propheten und
Apostel ++).
*) marturein. martureisqai.
diamartureisqai ton Xriston oder to Euaggelion.
marturia. martur. [sic]
**) toutou hmeij esmin
[sic] marturej. Act. 2, 32. 3,
15. 10, 39. cf. 1 Ioh. 1, 1-3. 2 Petr. 1, 16-18.
Apoc. 1, 2.
***) Act. 1, 21. 22.
+) 1 Cor. 9, 1. ouk eimi apostoloj;
ouxi Ihsoun Xriston ton kurion hmwn ewraka;
++) Eph. 2, 20. epoikodomhqentej
epi tw qemeliw twn ap. kai prof.
Wie der Glaube der Schüler der
Apostel sich auf die persönliche Autorität des Lehrers stützte,
wird besonders da deutlich, wo Paulus den Timotheus auf seine Persönlichkeit,
sein apostolisches Ansehen weiset, um ihn zur Beharrlichkeit in der empfangenen
Lehre zu ermuntern *). Aber auch auf die Schüler, die von den Aposteln
dazu tüchtig gemacht waren, erbte die Kraft des Zeugnisses fort; auch
Timotheus, obgleich nicht Augenzeuge, obgleich selbst auf den Grund der
Apostel erbaut, konnte wieder den Herrn bezeugen **), und, wie die vorhin
behandelte Stelle darthut, wieder Andere durch Mittheilung des empfangenen
Unterrichts tüchtig machen, das Evangelium zu bezeugen. So konnte
ein späterer Christ sagen, daß das Evangelium durch das Zeugniß
der Augenzeugen gesichert auf ihn und seine Zeit gekommen sey ***), ohne
daß er etwa an eine verbürgende Syngraphe dachte.
Noch eine Frage dringt sich bei jener
Stelle auf: Nur erprobten Männern, die fähig wären, auch
Andere zu lehren, sollte Timotheus das anvertrauen, was er vom Paulus gehört
hätte; war denn dieses etwas Geheimes, was den Laien verborgen wurde?
Man braucht nur Pauli Briefe flüchtig gelesen zu haben, um sich zu
überzeugen, daß es dessen höchster Wunsch war, daß
alle Christen die genaueste Kenntniß des Evangelii hätten. An
einen geheimen Unterricht der Lehrer ist also hier nicht
*) 2 Tim. 3, 14. eidwj para
tinoj emaqej.
**) 2 Tim. 1, 8. mh epaisxunqhj
to marturion tou kuriou hmwn.
***) Hebr. 2, 3. upo twn akousantwn
eij hmaj ebebaiwqh.
zu denken; aber wohl bedurften diese einer besondern Unterweisung,
um die genaueste Kunde von dem Evangelio, was sie verkünden sollten,
zu erlangen. Konnten die Laien sich mit der Kenntniß der practischen
Resultate desselben begnügen, so mußten doch die Lehrer genauer
das historische Evangelium kennen, und diese upotupwsij
logwn ugiainontwn ist es wohl, die der künftige Lehrer sich
in einem besondern Unterrichte einprägen mußte.
Wollen wir also historischen Spuren
folgen, so finden wir die spätern Sagen von dem Mangel aller Schriften
in dem frühesten apostolischen Zeitalter aufs vollkommenste bestätigt,
nicht nur durch die Erwägung der Lage und der Ansichten der Apostel,
sondern auch durch die Prüfung ihrer spätern Briefe. Und da wir
in den Briefen Pauli an seine Schüler, die doch jene Diegese besitzen
mußten, deutlich mündliche Ueberlieferung als Quelle ihrer Kenntniß
vom Evangelio genannt finden, so schließen wir daraus mit Recht auf
die Nichtexistenz einer solchen Diegese, und suchen das Problem der Evangelienharmonie
aus andern Ursachen zu erklären.
[Top]
E s b i l d e t e n s i ch u n t e r d e n A p o st e l n s e h r f r ü h g l e i ch e E r z ä h l u n g s f o r m e n d e s E v a n g e l i i.
Da nach dem Vorherigen die frühern Hypothesen, sowohl die, welche eine Benutzung der Evangelisten unter sich, als die, welche den gemeinschaftlichen Gebrauch früherer schriftlicher Quellen annehmen, theils in Rücksicht auf die Erklärung des Problems nicht befriedigen, theils
von der Geschichte zurückgewiesen werden; so bleibt
nur noch eine Annahme zurück, nämlich die, daß die Evangelisten
eine gleiche mündliche Quelle benutzten: und wir dürfen behaupten,
daß, wenn die übrigen Fälle nicht angenommen werden können,
schon deswegen dieser allein übrig bleibende Ausweg uns für wahr
gelten muß. Für den Urheber der Hypothese von einem mündlichen
Urevangelio, als Quelle der Evangelienharmonie, wird oft H e r d e r gehalten;
er ist es indeß mehr, insofern seine Untersuchungen Gedanken anregten,
die Andere zu jenem Resultate führten, als weil er selbst ein solches
in strengen Sinne des Worts angenommen hätte. Er hebt es nämlich
in seinen Schriften über diesen Gegenstand *) besonders stark hervor,
daß die Apostel keineswegs mit neuen heiligen Schriften hervortreten
wollten, und daß das Evangelium seiner Natur nach mündliche
Botschaft war, die sich an das A. T. genau anschloß. Weil er dennoch
zur Erklärung der Evangelienharmonie einer schriftlichen Grundlage
nöthig zu haben glaubt, so läßt er zum Behufe jener mündlichen
Ankündigung des Evangelii früh einen schriftlichen aber nicht
edirten Entwurf verfaßt werden, nennt aber diesen seines Zwecks wegen
immer noch ein mündliches Evangelium.
Der Erste, welcher aus einem
e i g e n t l i ch e n mündlichen Evangelio die Entstehung der Evangelien
herleitete, war E ck e r m a n n. Seine frühern Untersuchungen über
*) J. G. H e r d e r Regel der Zusammenstimmung unserer Evangelien. 1797. (Werke. Th. 12.). Vergl. Bertholds Einleit. Th. 3. S. 1232.
diesen Gegenstand *) hatten ihn zu dem Resultate geführt, daß in den frühesten Zeiten des Christenthums das Evangelium nur mündlich fortgepflanzt sey, und er glaubte daher die Abfassung unserer Evangelien erst in die Zeiten Trajans setzen zu müssen. Indeß nahm er hier einen kleinen Aufsatz vom Leben Jesu als die gemeinschaftliche Grundlage der 3 ersten Evangelien an, aus welchem durch Vervollständigungen aus andern Nachrichten kata Matq., kata Mark., kata Loukan unsere drei ersten Evangelien erwachsen seyen. In einer spätern Schrift **) erklärte er sich aber, obgleich nur kurz, doch bestimmt, für das Entstehen der Evangelien aus einer gleichförmigen Tradition, läßt diese aber erst durch die Herausgabe des aramäischen Evangelii des Matthäus fixirt werden. Seine eigenen Worte sind: "die Uebereinstimmung der Evangelien läßt sich sehr wohl erklären, wenn man auch annimmt, daß alle drei Evangelisten ganz von einander unabhängig ihre Evangelien geschrieben haben. Matthäus hatte ja, nach dem Zeugnisse des Alterthums, zuerst für Palästina ein hebräisches Evangelium aufgesetzt. Dieß Evangelium ward natürlich der Prototypus, oder das Urbild aller mündlichen Nachrichten von Jesus Geschichte und Lehre, die in Palästina von christlichen Evangelisten und Lehrern, und hernach auch von Christen, die von
*) J. Chr. R. E ck e
r m a n n theologische Beiträge. Bd. 5. St. 2. Altona, 1796. S. bes.
S. 155. 209. ff. Dagegen: (Munschers) Bemerkungen und Stäudlins Beiträgen
zur Philos. und Geschichte d. Relig. u. Sittenlehre. Bd. 5. S. 152.
**) J. Chr. R. E ck
e r m a n n 's Erklärung aller dunkeln Stellen des Neuen Testaments,
Th. 1. (Kiel, 1806.) Vorrede, S. XI. XII.
solchen Evangelisten und
Lehrern die Erzählung gehört hatten, weiter verbreitet wurden.
Ist es denn befremdend, daß Marcus und Lucas, die ihre evangelischen
Nachrichten in Jerusalem gesammelt hatten, von den Augenzeugen, bei welchen
sie sich erkundigten, oder von den Lehrern, deren Vorträge sie gehört
hatten, solche Nachrichten erhielten, die in Materie und Form mit Matthäus
Evangelium eine auffallende Aehnlichkeit haben?"
Neuerlich wurde diese Hypothese, wenn auch in etwas verschiedener Gestalt,
von zwei Gelehrten wieder vorgetragen. K a i s e r *), davon ausgehend,
daß ein schriftliches Urevangelium nicht bewiesen werden kann, behauptet,
daß im Anfange nur mündliche Sagen existirten, die sich von
Lehrern zu Lehrern fast wörtlich übereinstimmend fortpflanzten,
weil die Traditionen fast als wörtlich memorirter Unterricht in das
Gedächtniß gefaßt worden seyen. Erst nach weiterer Ausbreitung
des Christentums seyen für entferntere Gemeinden schriftliche Evangelien
nöthig geworden, so seyen auch unsere 4 canon. Evangelien ganz von
einander unabhängig verfaßt, und ihre Harmonie erkläre
sich aus der früheren Uebereinstimmung der Sage.
Der R e c e n s e n t von D. F. Schütz diss. de evangeliis, quae ante
evangelia canonica in usu eccl. christ. fuisse dicuntur in der Hall. Allgem.
Lit. Zei=
*) Dr. G. P. Chr. K a i s e r biblische Theologie. Th. 1. (1813.) S. 224.
tung *) schlägt ebenfalls
diesen Weg zur Erklärung der Evangelienharmonie ein, verbindet damit
aber die von P a u l u s vorgetragene Hypothese.
Die mündlichen
Erzähler der Geschichte Jesu, die Evangelisten, vereinigten sich nach
dieser Vorstellung noch zu Jerusalem, wahrscheinlich noch vor der ersten
Zerstreuung, über einen gemeinschaftlichen Leitfaden ihrer Diegese,
welcher theils aus Erzählungen der Augenzeugen, theils aus fragmentarischen,
schon vorhandenen Aufzeichnungen (Notizen etlicher auf einander folgenden
Tage) zusammengeordnet wurde. Dieser Leitfaden wurde die Grundlage unserer
drei Evangelien, der frühesten, welche überhaupt geschrieben
sind. Aus Erzählungen entstanden die kürzern unbestimmtern Andeutungen,
aus frühern Aufzeichnungen die genaueren Notizen etlicher auf einander
folgenden Tage. Daher stimmen Matthäus und Lucas gerade so überein
und gehen gerade so von einander ab, wie es sich begreifen läßt,
wenn beide dieselbe m ü n d l i ch e Quelle gebrauchten, welche zwar
das Wesentliche in der Gedankenfolge, den Hauptausdruck fesselte, doch
aber in der sonstigen Einkleidung und in Hinzufügung einzelner Anecdoten
Freiheit zuließ. Ob Marcus ebenfalls unabhängig schrieb, oder
nach Paulus aus Matthäus und Lucas schöpfte, darüber erklärt
sich diese Hypothese nicht bestimmt; sie scheint sich indeß zu der
letztern Meinung zu neigen, wenn sie sagt, daß Marcus sich dem Matthäus
und Lucas als Vereiniger von beiden angereiht habe.
*) Jahrg. 1813. May. St. 105. 106. S. 11-14.
Was F
r i tz s ch e *) gegen diese Hypothese des Recensenten erinnert hat, ist
gegen einzelne Gründe, womit dieser sie gestützt hat, zum Theil
treffend; gegen die Hypothese selbst wird aber eigentlich nur ihre Unwahrscheinlichkeit
erinnert, über welche bald die Rede seyn wird **).
Zur Vertheidigung
der Hypothese von einem mündlichen Urevangelio muß vor allem
erwiesen werden, daß sie zur Erklärung der Evangelienharmonie
ausreiche, dann daß sie historisch wahrscheinlich sey und sogar durch
historische Spuren bestätigt werde.
Sie erklärt
zuerst vollständiger als die übrigen Hypothesen jenes Phänomen,
denn:
1. Daß
alle drei Evangelisten eigenthümliche, daß sie aber auch je
zwei und zwei, und daß endlich alle drei Evangelisten gemeinsame
Abschnitte haben, erklärt sich, wenn man, wie es in der Folge wahrscheinlich
gemacht werden wird, annimmt, daß jene mündliche Norm nicht
eine wie auf einem Concilio bestimmte Fessel war, sondern unter den Aposteln
bei der öftern Wiederholung
*) C h r i st. F r i
e d r. F r i tz s ch e Prüfung der Gründe, mit welchen neuerlich
die Aechtheit der Bücher Mosis bestritten worden ist. Nebst einem
Anhange über das Urevangelium. Leipzig, 1814. S. 157-171.
**) Nur aus der Anzeige
in der Hall. A. L. Z. (März, 1817. St. 25. S. 195) kenne ich den Aufsatz
des Amtspropstes H e r tz zu Roeskilde: Ueber die Gleichheiten in den
3 ersten canon. Evangel., besonders mit Rücksicht auf die Hypothese
von einem Grundevangelio" (in den Videnskabelige Forhandliger" der Seeländischen
Landemode. Bd. 1. S. 32-59. 1811.). In jener Anzeige heißt es: Mit
Herder nimmt der Verfasser übrigens eine Art von Grundevangelium an,
nämlich ein mündliches, und dieses wird niemand streitig machen."
derselben Erzählung
mehr wie von selbst entstand. Bei den nachher unabhängig von einander
schreibenden Evangelisten mußte daher eine verschiedene Auswahl des
vorhandenen Reichthums entstehen, die sich theils nach der Individualität
eines Jeden, theils nach der Verschiedenheit derjenigen bestimmte, für
welche die Syngraphen verfertigt wurden. Wenn sich bei einzelnen Erzählungen,
die Einem Evangelisten eigentümlich sind, in seinen Verhältnissen
Veranlassungen dafür auffinden lassen, daß er gerade dieselben
mittheilte, so sind dieß historische Spuren, welche die Hypothese
bestätigen.
2. Die
gleiche Anordnung der Erzählungen macht wohl die wenigsten Schwierigkeiten.
Denn wenn die Begebenheiten des Lebens Jesu den Evangelisten von der höchsten
Wichtigkeit scheinen mußten, so konnte ihnen die Kenntniß der
Reihenfolge derselben nicht gleichgültig seyn. Die wenigen Abweichungen
der Evangelisten von einander in dieser Hinsicht erklären sich wieder
aus der Freiheit, die ein mündlicher Erzählungstypus ihnen lassen
mußte.
3. Daß
die Sprache aller drei Evangelisten, selbst die des Lucas, der doch sonst
wohl der reinen griechischen Sprache mächtig war, ein hebraizierendes
Griechisch ist, erklärt sich am treffendsten aus dieser Annahme einer
durch den steten Gebrauch einmal sanctionirten mündlichen Quelle,
weil es sonst unbegreiflich bleibt, warum Lucas, der für Griechen
schrieb, nicht die vorhandenen Nachrichten von Jesu in einer die Griechen
mehr ansprechenden Sprache verarbeitete. Es leuchtet ferner von selbst
ein, daß, wenn ein solcher mündlicher Typus Grundlage unserer
Evangelien war, ein solches gleiches
Zusammentreffen im Ausdrucke,
gemischt mit Abweichungen in oft unbedeutenden Synonymen und mit Eigenthümlichkeiten
in Hinzufügung einzelner Umstände und in Umstellung oder veränderter
Darstellung derselben Gedanken entstehen mußte, wie wir es in unsern
Evangelien finden. Insofern sich die Gründe, weshalb Matthäus
und Marcus einander verwandter im Ausdrucke sind, als Lucas mit ihnen,
in Verfolgung dieser Hypothese auffinden lassen, so erhält dieselbe
dadurch einen neuen Beweis für ihre Wahrheit.
4. Selbst
der Umstand, daß die Evangelisten gewisse Stellen des A. T. unter
sich übereinstimmend, aber von dem hebr. Texte und der LXX. abweichend
citiren, läßt sich aus der Annahme eines mündlichen Typus
wohl erklären. Findet sich doch auch bei Citaten in den Briefen verschiedener
Apostel ein gleiches Verhältniß unter sich und zu den Quellen
(z. B. 1Petr. 2,6.8. Röm. 9,33.), ohne daß man deshalb den gemeinschaftlichen
Gebrauch einer besondern Version voraussetzen dürfte. Waren die messianischen
Stellen nothwendige Theile des mündlichen Evangelii, und mit diesem
enge verbunden; so erhielten sie ebenfalls ihre eigenthümliche Stellung
und Form in demselbem, und bewahrten diese bei den einzelnen Jüngern
mehr oder weniger, je mehr oder weniger oft ihrer Wichtigkeit gemäß
sie vorgetragen wurden.
5. Vorzüglich
aber nützt diese Hypothese zur Erklärung des Verhältnisses
der Evangelien, wenn man dasselbe aus den beiden Hauptgesichtspuncten betrachtet,
die oben bei der Characterisirung desselben ausgehoben sind. Daß
die Evangelienharmonie erst mit den Erzählungen
von Johannes dem Täufer beginnt, hat seinen Grund darin, daß die messianischen Beurkundungen des Lebens Jesu erst hiermit begannen, und die Predigt der Apostel sich nicht höher hinauf erstreckte *). Durch nichts läßt es sich so bequem als durch die Annahme einer gemeinschaftlichen mündlichen Quelle erklären, wie es gekommen ist, daß die Erzählungen, je wichtiger sie den Schülern scheinen mußten, desto übereinstimmender vorgetragen werden. Natürlich wurden diese am häufigsten vorgetragen, und ihre ursprüngliche Form erhielt sich also durch die öftere Wiederholung reiner, als die der übrigen Erzählungen, von denen mehr die Materie als die Form in dem Gedächtnisse der Einzelnen bewahrt wurde. Daß aber auch in diesen mehr oder weniger die a u f f a l l e n d e n Ausdrücke gleich sind, während vor und nach denselben in Synonymen variirt wird, mußte auch die natürliche Folge eines mündlichen Typus seyn; insofern gerade jene auffallenden Ausdrücke sich am festesten dem Gedächtnisse einprägen mußten, und am wenigsten mit andern verwechselt werden konnten. Selbst der Umstand, daß gewisse Schwierigkeiten in den Evangelien sich dadurch heben lassen, daß man den Text wieder ins Hebräische zurück übersetzt, ist mit der Annahme eines mündlichen Typus eben so gut vereinbar, wie mit der Annahme einer von den Evangelisten übersetzten hebräischen Schrift. Da die Schriftsteller meist hebräische Juden waren, da das mündliche Evangelium sich zuerst hebräisch constituirte, so konnte es nicht anders seyn, als daß sie
*) Act. 1,21.22. 10,37.
auch in der Folge sich ihre
griechischen Ausdrücke mit den hebräischen des ersten Evangelii
zusammen d a c h t e n, und daß jene daher oft durch Zurückführung
auf diesen erläutert werden müssen.
Wenn also durch einen blos mündlichen Evangelientypus als Grundlage
der Evangelien, deren Verhältnis zu einander erklärt werden kann,
wenn von Schriften in dem ersten apostol. Zeitalter sich keine Spur nachweisen
läßt; so scheint, daß man der Consequenz halber nicht
ein Gemisch von mündlichen und schriftlichen Nachrichten zur Quelle
der Evangelien machen darf, sondern bei einer blos mündlichen Quelle
stehen bleiben muß. Zwar k ö n n e n allerdings einzelne Evangelisten
die empfangene Evangelientradition ganz oder zum Theil zur desto sicherern
Stütze ihres Gedächtnisses schon früh aufgeschrieben haben,
dieß kann eben so wenig historisch widerlegt als erwiesen werden.
Aber eine solche Schrift blieb, selbst wenn sie einigen Freunden mitgetheilt
wurde, doch nur Privatschrift, die mit der allgemeinen Tradition im Ganzen
identisch war - eine paradosij eggrafoj
zu Privatzwecken. Daß unsere Evangelisten gemeinschaftlich E i n
e solche Syngraphe zum Grunde legten, kann aus früher erörterten
Gründen nicht zugegeben werden; Einer oder der Andere k a n n allerdings
ältere Schriften benutzt haben, da diese aber aus der allgemeinen
Tradition geschöpft waren und mit dieser übereinstimmten, so
schöpfte er doch im Grunde durch jenes Medium nur aus dieser. Da wir
nun weder durch das Verhältniß der Evangelien zu einander, noch
durch historische Gründe auf solche ältere Schriften, die Einzelne
unserer Evangelisten benutz=
ten, geführt werden,
so müssen wir zwar die Möglichkeit derselben zugeben, dürfen
sie aber bei der Erklärung der Evangelienharmonie nicht als n o t
h w e n d i g voraussetzen.
Der Erweis der historischen Wahrscheinlichkeit dieser Hypothese wird am
besten dadurch geführt, daß wir dieselbe durch die verschiedenen
Zeiten hindurchführten, und sie mit den davon vorhandenen historischen
Nachrichten zusammenstellten. Findet sie auf diesem Wege keinen Anstoß,
gesellen sich ihr aber mehrere unterstützende historische Spuren bei,
so ist dieß unstreitig ein Vorzug, den sie vor andern Hypothesen
voraus hat.
[Top]
U e b e r d i e A r t, w i e s i ch u n t e r d e n A p o st e l n e i n g l e i ch f ö r m i g e s m ü n d l i ch e s E v a n g e l i u m a u s b i l d e t e.
Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der hier vorgetragenen Hypothese von den frühern, die ebenfalls ein mündliches Urevangelium annehmen, ist das, daß sie in keiner eigentlichen Abrede und in keiner Normalschrift den Ursprung desselben sucht; und es scheint, daß sie dadurch in historischer Rücksicht gewinne. Denn auf jeden Fall mußte die förmliche Constituirung einer Norm für die mündliche Predigt des Evangelii im apostolischen Zeitalter eine zu bedeutende Wichtigkeit haben, als daß der Mangel an allen Winken darüber für unentscheidend gehalten werden dürfte. Dann paßt aber auch eine künstliche Verabredung und ein ängstliches Memoriren von Erzählungsformen für begeisterte Augenzeugen zu wenig,
als daß sich nicht auch von dieser Seite Schwierigkeiten
gegen jene Meinung erheben sollten.
Wenn wir dagegen jene Erzählungsformen
in dem Apostelkreise zu Jerusalem auf eine ungezwungene Weise und mehr
wie von selbst sich ausbilden lassen, so leuchtet es zuerst bald ein, daß
d i e B i l d u n g d e r A p o st e l eine solche
Vereinigung in ihren Erzählungsformen sehr begünstigte.
Denn 1) wenn die Gleichheit der Auffassung
irgend einer Begebenheit von der gleichen Stärke der Sinnenwerkzeuge,
der gleichen Bildung des Geistes, dem gleichen Standpuncte und der gleichen
Aufmerksamkeit der verschiedenen Beobachter abhängt; so läßt
sich behaupten, daß die Thaten Jesu von den Aposteln auf eine ungefähr
gleiche Art aufgefaßt werden mußten. Wie überhaupt in
einem ungebildeten Volke die Bildung der Einzelnen sich gleicher ist, so
war wohl auch der Grad der Bildung bei den Aposteln (denn Paulus gehört
nicht hierher) so ziemlich derselbe. Sie waren sämmtlich Palästinenser
aus der niedrigern Volksklasse, aber alle, dieß müssen wir von
der Wahl eines Menschenkenners, wie Jesus es war, erwarten, voll trefflicher
Anlage, beseelt von einem gleichen Enthusiasmus für ihren Lehrer,
von gleicher Aufmerksamkeit auf seine Worte und Thaten, deren nächste
Zeugen sie stets waren.
2) Wie die Auffassung der Begebenheiten
bei den Aposteln sich ähnlich war, so mußte es auch die Darstellung
derselben werden. Man hat mit Recht behauptet, daß jeder Gedanke
selbst in den reichsten Sprachen nur einen ihm ganz entsprechenden Ausdruck
habe, und
daß jede Veränderung von diesem jenen, wenn
auch noch so fein, nuancire. In den ärmern Sprachen ist seine Nuancirung
natürlich schwieriger, und jede Veränderung des Ausdrucks bringt
in ihnen schon stärkere Veränderungen des Gedankens hervor. Eine
arme Sprache läßt daher um so vielmehr nur Einen ganz entsprechenden
Ausdruck für jeden Gedanken zu.
Die Muttersprache der Apostel war
die Syrochaldäische, wohl wenig reicher als die von ihr verdrängte
hebräische Sprache. Selbst die reiche griechische Sprache, die seit
Alexander allmählig diesem Volke bekannt wurde, trug zur Bereicherung
des Ausdrucks wenig bei. Man borgte von ihr nur einen kleinen Theil ihres
Reichthums, um ihn zum Ausdruck hebräischer Gedanken umzuformen, und
so wurde diese reiche Sprache auf diesem Boden wieder zu einer eben so
großen Armuth zurückgebracht, als ihr je eigen gewesen seyn
mag.
3) Endlich ist die Einfachheit des
apostolischen Zeitalters zu erwägen, die ein S t r e b e n
nach Abwechslung des Ausdrucks nicht zuließ. Uns begegnet es häufig,
daß wir, ohne es zu wissen, im Ausdrucke abzuwechseln suchen, theils
weil unsere reichere Sprache uns dazu eher in den Stand setzt, theils weil
unsere verwöhnteren Ohren durch Eintönigkeit ermüdet werden.
Daß aus einer solchen Gleichheit
der Bildung, der Armuth der Sprache und der Simplicität des Characters
eine gleichartige Darstellung derselben Sachen hervorging, das läßt
sich in den apostolischen Schriften wie in den ältern griechischen
und hebräischen Producten nachweisen.
Wie beim Homer und im A. T. überbringt
auch hier der Bote seinen Auftrag in derselben Form, worin er ihn erhalten
hat *), ohne eigenmächtig daran zu ändern. Die Apostel sagten
stets dasselbe mit denselben Worten, und selbst Paulus, der Gebildeteste
unter allen, ist dieser Simplicität treu, wie dieß insbesondere
aus der langen Reihe der wörtlich übereinstimmenden Stellen in
den Briefen an die Epheser und an die Colosser erhellt **). Eben so auffallende
Aehnlichkeiten finden sich in den Briefen 2 Petri und Judä, wie sich
auch viele Ausdrücke und Ideen der Briefe des Petrus ***) und Jacobus
+) in den Paulinischen wiederfinden. Vorzüglich wichtig ist aber hier
die gleichförmige Wiederholuug [sic] einiger Erzählungen in der
Apostelgeschichte, die Verschiedenen in den Mund gelegt werden, auch durch
ihre Abweichungen beweisen, daß nicht Eine von der Andern abgeschrieben
sey, und die deshalb für vollkommene Parallelen der Evangelienharmonie
gelten können. Hierhin gehören:
1) Pauli Bekehrung zuerst von Lucas
erzählt (Act. 9,2-8.); dann vom Paulus in der Rede, welche er von
der Burg Antonia herab an das Volk hält (Act. 22,5-11.); endlich in
der Rede an den König Agrippa wiederholt (Act. 26,12-18.).
Die ersten beiden Erzählungen
harmoniren meistens
*) Luc. 7,19. cf. 20. 19,31. cf. 34.
**) Hänleins Einleit. Th. 2. S. 414.
***) J. D. S ch u l z e der schriftstellerische
Char. und Werth des Johannes. Weißenfels und Leipzig, 1803. S. 15-35.
+) a. a. O. S. 47-50.
wörtlich bis auf unbedeutende
Vertauschungen einzelner Ausdrücke mit Synonymen und kleinen Veränderungen
der Construction. Zugleich findet sich aber auch hier als Seitenstück
zu den scheinbaren historischen Widersprüchen der Evangelisten ein
directer Widerspruch in den Worten:
|
|
akouontej men thj fwnhj mhdena de qewrountej | thn de fwnhn o u k h k o u s a n tou lalountoj moi. |
Die dritte Erzählung
weicht von den beiden ersten mehr im Ausdrucke ab (wie Lucas von Matthäus
und Marcus), und hat in der längern Rede Jesu 26,16-18, welche Paulus
in dem Sinne Jesu hinzuzufügen scheint, etwas ganz Eigenthümliches.
2) Die
Vision des Cornelius (Act. 10,3-6.), wieder erzählt von Petrus (V.
30-32.), wo insbesondere die Rede des Engels bis auf den Zusatz V. 31.
wörtlich gleich erzählt wird. Kürzer zusammengezogen findet
sich diese Erzählung wieder 11,13.14.
3) Die
Vision des Petrus 10,10-16., und 11,5-10., bis auf die Vertauschung einiger
Synonymen wörtlich gleich. Aus diesen Proben leuchtet es ein, wie
sehr die Bildung, die Sprache und die Simplicität des apostolischen
Zeitalters sich überhaupt zu einer gewissen Gleichheit der Darstellung
hinneigte. Es lassen sich leicht die besondern Ursachen auffinden, welche
eine um so größere Gleichheit in den evangelischen Erzählungen
bewirken mußten. Sie
liegen in der h o h
e n W i ch t i g k e i t, welche sie in den Augen der Jünger
hatten, in den besondern A u f f o r d e r u n g e n s i e
t r e u z u e r z ä h l e n, und in der N
o t h w e n d i g k e i t, worin sich die Jünger sahen,
s i e s e h r o f t z u w i e d e r h o l e n.
Auf die
Wichtigkeit der Lebensgeschichte Jesu, als eines Beweises, daß er
der Messias sey, ist schon oben aufmerksam gemacht. Jesus selbst zeigte
auf diese höhere Bedeutung seines Lebens bei allen Gelegenheiten hin,
und erklärte seinen Schülern häufig, wie durch einzelne
Vorfälle in demselben alte Weißagungen erfüllt würden,
und warum deshalb jene sich gerade so und nicht anders ereigneten *). Er
sagt, daß er so rede, wie er es vom Vater empfangen habe **), nennt
seine Worte Geist und Leben ***), und sagt von ihnen, wie er früher
vom Gesetze gesagt hatte, daß eher Himmel und Erde als sie vergehen
würden +). Dann preiset er seine Schüler selig, daß sie
das sähen und hörten, welches zu sehen und zu hören die
Propheten vergeblich gewünscht hätten ++). Wenn er bei der scheinbar
unbedeutenden Handlung eines Weibes, die ihn salbet, es voraus bestimmt,
daß dieselbe überall, wo man das Evangelium verkündete,
auch erzählt werden würde +++), so setzt er dabei eine noch weit
*) Matth. 11,10. 26,24.
31. 54. 56. Marc. 9,11-13. Luc. 4,17-21. 18,31. 21,22. 22,27
**) Joh. 8,38. 12,50.
14,10. 24. 17,8.
***) Joh. 6,63.
+) Matth. 24,35. Marc.
13,31. Luc. 21,33. cf. Matth. 5,28.
++) Matth. 13,16. 17.
Luc. 10,23. 24.
+++) Matth. 26,13.
Marc. 14,9.
größere Aufmerksamkeit
seiner Jünger auf die wichtigeren Begebenheiten seines Lebens voraus.
Welchen
Eindruck mußten in diesen Verbindungen die großen Begebenheiten
auf die Apostel machen; wie mußten sie ihre ganze Seelenkraft auf
die Auffassung derselben verwenden! Wie mußten die kräftigen
Worte Jesu sich ihrer Seele aufs festeste einprägen, und ihr ganzes
Leben hindurch in derselben nachtönen!
Als ihr
Lehrer von ihnen geschieden war, und sein Leben durch ein ihnen ganz unerwartetes
Ende beschlossen hatte, da mußte ihre Begeisterung für ihn noch
höher steigen, und die Erinnerung an ihn der einzige Gegenstand ihrer
Gesprächen und ihres Denkens werden *). So lebten sie nun mehrere
Jahre lang **) aufs innigste verbunden in Jerusalem zusammen. In dieser
Zeit vereinigten sich nun die gleichen Erinnerungen bei der gleichen Spracharmuth
in gleiche Erzählungsformen, ohne daß diese künstlich verabredet
oder auswendig gelernt wären, welches sich bei begeisterten Augenzeugen
nicht denken läßt.
Schon
die öftere Wiederholung derselben Dinge führte darauf hin. Man
braucht sich nur selbst zu beobachten, um es zu erkennen, wie stark man
durch stete Wiederholung derselben Erzählung zu einer festen Form
der Darstellung veranlaßt wird; noch auffallender läßt
sich diese Bemerkung bei gemeinen Leuten und bei Kindern machen, die wegen
ihres geringern Sprachreichthums um so we=
*) Act. 4,20. ou
dunameqa hmeij, a eidomen kai hkousamen, mh lalein.
**) Nach einer alten
Tradition, die Eusebius (h. e. 5,18.) aus dem Apollonius mittheilt, 12
Jahre.
niger oft im Ausdrucke wechseln
können. Die Apostel, die sowohl durch innern Drang als durch ihren
Beruf zu einer beständigen Wiederholung der Lebensgeschichte Jesu
getrieben wurden, konnten bei der Art ihrer Bildung diesem Einflusse um
so weniger entgehen.
Vor allem
andern wurde diese Uebereinstimmung bewirkt durch die hohe Achtung der
Schüler Jesu gegen ihren Lehrer. Sie fanden schon bei ihren Gelehrten
das durch die mündliche Mittheilungsart nothwendig gemachte Gesetz,
daß der Schüler die Worte seines Lehrers ohne alle Veränderung,
wie er sie von demselben empfangen habe, seinen Zöglingen überliefern
müsse *). Brauchten sie aber bei ihrem Enthusiasmus für Jesum
eines solchen Gesetzes, um zu dem Streben ermuntert zu werden, seine Lehre
in seinen eigenen Worten zu bewahren? Hatten sie nun mit ihrer gespannten
Aufmerksamkeit und ihrer ungeschwächten Seelenkraft sich diese schon
da, als sie geredet wurden, tief eingeprägt; so konnte es nicht schwer
werden, sie jetzt durch wechselseitige Unterstützung in eine gleiche
Form zu bringen. Es darf nicht unbeachtet bleiben, daß der Verfasser
der Recognitionen des Clemens, der doch immer ein Schriftsteller des zweiten
Jahrhunderts bleibt, und wie dieß schon von Mehreren bemerkt ist,
sich vor ähnlichen Schriftstellern durch Nüchternheit und Verständigkeit
auszeichnet **), mit dieser
*) Waehner antiquit.
hebr. T. I. pag. 253. §. 25. Verba praeceptoris sine ulla immutatione,
ut prolata ab illo fuerant, erant recitanda, ne diversa illi affingeretur
sententia. cf. Schabbath, fol. 15,1.
**) I. G. R o s
e n m ü l l e r historia interpret. libr. sacr. in eccl.
christ. P. I. pag. 79-101.
Vorstellung übereinstimmt,
wenn er den Petrus sagen läßt:
"Ich
gestehe, ihr Brüder, daß ich die Fähigkeit der menschlichen
Natur bewundere, die zu allem fähig und geschickt ist. Dieß
zu sagen werde ich durch eigene Erfahrung veranlaßt, denn wenn die
Mitternacht vorüber ist, so erwache ich von selbst, und später
kommt kein Schlaf mehr zu mir. Dieß ist mir dadurch eigen geworden,
weil ich gewohnt war, die Worte meines Herrn, die ich von ihm selbst gehört
hatte, ins Gedächtniß zurückzurufen; aus sehnender Rückerinnerung
an sie erhielt ich mein Gemüth und meine Gedanken wach, um durch stete
Ueberdenkung und Wiederholung aller einzelnen Worte diese meinem Gedächtnisse
einzuprägen *)."
Bei
i h r e m Lehrer waren aber die Begebenheiten seines Lebens von gleicher
Wichtigkeit als seine Reden. Aus sie wurden gleich diesen, je nachdem sie
in messianischer Bedeutung wichtiger oder unwichtiger schienen, mehr oder
weniger der Gegenstand der Gespräche der Apostel; Einer kam dem Gedächtnisse
des Andern zu Hülfe, um die Folge der Begebenheiten, die einzelnen
Umstände mit der möglichsten Treue in der Erzählung zu erhalten;
wenn nur Einige Zeugen einer Begebenheit gewesen waren, so wurde sie von
diesen mit dem Feuer
*) Recognit. Clem. II,1. Cum transierit medium noctis, ego sponte jam suscitor, et ultra somnus nequaquam venit ad me: quod mihi accidit ex eo, quia in consuetudine habui, verba Domini mei, quae ab ipso audieram, revocare ad memoriam; et pro ipsorum desiderio, suscitari animis meis et cogitationibus imperavi; ut evigilans ad ea, et singula quaeque recolens ac retexens, possim memoriter retinere.
begeisterter Schüler
erzählt und von den Uebrigen aufgefaßt.
Wenn
auch nicht als Hauptgrund, so mußte doch auch mehr oder weniger ein
Blick auf die feindseligen Juden, die schon Jesum so oft in seiner Rede
zu fangen suchten, die Apostel zu einer genauen Einigung ihrer Erzählungen
bewegen. Noch die spätern Christen erfuhren es, wie diese das Treffliche
in einer Rede leicht übersahen, um mit den kleinlichen Künsten
einer spitzfindigen Logik über ein weniger sorgfältig gewähltes
Wort herzufallen, und Gottlosigkeit und Frevel in demselben zu suchen *).
Es leuchtet ein, daß in diesen Verhältnissen nur strenge Uebereinstimmung
die Apostel vor dem Vorwurfe, daß sie sich selbst widersprächen,
sichern konnte, und daß auf der andern Seite eine genaue vorausgehende
Auswahl des Ausdrucks nöthig war, um in diesem den Uebelwollenden
keinen Anlaß zu erfolgreichen Angriffen zu geben.
Daß
endlich auch der gemeinschaftliche Gebrauch des A. T., insofern es das
Leben Christi in Weißagungen und Typen enthielt, diese Einigung im
Ausdrucke beförderte, darf nicht übersehen werden. Es gab nicht
nur im Allgemeinen das Muster für eine dem Gegenstande würdige
Sprache, sondern insofern gewisse Begebenheiten
*) Iustinus Martyrus dial. c. Tryph. 343. Wsper ai muiai epi ta elkh prostrexete kai efiptasqe, kan gar muria tij eiph kalwj, e(n de mikron otioun eih mh euareston umin, ti mh nooumenon ti mh proj to akribej, twn men pollwn kalwn ou pefrontikate, tou de mikrou rhmatiou epilambanesqe, kai kataskeuazein auto wj asebhma kai adikhma spoudazete.
des Lebens Jesu nach der
Ansicht der Jünger aufs genaueste sich auf gewisse Stellen des A.
T. bezogen, gaben diese auf für jene von selbst Ausdrücke her.
Wo dieß aber auch nicht der Fall war, da erhielt doch die Darstellung
der Begebenheit, insofern sie mit einer alttestamentlichen Stelle nach
einem bestimmten Gesichtspuncte verbunden werden mußte, schon durch
diese eine feste Gestalt und Haltung. Desto leichter konnten dann auch
die übrigen gleichen Gedanken in gleiche Ausdrücke zusammenfließen.
Am meisten
fixirt wurde aber erst die Form der evangelischen Erzählungen durch
den Unterricht, welchen die Apostel denen geben mußten, die zu ihrer
Gesellschaft übergetreten waren, und von denen Einige in der Folge
wieder Andere bekehren sollten. Man begreift leicht, wie durch die Vorträge,
die jetzt nöthig wurden, die von Einem Jünger gehalten, von den
Andern gehört wurden, sich die Form der Erzählung noch fester
gestalten mußte, als sie es in Gesprächen konnte. Eine noch
bestimmtere Veranlassung dazu gab wohl die Erfahrung, wie leicht bei mündlichem
Weitererzählen der Character einer Begebenheit durch allmählige
Veränderungen verwischt werden könnte. Diesem wurde am sichersten
durch feste Erzählungsformen vorgebaut, die in dem Ausdrucke zugleich
den Gedanken fesselten. Alle Vorfälle des Lebens Jesu aber hier vorzutragen,
war eben so unnöthig, als unmöglich; es mußte also eine
Auswahl der eigentlich messianischen Begebenheiten getroffen werden. Ueber
die wichtigsten unter diesen wurden die Jünger wohl bald einig, dessen
ungeachtet grenzten diese mit den minder wichtigen
durch unendliche Abstufungen
so genau zusammen, daß der Cyclus, welcher jetzt entstand *), nicht
s ch a r f abgegränzt werden konnte. Einige Erzählungen
wurden daher mehr, Andere weniger durchgesprochen und den Neulingen vorgetragen.
Jene erhielten dadurch natürlich eine ungleich festere Form des Ausdrucks,
die, welche seltener erwähnt wurden, bekamen nur in ihren auffallendsten
Theilen feste Ausdrücke, Andere endlich erhielten sich wohl nur in
der Privaterinnerung einzelner Jünger, und nahmen fast gar nicht an
dieser Conformation des Ausdrucks Theil.
So scheint
es nichts Unwahrscheinliches zu seyn, daß, indem sich zu der Einheit
der Ansicht auch die Einheit der Darstellung gesellte, sich in diesem Apostelkreise
zu Jerusalem ein in einzelnen Theilen mehr in andern weniger gleichförmiges
mündliches Evangelium bildete.
Daß
es an Stellen im N. T. fehlt, wo diese Einigung der evangelischen Erzählungen
beschrieben wird, kann gegen die Richtigkeit der Hypothese keinen Grund
abgeben. Das ungebildete Zeitalter wird am wenigsten auf s e i n
e Eigenthümlichkeiten aufmerksam gemacht, weil dieselben ihm
etwas gewöhnliches und allgemeines dünken, und ihm der historische
Maaßstab zur Vergleichung mit andern Völkern und Zeitaltern
fehlt. So auffallend uns daher auch jene Erscheinung dünken mag, so
wenig schien
*) Liegt nicht schon in dem pasin Luc. 1,3. die Voraussetzung eines vorher bestimmten Erzählungscyclus? ta panta des Lebens Jesu kann er nicht meinen, denn die hätten unendliche volumina gefüllt (Joh. 21,25.); es müssen also seyn ta panta, a paredosan oi ap' arxhj autoptai.
sie den Aposteln merkwürdig, die durch ihren Character, durch die Sitte ihres Landes und durch andere Umstände wie von selbst dazu gezogen wurden. Paulus dringt daher nur darauf, daß sein Evangelium mit dem der übrigen Jünger durchaus übereinstimme *); daß sich diese Uebereinstimmung auch auf Worte erstrecke, braucht er seinen Zuhörern nicht zu sagen, und wir können es z. B. aus der Vergleichung seiner Erzählung vom Abendmahle 1Cor 11,23. mit denen, welche die drei ersten Evangelisten mittheilen, leicht schließen.
[Top]
U e b e r d i e F o r t p f l a n z u n g d e s E v a n g e l i i a l s p a r a d o s i j, n e b st e i n i g e n h i st o r i s ch e n P a r a l l e l e n.
Wenn wir darin übereingekommen sind, daß die evangelischen Erzählungen sich schon unter den Aposteln in gleichen Formen ausbildeten, so dürfen wir jetzt das, was oben von der Ueberlieferung des Evangelii überhaupt gefunden ist, auf die Ueberlieferung dieser bestimmten Erzählungsformen übertragen. Sie machten also die upotupwsij logwn ugiainontwn aus, die der künftige Lehrer sich in einem besondern Unterrichte einprägen mußte, mit ihnen ging die Kraft des Zeugnisses auf denselben über, durch sie wurde das Zeugniß der Augenzeugen g e s i ch e r t **) auf die spätern Generationen gebracht (§. 5.).
*) Gal. 1,6-9. 1 Cor
15,11. 2 Cor. 11, 4. 5.
**) Hebr. 2,3. upo
twn akousantwn eij hmaj ebebaiwqh.
So wie
also die deuterwseij
der jüdischen Lehrer von einer Succession der andern überliefert
wurden (hp l(b#O hrwt);
so wurde es auch das mündliche Evangelium. Spuren davon sieht man
noch darin, daß die spätern Orthodoxen die Aechtheit ihres Evangeliums
durch die ununterbrochenen Successionen (diadoxai)
der Lehrer zu erweisen suchen, wie die Rabbinen durch ihre tlbqh
tl#Ol#O die Reinheit ihrer Lehre.
Sollte
man es schwierig finden, daß die Schüler sich ohne alle Schrift
blos durch mündliches Anhören das Evangelium einprägten?
Man könnte darauf mit der allgemeinen Bemerkung antworten, daß
in einer Zeit, wo die mündliche Sage die Bewahrerin alles Merkwürdigen
ist, das Gedächtnis der Menschen stärker und treuer sey, als
in einer andern, wo man gewohnt ist, sich auf Schriften zu verlassen, und
daß erst der allgemeinere Gebrauch der Schreibekunst eine Hauptursache
der Vernachlässigung des Gedächtnisses geworden ist *). Aber
man kann ja aus der spätern Kirchengeschichte Beispiele aufführen,
daß Menschen, ohne selbst die Buchstaben zu kennen, durch bloßes
Anhören nicht blos das Evangelium, sondern die
*) Plato Phaedr. Bd.
10. S. 380. Socrates läßt den Thanus, König von Egypten,
dem Thaut sagen: "die Buchstaben werden Veranlassung zur Vernachlässigung
des Gedächtnisses geben, und die Vergeßlichkeit befördern,
indem nun jeder im Vertrauen auf die Schrift sich von äußern
Zeichen wird erinnern lassen, ohne die Erinnerungskraft zu üben."
Caes. de bell. gall.
6,14. führt als Grund, weshalb die Druiden ihre Lehre nur mündlich
fortpflanzten und das Aufschreiben derselben verboten, unter andern auch
die Ausbildung des Gedächtnisses an, quod fere plerisque accidit,
ut praesidio litterarum diligentiam in perdiscendo ac memoriam remittant.
g a n z e h e i l i g e S ch r i f t ihrem Gedächtnisse einprägten. Augustin erzählt dieß von dem ägyptischen Mönche Antonius *), wie Gregor der Große von einem gewissen Servulus **) in Rom. Der Letzte kaufte nämlich ein Exemplar der heiligen Schrift, ließ sich aus ihm ohne Unterbrechung vorlesen, und brachte es so bei gänzlicher Unkunde der Buchstaben dahin, daß er die ganze Schrift auswendig wußte. Wie sollten die Schüler der Apostel, bei denen der Enthusiasmus für das entstehende Christentum so groß war, nicht eben so gut das Evangelium, das sie im Umrisse schon kannten, blos durch das oft wiederholte Anhören desselben ihrem Gedächtnisse haben einprägen können? Ein mechanisches Auswendiglernen der Erzählungen, welches mit der Begeisterung jener Zeit einen zu schneidenden Contrast bilden würde, darf man deshalb noch nicht annehmen. Und wenn man von dem Umfange der vorhandenen Evangelien auf den des ersten Cyclus evangelischer Erzählungen schließt; so war doch dieser wahrlich nicht so groß, daß man eine besondere Anstrengung voraussetzen müßte, ihn dem Gedächtnisse einzuprägen. Die Apostel wiederholten oft im Kreise ih=
*) August. de doctr.
christ. in prol. (T. III. p. 6.): Sine ulla scientia litterarum scripturas
divinas et memoriter audiendo tenuisse, et prudenter cogitando intellexisse
praedicatur.
**) Gregor. Magn. hom.
XV. in evangel. (T. III. p. 40.): Nequaquam litteras noverat, sed scripturae
sacrae sibimet codices emerat, et religiosos quosque in hospitalitatem
suscipiens, hos coram se legere sine intermissione faciebat. Factumque
est, ut quantum ad mensuram propriam attinet, plene sacram scripturam disceret,
quum, sicut dixi, litteras funditus ignoraret.
rer Schüler jene upotupwsij
ugiainontwn logwn; dieß reichte
hin, diesen mit den Sachen selbst die sich stets gleich bleibende Form
einzuprägen, die ihnen nahc der Sitte des Landes, bei der hohen Achtung
gegen das Evangelium, als den Grundpfeiler ihres Glaubens, und gegen die
Apostel, als Zeugen desselben, nicht minder heilig erscheinen mußte.
Einen
ungefähren Begriff dieses Lehrens und Lernens giebt Irenäus da,
wo er den Unterricht, den er als Knabe beim Polycarpus genoß, als
Greis beschreibt. Was damals geschehen war, hatte sich seinem Gedächtnisse
weit fester eingeprägt, als das, was ihn in spätern Zeiten betroffen
hatte. Der Ort, wo Polycarp saß, wenn er lehrte, sein Gang, sein
Eintritt, seine Gestalt, seine Reden als Volk, seine Erzählungen von
seinem Umgange mit Johannes und andern Augenzeugen, und von dem, was er
von diesen über die Wunder und die Lehre Jesu gehört hätte:
alles dieses war dem aufmerksamen Schüler noch so gegenwärtig,
daß er noch in seinem Alter es wieder zu erzählen im Stande
zu seyn glaubte, obgleich er es nicht dem Papiere und den Buchstaben, sondern
seinem Gedächtnisse anvertraut, und durch stete Erinnerung erneut
hatte *).
Es giebt
indeß in der ältesten Kirchengeschichte auch andere Beispiele,
wo gewisse Formeln sich in mündlicher Uebereinkunft bildeten, und
durch Tradition fortgepflanzt worden sind. Namentlich gilt dieß von
den Liturgien.
*) Iren. epist. ad Florinum (ap. Euseb. h. e. V,19.).
B a s i l i u s d e
r G r o ß e *) sagt, daß die Worte der Anrufung, welche
vor und nach den Einsetzungsworten bei dem Abendmahle gesprochen würden,
von Keinem der heiligen Männer schriftlich hinterlassen wären,
daß sie aus der Tradition geschöpft würden, aber dennoch
von großer Bedeutung bei dem Mysterium wären. Er hebt dieß
als ein einzelnes Beispiel zum Beweise aus, daß überhaupt ta
agrafa twn eqwn nicht geringere Achtung
verdienten, als ta dogmata kai khrugmata ek
thj eggraqou didaskaliaj. Da nun wirklich
auch bei der Verfolgung des Diocletian, wo vorzüglich den heiligen
Schriften nachgespürt wurde, und sich auch nicht selten Traditoren
fanden, doch nie der Verlust liturgischer Schriften erwähnt wird;
so ist die Behauptung desto mehr gesichert, daß auch die Liturgien
in den ersten Jahrhunderten nur durch Tradition fortgepflanzt und nicht
aufgeschrieben sind **).
Eben
so versichert B a s i l i u s ***) von dem Glau=
*) Basil. de Spir. Sanct.
c. 27. ta thj epiklhsewj rhmata epi th anadeicei
tou artou thj euxaristiaj kai tou pothriou thj eulogiaj, tij twn agiwn
eggrafwj hmin kataleloipen; ou gar dh toutoij arkoumeqa, wn o apostoloj
h to euaggelion epemnhsqh, alla kai prolegomen kai epilegomen etera, wj
megalhn exonta proj to musthrion thn isxun, ek thj agrafou didaskaliaj
paralabontej.
**) Renaudot
collect. liturg. oriental. Tom. I. diss. I. pag. 9. (Paris, 1716.).
I. Bingham antiquit.
eccl. T. V. pag. 116. (ed. Hallensis).
***) Basil.
l. c. epileiyei me h hmera, ta agrafa thj ekklhsiaj
musthria dihgoumenon. ew ta alla: authn de thn omologian thj pistewj, pisteuein
eij patera kai uion kai agion pneuma, ek poiwn grammatwn exomen;
bensbekenntnisse, daß es nicht schriftlich, sondern nur mündlich auf seine Zeit gekommen wäre; und hiermit harmonirt das Kirchengesetz, daß die Catechumenen das Symbolum nicht aufschreiben, sondern durch öfteres Anhören den Herzen einprägen sollten *), weshalb es auch den Namen to maqhma (apo tou ekmanqanein) **) hatte. Der Geist dieser Vorschrift ist in der spätern Zeit, wo die Christen schon so sehr in den polygraphischen Geist der Römer und Griechen eingegangen waren, und Tausende von Büchern über ihre Religion abgefaßt hatten, so befremdend, daß man ihren Ursprung nothwendig in einer einfachern Zeit aufsuchen muß. Erwägt man die Consequenz, mit welcher die Kirchenväter in den angeführten Stellen das Auswendiglernen des Symbolums stets mit dem Ausdrucke: "auf die Tafeln des Herzens, ins Herz schreiben," bezeichnen; so wird man auf die
*) C o n c.
L a o d i c. (im J. 364.) can. 46. (ap. Harduin. T. I. p. 790.): dei
touj fwtizomenouj thn pistin ekmanqanein.
C y r i l l.
H i e r o s. catech. 5. de fidei dogm. en
oligoij toij stixoij to pan dogma thj pistewj perilambanomen, oper kai
ep' authj thj lecewj mnhmoneusai umaj boulomai, kai par' eautoij meta pashj
spoudhj apaggeilai, o u k e i j x a r t a j a p o g r
a f o m e n o u j, a l l' e n k a r d i a t h|
m n h m h| s t h l o g r a f o u n t a j, fulattomenouj en
tw meleta|n.
A u g u s t i n.
edit. Bened. T. V. Serm. 212. p. 653. Nec ut eadem verba symboli teneatis,
ullo modo debetis scribere, sed audiendo perdiscere, nec, cum didiceritis,
scribere, sed memoria semper tenere atque recolere. - Bald darauf: audiendo
symbolum discitur, nec in tabulis vel in aliqua materia sed in corde scribitur.
H i e r o n y m
u s epist. 61. ad Pammach. c. 9. Symbolum fidei et spei nostrae,
quod ab apostolis traditum, non scribitur in charta et atramento, sed in
tabulis cordis carnalibus.
**) B i n g h.
ant. eccl. T. IV. pag. 66.
urchristliche Idee, welche
oben entwickelt ist, zurückgeführt, daß in den messianischen
Zeiten das göttliche Gesetz in die Herzen der Menschen geschrieben
werden sollte. So wie in den ältesten Zeiten das ganze Evangelium
auf diese Art bewahrt wurde, so wurde in der Folge nach Canonisirung unserer
Evangelien, um dieß Zeichen der eingetretenen messianischen Zeiten
nicht verschwinden zu lassen, jene Sitte auf das Glaubensbekenntniß
(des euaggelion suntetmhmenon
*) evangelium in nuce) übergetragen.
So übereinstimmend
indeß auch jener Erzählungscyclus bei den palästinensischen
Jüngern sich bildete, so mußte er sich doch nach den Umständen
modificiren, als das Evangelium im Auslande gepredigt wurde. So wie die
Jünger erkannten, daß auch die Heiden am Evangelio Theil hätten,
und so wie diesen dasselbe gepredigt wurde, so mußten hier von selbst
die Erzählungen fallen, in denen eine ausschließliche Bestimmung
der Juden zum Reiche Gottes gelehrt wird. Besonders veränderte sich
jener Cyclus bei dem Paulus, der mit einer ganz andern Bildung, als der,
welche die palästinensischen Jünger erreicht hatten, zum Christenthume
übergegangen war. Obgleich er die Erzählungen selbst nicht veränderte,
so mußte er doch die am meisten hervorheben, welche seinen Ansichten
am meisten entsprachen, während er andere als minder wichtig wegließ.
Ein ächt palästinensisches Evan=
*) Dionys. Areopag. de myst. Theolog. c. 1. outw goun o qeioj Barqolomaioj fhsi, kai pollhn thn qeologian einai kai elaxisthn, kai to euaggelion platu kai mega, kai auqij suntetmhmenon.
gelium giebt Matthäus, ein im Auslande modificirtes
palästinensisches, Marcus, ein paulinisches, Lucas.
Nachdem das Evangelium in verschiedenen
Ländern gepredigt war, hatte es natürlich das Schicksal aller
Tradition; da es Verschiedenen von einander Unabhängigen zu Theil
wurde, bildete es sich verschieden aus, gleich einem Puncte, der nach mehreren
Richtungen in Linien ausgeht, die, je weiter sie fortschreiten, desto stärker
divergiren. Wäre es möglich, diese Aeste und Zweige der Evangelientradition
zu bestimmen, so würde es leicht seyn, den ältesten apocryphischen
Evangelien ihre Stelle anzuweisen und ihr Verhältniß unter sich
und zu dem ursprünglichen Cyclus zu bestimmen.
Doch nun von dem Einzelnen einzeln.
[Top]
P a u l i E v a n g e l i u m.
Wie Paulus mit dem Cyclus der evangelischen Erzählungen bekannt geworden ist, muß dunkel bleiben, da er selbst nichst deutliches darüber sagt, und sich bald auf Autopsie, bald auf Offenbarung, bald auf Tradition beruft *). Vielleicht läßt sich dieß so erklären: Paulus, der sich als Schüler des Gamaliel in Jerusalem längere Zeit aufgehalten haben muß, kannte, wie alle Pharisäer, Jesum sehr wohl. Er theilte mit diesen ihre Ansichten von der Heiligkeit des mosaischen Gesetzes, und sahe in Jesu einen Menschen, der mit Hülfe des Teufels jenes Gesetz verdrängen wollte. Wenn er bei diesen Besorg=
*) 1 Cor. 9,1. Gal. 1,11. 12. 1 Cor. 15,3.
nissen auf den Neuerer mit dem starken (obgleich antichristischen) Interesse eines Eiferers für die Religion der Väter achtete; so mußten die meisten Thaten Jesu theils durch das Gerücht, theils durch eigene Ansicht ihm wohl bekannt werden und sich seinem Gedächtnisse einprägen. Jene wunderbare Begebenheit veränderte nur den Gesichtspunct, aus welchem er das Leben Jesu betrachtete: die Form, nicht die Materie des Evangelii wurde ihm also geoffenbaret. Welcher Jünger, ob Ananias oder ein Anderer, in der Folge zur Vervollständigung seiner Kenntniß des Lebens Jesu beigetragen habe, läßt sich nicht ausmitteln. Es war wahrscheinlich einer von denen, die früher von den Aposteln in Jerusalem das Evangelium empfangen hatten, und dann durch die Stephanische Verfolgung zerstreut wurden. Auch Barnabas kann Antheil daran gehabt haben, wenigstens ist soviel wahrscheinlich, daß er sich unter diesem zu einem christlichen Lehrer ausbildete. Denn dieser nahm sich zuerst seiner in Jerusalem an *), und zog ihn dann nach Antiochien, wo er im Auftrage der Apostel die Gemeinde einrichten sollte **). Daß kein Apostel ihn unterrichtete, scheint daraus zu erhellen, daß er mehrere Jahre nach seiner Bekehrung das Bedürfniß fühlt, sein Evangelium mit dem der Apostel zu vergleichen ***).
*) Act. 9,27.
**) Act. 11,26.
***) Gal. 2,2. ad h.
l. Tertull. adv. Marc. IV,2. Siquidem (Paulus) propterea Hierosolymam ascendit
ad cognoscendos Apostolos et consultandos, ne forte in vanum cucurrisset,
id est, ne non secundum illos credidisset et non secundum illos evangelizaret
etc.
[Top]
U e b e r s e tz u n g
d e s E v a n g e l i i i n s G r i e ch i s ch e. -
E v a n g e l i u m
d e r B e s ch n e i d u n g u n d E v a n g e l i u
m d e r V o r h a u t *).
Obwohl die Apostel ihren Wirkungskreis anfangs nur auf Palästina beschränkten, und deshalb das Evangelium wohl am meisten syrochaldäisch vortrugen; so waren doch schon in den ersten Zeiten auch Hellenisten Mitglieder der Gemeinde zu Jerusalem, und dieß mußte den Aposteln bald Veranlassung geben, ihr syrochaldäisches Evangelium auch griechisch auszubilden. Da diese Sprache ihnen noch weniger geläufig war, als jene, so war ihnen, um das Evangelium ohne Anstoß griechisch vortragen zu können, eine feste Form der evangelischen Erzählungen noch weit mehr Bedürfniß, als vorher. Indeß scheint die Ausbildung der gemeinsamen griechischen Uebersetzung, die man sich eben so zu denken hat, wie die frühere Vereinigung zu einem syrochaldäischen Typus, noch nicht vollendet gewesen zu seyn, als sich in Antiochien die erste christliche Gemeinde außerhalb Palästina bildete, die zum Theil auch aus bekehrten Heiden bestand. Wenigstens traute es sich kein Apostel zu, schon unter Griechen zu predigen, und man sandte deshalb zur festern Einrichtung der Gemeinde den Hellenisten Barnabas dahin. Dieser zog den Paulus, der sich schon gleich anfangs vorzüglich für die Hellenisten interessirt hatte **),
*) Oder nach E
i ch h o r n (Einl. ins N. T. Th. 1. S. 601. Anm.) H e b r
ä i s ch e r und G r i e ch i s ch e r Evangelienstamm.
**) Act. 9, 29.
ebenfalls aus Tarsus nach Antiochien; und jetzt verdeutlichte es sich diesen beiden Männern, daß das Christenthum unabhängig von dem mosaischen Cultus, und eine für alle Völker bestimmte Religion sey, worauf alsdann der Plan zu einer allgemeinen Bekehrung der Heiden folgte. Die Apostel in Jerusalem gingen zwar noch in denselben nicht ein, sondern blieben als Judenapostel bei der strengen Beobachtung des mosaischen Gesetzes; sie sprachen aber die bekehrten Heiden von der Verpflichtung, dasselbe zu halten, frei *), und erkennten den Barnabas und Paulus förmlich als Heidenapostel an, denen das Evangelium der Vorhaut anvertraut sey. Obgleich in dem Sinne der Apostel dieses Evangelium mit dem der Beschneidung durchaus einerlei war, wie dieß besonders Paulus stark urgiert; so wurde doch von manchen Christen ein Unterschied gemacht, und Einige hielten sich mehr an Paulus, Andere mehr an Petrus **). Und es läßt sich auch beinahe nicht anders denken, als daß die Veränderung des Wirkungskreises auf den Charakter des Evangelii Einfluß gehabt haben sollte. Was zuerst seine äußere Form betrifft, so bildete es sich jetzt zuerst vollends griechisch aus ***). Dieses griechische Evangelium
*) Iren. III,
12. Hi qui circum Iacobum Apostoli gentibus quidem libere agere permittebant
- -. Ipsi vero - - perseverabant in pristinis observationibus, - - religiose
agebant circa dispositionem legis, quae est secundum Moysem. Act. 15. cf.
21, 20.
**) 1 Cor. 1, 12.
***) Nicht Jesus der
Messias, sondern der Christus wurde in Antiochien verkündet, daher
hier der Name Xristianoi
zuerst entstand. Act. 11, 26.
der Heidenapostel war zwar
nur eine treue Uebersetzung des syrochaldäischen, und eine weitere
Ausbildung der schon in Jerusalem begonnenen griechischen Uebersetzung:
allein die Entfernung von Jerusalem und insbesondere die genauere Kenntniß,
welche jene Männer von der griechischen Sprache hatten, mußte
auf die Sprache ihres Evangeliums nothwendig einwirken, die härtesten
Orientalismen vermeiden, und dem Ausdrucke mehr griechische Farbe geben
lassen; obgleich die Achtung gegen die Apostel in Jerusalem, wie die Abhängigkeit
von dem syrochaldäischen Cyclus es nicht zuließ, daß diese
griechische Uebersetzung ganz ihren orientalischen Ursprung verläugnete.
Was den Inhalt des Evangeliums der Vorhaut betraf, so mußten, wie
es scheint, die Lehrer der Heiden für ihren veränderten Wirkungskreis
auch eine neue Auswahl der ihnen überlieferten Erzählungen treffen:
indem sie zwar die characteristisch christlichen unverändert aufnahmen,
aber die blos für Juden wichtigen fallen ließen, und dagegen
andere, welche mehr die Heiden angingen, stärker urgirten. Die Geschichte
muß in der Folge lehren, wie weit diese Vermuthungen über das
Evangelium der Vorhaut sich bestätigen.
Durch
den Erfolg, mit welchem die Heidenapostel das Evangelium in allen Ländern
predigten, wurden die Judenapostel in Jerusalem natürlich noch stärker
aufgefordert, sich zur Predigt in fremden Landen anzuschicken, und dazu
ihr schon früh begonnenes Werk - die griechische Uebersetzung des
Evangelii zu vollenden. Wie schon oben erinnert ist, so war ihnen wegen
ihrer geringern Kenntniß der griechischen Sprache jetzt eine feste
Form der evangelischen Erzählungen noch nothwendiger, um ohne Anstoß und mit passendem Ausdrucke das Evangelium vortragen zu können. Als daher auch die Judenapostel sich in fremde Länder zur Predigt des Evangeliums zerstreuten; so nahmen sie eine festere Form desselben aus Palästina mit, und ihre Evangelien harmonirten immer in Form und Ausdruck mehr unter sich, als mit dem Evangelio der Heidenapostel.
[Top]
N i e d e r s ch r e i b u n g d e s E v a n g e l i i.
So wurde
dasselbe Evangelium in zwei Sprachen gepredigt, syrochaldäisch den
Juden in Palästina, griechisch Juden und Heiden in den übrigen
Ländern. Je weiter es sich ausbreitete, desto mehr mußten sich
Einzelne finden, die an schriftliche Mittheilung gewöhnt auch das
Evangelium schriftlich zu besitzen wünschten. Dadurch wurden denn
Mehrere veranlaßt, dasselbe nieder zu schreiben, und unter ihnen
auch unsere drei ersten Evangelisten. So entstand eine paradosij
eggrafoj. Nur Lucas giebt in seinem
Prologe eine kurze Nachricht von seinem Zwecke, und sagt, indem er sein
Evangelium einem Theophilus bestimmt, deutlich genug, daß es nur
als eine Privatschrift anzusehen sey.
Und in
der That eine höhere Bestimmung konnte unter den damaligen Umständen
ein schriftliches Evangelium nicht haben. Das Zeugniß von Jesu hatte
seine Kraft nur im mündlichen Vortrage, in der Persönlichkeit
des Lehrers, der entweder selbst Augenzeuge gewesen war
oder es von Augenzeugen empfangen und treu aufbewahrt
hatte. Es konnte nur niedergeschrieben werden, um denen, die von Jesu Thaten
(der Zeit oder dem Orte nach) fern lebten, ein Hülfsmittel in die
Hände zu geben, welches ihnen nach dem mündlichen Vortrage zur
Wiedererinnerung dienen und eine desto deutlichere und genauere Uebersicht
verschaffen sollte.
Deshalb schrieb ein jeder die evangelischen
Erzählungen nieder, wie er sie empfangen hatte *), und der Werth seiner
Syngraphe bestimmte sich darnach, ob er die Tradition rein, oder wie sie
sich mit der Zeit verunstaltete, empfangen, und ob er sie richtig aufgefaßt
hatte.
Diese Niederschreibung des Evangelii
bewirkte, da sie blos Privatsache war, durchaus keine Aenderung in der
Manier des Unterrichts. Es wurde von den Evangelisten in derselben Gestalt
nachher mündlich gepredigt, wie es von ihnen niedergeschrieben war.
So wie dieß von Marcus ausdrücklich in der Sage erhalten ist
**), so läßt es sich auch im Allgemeinen behaupten.
Nach dieser Ansicht können die
ersten Evangelienschreiber am treffendsten mit den griechischen Logographen
vor Herodot verglichen werden, wie sie Dionysius aus Halicarnassus schildert
(Iudic. de Thucydide edit. Sylburg. T. II. pag. 138.):
outoi proairesei
te omoia exrhsanto peri thn eklo-
*) Belege sind die Sagen
über die Entstehung der 3 Evangelien ; s. unten.
**) Euseb. H.
E. II, 16. touton de Markon prwton fasi epi
thj Aiguptou steilamenon to euaggelion, o dh kai sunegrayato, khrucai (cf.
Epiph. Haer. 51, 6.).
ghn twn upo qesewn * kai dunameij
ou polu ti diaferousa esxon allhlwn - - kai autaj de tautaj i(storiaj ou)
sunaptontej allhlaij, alla kat' eqnh kai poleij diairountej kai xwrij allhlwn
ekferontej, ena kai ton auton fulattontej skopon, osai dieswzonto - - mnhmai
-, tautaj epi thn koinhn apantwn gnwsin ecenegkein, o i a j
p a r e l a b o n * m h t e p r o s t i q e n t e j a
u t a i j t i m h t e a f a i r o u n t e j.
Es braucht
nur angedeutet zu werden, wie leicht sich durch diese Ansicht andere Schwierigkeiten
der ältesten Geschichte der Evangelien lösen. Hier nur dieses:
Aus den oben entwickelten Gründen kann man nicht glauben, daß
ein Evangelist den Andern benutzt oder nur gekannt habe. Aber wie stimmt
dieß mit der engen Verbindung der Gemeinden im apostolischen Zeitalter?
Nur dann, wenn die Evangelien Privatschriften waren, auf welche von Andern
nicht sonderlich geachtet wurde, am wenigsten von den Evangelisten, welche
in dem Besitze der Quelle, der paradosij agrafoj,
waren.
[Top]
D i e P o l l o i d e s L u c a s.
In dem Prologe des Lucas finden wir zuerst schriftliche Evangelien erwähnt, und es fragt sich, wo und wie diese entstanden sind? Diese Frage läßt sich nur aus der Stelle selbst mit Hinsicht auf die damaligen Zeitumstände beantworten; denn die spätern Erklärungen der Kirchenväter, die auf das epexeirhsan zu vielen Nachdruck legten, und nun alle mögliche apocryphische Evan=
gelien, unbekümmert
um ihr Alter, dieser Stelle unterschoben, können nicht als historische
Nachrichten angesehen werden.
Nur Lucas, der sich in Gesellschaft des Paulus beinahe immer unter Griechen
aufhielt, erwähnt dieser frühen Evangelienschreiber; und so werden
wir schon hierdurch darauf geführt, diese unter den Griechen zu suchen.
Bestätigt wird diese Vermuthung dadurch, daß die Griechen, die
sich seit Alexander so mächtig zur Polymathie und zu der mit dieser
innig verbundenen Polygraphie neigten, nach diesem Character weit eher
das Bedürfniß einer schriftlichen Abfassung des Evangelii fühlen
mußten, als die einfachern sich mit mündlicher Tradition begnügenden
Hebräer*). Endlich ist es auch nicht zu übersehen, daß
jene Begebenheiten in Palästina vorgefallen waren, daß die Nachrichten
davon hier eben so bekannt, als in andern Ländern neu seyn mußten,
daß also in diesen eine Unterstützung des Gedächtnisses
durch schriftliche Abfassung nöthiger war, als in jenem Lande.
So ist es wahrscheinlich, daß die Ersten, welche das Evangelium niederschrieben,
nicht Hebräer, sondern Griechen waren, welche die (wahrscheinlich
von Paulus) mündlich mitgetheilten Erzählungen, so wie sie dieselben
aufgefaßt hatten, zu ihrem und ihrer Freunde Gebrauch schriftlich
verfaßten. Diese Quelle wird ihnen in den Worten: kaqwj
paredosan hmin oi ap' arxhj autoptai
*) So bemerkt noch lange nachher der Alexandrinische Clemens, daß die Lesung der Schriften des Herrn besonders für die nöthig sey, welche in g r i e ch i s ch e n Schulen gebildet zum Christentume übergingen. Strom. VI. c. 11. pag. 786. ed. Potter.
kai uphretai tou logou,
welche offenbar zum Vordersatze gehören, zugeschrieben. Denn daß
paradounai
hier von mündlicher Erzählung zu nehmen ist, leuchtet aus dem
Gegensatze, den es mit dihghsin anatacasqai
bildet, ein. Auch die Paradosis, welche sie niedergeschrieben hatten, war
von den Aposteln ausgegangen und durch mehr oder weniger Mittelspersonen
(diadoxoi)
auf sie gekommen; wie überhaupt das Evangelium auf diese Art fortgepflanzt
wurde.
Diese Schriften sah Lucas, bemerkte zwar ihre Mängel, wurde aber dadurch
auf den Gedanken gebracht, für seinen Theophilus das Evangelium in
einer reinern Gestalt niederzuschreiben. Seine Quelle war zwar mit der
jener Griechen dieselbe - die apostolische Paradosis; allein sie konnten
als Neulinge manche Erzählungen falsch aufgefaßt, manchen, da
sie einzeln, wie es die Gelegenheit mit sich brachte, erzählt waren,
eine falsche Stelle angewiesen, manche ganz übergangen haben. Lucas
deutet durch das epexeirhsan
auf diese Voreiligkeit im Schreiben, und verspricht bei seinern genauern
Bekanntschaft mit Paulus eine vollständigere (parhkolouqhkoti
anwqen pasin), genauere (akribwj)
und geordnetere (kaqechj)
Sammlung.
[Top]
N i e d e r s ch r e i b u n g u n s e r e r d r e i e r st e n c a n o n i s ch e n E v a n g e l i e n.
Zu welcher Zeit diese Evangelien niedergeschrieben sind, kann wohl nie genau angegeben werden, und es
reicht auch die allgemeine Annahme, daß sie um die
Mitte des ersten Jahrhunderts geschrieben sind, hin. Fragen wir nach der
Art ihrer Entstehung, so antwortet eine bis an die apostolischen Zeiten
reichende Sage Folgendes:
M a t t h ä u s, der erst
den Hebräern gepredigt hatte, schrieb, als er zu andern Völkern
gehen wollte, sein Evangelium für hebräische Juden ursprünglich
syrochaldäisch nieder *).
M a r c u s, schon früh
mit den Aposteln, namentlich mit Petrus **), bekannt, anfangs Begleiter
des Paulus und des Barnabas, dann des Barnabas allein, endlich des Petrus
(der ihn in 1 Petr. 5, 13. o uioj mou nennt),
schrieb auf Ansuchen der Gemeinde zu Rom das Evangelium, wie es Petrus
öffentlich vorgetragen hatte ***); daher auch sein Evangelium zuweilen
dem Petrus zugeschrieben wurde +).
L u c a s, der den Paulus auf
vielen Reisen begleitete, schrieb das Evangelium, wie es Paulus verkün=
*) Papias (ap. Euseb. III, 39.). Irenaeus
III, 1. (ap. Euseb. V, 8.). Origenes (ap. Euseb. VI, 25.). Eusebius III,
24. Hieron. cat. 3.
**) Dieß läßt sich daraus schließen,
daß Petrus nach seiner Befreiung aus dem Gefängnisse sogleich
zu dem Hause der Maria, der Mutter des Marcus, geht. Act. 12, 12.
***) Papias l. c. touq' o presbuteroj
(Iwannhj)
elege. Markoj men ermhneuthj Petrou genomenoj, osa emnhmoneusen akribwj,
egrayen. Irenaeus, Origenes ll. cc. Clem. Alex. (ap. Euseb. VI,
14.). Euseb. II, 15.
+) Tertull. adv. Marc. IV, 5. licet et Marci,
quod edidit, Petri affirmetur, cujus interpres Marcus.
dete, nieder *). Insofern das mündliche Evangelium
des Paulus und das schriftliche des Lucas dasselbe war, hat auch eine andere
Sage einen vernünftigen Sinn, nach welcher Paulus, wenn er von seinem
Evangelio redet (wie Röm. 2, 16. 1 Cor. 15, 1. u. s. w.), daß
des Lucas meint **).
Man hat die beiden letzten Sagen über
den Ursprung der beiden Evangelien Marci und Lucä, so allgemein sie
in der alten Kirche auch waren, in den neuern Zeiten gewöhnlich als
grundlos abgewiesen. Sie sollen aus dem Streben entstanden seyn, den Evangelien
der beiden Nichtapostel apostolisches Ansehen zu geben, anfangs begünstigt
durch den Doppelsinn des Worts euaggelion,
das sowohl die Lehre als die Lebensbeschreibung Jesu bedeuten konnte. Die
erste Behauptung wird aber schon durch die Bemerkung niedergeschlagen,
daß der erste Zeuge für den petrinischen Ursprung des Evangeliums
Marci Papias ist, ein Mann, der nach seiner eigenen Erklärung wenig
von Syngraphen hielt, und der sich hier auf einen noch ältern bis
in die apostolischen Zeiten reichenden Zeugen, den Presbyter Johannes beruft.
Das Urtheil des Eusebius über den Papias, daß er mikroj
ton noun gewesen sey, ist vielfältig gemißbraucht; Eusebius
selbst sagt, daß er es nur aus seinen Schriften geschlossen habe,
*) Iren. l. c. Loukaj
o akolouqoj Paulou to up' ekeinon khrussomenon euaggelion en bibliw kateqeto.
Orig. l. c. Tertull. adv. Marc. IV, 5 et 2. Euseb. III, 24.
**) Euseb. III, 4. Hieron. in catal. Quotiescunque
in epistolis suis dicit Paulus: juxta evangelium meum, de Lucae significat
volumine.
und er hatte dabei wohl die eigenthümlichen dogmatischen
Ansichten des Papias, die allerdings von der spätern Orthodoxie bedeutend
abwichen, im Auge; historische Zeugnisse des Papias als falsch abzuweisen,
kann durch jenes Urtheil um so weniger begründet werden, als man von
Menschen mit geringem Verstande am wenigsten künstliche Verdrehungen
oder Erdichtungen erwarten darf. Die zweite Behauptung, daß der Doppelsinn
des Worts euaggelion die Ursache jener Sagen
sey, setzt eine Spaltung der Begriffe "Lehre Christi" und "Lebensbeschreibung
Christi" voraus, wie sie im apostolischen Zeitalter gar nicht vorhanden
war. Ohne die Erzählung von dem messianischen Leben Christi konnten
die Apostel seine Lehre nicht predigen, in jenem war zugleich diese gegeben.
Waren also Marcus und Lucas Petri und Pauli Schüler, so hatten sie
von diesen auch nothwendig das historische Evangelium erhalten.
Nimmt man jene Sagen an, so schließen
sie sich nicht allein genau an die oben entwickelte Ansicht über die
ursprüngliche Fortpflanzung des Evangelii an, und bestätigen
dadurch dieselbe, sondern sie stimmen auch vollkommen mit dem innern Verhältnisse
überein, worin die Evangelien zu einander stehen.
Es sind schon oben die Ursachen bemerkt,
weshalb die Judenapostel, als sie das Evangelium griechisch predigten,
unter sich mehr im Ausdrucke harmoniren mußten, als mit den Heidenaposteln.
So erklärt sich dann leicht, wie Matthäus und Petrus, dem palästinensischen
Typus treu, auch im Auslande mit gleichen Worten das Evangelium vortragen
konnten; und wenn Marci Evan=
gelium für das des Petrus gelten darf, so ist das
häufige wörtliche Zusammentreffen des Matthäus und Marcus,
selbst in größeren Abschnitten, wie ihre harte hebraisirende
Sprache erklärt. Insofern Marcus mehrere lateinische Wörter *)
gebraucht, und den lepton nach dem römischen
Quadrans **) bestimmt (12, 42.); so wird dadurch die Sage, daß er
in Rom geschrieben habe, bestätigt.
Lucas hingegen weicht von den beiden
ersten Evangelien fast durchgängig in Hinsicht der Sprache ab, und
nähert sich dem reinern Griechischen, so, daß man in ihm den
gebildeteren Hellenisten nicht verkennen kann. Auffallend wird die Sage,
daß er das vom Paulus gepredigte Evangelium niedergeschrieben habe,
bestätigt, wenn man einzelne evangelische Stellen in Pauli Briefen,
namentlich die Erzählung vom Abendmahle, mit den Parallelstellen des
Lucas vergleicht, da sie hier fast wörtliche Uebereinstimmung gegen
die Abweichungen der beiden ersten Evangelisten findet. Die wenigen Stellen,
wo Lucas mit einem der beiden ersten Evangelisten wörtlich übereinstimmt,
erklären sich daher, daß die Heidenapostel die griechische Uebersetzung,
welche die Judenapo=
*) Kenturiwn (15, 39.
44. 45.), wofür Josephus, Plutarch und die übrigen neutestamentlichen
Schriftsteller immer ekatontarxoj haben. spekoulatwr
(6, 27.), praitwrion (15, 16.), khnsoj
(12, 14.), fragelloun (15, 15.), legewn
(5, 9.), krabbatoj (2, 4.). Einige von diesen
Wörtern kommen zwar auch bei andern neutestamentlichen Schriftstellern
vor, aber keiner von diesen hat so viele als Marcus.
**) Plutarch findet es noch nöthig, den Quadrans
den Griechen zu erklären (vit. Ciceronis).
stel schon zu der Zeit der Trennung begonnen hatten, der
ihrigen zum Grunde legten.
Aber noch wichtiger ist die Bestätigung,
welche jene Sagen aus dem Inhalte der Evangelien erhalten.
M a t t h ä u s hat mehrere
Stellen, die nur für palästinensische Judenchristen berechnet
seyn konnten. Ganz in dem Sinne der spätern Nazaräer sind die
Juden ihm das auserwählte Volk Gottes, auf welche sich Jesus anfangs
allein beschränken wollte. Daher gebietet dieser den Jüngern,
als er sie das Erstemal aussendet, nur den Juden zu predigen und nicht
zu den Heiden zu gehen (Matth. 10, 5. 6.); darum erklärt dieser dem
cananäischen Weibe, daß er nur für die verlornen Schaafe
des Hauses Israel erschienen sey (Matth. 15, 21-28.); darum verheißt
er den Jüngern als Lohn für ihre Ergebenheit, daß sie einst
die 12 Stämme Israels richten würden (19, 28.). Aber auch Jesus
drohete schon dem unglaubigen Israel, daß das Reich Gottes von ihm
genommen werden und den Heiden gegeben werden sollte (Matth. 21, 43. cf.
Matth. 8, 11.), wie dieß zu der Zeit, als Matthäus schrieb,
durch Paulus und seine Gehülfen gewiß schon geschehen war. Daher
ergießt sich auch Jesus bei dem Matthäus mehr als bei einem
andern Evangelisten in bittere Vorwürfe und in starke Strafreden gegen
die Pharisäer und Schriftgelehrte, welche vorzüglich das Volk
verstockt, und demselben das ihm zugedachte Heil entzogen hatten. Ueberdieß
mußte die Erinnerung an diese gerade in Palästina am nöthigsten
seyn, um bei den ewigen Verfolgungen der Juden die Christen vor Rückfällen
zum Judenthume zu sichern.
Marcus läßt in seinem Evangelio
sowohl jene particularistischen Stellen als diese Strafreden weg. Jene
wären unter Heidenchristen unpassend gewesen, in diesen hätte
er nutzlos einer gemischten Gemeinde die Schande seiner Nation aufgedeckt.
Weil er aber an die Stelle solcher Erzählungen keinen andern, die
den besondern Bedürfnissen der Heiden entsprächen, zu setzen
weiß; so gewinnt er in dogmatischer Hinsicht eine allgemeine Haltung,
die er vergeblich durch seine Umständlichkeit in Hinzufügung
einzelner Umstände zu verstecken sucht. So ungefähr mußte
sich das Evangelium der Judenapostel gestalten, als sie außer ihrem
gewohnten Kreise unter Heiden das Christenthum predigten.
Lucä Evangelium hingegen beurkundet
auch in dogmatischer Rücksicht seine Abhängigkeit von Paulus.
Zuerst finden d i e u n i v e r s a l i st i s ch e n
I d e e n desselben in diesem Evangelio auffallende Bestätigungen.
Es verdient unstreitig Beachtung,
wenn Lucas das Geschlechtsregister Jesu, welches Matthäus nur von
Abraham an liefert, bis zu Gott, dem gemeinsamen Vater aller Menschen,
hinanführt. Unter den Juden war es nur wichtig, die Abstammung Jesu
von David und Abraham zu zeigen, um ihn als den Sohn des Gottes Abrahams,
Isaacs und Jacobs predigen zu können (Act. 3, 13.); einem Pauliner
hingegen, welcher den Heiden predigte, daß vor Gott kein Unterschied
zwischen Beschneidung und Vorhaut sey (1 Cor. 7, 19. Gal. 5, 6. 6,
15.), daß durch Christus beide Theile durch den Glauben gerechtfertigt
werden sollten (Röm. 3, 30.), mußte daran liegen, auch den Heiden
zu zeigen, daß sie, gleich den
Juden, mit Christo von einem Vater abstammten, gleich
diesen dessen Brüder seyen.
Lucas beginnt die Reihe der Thaten
Jesu mit dem Auftritte desselben in Nazareth (4, 16-30.). Zwar haben auch
Marcus (6, 1-6.) und Matthäus (13, 53-58.) diese Erzählung, gehen
aber nicht weiter als zu der allgemeinen Bemerkung, daß ein Prophet
nirgends weniger als in seinem Vaterlande geehrt werde. Lucas hat hier
eigenthümliche Zusätze zur Erläuterung dieses Ausspruchs.
Bei ihm erinnert Jesus noch an den Elias, der zur Zeit der Dürre keiner
israelitischen Wittwe half, sondern der Phönicierin in Sarepta und
an den Elisa, der die vielen Aussätzigen in Israel nicht heilte, sondern
den Syrer Naemann. Jetzt wird selbst die Stelle, welche Lucas dieser Erzählung
giebt, bedeutend, und es scheint, als ob er sie deshalb an die Spitze der
Thaten Jesu gestellt habe, um durch sie prophetisch die Schicksale des
Christenthums anzudeuten, das in seinem Vaterlande übel aufgenommen,
und deshalb zu den Heiden gebracht wurde (Röm. 11, 11. 12.). Es braucht
nicht erinnert zu werden, wie ermunternd es überdieß für
Heiden seyn mußte, zu erfahren, daß sich schon ehemals Propheten
vorzugsweise i h r e r angenommen hätten.
Lucas hat zwar auch die Aussendung
der zwölf Jünger (9, 1-6.), läßt aber nicht nur darin
das Gebot, nur Juden zu predigen, aus, sondern erzählt darauf viel
weitläufiger eine Auswahl und Aussendung von 70 Jüngern (10,
1-24.), auf welche er viele Züge überträgt, welche Matthäus
und Marcus von der Aussendung der Zwölfe erzählen. Wenn die 12
Jünger Reprä=
sentanten der 12 Stämme Israels waren *), so ist
es am analogsten die S i e b z i g für die Repräsentanten
der 70 Völker zu nehmen, welche nach der gewöhnlichen jüdischen
und ältesten christlichen Meinung die Erde bewohnten **), und dann
ist eine universellere Tendenz dieser Aussendung im Lucas unverkennbar.
In der dem Lucas eigenthümlichen Weisung, welche Jesus diesen Siebzig
giebt (10, 8.): esqiete ta paratiqemena umin
(beinahe wörtlich gleich mit 1 Cor. 10, 27.: pan
to paratiqemenon umin esqiete) darf man alsdann die evangelische
Begründung der Paulinischen Lieblingsidee finden, daß die mosaischen
Speisegesetze für den Christen nicht mehr verbindend sind.
Eben so merkwürdig ist es zu
beobachten, wie verschieden Matthäus und Lucas (denn Marcus erwähnt
ihrer gar nicht) das Verhältniß Jesu zu den Samaritern, den
Nichtjuden, mit denen er am meisten in Berührung kam, darstellen.
Matthäus nennt sie nur da, wo Jesus
*) Matth. 19, 28. Luc. 22, 28-30. Barnab. epist.
c. 8. dekaduo eij marturion twn fulwn, oti dekaduo
ai fulai tou Israhl.
**) Tuf. Haarez, fol. 19 c. 3. Scias esse
LXX principes, atque unicuique populo unum principem ex his LXX contigisse.
- Recogn. Clem. II, 42. Deus - in LXXII partes divisit totius terrae nationes,
eisque principes angelos statuit. cf. Cotelerium ad h. l. - So wie die
Handschriften des Lucas zwischen 70 und 72 variiren, so wechselt auch die
Angabe der Nationen. Epiphanius (haer. 51, 7.) hat 72 Jünger, die
Jesus aussendet, aber er hat auch (l. I. c. 5.) 72 Stammväter der
Völker und 72 Sprachen. - Uebrigens vergleicht auch der Verfasser
der Schrift: de memorab. sacrae Script. 1 c. 9. (in opp. Augustin. T. 3.)
die 72 Schüler ausdrücklich mit den 72 Sprachen, die von den
72 zur Erbauung des babilonischen Thurms versammelten Männern entsprungen
wären.
den Jüngern verbietet, in keiner Stadt der Samariter
zu predigen (Matth. 10, 5.). Lucas gedenkt ihrer ehrenvoller und öfter.
Auf einer Reise nach Jerusalem will Jesus - ganz gegen die Sitte der Juden
- in einem samaritanischen Flecken herbergen (9, 52.), wird zwar abgewiesen,
antwortet aber auf die Aufforderung der Jünger, Feuer vom Himmel fallen
zu lassen, mit den schönen Worten: "des Menschen Sohn kam nicht, um
Menschen zu verderben, sondern sie zu erretten." Kündigt sich Jesus
in diesen Worten nicht auch als Heiland der Nichtjuden an? Ein anderesmal
erläutert er den Umfang der Nächstenliebe durch die Parabel von
dem barmherzigen Samariter, welcher dem Priester und Leviten vorgezogen
wird (Luc. 10, 25.). Dann heilt er 10 Aussätzige, unter denen nur
Einer, und g e r a d e d i e s e r, ein Samariter, dankbar
ist (17, 11-19.).
Aber auch andere Paulinische Lieblingsideen
finden in den eigenthümlichen Abschnitten des Evangeliums Lucä
ausdrückliche Bestätigungen.
Die Grundlage der Paulinischen Christologie,
der Satz, daß die Erfüllung des Gesetzes nicht rechtfertigen
und kein Recht zu Belohnungen geben kann, wird durch die Parabel von einem
Sclaven erläutert (17, 7-10.), der, wenn er auch seine Pflicht gethan
hat, doch keinen Anspruch auf Dank machen kann. Wie Paulus auf jenen Satz
den Beweis gründet, daß man durch den Glauben an Christum Rechtfertigung
vor Gott suchen müsse; so knüpft auch Lucas seine Erzählung
an die Bitte der Jünger: "vermehre unsern Glauben."
Nicht Wundergaben sind es, nach denen
der Christ
vorzüglich streben soll;
diese Lehre, welche Paulus den Corinthiern (1 Cor. 13, 1. 2.) so sehr einschärft,
wird auch vom Lucas (10, 20.) in den Worten angedeutet: "Freuet euch nicht,
daß euch die Dämonen untergeordnet sind, sondern freuet euch,
daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind."
Wie Paulus
das uioj
oder sperma
Abraam oft tropisch von denen gebraucht, welche Abraham im Glauben ähnlich
sind, im Gegensatze mit denen, die leiblich von ihm abstammen (Gal. 3,
7. oi ek pistewj outoi eisi uioi Abraam.
Röm. 4, 16. Gal. 3, 29.); so sagt auch Jesus beim Lucas (19, 9.) zum
Zacchäus, daß er jetzt, nach seinem ruhmwürdigen Entschlusse,
ein uioj Abraam
sey.
[Top]
A e l t e st e a p o c r y p h i s ch e E v a n g e l i e n.
Aber außer den 3 ersten canon. Evangelien wurden aus derselben Evangelientradition auch andere Syngraphen geschöpft, die jetzt zum Theil ganz verloren gegangen, zum Theil nur noch aus kärglichen Nachrichten und Fragmenten bekannt sind. Da sie also mit jenen aus derselben Quelle flossen, so kann es nicht befremden, wenn sie denselben mehr oder weniger ähnlich waren. Als die katholische Kirche späterhin nur von 4 in die apostolischen Zeiten reichenden Evangelien hören wollte, gab ihr jene Aehnlichkeit einen um so scheinbaren Grund, die andern Evangelien, welche sie, besonders bei Ketzern, noch vorfand, für Corruptionen eines canonischen Evangeliums zu erklären, wie dieß oben schon gezeigt ist.
Wenn sie
aber auch oft darin irrte, so hatte sie doch unstreitig Recht in der Behauptung,
daß ihre Evangelien die ächte apostolische, die der Ketzer hingegen
eine mehr oder weniger verfälschte paradosij
enthielten. Dafür bürgen nicht nur alle historischen Zeugnisse,
die bis in den Anfang des 2ten Jahrhunderts hinaufreichen, sondern auch
der innere Charakter der Schriften selbst; wenn man den reinen, kräftigen
Geist, der in diesen weht, mit dem mystischen Unsinne oder der Weitschweifigkeit
und ermüdenden Ausführlichkeit jener nur oberflächlich vergleichen
will. Es sind also nicht dogmatische Vorurtheile, sondern rein historische
Gründe, nach denen wir verfahren, wenn wir die 3 ersten canon. Evangelien
zum Grunde legen, um nach der Aehnlichkeit oder Unähnlichkeit mit
ihnen, ohne aber dabei anderweitige Notizen zu übersehen, das Verhältniß
der verschiedenen Apocryphen zur apostolischen Paradosis und darnach ungefähr
ihr Alter auszumitteln.
Nach
den Nachrichten der Kirchenväter wurde die syrochaldäische Paradosis
schon im apostolischen Zeitalter vom Matthäus und wahrscheinlich auch
vom Bartholomäus niedergeschrieben. Die Aehnlichkeit dieser beiden
Syngraphen, die so groß war, daß Spätere sie identificirten,
hat nichts auffallendes, wenn man an die Aehnlichkeit des griechischen
Matthäus und Marcus denkt. Bartholomäus und Matthäus waren
beide Judenapostel, und trugen dieselbe Paradosis mündlich vor; ihre
Syngraphen mußten sich also sehr ähnlich seyn.
Die palästinensische
Paradosis verbreitete sich außer Palästina vornehmlich noch
über Aegypten, weil hier das
Evangelium durch Judenapostel
gepredigt wurde. So wie aber dieses sonderbare Land stets alles Fremde,
was es nach der Bekanntschaft mit den Griechen nach und nach aufnahm, mit
seinem eigenthümlichen Geiste durchströmte, und ihm gleichsam
seinen characteristischen Stempel aufdrückte; so erlitt auch die evangelische
Paradosis diese Veränderung, und wurde mit Mysticismus durchwebt.
So theilte sich die palästinensische Paradosis schon früh in
zwei Aeste, den ä ch t p a l ä st i n e n s i s ch
e n und den ä g y p t i s ch e n. Jener erhielt
erst gegen das Ende des ersten Jahrhunderts die syrochaldäischen Syngraphen,
die jetzt unter dem Namen der hebräischen Evangelien bekannt sind.
Kirchlichen Gebrauch unter den hebräischen Christen erhielten dieselben
aber wohl erst zu den Zeiten Hadrians, mit welchen die Spannung zwischen
den Juden und Heidenchristen begann, wodurch eine heilige Schrift als Vereinigungspunct
gegen diese nöthig wurde. An diese syrochaldäischen Syngraphen
schlossen sich wahrscheinlich auch das Evangelium Justins, wenn es nicht
geradezu eine von ihnen gewesen ist.
Das ägyptische
Evangelium wurde die Quelle der ketzerischen Syngraphen, von denen die
des Cerinths, Carpocrates und Basilides noch immer so viel Aehnlichkeit
mit der ursprünglichen Quelle der palästinensischen Paradosis
behielten, daß sie für corrumpirte Evangelien des Matthäus
gelten konnten. Auch mögen hebräische Evangelien bei ihnen benutzt
seyn, wenigstens scheint dieß bei den Evangelien des Cerinths und
kata
Petron geschehen zu seyn, in welchen
palästinensische und ägyptische Vorstellungen gemischt enthalten
waren.
Das Evangelium des Cerdon und Marcion war eine Syngraphe der Paulinischen Paradosis, wahrscheinlich noch aus dem apostolischen Zeitalter.
[Top]
D a s E v a n g e l i u m J o h a n n i s.
Wenn man
es nicht unwahrscheinlich findet, daß in den ältesten Zeiten
des Christenthums ein gewisser, obgleich nicht scharf begränzter Cyclus
evangelischer Erzählungen in gleicher Form und gleichem Ausdrucke
mündlich vorgetragen wurde; so wirft dieß auch ein helleres
Licht auf die Abfassung des Evangelii Johannis.
Schon
in den alten Zeiten betrachtete man dasselbe als ein Supplement zu den
drei ersten Evangelien, wie sich dieß in der Sage ausspricht, daß
Johannes jene Evangelien geprüft und gebilligt und durch das seinige
ergänzt habe *). Es fällt auch in die Augen, daß der Cyclus
der Erzählungen des Evangelii Johannis, obgleich er oft an dem der
drei ersten Evangelisten streift, doch in der Hauptsache ein ganz anderer
ist; und eben so wenig läßt es sich läugnen, daß
Johannes schon die Kenntniß eines andern Cyclus bei seinen Lesern
voraussetzt, weil er sonst wohl nicht so wichtige Ereignisse (selbst die
Stiftung des Abendmahls) unerwähnt gelassen haben könnte **).
Auf der andern Seite können wir es aber nicht zugeben, daß Johannes
zu unsern 3 ersten Evan=
*) Clem. Alex.
(ap. Euseb. h. e. VI,14). Euseb. h. e. III,24. Hieron. catal.
script. c. 9. Epiphan. haer. 51. c. 6.
**) H u g s Einleit.
Heft 1. S. 137. ff.
gelien ein Supplement habe
liefern wollen; da er sonst doch die Erzählungen ausgelassen haben
würde, die er noch immer mit den erste Evangelisten gemein hat; gewiß
aber die, wenn auch nur scheinbaren, Widersprüche gegen diese, die
sich z. B. in den Erzählungen von der Berufung Petri, von der Speisung
der 5000, von der Auferstehung u. a. finden, vermieden haben würde
*).
Diese
Bemerkungen harmoniren vollkommen mit einander, wenn man annimmt, daß
Johannes den allgemein verbreiteten Erzählungscyclus, den auch die
drei ersten Evangelisten der Hauptsache nach enthalten, voraussetze, und
zu diesem ein Supplement habe schreiben wollen. Dieß wird noch wahrscheinlicher,
wenn man erwägt, daß, wenn er überhaupt Schriften über
das Leben Jesu voraussetzte, er diese an den Stellen wohl erwähnt
haben würde, wo er von den Thaten Jesu spricht, welche er in
s e i n e m Buche nicht aufgezeichnet habe *).
Es sind
Spuren genug im N. T. vorhanden, aus denen man schließen kann, daß
schon in jenen Zeiten der einfache erste Unterricht, der sich auf jenen
Erzählungscyclus stützte, nicht mehr Allen genügte, und
daß Manche anfingen, selbstständig den Lehren des Christenthums
ein philosophischeres Gewand zu geben. Es waren dieß unstreitig Solche,
die, in griechischen Schulen gebildet, die dort erkannten philosophischen
Wahrheiten nach der Annahme des Christenthums nicht aufgeben, sondern mit
*) J. A. L. W e g s
ch e i d e r ' s Einleitung in das Evang. des Johannes. Götting.
1806. S. 239-243.
**) Joh. 20,30. 21,25.
Vergl. W e g s ch e i d. a. B. S. 243.
den Lehren desselben in Harmonie bringen wollten. Ein solches Amalgama zweier verschiedener Systeme ist stets gefährlich, besonders aber dann, wenn eine phantastische Philosophie, wie die damalige Zeitphilosophie es war, die Führerin ist. Wenn hier von Seiten der christlichen Lehrer nicht vorgebeugt wurde, so mußte die Reinheit der Lehre unter den kühnen Träumen allmählig zu Grunde gehen. Die prüfende und forschende Vernunft war aber nun einmal auf das Christenthum aufmerksam gemacht; ihre natürliche Frage war, wie sich die neue Lehre zu den Wahrheiten verhalte, welche von Philosophen bisher gelehrt seyen; durch Machtsprüche ließ sie sich nicht abweisen, aufgehalten konnte dieser Strom nicht werden, das mußte bald jenem erfahrenen Beobachter klar werden; man mußte suchen, ihm eine bessere Richtung zu geben. Aller christliche Unterricht stützte sich nun auf Erzählungen aus dem Leben Jesu; für den Elementarunterricht war zwar eine Auswahl getroffen, aber dieser Erzählungscyclus erschöpfte bei weitem noch nicht die bedeutenden Auftritte dieses reichen Lebens *), es war noch Stoff genug darin, um auch Anforderungen anderer Art zu genügen. Für die also, deren Bildungsgrad statt der Milch festere Speise **) bedurfte, traf der Lieblingsjünger Jesu eine neue Auswahl evangelischer Erzählungen,
*) Ioh. 20,30. 21,25.
esti
de kai alla polla, osa epoihsen o Ihsouj, atina ean grafhtai kaq' en, oude
auton oimai ton kosmon xwrhsai ta grafomena biblia.
**) 1 Cor. 3, 1. 2.
Hebr. 5, 14. Orig. praef. in Ioh. (III priores Evangelistae): majores
perfectioresque de Iesu sermones reservant ei, qui supra pectus Iesu recubuit.
bei der er jenen mündlichen
Erzählungscyclus voraussetzte. Da dieser, wie auch Lucas in seinem
Prologe dieß bemerkt, sich auf die Autorität a l l e r
Apostel stützte; so macht Johannes am Ende seiner Schrift es bemerklich,
daß seine Erzählungen zwar nur von ihm allein bezeugt würden,
nichts destoweniger aber vollen Glauben verdienten **).
In der
spätern Sage wird dem Evangelio Johannis eine polemische Tendenz,
anfangs nur gegen Nicolaiten und Cerinthianer ***), dann sogar auch gegen
Valentinianer, Marcioniten +) und Ebioniten ++) beigelegt. Konnte nicht
die aus jener Ansicht hervorgehende antithetisch didaktische Tendenz des
Evangeliums in einem polemischen Zeitalter, wie das folgende war, leicht
mit einem polemischen Zwecke, zu dem man sich selbst am geneigtesten fühlte,
verwechselt werden?
Aus dieser
Annahme erklärt sich nun ohne Schwierigkeit das V e r h ä
l t n i ß d e s E v a n g e l i u m s J o h a n
n i s z u d e n ü b r i g e n d r e i e n,
wie sein e i g e n e r i n n e r e r C h a r a c t e
r. Der mündliche Erzählungscyclus, welchen Johannes voraussetzte,
war, wie dieß schon einigemal erinnert ist, nicht so scharf abgegränzt,
daß nicht Johannes hin und wieder in sein Ge=
*) h
aggelia hn hkousate ap' arxhj. 1 Ioh.
3, 11. 2, 24. (cf. 2, 7. 2 Ioh. 5, 6.).
**) Ioh. 21, 24. outoj
estin o maqhthj, o marturwn peri toutwn, kai grayaj tauta : kai oidamen
ote alhqhj estin h marturia autou.
***) Iren. III,
11.
+) Philastr.
haer. 45.
++) Epiph. haer.
51. c. 6. Hieron. catal. c. 9.
biet hätte übergehen
können. Daher hat derselbe sowohl einige Erzählungen mit unsern
drei ersten Evangelien *), als mit den diesem parallel laufenden übrigen
Syngraphen gemein, wie mit dem Evangelio der Hebräer die Geschichte
des im Ehebruche ergriffenen Weibes **). Wahrscheinlich waren diese Erzählungen
in dem Cyclus, der in Ephesus vorgetragen zu werden pflegte, allmählig
verwischt, und daher erklärt es sich auch, daß Johannes sie
unabhängig von der Einheit der Form, in der wir sie bei den ersten
Evangelisten finden, vorträgt. Merkwürdig ist es aber, daß
auch Johannes, trotz dieser Unabhängigkeit von jenem Typus doch
d i e R e d e n Anderer, die er mit den ersten Evangelien gemein
hat, oft mit denselben Worten, welche diese gebrauchen, referirt ***).
Ein neuer Beweis, wie treu die Apostel fremde Worte mittheilen, und wie
sorgfältig sie insbesondere die Reden ihres Lehrers aufbewahrten.
Was den
i n n e r n C h a r a c t e r des Evangelii betrifft, so verräth
der Inhalt wie die Sprache desselben deutlich genug, daß es für
philosophisch gebildete Christen geschrieben sey, und diesen auf eine ihrer
Bildung angemessene Art eine richtige Ansicht vom Christenthume beibringen,
auch s i e überzeugen soll, daß Christus Got=
*) S ch u l z e,
der schriftstellerische Character und Werth des Johannes. Weißenfels
und Leipzig, 1803. S. 129-187.
**) Ioh. 8, 1-11. cf.
Euseb.
III, 39. - - i(storian peri gunaikoj epi pollaij
amartiaij diablhqeishj epi tou Kuriou - to kaq' Ebraiouj euaggelion periexei.
***) Ioh. 12, 8. cf.
Matth. 26, 11. - Ioh. 6, 20. cf. Matth. 14, 27. - Ioh. 12, 25. cf. Matth.
10, 39. - Ioh. 13, 20. cf. Matth. 10, 40. etc.
tes Sohn sey *). Dieß
geht aus dem eigenthümlichen dogmatisirenden Character des Evangeliums
**) eben so hervor, wie es aus der Verbindung der Lieblingsterminologieen
der damaligen Zeitphilosophie mit christlichen Ideen erhellt, daß
Johannes von dieser einen Uebergang zum Christenthume bahnen wolle, wie
Paulus ihn von dem agnwstoj qeoj
in Athen zu dem allein wahren Gott macht.
Dann
ist aber auch die Sorgfalt des Apostels nicht zu verkennen, die Würde
der Person und die Begebenheiten Jesu gegen historisch philosophische Zweifel
zu sichern, die sich, sobald Gelehrte das Christenthum zum Gegenstande
ihres Nachdenkens machten, mehr oder minder zu regen anfingen. Oft entwickelt
er die Gründe für die göttliche Sendung Jesu, und giebt
ihnen besonders dadurch eine anschauliche Kraft, daß er oft Andere
es laut gestehen läßt, Jesus sey höheren Ursprungs (6,14.
69. 9,17. 11,27. 16,30.), und insbesondere, daß er Personen einführt,
die gegen die G e r ü ch t e von Jesu ungläubig blieben,
aber nach eigener Ansicht und Prüfung an Jesum glaubten (1, 46-49.
4, 19. 41. 42. cf. 39.).
Dem Einwurfe,
der in der Folge von allen heidnischen Bestreitern des Christenthums gemacht
wurde, daß Christus nur gemeine und unwissende Menschen habe für
sich gewinnen können, begegnet Johannes dadurch, daß er, so
wie die 3 ersten Evangelien Jesum mehr unter dem
*) Ioh. 20, 31.
**) W e g s ch e i
d e r a. a. O. S. 203. ff.
Volke handelnd und zu diesem
redend darstellen, ihn mehr gegen die Gelehrten und Vornehmen siegend seine
Würde erweisen läßt (3, 1-21. cf. 7, 50-52. 19,39 - 8,
12-19.). Aber auch die Frage mußte sich den Critikern aufdringen:
Wie kam es denn, daß Jesus so wenig Anhang in Palästina fand,
daß er sogar getödet wurde?
Um ihr
zu genügen, sucht er es ins Licht zu setzen, wie Nationalvorurtheile
die Juden von Jesu abwandten, z. B. die Verachtung gegen Galiläa und
Nazareth (1, 46.), die abergläubische Verehrung des Sabbaths, den
Jesus nach ihrer Meinung gebrochen hatte (5, 16. 9, 16.), der Irrthum,
daß einige Kennzeichen des Messias bei Jesu nicht eingetroffen wären
(7, 27. 41. 42.), die zu hohe Meinung von Abraham, über dem Christus
zu stehen behauptete (8, 58. 59.) u. s. w. Vorzüglich aber zeigt
er, wie die Pharisäer, die, obgleich ihnen der Glaube an Jesum gleichsam
in die Hand gegeben wurde (9,13-34. 11,47.), doch aus Furcht vor den Römern
(11, 48.) Drohungen und Ueberredungen kurz ihrem ganzen Einfluß anwandten,
um das Volk von Jesu abzuziehen (7, 47. 48. 9, 22. 12, 42.
etc. [?]).
Insbesondere
schien aber wohl der Kreuzestod Jesu den gelehrten Griechen unvereinbar
mit seiner höhern Würde *). Johannes sucht es dagegen ins Licht
zu setzen, warum Jesus, der demselben leicht hätte entgehen können,
sich ganz freiwillig dazu entschloß. Er läßt ihn daher
öfter, als die andern Evangelisten, seinen Tod (2, 19. 7, 33.
13, 33. etc. [?]) auch die Art seines Todes
*) 1 Cor. 1, 23. Xristoj estaurwmenoj - - eqnesi mwria.
(12, 32. 33.) und die Verrätherei
des Judas (6, 64. 70. 13, 10. 11. etc. [?]) voraussagen, und bemerkt,
wie das genaue Eintreffen dieser Weissagungen in der Folge dazu diente,
den Glauben der Jünger zu erhöhen (2, 22. 13, 19.). Dann
zeigt er, wie Jesus g a n z f r e i w i l l i g sich
dazu entschloß, sein Leben aufzuopfern (10, 18.), und läßt
ihn die Gründe entwickeln, die ihn dazu bestimmten (12, 23. ff.
16, 7. 17, 4. ff.).
Endlich
aber ist es nicht zu verkennne, daß er die letzten großen Begebenheiten
des Lebens Jesu durch Hinzufügung neuer Umstände gegen historische
Skepsis sichern will. Um allen Zweifel über die Gewißheit des
Todes Jesu zu heben, holt er den Umstand nach, daß seine Seite geöffnet,
und daß alsdann Blut und Wasser ausgeströmt sey (19, 34. 35.),
indem er sich dabei ausdrücklich auf Augenzeugen beruft. Eben so erzählt
er, um die k ö r p e r l i ch e Auferstehung Jesu unwiderleglich
darzuthun, den Vorfall mit Thomas, der von dem entschiedensten Unglauben
durch sinnliche Ueberzeugung zurückgebracht wurde (20, 24-31.).
Alles
dieses dient also wohl zur Bestätigung der Meinung, daß dieß
Evangelium für höher gebildete Christen ursprünglich bestimmt
sey, wie sich dieß auch in den ihm oft beigelegten Prädicate
eines euagg. pneumatikon
im Gegensatze der übrigen swmatika ausspricht.
Wie nun Paulus den nhpioij en Xristw
nur Milch nicht feste Speise für dienlich erachtet, so scheint dieses
Evangelium
*) Clem Alex. ap. Euseb. 6, 14. O r i g i n e s nennt es praef. in Evang. Ioann.: thn aparxhn twn euaggeliwn.
anfangs nicht im Volkunterrichte
gebraucht zu seyn, für welchen der alte allgemein verbreitete Erzählungscyclus
hinreichte. Daher die befremdenden Umstände, daß Ignatius und
Polycarpus, Schüler des Apostels, dieses Evangelium nicht n
a m e n t l i ch anführen; daß G n o st i k e r,
V a l e n t i n u s und H e r a c l e o n unsere ersten
Zeugen für dieses Evangelium sind; daß aber dennoch die kleinasiatischen
Presbyter nie die Aechtheit desselben läugneten.
Daß
ein solcher Unterschied zwischen biblischen Büchern den älteren
Christen nicht fremd war, das zeigt Origenes, wenn er von dem Hohenliede
urtheilt, daß dasselbe als "festere Speise" nur für reifere
Christen passe *). Nach derselben Stelle enthielten auch die Juden, nach
denen sich doch die christliche Kirchenverfassung größtentheils
bildete, dem größeren ungebildeteren Haufen den Anfang der Genesis,
den Anfang und das Ende des Ezechiel und das Hohelied vor.
*) Orig. prolog. in cant. cant.: In verbis enim Cantici canticorum ille cibus est, de quo dicit Apostolus: Perfectorum autem est solidus cibus: et tales requiri auditores, qui pro possibilitate sumendi exercitatos habeant sensus ad discretionem boni et mali. - -
[Top]
Ueber den Gebrauch der schriftlichen Evangelien in der ersten Kirche, und der Canonisirung unserer vier Evangelien.
E i n l e i t u n g.
Unstreitig hängt die Untersuchung über den Gebrauch der schriftlichen Evangelien in der ersten Kirche mit der vorigen über ihre Entstehung aufs genaueste zusammen, und kann dazu dienen, dieselbe entweder zu bestätigen oder zu widerlegen. Sprünge finden in der Geschichte nicht statt; wenn also oben über die Art der Fortpflanzung des Evangeliums in den apostolischen Zeiten, über die Absicht, welche die Evangelienschreiber bei ihren Syngraphen hatten, und über den Werth, der diesen in jenen Zeiten beigelegt wurde, gewisse Resultate angenommen sind; so müssen diese vornehmlich auch dadurch befestigt werden, daß gezeigt wird, wie jener Geist der apostolischen Zeiten mit dem der folgenden zusammenhieng, sich entweder noch länger forterhielt, oder durch Umstände eine andere Gestalt bekam. Es hat also diese Untersuchung außer ihrer eigenthümlichen historischen Bedeutung auch die, daß sie zugleich ein Prüfstein aller Hypothesen ist, welche man über die Entstehung der Evangelien aufgestellt hat.
F r ü h e r e U n t e r s u ch u n g e n ü b e r d i e s e n G e g e n s t a n d.
Daß von dem apostolischen
Zeitalter viele Syngraphen auf die folgenden Zeiten herabkamen, und daß
aus der Menge dieser von der Kirche unsere 4 canon. Evangelien ausgewählt
seyen, dieß ist schon vom Origenes *) und später von allen Unbefangenen
behauptet. Aber wohl war man uneinig über die Zeit, wenn diese Auswahl
geschehen sey.
Alle
frühern Theologen haben angenommen, daß unsere 4 Evangelien
vom Anfange an in den Händen aller orthodoxen Christen gewesen und
allein von ihnen gebraucht seyen, welche Meinung am neuesten von
S ch ü tz **) vertheidigt ist. Man folgte dabei gewöhnlich der
Erzählung, die Eusebius als der erste mittheilt, daß der Canon
der Evangelien von Johannes festgesetzt und der Kirche übergeben sey
***). Als Beweise dieser An=
*) Orig. prooem.
in Luc. Et ut sciatis non solum quatuor evangelia sed plurima esse
conscripta, e quibus haec quae habemus electa sunt et tradita ecclesiis,
ex ipso prooemio Lucae - - cognoscamus etc.
**) D.
F. S c h ü t z de evangeliis quae ante evangelia canonica
in usu eccl. Christ. fuisse dicuntur. dissert. 2. Regiomont. 1812.
***) Euseb.
H. E. III, 24. Hieron. prooem. comment. in Matth. - Catalog.
c. 9. Polycrat. fragm. ap. Photium in bibl. cod. 254.
sicht gebrauchte man zuerst die Stellen späterer Schriftsteller, wo dem frühesten christlichen Zeitalter der Gebrauch der vier Evangelien zugeschrieben wird. So erzählt Eusebius von den Evangelisten zu der Zeit Trajans, daß sie ihren Neubekehrten die Schrift der göttlichen Evangelien übergeben hätten *). Wie wenig indeß auf diese Aeußerungen späterer Schriftsteller zu geben ist, wird aus einer andern Stelle des Eusebius klar, wo derselbe sogar den Therapeuten in Aegypten, die er für Christen gehalten wissen will, den Gebrauch der heiligen Evangelien und der Schriften der Apostel beilegt. Er meint nämlich, daß die suggrammata palaiwn andrwn, welche dieselben nach Philo's Versicherung gebrauchten, dafür gehalten werden mußten **); uneingedenk, daß er kurz vorher den Referenten Philo mit Petrus in Rom sich unterreden läßt, und daß also unmöglich die v o n P h i l o b e s ch r i e b e n e n Therapeuten die Schriften der Apostel als a l t e Schriften gebrauchen konnten. Es wird aus diesem Beispiele wenigstens klar, wie leicht die
*) Euseb. H. E. III, 37. thn
twn qeiwn euaggeliwn para didonai grafhn. Der Rec. von Schütz
diss. in der A. L. Z. 1813. St. 106. S. 14. bezieht hier paradidonai
auf mündliche Ueberlieferung und übersetzt: "das, was (jetzt)
in den göttlichen Evangelien g e s ch r i e b e n ist,
überbringen." Schwerlich möchte dieß in den Worten liegen;
und daß die gewöhnliche Uebersetzung mit Eusebius historischen
Ansichten über den Gebrauch der Evangelien sehr gut zusammenstimme,
geht aus der folgenden Stelle hervor.
**) Euseb. h. e. II, 17. taxa
d' eikoj a fhsin arxaiwn par' autoij einai suggrammata, tate euaggelia
kai taj twn apostolwn grafaj - - tauta einai.
spätern kirchlichen Schriftsteller, die sich die
Kirche und die kirchlichen Sitten als zu allen Zeiten durchaus gleichgeformt
dachten, denen diese stete Gleichförmigkeit gerade der höchste
Stolz und der Vorzug der catholischen Kirche vor allen Ketzerpartheien
dünkte, wie leicht Solche frühern Zeiten den Character und die
Sitten der ihrigen unterlegten, und wie wenig man ihnen also in solchen
Fällen trauen kann.
Einen andern Beweis für den Gebrauch
der 4 Evangelien in der ältesten Kirche führte man aus den Schriftstellern
derselben, den apostolischen Vätern und ihren nächsten Nachfolgern.
Die evangelischen Citate in den Schriften derselben, für welche man
gar keine Parallelstellen in unsern Evangelien fand, leitete man aus der
Tradition oder aus Apocryphen ab; aber in den Uebrigen, welche mehr oder
minder mit einzelnen Stellen unserer Evangelien übereinkommen, fand
man eben so viele Beweise für den Gebrauch der canonischen Evangelien,
und entschuldigte ihre Abweichungen in einzelnen Ausdrücken mit einem
Citiren aus dem Gedächtnisse. Eben so benutzte man auch die Stellen
jener Schriftsteller, wo des euaggelion Erwähnung
geschieht, und bezog diesen Ausdruck auf s ch r i f t l i ch e
Evangelien.
Da die Schwäche dieser Beweise,
mit denen man eben so gut auch dem Apostel Paulus unsere Evangelien aufdringen
kann, von selbst einleuchtete, so fing man an, die Citate der apostolischen
Väter aus verloren gegangenen apocryphischen Evangelien herzuleiten,
und darauf die Behauptung zu gründen, daß vor unserm jetzigen
Canon apocryphische Evangelien im Gebrauche der Kirche
gewesen wären *).
Die Beschaffenheit der Citate in den
Schriften der apostolischen Väter wird durch diese Annahme vollkommen
erklärt. Daß apocryphische Evangelien unsern canonischen oft
höchst ähnlich waren, ist schon oben erörtert, und so können
aus ihnen Stellen geflossen seyn, welche sich in unsern Evangelien in derselben
oder in einer sehr ähnlichen Gestalt wiederfinden. Zugleich können
sie auch viele Abschnitte, zu denen unsere Evangelien keine Parallelen
liefern, enthalten haben. Außer dieser allgemeinen Möglichkeit
hat diese Hypothese noch das bestimmte Zeugniß späterer Kirchenväter
für sich, daß gewisse evangelische Citate bei den apostolischen
Vätern, die in den canonischen Evangelien nicht enthalten sind, sich
auch in apocryphischen Evangelien fänden. So fand H i e r o
n y m u s **) die Stelle des Ignatius (ad Smyrn. 3.): yhlafhsete
me kai idete, oti ouk eimi daimonion aswmaton in dieser Gestalt
nur im Evangelium der Hebräer; so war die Frage der Salome, wenn das
messianische Reich erscheinen würde, mit der Antwort Jesu im 2. Briefe
des Clemens Romanus C. 12. nach Clemens Alexandrinus ***) auch im Evangelio
der Aegyptier enthalten. Endlich sagt E u s e b i u s +) vom Papias,
daß er Stellen aus dem Evangelio der Hebräer anführe.
*) R o s e n m ü l l e r
histor. interpretat. libr. sacr. P. I. pag. 231. cf. 155. - E i ch
h o r n ' s Einleit. ins N. T. Th. 1. S. 140.
**) Hieron. catalog. c. 16.
***) Clem. Alex. Strom. III. c. 13.
+) Euseb. h. e. IV. c. 22 et III. c. 39.
So sehr indeß durch dieses alles
die Vermuthung begünstigt wird , daß die ältesten Väter
apocryphische Evangelien gebrauchten, so sind doch viele historische Schwierigkeiten
nicht zu verkennen, welche derselben im Wege stehen. Man darf gleich im
Anfange dreist fragen: Wenn die erste Kirche das Bedürfniß von
Syngraphen fühlte, warum wandte sie sich nicht zu dem ächt apostolischen
Nachlaß, sondern begnügte sich mit Schriften, in denen so vieles
Alberne enthalten war? Mögen die apostolischen Evangelien anfangs
immerhin nur für Wenige bestimmt, mag ihr erster Kreis noch so klein
gewesen seyn; mit dem wachsenden Bedürfniß der Christenheit,
schriftliche Beurkundungen von dem messianischen Leben Jesu zu haben, mußte
sich auch der Kreis der Verehrer dieser Evangelien vergrößern,
und im Kurzen durften sie der ganzen Kirche nicht mehr unbekannt seyn.
Ferner: Wenn die verschiedenen Gemeinden
verschiedene Syngraphen im kirchlichen Gebrauche hatten, so war doch für
eine jede Gemeinde d i e Syngraphe, welche s i e
angenommen hatte, die Erkenntnißquelle des Evangelii. Der Kirchenvater,
der aus ihr citirte, stützte sich also auf i h r e Autorität.
Nun begreift man aber nicht, wie er dieß in Briefen an andere Gemeinden
konnte, die denn doch wieder andere Syngraphen gebrauchten, in welchen
sich vielleicht Stellen, die er anführte, gar nicht oder doch in einer
andern Gestalt fanden. Mußte er in diesem Falle doch nicht wenigstens
über die Beschaffenheit und Aechtheit seiner Quelle etwas hinzusetzen?
Wenn sich nun aber bei den apostolischen Vätern keine Spur von Furcht
findet, daß die Glaubwürdigkeit
ihrer ohne alle nähere Bezeichnung der Quelle aufgeführten
evangelischen Stellen von den andern Gemeinden bezweifelt werden möchte;
wenn sie diese Stellen ohne weitere Bekräftigung ihrer Aechtheit sogar
als B e w e i s e für dogmatische Behauptungen gebrauchen
konnten; so mußten sie sich auf eine allgemeiner anerkannte Autorität
stillschweigend beziehen können, als die Syngraphe einer einzelnen
Gemeinde es war. Eine solche allgemeine Autorität können wir
aber in den frühesten Zeiten nur der allgemein verbreiteten mündlichen
Tradition zugestehen.
Endlich ist es bekannt, daß
wir über die Einführung der vier Evangelien durchaus g
a r k e i n e historische Nachrichten haben - ein Umstand,
der bei der Untersuchung ja nicht aus der Acht gelassen werden darf. Er
beweist nämlich, daß die Einführung jener Schriften durchaus
keine besondere Veränderung in der Kirchenverfassung hervorbrachte,
weil eine solche schwerlich so ganz vergessen wäre. Wenn nun aber
durch unsere 4 Evangelien andere, die durch früheren Gebrauch der
Gemeinden doch gewohnt und deswegen lieb geworden seyn müssen, verdrängt
waren, so darf man dreist behaupten, daß diese Veränderung hin
und wieder Widerspruch finden mußte, uns schwerlich für uns
so spurlos seyn könnte. Ein Beweis dafür sind die Unruhen, welche
um das Jahr 200 (wie sich unten ergeben wird, lange nach Einführung
unserer Evangelien bei dem größten Theile der Catholiker) in
der Gemeinde von Rhossus in Cilicien wegen des Evangelium Petri entstanden,
welches einige Gemeindeglieder gern beizubehalten wünsch=
ten *). Es ist abermals deutlich, daß die Einführung der 4 Syngraphen dann am ersten ohne Geräusch vollzogen werden konnte, wenn dieselben an die Stelle einer mit ihnen übereinstimmenden mündlichen Tradition traten. Zuletzt stehen alle die Gründe, durch welche im Folgenden der ältesten Kirche der Gebrauch schriftlicher Evangelien abgesprochen wird, natürlich auch der Meinung entgegen, daß die älteste Kirche apocryphische Evangelien gebraucht habe.
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D i e ä l t e st e K i r ch e g e b r a u ch t e k e i n e S y n g r a p h e n d e s E v a n g e l i u m s a l s k i r ch l i c h e S ch r i f t e n, s o n d e r n b l i e b b e i d e r m ü n d l i ch e n T r a d i t i o n.
Irenäus
würde diese Behauptung, als die älteste christliche Kirche entehrend,
noch nicht verwerfen. Er sagt ja selbst (adv. haer. III, 4.):
"Wie,
wenn die Apostel uns nicht einmal Schriften hinterlassen hätten, müßten
wir dann nicht der Anordnung der Tradition folgen, welche sie denjenigen
ertheilt haben, denen sie die Aufsicht über die Kirchen anvertrauten?
Dieses wird von vielen barbarischen Völkern bestätigt, welche
an Christum glauben, indem sie ohne Papier und Tinte die beseligende Lehre
durch den Geist in ihre Herzen geschrieben haben, und die alte
*) Euseb. H. E. IV. c. 12.
Tradition sorgfältig
bewahren etc." Und weiter unten: "diese, welche ohne eine Schrift zum Glauben
gekommen sind, heißen nach unserm Ausdrucke Barbaren; ihren Meinungen,
Gewohnheiten und Lebenswandel nach wandeln sie aber in aller Gerechtigkeit,
Keuschheit und Weisheit. Wenn Jemand in ihrer eigenen Sprache ihnen das
mittheilen wollte, was die Ketzer ersonnen haben, so würden sie ihre
Ohren sogleich verschließen, so weit als möglich fliehen, um
nur die gotteslästerliche Rede nicht anzuhören."
Es folgt
aus dieser Stelle:
1. Irenäus,
und man darf hier wohl sagen, die katholische Kirche seiner Zeit (denn
der Häresimach wird selbst nichts häretisches behaupten) hielt
dafür, daß die Orthodoxie nicht gefährdet seyn würde,
wenn auch von den Aposteln keine Schriften herabgeerbt wären, sondern
daß die apostolischen Schriften durch die Tradition ersetzt werden
könnten. Denn die Barbaren, von denen er redet, waren in der Lage,
daß für sie die apostolischen Schriften so gut als nicht geschrieben
waren, und dennoch bewahrten sie die höchste Rechtgläubigkeit.
Wenn also auch uns unsere Untersuchung dahin führt, daß in den
ersten Zeiten des Christenthums keine Syngraphen im kirchlichen Gebrauche
waren, so fehlte doch der ersten Kirche nach dem Urtheile des Irenäus
nichts Nothwendiges und Wesentliches. Wenn aber Irenäus, der sonst
die vier Evangelien so oft uns so stark empfiehlt, der jede Abweichung
von der Lehre und der Sitte seiner Kirche so hart rügt, hier so milde
ist: ist dann nicht die befriedigende Auflösung dieser räthselhaften
Erscheinung
das, freilich anderweit erst
zu sichernde, Resultat, daß noch Irenäus die Kirche ohne Syngraphen
gekannt habe?
2. Mit
geringerer Gewißheit, aber doch mit einiger Wahrscheinlichkeit läßt
sich aus dieser Stelle schließen, daß zu der Zeit, wo jene
barbarischen Völker bekehrt wurden, noch keine Syngraphen im kirchlichen
Gebrauche waren. Würden nicht die Lehrer, welche diese Völker
bekehrten, wenn sie heilige Schriften als Quelle ihres Glaubens betrachtet
hätten, für Uebersetzungen derselben gesorgt und ihre Schüler
zum Gebrauche dieser angeleitet haben? Wenigstens finden wir in spätern
Zeiten nach der Bekehrung eines Volks bald einen Uebersetzer der heiligen
Schriften.
Um zur
ferstern Gewißheit über diesen Gegenstand zu gelangen, sind
zuerst d i e R e st e d e s f r ü h e st e
n ch r i st l i ch e n Z e i t a l t e r s zu prüfen,
dann ist es aber auch, weil doch kein Zustand ohne alle Folgen verschwindet,
zu untersuchen, ob sich nicht in E r s ch e i n u n g e n d
e r f o l g e n d e n Z e i t Spuren von der frühern
Sitte auffinden lassen.
Zu den
Resten der frühern Zeit gehören zuerst S a g e n,
die, obgleich erst von spätern Schriftstellern aufgezeichnet, doch
durch ihren dem damaligen Zeitgeiste widersprechenden Character es beweisen,
daß sie einer frühern Zeit angehören, dann aber auch die
S ch r i f t e n d e r a p o s t o l i s ch e n V ä
t e r.
Unter
den [sic] ersten scheint hierher vorzüglich die Erzählung zu
gehören, die Clemens in seinen Hypotyposen (beim Euseb. 6, 14.) ausdrücklich
als alte Tradition mittheilte, daß Petrus den Marcus bei Abfassung
seines
Evangelii weder verhindert
noch aufgemuntert habe *). Eusebius hat die Stelle zwar nicht direct angeführt,
sondern excerpirt sie in indirecter Construction; da er aber in dem ganzen
Capitel nur Clemens Ansichten von den heiligen Büchern geben will,
und auch jene Sage aus den Hypotyposen excerpirt zu haben, ausdrücklich
versichert, so kann kein Zweifel darüber seyn, daß sie vom Clemens
wirklich erzählt ist. Diesem widerspricht auch die Stelle des Eusebius
2, 15. nicht, wo Eusebius s e l b st die ihm für die wahrscheinlichsten
geltenden Sagen über den Ursprung des Evangelii Marci zusammenstellt,
und erzählt, Petrus habe sich über den Eifer der Römer,
welche den Marcus um jene Schrift baten, gefreut und dieselbe zum kirchlichen
Gebrauche bestätigt. Obgleich hier Clemens und Papias h i n
t e r h e r als Gewährsmänner genannt werden, so sieht
man doch leicht, daß sie nur für die Hauptsache - dem Petrinischen
Ursprung des Evangelii Marci - haften sollen **), daß Eusebius hier
nicht die verschiedenen Relationen der Nebenumstände kritisch untersuchen
will, sondern diejenigen auswählt, die ihm die Wahrscheinlichsten
dünkten, d. h. mit seinen übrigen Ansichten am meisten übereinstimmten.
Daß
Clemens in der ersten Stelle den angeführten Nebenumstand aus einer
alten Sage geschöpft habe, versichert Eusebius ausdrücklich ***),
und die Natur der
*) oper epignonta ton Petron,
protreptikwj mhte kwlusai mhte protreyasqai.
**) cf. L a r d n e r ' s Glaubw. der
evangel. Gesch. Th. 2. Bd. 1. S. 193-195. bes. S. 393.
***) Euseb. l. c. paradwsw
twn anekaqen presbuterwn teqei-
Sache bestätigt es deutlich genug. Denn zu Clemens Zeiten erdichtete man schwerlich dergleichen Nachrichten, die das apostolische Ansehen eines Evangelii schwächen konnten. Wenn wir nun die Wahrheit der Sage auf sich beruhen lassen, und aus ihr nur die Denkungsart des Zeitalters bestimmen wollen, in welchem sie entstand, so ist der Schluß einleuchtend, daß das Zeitalter, welches einem Apostel Gleichgültigkeit bei der Abfassung eines Evangelii, das a u s s e i n e n e i g e n e n V o r t r ä g e n erwuchs, zuschreiben konnte, von allen schriftlichen Evangelien wenig enthalten mußte. Sonst bliebe es unerklärlich, wie das Evangelium durch die Sage nicht mehr geehrt wäre, das nach Aller Geständnisse a u s P e t r i M u n d e verkündet war. Wirklich giebt sich der Geist der folgenden Zeit auch in der Umgestaltung dieser Sage kund. Als man nämlich nach der Canonisation der 4 Evangelien das Mißverhältniß dieser Sage zu dem canonischen Ansehen Marci bemerkte, wurde dieselbe in den Gegensatz abgeändert, daß Petrus Marci Evangelium gebilligt und den Kirchen übergeben habe, wie Eusebius selbst in der zweiten angeführten Stelle erzählt. Spätere wollten sogar die so eben behandelte Stelle dieser Ansicht gemäß umformen, und setzten an den Platz der vorhin ausgehobenen Worte aus 2, 15. den Satz: ton Petron aurwsai kai protreyasqai eij enteucin autou, wenn diese Aenderung anders nicht erst eine Conjectur von Christopherson ist.
tai. d. i. eine Tradition, welche von den ältesten Presbytern her durch die Reihe der Presbyter überliefert ist.
So wäre also diese Sage ein Product
einer frühern Zeit, wo man die Syngraphen des apostolischen Zeitalters
noch nicht als heilige Schriften und Erkenntnißquellen des Glaubens
ehrte. Eine heterogene Nachwelt pflanzte sie als einen ehrwürdigen
Rest des Althertums anfangs arglos fort (so schrieb Clemens sie noch nieder);
bis man endlich den Contrast zwischen ihr und den übrigen Zeitansichten
bemerkte und denselben durch Aenderung der Sage hob. Beiläufig finde
hier die Bemerkung ihren Platz, daß man durch solche Würdigung
jener Sage einen neuen, und vielleicht, nächst Papias directem Zeugnisse,
den festesten Grund für die Authentie des Evangeliums Marci erhält.
Denn jene Sage setzt diese stillschweigend voraus; stammt jene aus einem
Zeitalter, wo das Urtheil durch die Verehrung der Evangelien als heilige
Schriften noch nicht befangen wurde, so wird das mit ihr verbundene Zeugniß
dadurch um so unverdächtiger.
Wenn wir die Schriften des auf das
Apostolische zunächst folgenden Zeitalters in Rücksicht auf den
Gebrauch heiliger Schriften zu prüfen anfangen, so finden wir, daß
die ältesten Schriftsteller, Barnabas und Clemens, eben so wie die
Apostel in ihren Briefen, weit mehr Stellen aus dem Alten Testamente, als
aus dem Evangelio anführen, daß Ignatius ungefähr beides
gleichviel, Polycarp aber öfter das Evangelium als das Alte Testament
citirt, während Hermas durch den Inhalt seiner Schrift zu keiner Art
von Citat veranlaßt wird *).
*) L a r d n e r s Glaubwürdigk. der evangel. Geschichte, übers. v. Bruhe. Th. 2. Bd. 1. S. 176. 177.
Was die Form der Citate betrifft, so werden Stellen des A. T. zwar oft nur durch die allgemeinen Formeln h grafh legei, o profhthj legei, legei o kurioj en tw profhth, gegraptai, aber auch zuweilen durch die genauern Bezeichnungen Mwushj, Dabid legei allegirt. Von den Paulinischen Briefen werden nur die namentlich erwähnt, welche an die Gemeinden gerichtet sind, an welche auch der Kirchenvater schrieb *). Aber die evangelischen Citate werden ohne Ausnahme mit den Formeln o kurioj legei, o Xristoj legei citirt, ohne daß je eine vermittelnde Schrift genannt wird **). Niemand wird in Abrede seyn, daß diese allgemeine Bemerkung vorläufig zu der Annahme geneigt mache, die apostolischen Väter citiren hier nicht aus einer Schrift, sondern aus der Tradition. Man erwäge, daß nach der Meinung jenes Zeitalters, wie schon der Ausdruck legei o kurioj en th grafh es lehrt, Christus die redende Person auch in den Weissagungen des A. T. war, daß aber dennoch oft allgemeiner oft genauer von den apostolischen Vätern bei
**)[sic] Clem. Rom. epist. I. ad Cor. c. 47.
citirt Pauli Brief an die Corinthier, wie Ignat. ep. ad Ephes. c.
12. den an die Epheser und Polycarp. ep. ad Philipp. c. 3. den an
die Philipper.
***)[sic] Nur zwei Stellen könnten dagegen
genannt werden. Die Eine (Clem. Rom. ep. 2. c. 2. etera
gar grafh legei, womit Matth. 9, 13. citirt wird) entscheidet nichts,
wenn man an das jüngere Alter dieses Briefs denkt. Die Andere (Barn.
epist. c. 4. attendamus ergo, ne forte, sicut scriptum est, multi vocati
pauci electi inveniamur) wird durch den Umstand verdächtig, daß
sie sich blos in der latein. Version findet. Uebrigens ließe es sich
aber auch wohl denken, daß Barnabas diesen proverbiellen Ausspruch
Jesu, der als solcher zweimal beim Matthäus (20, 16. 22, 14.) vorkommt,
mit einer Stelle des A. T. verwechselt habe.
alttestamentlichen Citaten die vermittelnde Schrift bezeichnet
wird, so muß man bei den evangelischen Citaten, wenn sich anders
die Kenntniß jener Männer vom Leben Jesu auf eine Syngraphe
stützte, um so mehr die Anführung der Gewähr leistenden
Schrift erwarten, als die Messianität Jesu, diese Grundsäule
des ganzen Christenthums, aus seiner Geschichte zu erweisen war, und die
Christen sich hier also am ersten daran gewöhnen mußten, die
Quelle genauer zu citiren, die ihnen die glaubwürdigste und sicherste
schien. In dieser Rücksicht würde jene Citationsart nur durch
die Annahme hinlänglich erklärt, daß trotz der vielen Syngraphen,
die aus dem apostolischen Zeitalter auf das folgende vererbt waren, die
gewisseste Quelle des Evangeliums die Tradition oder das lebendige Zeugniß
der von den Aposteln unterrichteten Lehrer gewesen sey.
Man hat die Stellen der apostolischen
Väter, wo das euaggelion mit den Schriften
des A. T. zusammengestellt ist *), als Beweise gebraucht, daß unter
demselben ebenfalls eine S ch r i f t verstanden werde. Wie
schwach dieser Grund sey, leuchtet schon aus der zuerst angeführten
Stelle hervor, wo nach derselben Argumentation die paqhmata
auch Schriften, etwa Martyrologieen, seyn müßten.
*) Ignat. ad Smyrn. 5. ouj ouk epeisan ai profhteiai oud' o nomoj Mwusewj, all' oude mexri nun to euaggelion, oude ta hmetera twn kat' andra paqhmata. Ibid. 7. prosexein de toij profhtaij, ecairetwj de tw euaggeliw, en w to paqoj hmin dedhlwtai, kai h anastasij teteleiwtai.
Man bedenke, daß sich daß
[sic] Evangelium schon bei seiner ersten Verkündigung (wo also an
eine Niederschreibung desselben noch nicht zu denken war) auf die Schriften
der Propheten stützte, und als deren Erfüllung auftrat; daß
also die Zusammenstellung des A. T. als des Inbegriffs der Typen und Weissagungen
von Christo, mit dem Evangelio, als der Vollendung und Erfüllung derselben
*), ganz unabhängig davon ist, ob das Letzte niedergeschrieben ist,
oder nicht. Deshalb kann aus dieser Zusammenstellung nichts für und
nichts gegen den Gebrauch einer Syngraphe gefolgert werden.
Eben so wenig scheint die so oft für
das frühe Daseyn einer doppelten Sammlung neutestamentlicher Schriften,
unter den Namen to euaggelion und o
apostoloj, beigebrachte Stelle des Ignatius **) das zu beweisen,
was durch sie bewiesen werden soll. Es ist eine bei dem Ignatius und andern
gleichzeitigen Schriftstellern oft vorkommende Idee, daß Jesus und
die Apostel das der ganzen Kirche seyen, was der Bischof und die Presbyter
den einzelnen Kirchen sind, der Mittel= und Vereinigungspunct aller wahren
Christen. So wie Jesus Bischof der ganzen Kirche und die Apostel Presbyter
derselben sind,
*) So auch Ignat. ad Philadelph. 9. oi
gar agaphtoi profhtai kathggeilan eij auton: to de euaggelion apartisma
estin afqarsiaj.
**) Ignat. ad Philadelph. 5. prosfugwn
tw euaggeliw wj sarki Ihsou, kai toij apostoloij wj presbuteriw ekklhsiaj
kai touj profhtaj de agapwmen, dia to kai autouj eij to euaggelion kathggelkenai
k. t. l.
so steht in der einzelnen Gemeinde der Bischof an Jesu
*), die Presbyter an der Apostel **) Stelle.
Da nun in der vorliegenden Stelle
ebenfalls von den Aposteln, als dem Presbyterio der Kirche, die Rede ist,
so ist es consequent, nach der Analogie der oben beigebrachten Stellen
auch hier an die Personen der Apostel, und nicht an die Schriften
E i n i g e r von ihnen zu denken. Damit fällt aber ebenfalls
der besondere Grund weg, weshalb man auch unter to
euaggelion eine Schrift verstehen wollte. Als erläuternde Parallelstelle
kann hier Trall. 7. benutzt werden, wo auf eben die Art Jesus Christus,
der Bischof und d i e V e r o r d n u n g e n d e r
A p o st e l zusammengestellt sind.
Das Resultat dieser Untersuchung ist
also, daß sich keine Stelle im Ignatius nachweisen läßt,
wo to euaggelion ein geschriebenes Evangelium
bedeuten muß, und daß es bei ihm nur in der allgemeinen Bedeutung
steht, in der es auch noch bei spätern Schriftstellern ***) zuweilen
vorkommt: "Inbegriff des ganzen messianischen Lebens und Wirkens Jesu."
Die bis jetzt entwickelten Gründe,
aus denen hervorgeht, daß von den apostolischen Vätern nirgends
*) Ignat. ad Eph. c. 6. ton
oun episkopon dhlon, oti wj auton ton kurion dei prosblepein.
**) Id. ad Magnes. c. 6. prokaqhmenou
episkopou eij topon qeou kai twn presbuterwn eij topon sunedriou twn apostolwn.
cf. ad Trall. 2. 3. Smyrn. 8. Constit. Apost. II. c. 28.
***) cf. Iren. 3, 14. Si autem quis refutet
et Lucam quasi non cognoverit veritatem, manifestus erit projiciens Evangelium
- - Plurima enim et magis necessaria Evangelii per hunc cognovimus
u. a. a. O.
deutlich eine Syngraphe des Evangeliums citirt werde,
erhalten aber ihr volles Gewicht erst dadurch, daß Stellen nachgewiesen
werden, wo dieselben durchaus hätten Syngraphen erwähnen müssen,
wenn diese in kirchlichem Ansehen gestanden hätten.
Der Hauptzweck des dogmatischen Theiles
im Briefe des Barnabas geht dahin, zu erweisen, daß das mosaische
Gesetz die Christen nicht mehr verpflichte. Die Beweise dafür werden
fast nur durch allegorisch interpretirte Stellen des A. T. geführt.
Anstatt auf Syngraphen des Evangeliums zu verweisen, und dadurch darzuthun,
daß auch Jesus so gelehrt habe, verweist er auf die vollkommneren
Christen, die das empfangene Wort in ihrem Herzen sorgfältig bewahren,
die von den Gesetzen des Herrn reden und sie bewahren, die das Wort des
Herrn gleichsam wiederkäuen *). Wenn man neben solchen Stellen, welche
als Erkenntnißquelle der christlichen Lehre blos mündlichen
Unterricht angeben, die Erwähnung von schriftlichen Urkunden derselben
ganz vermißt, so muß die Vermuthung wachsen, daß in jener
Zeit keine Schriften als heilige Urkunden betrachtet sind.
In dem ersten Briefe des Clemens (C.
42.) wird folgende Uebersicht von der Reihenfolge gegeben, durch welche
das Evangelium herabgekommen sey: "Von Gott empfing es Jesus, von Jesu
die Apostel. Diese ver=
*) Barnab. epist. c. 10. ti oun legei; kollasqai meta twn foboumenwn ton kurion, meta twn meletwntwn, o elabon, diastalma rhmatoj, en th kardia, meta twn lalountwn ta dikaiwmata kuriou, kai thrountwn - - - kai marukwmenwn ton logon kuriou. cf. c. 19.
kündeten es in Ländern und Städten, und
setzten die ältesten und bewährtesten Christen zu Bischöfen
und Diaconen der künftigen Gläubigen ein." Waren die schriftlichen
Evangelien schon in diesem Zeitalter wichtig, so konnte ihre Erwähnung
hier so wenig fehlen, wie sie in demselben Zusammenhange beim Irenäus
(adv. haer. III, 1.) fehlt. Aber Clemens läßt die Apostel noch
nicht durch Syngraphen, sondern durch Ansetzung von Bischöfen und
Diaconen für die Nachwelt (touj mellontaj pisteuein)
sorgen. Durch diese sollte also das Evangelium fortgepflanzt und erhalten
werden. Eben so ist auch die Verschiedenheit der Ausdrücke zu berücksichtigen,
mit denen er das A. T. und die Aussprüche Jesu dicht nebeneinander
anführt. Da, wo er das A. T. empfiehlt, sagt er: "Lehrt fleißig
die heiligen Schriften, die wahren Aussprüche des heiligen Geistes;"
wenn er Achtung gegen die Gebote Jesu fordert, drückt er sich so aus:
"Erinnert euch an die Vorschriften Jesu unsers Herrn *)." Woher diese Verschiedenheit
der Ausdrücke, wenn sie nicht darin ihren Grund hatte, daß das
Evangelium nicht wie das Alte Testament eine heilige Schrift war?
Noch deutlicher wird die Sache durch
die Briefe des Ignatius. Wir fangen die Untersuchung über dieselben
mit der bekannten Stelle des Briefes an die Phila=
*) Clem. Rom. ep. I. c. 45. egkuptete
eij taj grafaj, taj alhqeij rhseij pneumatoj tou agiou. - cf. c.
46. mnhsqhte twn logwn Ihsou tou Kuriou hmwn.
C. 13. poihsamen
to gegrammenon: legei gar to pneuma to agion. So wird Jer.
9, 23. citirt. Dagegen folgen Aussprüche Jesu gleich darauf mit der
Citationsformel: malista memnhmenoi twn logwn tou
kuriou Ihsou, ouj elalhsen - - outwj gar eipen:
delphier C. 8. an, die wir hier nach beiden Recensionen
folgen lassen:
emoi de a r x e i a estin Ihsouj Xristoj: ta aqhkta a r x e i a o stauroj autou, kai o qanatoj, kai h anastasij autou, kai h pistij h di' autou, en oij qelw en th proseuxh umwn dikaiwqhnai. |
egw legw, oti emoi a r x e i a estin Ihsouj o Xristoj, ou parakousai prodhloj oleqroj auqentikon moi estin a r x e i o n o stauroj autou, kai o qanatoj, kai h anastasij autou, kai h pistij h peri toutwn: en oij qelw en th projeuxh [sic] umwn dikaiwqhnai. |
Die zweite Rec. setzt hinzu: O
apistwn tw euaggeliw, pasin omou apistei: ou gar prokrinetai ta arxeia
tou pneumatoj. Sklhron to proj kentra laktizein, sklhron to Xristw apistein,
sklhron to aqetein to khrugma twn Apostolwn.
Die meisten Historiker, die diese
Stelle gebrauchen, lesen aus historisch=dogmatischen Rücksichten arxaia,
obgleich die äußern Gründe für arxeia
überwiegend sind, weshalb auch Vossius und Cotelerius die letzte Lesart
vorziehen. Die zweite Rec. hat durchgängig arxeia,
die
erste zweimal arxeia und nur
einmal arxaia. Wenn man überdieß
erwägt, daß das bekanntere Wort dem unbekannteren von Abschreibern
leichter substituirt werden konnte, als umgekehrt; so wie nach der Note
des Cotelerius sich wirklich in einigen Stellen anderer Schriftsteller
arxaia
anstatt arxeia geschrieben findet; so wird
man geneigter, die eine Stelle nach den fünf übrigen, als diese
nach jener zu corrigiren. Dazu kommt, daß
arxeia
unläugbar besser in den Context paßt, als arxaia.
Diejenigen, welche
arxaia lesen, übersetzen
die Stelle mit Clericus *) auf folgende Weise:
"Wenn ich es nicht in alten Weissagungen
finde, so glaube ich nicht ans Evangelium."
Diese Forderung muß an sich
schon auffallen. Denn diejenigen, welche die Weissagungen des A. T. überhaupt
für ächt hielten, konnten wahrlich nicht über den Mangel
an Weissagungen klagen; und ein Zweifel an der Aechtheit derselben drückt
sich doch in der Stelle nicht aus. Noch befremdender ist aber dann die
Antwort des Ignatius. Er, der an andern Stellen es so stark urgirt, daß
das Evangelium eine Erfüllung alttestamentlicher Weissagungen sey,
sollte durch eine Antwort, die dieß ganz übergeht, stillschweigend
die Unzulänglichkeit der Weissagungen zugegeben haben?
Dagegen ist die Stelle deutlich und
zusammenhängend, wenn man der andern Lesart folgt. Die Art, wie die
Lebensgeschichte Jesu auf die Nachwelt fortgepflanzt war, hatte zwar moralische
Glaubwürdigkeit, wenn
*) Cleric. hist. eccl. 116. et not. ad h. l. in edit. Patr. Apost. ed. 1724.
man auf die Uebereinstimmung der Christen in den verschiedensten
Gegenden und den Character der Lehrer sah; allein strenger erwiesen wäre
doch dem kalten Critiker ihre Wahrheit gewesen, wenn von u n p a
r t h e i i s ch e n Augenzeugen ein unbezweifelbares Document hinterlassen
und in Archiven aufbewahrt wäre, welches jene Erzählungen bestätigte.
Dieser Wunsch der historischen Critik mußte sich regen, sobald gelehrt
gebildete Heiden zum Christenthume übergetreten waren. Einen historischen
Beweis dafür liefert die Existenz der Acta Pilati, die schon Justin
in seiner ersten Apologie erwähnt, welche offenbar einer solchen Forderung,
wie die oben angedeutete ist, genügen, und Heidenchristen eben so
das Evangelium bekräftigen sollten, wie die sibyllinischen Weissagungen
berechnet waren, bei denselben den alttestamentlichen Weissagungen ein
höheres Gewicht zu geben *).
So hörte also auch Ignatius von
Einigen den Zweifel:
"Wenn ich die Erzählungen des
Evangelii nicht durch archivalische Zeugnisse bestätigt finde, so
kann ich sie nicht glauben."
Jetzt müßte er unstreitig das anführen,
was i h m die Wahrheit der evangelischen Nachrichten verbürgte,
und wenn die Syngraphen des apostolischen Zeitalters wirklich im allgemeinen
Ansehen waren, so mußte er sie hier
*) Iustin. Mart. ad Graec. cohort. p. 34. estai de umin radiwj thn orqhn qeosebeian ek merouj para thj palaiaj Sibullhj ek tinoj dunathj epipnoiaj dia xrhsmwn umaj didaskoushj, manqanein tauq' a( p e r e g g u j e i n a i d o k e i t h j t w n p r o f h t w n d i d a s k a l i a j.
vorzugsweise nennen. Es scheint, als ob er auf sie in der ersten Rec. anspiele, wenn er sagt: "es ist (von Gleichzeitigen) niedergeschrieben;" so unverständlich aber auch die Antwort des Ungläubigen ist (oti prokeitai vielleicht "das Unzureichende liegt am Tage," oder nach Vossius Vermuthung ou prok. "ihre Glaubwürdigkeit ist ungewiß"), so sieht man doch aus der Kürze, womit Ignatius dieß übergeht, daß er kein Gewicht auf Syngraphen legt, und weder aus ihnen sich vom Evangelio unterrichtet hat, noch seine Ueberzeugung von der Wahrheit desselben auf sie stützt. Ihm gelten höher als alle Archive Jesus Christus selbst, sein Kreuz, sein Tod, seine Auferstehung und der Glaube an diese Ereignisse. Die zweite Rec. setzt hinzu, daß der, welcher dem Evangelio nicht glaube, nichts glauben könne, daß das Zeugniß des Geistes höher zu achten sey als alle Archive, und läßt dann die Ausrufung folgen: "Es hat etwas auf sich, Christo nicht glauben zu wollen, und die Predigt der Apostel zu verachten!" Die Ueberzeugung von der Wahrheit des Evangelii ist also im Ignatius so lebendig, daß er an keinen Zweifel denken kann. Sie macht ihm jeden äußern Beweis überflüssig, dient ihm statt aller Archive, und deswegen weiß er auch dem fremden Zweifel nichts anders entgegenzusetzen, als eben seine feste Ueberzeugung, in demselben Sinne, in welchem Papias am Schlusse seiner fünf Bücher "Erklärungen der Aussprüche des Herrn" hinzusetzte: "Dieß ist den Glaubenden glaublich *)."
*) Iren. 5, 33. Et adjecit, dicens: Haec autem credibilis sunt credentibus.
Hätte sich jene Ueberzeugung auf eine Schrift gestützt,
so hätte diese genannt, und ihre Aechtheit und Glaubwürdigkeit
erwiesen werden müssen. Daß dieß nicht geschieht, daß
Ignatius so unbegreiflich für seine Ueberzeugung keinen andern Grund
anzugeben weiß, als diese selbst; dieß läßt sich
nur aus der Eigenthümlichkeit eines Zeitalters erklären, welches
die Kenntniß des Evangelii nicht aus Schriften, sondern aus dem lebendigen
Vortrage der Lehrer schöpfte. Durch diesen wurden die Begebenheiten
des Lebens Jesu stärker vergegenwärtigt, als es durch das Lesen
eines Geschichtsbuches möglich war. Christus selbst redete durch den
Mund des Lehrers, der seine Aussprüche vortrug *), er war der einzige
Lehrer der Christen **), er selbst verbürgte also die Wahrheit seiner
Geschichte, und war stärkerer Bürge als alle Archive. So lebten
also Jesus und sein Evangelium in den Herzen der Christen gleichsam noch
fort ***), einen andern Beweis für die Wahrheit seines Glaubens kannte
dieses einfache Zeitalter noch nicht.
Aber auch außer dieser Stelle
wird Ignatius, besonders durch die Behauptungen der Doceten, oft in seinen
Briefen genöthigt, die Wahrheit der evangelischen Geschichte zu behaupten,
und obgleich er alle seine Kräfte zum Erweise derselben aufbietet,
so beruft er sich doch nie
*) Ignat. ad Ephes. 6. oude
akouete tinoj pleon eiper Ihsou Xristou lalountoj en alhqeia.
**) Id. ad Magn. 9. o
monoj didaskaloj hmwn.
***) Daher die oft vorkommende Benennung der Christen
Xristoforoi,
welche Ignat. ad Eph. 9. erklärt durch: kata
panta kekosmhmenoi entolaij Ihs. Xr.
auf die Schrift eines Augenzeugen, was doch hier den meisten
Erfolg hätte haben müssen.
Beinahe in allen seinen Briefen tadelt
er bitter die Anderslehrenden, die sich einen Anschein von Glaubwürdigkeit
(wahrscheinlich wie die spätern Ketzer, durch Berufung auf ihre Lehrer,
Schüler der Apostel) gäben *), da doch nur die wahren Christen
mit den Aposteln übereinstimmten **), die Lehre der Ketzer aber diesen
entgegen wäre ***). Er klagt, daß jene gleich Wölfen die
Schaafe der Kirche wegraubten +), indem sie behaupteten, Jesus hätte
nur scheinbar gelitten ++). Er droht, daß der, welcher mit solcher
gottlosen Lehre den Glauben verderbe, für welchen Christus gekreuzigt
sey, wie derjenige, der einem solchen Glauben beimesse, dafür einst
in das unverlöschbare Feuer geworfen werde +++). Denn er läugne
ja den Tod Jesu, auf welches Mysterium sich der Glaube der Christen stütze
++++).
Es ist indeß dem Ignatius in
seinen Briefen nicht
*) Ignat. ad Polyc. 3. oi
dokountej aciopistoi einai, kai eterodidaskalountej.
**) ad Eph. 11. oi kai
toij apostoloij pantote sunh|nesan.
***) Sie ist gnwmh allotria,
die Ketzer sxizontej (ad Philad. 3.), eterodocountej
eij thn xarin Ihs. Xr. thn eij hmaj elqousan, enantioi th| gnwmh| tou qeou
(Smyrn. 6.).
+) lukoi aciopistoi
(ad Philad. 2.).
++) to dokein auton peponqenai
(Smyrn. 2.).
+++) Eph. 16. ean (tij)
pistin qeou en kakh| didaskalia| fqeirh|, uper h(j Ihs. Xr. estaurwqh,
o toioutoj ruparoj genomenoj eij to pur to asbeston xwrhsei, omoiwj kai
akouwn autou.
++++) Magn. 9. o(n (qanaton
tou Ihsou) tinej arnountai (di'
ou musthriou elabomen to pisteuein, kai dia touto upomenomen k. t. l.).
owohl [sic] darum zu thun, die Ketzer selbst von ihren Irrthümern zu überzeugen, als die Gemeinden vor ihrem Gifte zu sichern *), und sie in dem Glauben an die w i r k l i ch e Geburt, das w i r k l i ch e Leiden und die w i r k l i ch e Auferstehung Jesu zu befestigen **). Hätte er gegen die Ketzer selbst geschrieben, so ließe sich der Umstand, daß er nie eine Syngraphe erwähnt, damit entschuldigen, daß er ex concessis disputiren, und deswegen aus Schriften, welche von seinen Gegnern verworfen würden, keinen Beweis hernehmen wollte. Da er aber rechtgläubige Christen in der Ueberzeugung von der Wahrheit der evangelischen Geschichte befestigen wollte; so mußte er nothwendig, wenn wirklich Syngraphen im kirchlichen Ansehen waren, diese als Zeugnisse der Augenzeugen citiren. Denn sie hätten den sichersten Beweis gegeben, und wären also die stärksten Gegenmittel gegen die neue Ketzerei gewesen. Anstatt aber Syngraphen anzuführen, versichert er gewöhnlich nur schlechthin die Wahrheit der Geschichte Jesu; einigemal stützt er den Beweis für dieselbe augenscheinlich auf seine eigene Autorität. So sagt er in dem Briefe an die Smyrnäer: "Denn ich weiß es, daß er nach seiner Auferstehung im Fleische war" (d. i. einen wirklichen Körper hatte), "und
*) Smyrn. 4. profulassw
de umaj apo twn qhriwn twn anqrwpomorfwn.
**) Magn. 11. qelw
profulassesqai umaj, mh empesein eij ta agkistra thj kenodociaj, alla peplhroforhsqai
en th gennhsei, kai tw paqei kai th anastasei (th
genomenh en kairw thj hgemoniaj Pontiou) Pilatou
praxqenta alhqwj kai bebaiwj upo Ihsou Xristou.
glaube es *)." Mehreremal deutet er auf die Ungereimtheit
hin, die darin liegen würde, daß er (Ignatius), wenn Christus
nur dem Scheine nach litt, sich um dessen Bekenntnis willen dem wirklichen
Tode übergeben wollte. In dem Briefe an die Trallianer **) fragt er:
"Wenn Christus bloß dem Scheine nach litt, weshalb trage ich denn
Fesseln? Weshalb wünsche ich mit Thieren zu kämpfen? Ich sterbe
also ohne Nutzen! D o ch i ch b e l ü g e
d e n H e r r n n i ch t (ich sage euch von dem Herrn
nichts Unwahres)." Wenn man in dem letzten Satze Vossius Aenderung folgt,
und oun für ou
lieset, in dem Sinne: I ch b e l ü g e a l s o
d e n H e r r n? so wird der Sinn der Hauptsache nach dadurch
nicht geändert. Immer stützt sich der Beweis auf die individuelle
Ueberzeugung des Märtyrers, von dem es sich nicht denken lasse, daß
er von Jesu Unwahrheiten erdichte, um für ihn sterben zu können.
So wie er in diesen Stellen die Christen
auf sich verweiset, so verweiset er sie in andern auf ihren Bischof, damit
sie durch festes Anhalten an diesem wie an dem Mittelpuncte, und durch
gläubiges Annehmen seiner Lehren die Einigkeit des Glaubens und des
Cultus bewahrten, und sich so gegen die Angriffe der Ketzer stärkten.
Denn nach ihm ist das bischöfliche Amt göttliche Anord=
*) Smyrn. 3. egw
gar meta thn anastasin en sarki auton oida kai pisteuw onta.
**) Trall. 10. ei
wsper tinej aqeoi ontej, toutestin apistoi, legousin to dokein peponqenai
auton, - - egw ti dedemai; ti de euxomai qhriomaxhsai; dwrean oun apoqnhskw:
ara ou katayeudomai tou kuriou. cf. Smyrn. 4.
nung, die Bischöfe sind nach dem Willen Jesu eingesetzt, wie dieser nach dem Willen des Vaters Mensch wurde *). So wie man jeden, den der Hausvater in sein Hauswesen sendet, so empfangen muß, wie den Sender selbst, so muß man den Bischof so ehren wie den Herrn selbst **). Er steht an der Stelle Gottes, wie die Presbyter an der Stelle der Apostel ***). Wie die ganze Kirche mit Jesu, Jesus mit Gott verbunden ist, so ist die einzelne Kirche mit ihrem Bischofe verbunden ****). Wie daher Jesus ohne Gott nichts that, so handele keiner in kirchlichen Dingen ohne den Bischof und die Presbyter +). Wer dem Bischofe gehorcht, gehorcht zugleich Gott ++), und wird von Gott geehrt, wer ihn nicht achtet und sich über ihm erhaben dünkt, dient dem Teufel +++) und ist verloren ++++). Die Einigkeit in der Kirche zu erhalten und Spaltungen zu verhindern, müssen die Christen unzertrennlich seyn von Jesu Christo, dem Bischofe und
*) Eph. 3. Ihs.
Xristoj - - tou patroj h gnwmh, wj kai oi episkopoi oi kata ta perata orisqentej
en Ihsou xristou [sic] gnwmh eisin.
cf. Smyrn. 8.
**) Eph. 6.
***) Magn. 6.
****) Smyrn. 8. Eph. 5.
+) Vergl. die häufig vorkommende Ermahnung:
xwrij
tou episkopou ouden poieite (sc. ti twn anhkontwn
eij thn ekklhsian Smyrn. 8.).
++) Eph. 5. spoudaswmen
oun mh antitassesqai tw episkopw, ina wmen qeou upotassomenoi.
+++) Smyrn. 9. kalwj
exei, qeon kai episkopon eidenai: o timwn episkopon, upo qeou tetimhtai:
o laqra episkopou ti prasswn, tw diabolw latreuei.
++++) Polyc. 5. ean
gnwsqh| pleon tou episkopou, efqartai.
den Verordnungen der Apostel *). Diese Einigkeit besteht
aber darin, daß die Christen in Einem Sinne und Einer Meinung an
einander halten, und alle v o n d e m s e l b e n d a
s s e l b e sagen **).
Man hat von diesen häufigen und
starken Empfehlungen der bischöflichen Würde einen Hauptgrund
gegen die Aechtheit der Ignatianischen Briefe entlehnt. Da man aber in
denselben jede Spur von einer Unterordnung der Bischöfe unter einander,
und von einer allgemeinen Verbindung derselben vermißt, so kann man
doch die Abfassung jener Briefe nicht nach der Vereinigung der katholischen
Kirche setzen. Es läßt sich hingegen das frühe Ansehen
der Bischöfe sehr gut erklären, wenn man aus obiger Untersuchung
festhält, daß sie für Zeugen des Evangeliums ***), und
des sich darauf stützenden Glaubens galten, und daß ihre persönliche
Autorität in jenem Zeitalter für die ächteste Erkenntnißquelle
des Evangelii galt. Einen unverwerflichen Beleg dafür, daß der
Bischof in diesen Zeiten durch seine Persönlichkeit Mittel= und Stützpunct
der Gemeinde war, giebt die Erzählung des E u s e b i u s +),
daß die Gemeinde von Athen nach
*) Trall. 7. fulattesqe
oun toij toioutoij (airetikoij):
touto de estai umin mh fusioumenoij, kai ousin axwristoij qeou Ihsou Xristou,
kai tou episkopou, kai twn diatagmatwn twn apostolwn.
**) Eph. 2. - - ina
en mia upotagh hte kathrtismenoi tw autw noi" kai th auth gnwmh, kai to
auto leghte pantej peri tou autou. In dem untergeschobenen Briefe
ad Heronem c. 2. heißt es ouden legein para
ta diatagmena.
***) Constitt. Apost. 2, 25. oi
doxeij tou logou kai aggelthrej, 2, 29. mesitai
tou logou.
+) Euseb. hist. eccl. IV, 3.
dem Tode ihres Bischofs fast ganz aufgelöst, und
erst wieder gesammelt sey, als sie in dem Quadratus einen neuen Bischof
erhalten habe. Vielleicht findet sich auch in dem spätern Ordinationsritus
noch eine Spur davon, daß die ältesten Bischöfe als Zeugen
des Evangelii betrachtet wurden. Schon vom 2ten Jahrhunderte her war es
nämlich Sitte auf das Haupt des Bischofs, während die Einsetzungsworte
gesprochen wurden, das aufgeschlagene Evangelium zu legen *). Dieser Ritus
scheint die Collation des Zeugnisses symbolisch dargestellt zu haben, und
entstand wahrscheinlich, nachdem die schriftlichen Evangelien als heilige
Schriften an die Stelle der Tradition gesetzt waren.
Auch andere Erscheinungen finden sich
im zweiten Jahrhundert, die deutlich zu erkennen geben, daß das früheste
christliche Zeitalter keinen Werth auf die vorhandenen Syngraphen gelegt,
und die mündliche Paradosis des Evangelii für wichtiger gehalten
habe.
Papias, Bischof von Hierapolis, erklärt
geradezu **), er glaube, daß dasjenige, was er aus Büchern lernen
könne, ihm nicht so viel nütze, als der Unterricht durch die
lebendige Stimme. Er habe sich deshalb an die Presbyter gewandt, um von
ihnen die Lehren der Apostel zu erfahren. Bei der Auswahl seiner Lehrer
habe er nicht, wie der große Haufe, die vorgezogen, welche viel,
sondern die, welche Wahrheit redeten. Wenn Pa=
*) Constitt. Apost. VIII. c. 4.
**) Pap. ap. Eus. h. e. III, 39. ou
gar ta ek twn bibliwn tosouton me wfelein upelambanon, oson ta para zwshj
fwnhj kai menoushj.
pias, ein rechtgläubiger Bischof, in diesen Worten
die Syngraphen der mündlichen Tradition nachsetzt, so müssen
wir schließen, daß damals noch keine Syngraphen in kirchlichem
Gebrauche waren. Sonst hätte er ja die kirchliche Rechtgläubigkeit
verlassen, und würde schwerlich beim Irenäus Gnade gefunden haben,
der die Evangelien mit so großem Nachdrucke empfiehlt. Wenn ihn nun
dieser dennoch so hoch achtet, und als einen Ioannis auditorem Polycarpi
contubernalem *) preiset; so folgt daraus der Schluß, daß Irenäus
die Verschiedenheit der Zeitalter kannte, und nur in Rücksicht auf
das seinige Achtung der 4 Evangelien als Erforderniß zu einem orthodoxen
Christen aufstellte.
Eben dasselbe scheint auch aus der
Stelle zu folgen, wo Irenäus vom Polycarp - seinem Lehrer - sagt,
daß dessen Erzählungen von den Wundern und der Lehre Jesu, die
derselbe von Augenzeugen empfangen hätte, m i t d e n
S ch r i f t e n ü b e r e i n st i m m e n d gewesen
wären **). Also Polycarp gebrauchte so wenig wie Papias Syngraphen
beim Unterrichte seiner Schüler, sondern zog denselben die Nachrichten
vor, die er selbst aus dem Munde der Apostel empfangen hatte. Diese fand
aber Irenäus in der Folge ganz übereinstimmend mit den Evangelien.
Daher erklärt es sich denn auch,
wie Irenäus die
*) Iren. 5, 33.
**) Iren. epist. ad Florin. (ap. Eus. 5,
20.) peri twn dunamewn autou (kuriou)
kai peri thj didaskaliaj, wj para twn autoptwn thj zwhj tou logou pareilhfwj
o Polukarpoj, aphggele panta sumfwna taij grafaij.
Nothwendigkeit des Evangelii Lucä dadurch beweisen
kann, daß er sagt, viele und nöthige Theile des Evangelii seyen
in demselben allein enthalten *). Das Evangelium, an dem die Syngraphe
des Lucas hier geprüft wird, kann nur die Tradition von der Geschichte
Jesu seyn. Diese konnte aber nur dann als Prüfstein der Syngraphen
gedacht werden, wenn sie früheres Ansehen hatte, als diese.
Das Resultat dieser Untersuchungen
ist also folgendes: Da gewisse alte Sagen ihrer Natur nach nur einem Zeitalter
angehört haben können, welches auf schriftliche Evangelien überhaupt
keinen Werth legte; da in den Schriften der apostolischen Väter alle
evangelische Stellen wie aus der Tradition citirt werden; da sie nirgends,
selbst in Verbindungen nicht, wo der Natur der Sache nach das schriftliche
Zeugniß eines Augenzeugen am meisten Gewicht haben mußte, einer
Schrift erwähnen; da sie nicht auf heilige Schriften, sondern auf
Personen als auf Stützen des Glaubens verweisen; da von andern apostolischen
Vätern theils durch ihr eigenes, theils durch das Zeugniß eines
Schülers es gewiß ist, daß sie die mündliche Paradosis
den Schriften vorgezogen: so müssen wir daraus schließen, daß
in diesen Zeiten, obgleich ächte Syngraphen aus dem apostolischen
Zeitalter vorhanden waren, diese dennoch keine kirchliche Autorität
hatten, sondern bloß zum Privatgebrauche dienten. Wir können
zugeben, und es ist sogar wahrscheinlich, daß sie von Bischöfen
wie von Gemeidegliedern [sic] privatim zur Wiedererinnerung an gehörte
Erzählungen gebraucht sind; aber
*) Iren. adv. haer. III. c. 14. §. 3. cf. c. 15.
die kirchliche Autorität, auf welche sich der Glauben
stützte, waren sie nicht. Die Kraft des Zeugnisses von Jesu und seinem
messianischen Leben war von den Aposteln auf die von ihnen unterrichteten,
und als Bischöfe und Presbyter den Gemeinden vorgesetzten Männern
übergegangen. Diese predigten das Evangelium, wie sie es empfangen
hatten, auf ihre Autorität stützte sich der Glaube der Gemeinde.
Da nun so das Alte Testament allein
die heilige Schrift der Christen blieb, so kann es nicht auffallen, wenn
sich die, schon im Neuen Testament oft vorkommende, Meinung, daß
in dem A. T. das Neue ganz vorgebildet und geweissagt sey, in diesen Zeiten
noch stärker ausbildete. Umgekehrt liegt aber auch darin, daß
sich diese Meinung so sehr ausbildete, eine Unterstützung der Annahme,
daß das A. T. die e i n z i g e heilige Schrift der Christen
in diesen Zeiten gewesen sey, in welcher diese daher gern alles finden
wollten. Um diese Behauptung zu würdigen, folge hier eine zusammengedrängte
Uebersicht der Meinungen des zweiten Jahrhunderts über das Verhältnis
des A. T. zum Christenthume.
So wie die Christen an der Stelle
der Juden das auserwählte Volk Gottes und die Erben seiner Verheißungen
wurden *), so hörte auch das A. T. auf, Eigenthum der Juden zu seyn,
und ging zu den Christen über **).
*) Barn. 6. klhronomoi
thj diaqhkhj kuriou. Iustin. dial. c. Tryph. p. 308.
ta palai en tw genei umwn eij hmaj meteteqh.
**) Iustin. coh. ad Graec. p. 14. gnwtw
ap )autwn twn en taij bibloij gegrammenwn, oti ouk autoij, alla hmin h
ek toutwn diaferei didaskalia.
Jene verstehen dasselbe nicht und gehorchten ihm nicht *), sie haben die besondere göttliche Gnade, die dazu gehört, die Aussprüche des A. T. richtig zu verstehen **), und welche nur den Christen zu Theil geworden ist, nicht empfangen ***). Derselbe Logos, der nach seiner Menschwerdung durch den Körper zu uns redete, erschien schon dem Abraham ****), dem Moses +) und den Propheten und redete zu ihnen und durch sie ++). Die Propheten des A. T. waren also Schüler Christi, lebten nach seinen Vorschriften und hofften im Geiste auf ihn als auf ihren Lehrer +++). Durch sie ist das ganze Evangelium vorher verkündet, aber nicht bloß mit dürren Worten, sondern auch in mystischen Reden und symbolischen Handlungen ++++). So sind die Verordnungen Mosis Typen des
*) Iustin. dial. c. Tryph. p. 246. en
toij umeteroij apokeintai grammasi, mallon de oux umeteroij all ) hmeteroij:
hmeij gar autoij peiqomeqa, umeij de anaginwskontej ou noeite ton en autoij
noun. cf. Barn. 10.
**) Iustin. dial. c. Tryph. p. 319.
ei
oun tij mh meta megalhj xaritoj thj para qeou laboi nohsai ta eirhmena
kai gegenhmena upo twn profhtwn, ouden auton onhsei [sic] etc.
***) l. c. p. 346. qelhmati
tou qelhsantoj auta (hmeij Xristianoi)
elabomen xarin tou nohsai.
****) Recogn. Clem. I, 33. Barn.
epist. 9.
+) Recogn. Clem. I, 34.
++) Iustin. Mart. Apol. II. p. 76.
taj
leceij twn profhtwn - - legesqai nomishte - apo tou kinountoj autouj qeiou
logou. cf. Clem. Alex. eclog. ex script. Proph. c. 23.
Iren. IV, 37.
+++) Ignat. ad Magn. 8. oi
qeiotatoi profhtai kata Ihsoun Xriston ezhsan. - c. 9. Xristou
oi profhtai maqhtai ontej tw pneumati wj didaskalon auton prosedokoun.
++++) Iustin. dial. c. Tr. p. 294.
pollouj
logouj touj apokekalummenwj kai en parabolaij h musthrioij h en sumbolou
ergwn lelegmenouj. Iren. IV, 37. Non enim solum sermone
prophe-
Evangeliums, und bilden theils Begebenheiten des Lebens Jesu, theils Schicksale der Bekenner Jesu ab *). Da nun auf diese Weise das Gesetz das verherverkündete Evangelium, das Evangelium das erfüllte Gesetz ist **), so sind Moses und die Propheten Lehrer der christlichen Religion ***). Daher ist es bei den Schriftstellern dieser Zeit allgemein, das A. T. als den Grund des Glaubens anzusehen, während die Früheren gar nicht, und die Späteren wenig und unbestimmt die Schriften der Jünger Jesu erwähnten. T h e o p h i l u s ****) und T a t i a n +) gestehen vorzüglich durch die Lesung der Propheten zur Annahme der christlichen Religion bewogen zu seyn. Da, wo Athenagores den Heiden erweisen will, daß die Christen nicht Gottesläugner seyen, beruft er sich bloß auf die Schriften der Propheten ++), als ob sie die einzigen Bücher wären, aus denen die christliche Religion erkannt werden könnte. Der Greis, der durch sein Gespräch den Justin für das Christentum einnimmt, empfiehlt ihm bloß die Lesung der Propheten, "welche
tabant Prophetae, sed et visione et conversatione et actibus secundum
id quod suggerebat Spiritus.
*) Dial. c. Tryph. p. 261.
**) Iustin. Quaest. et respons. ad orthodox.
p. 457. (Resp. 101.) ti gar estin o nomoj; euaggelion
prokathggelmenon. ti de to euaggelion; nomoj peplhrwmenoj.
***) Iustin. cohort. ad Graecos p. 10.
o
prwtoj thj qeosebeiaj hmwn didaskaloj Mwshj [sic]
- - - toutouj (Mwushn kai touj loipouj profhtaj)
h meij [sic] thj hmeteraj qrhskeiaj didaskalouj
gegenhsqai famen.
****) Theoph. ad Autol. lib. I. p. 78.
+) Tatiani orat. contr. Graec. p. 165.
++) Athenagor. leg. pro Christ. p. 9.
a l l e i n die Wahrheit gesehen und sie den Menschen
verkündet haben *)." Justin sagt selbst am Schlusse seiner Ermahnungsrede
an die Griechen mit dürren Worten, daß man nirgendwo etwas über
Gott und die wahre Religion lernen könne, als allein von den Propheten,
die vom heiligen Geiste beseelt uns darüber belehrten **). Daher pflegt
dieser Kirchenvater auch den Aussprüchen, welche er aus den apomnhmoneumasi
twn apostolwn citirt, Stellen aus dem A. T. hinzuzufügen, um
ihre Wahrheit darzuthun, gleich als ob er jenen Schriften der Apostel allein
nicht glaubte ***).
Es braucht nur angedeutet zu werden,
wie hierdurch die oben vorgetragenen Ansichten bestätigt werden. Wären
schriftliche Evangelien diesem Zeitalter schon heilige Schriften gewesen,
so konnten die Schriftsteller desselben nicht so ausschließlich das
A. T. als die heilige Schrift der Christen und die Erkenntnißquelle
ihres Glaubens empfehlen. Jene Vorstellungen und Aeußerungen sind
nur in einem Zeitalter denkbar, wo entweder die schriftlichen Evangelien
noch gar kein kirchliches Ansehen hatten, oder es erst allmählig erhielten.
Es bleibt nun noch übrig, so
weit es uns bei der Entfernung von jenem Zeitalter möglich ist, eine
Erklä=
*) Iustin. dial. c. Tryph. p. 224. outoi
monoi (profhtai)
to alhqej kai eidon kai eceipon anqrwpoij.
**) Iustin. cohort. ad Graec. in fine p.
37. pantaxoqen toinun eidenai proshkei, oti
oudamwj eterwj peri qeou h thj orqhj qeosebeiaj manqanein oion te, h para
twn profhtwn monon, twn dia thj qeiaj epipnoiaj didaskontwn umaj.
***) cf. Rosenmülleri historia interpret.
libr. Sacr. in eccl. christ. T. I. pag. 149-151.
rung der auffallenden Erscheinung zu versuchen, daß
die Christen jener Zeit die Tradition als Erkenntnißquelle des Evangeliums
gebrauchen konnten; obgleich Syngraphen aus dem apostolischen Zeitalter,
und unter ihnen sogar Schriften von Aposteln und Schülern der Apostel
vorhanden waren, von denen doch jede Gemeinde die Eine oder die Andere
entweder kannte, oder, wenn sie wollte, leicht kennen lernen konnte.
Zuerst gilt auch hier die schon oben
gemachte Bemerkung, daß ein oligographisches Zeitalter immer die
mündliche Mittheilung dem Gebrauche einer Schrift vorzieht. Papias
kannte die Evangelien des Matthäus und Marcus, und hielt sie für
ächt, zog ihnen aber doch die cwshn [sic]
fwnhn
kai menoushn vor. Eindringlicher und lebendiger war unstreitig die
Erzählung eines Mannes, der sie von den Aposteln selbst empfangen
hatte, und dem das Zeugniß für Christum übertragen war,
als die Lesung einer Schrift es seyn konnte.
Eine heilige Schrift hatten die Christen
im A. T., das nach ihrer Ueberzeugung nur für sie bestimmt war, und
überdieß den Vorzug eines grauen Alterthums, der selbst den
damaligen heidnischen Philosophen ein wichtiges Moment schien, hatte.
Dann scheint es aber auch, als ob
der Misbrauch [sic] den schon früh ketzerische Partheien von schriftlichen
Evangelien machten (s. unten), die orthodoxen Christen gegen diese eingenommen
habe. Jede Syngraphe umfaßte nur einen Theil des Evangeliums, konnte
also, allein gebraucht (wie dieß wirklich bei Ketzern der Fall war),
zur Einseitigkeit und zu falschen Lehrsätzen verleiten. Da
man nun noch nicht darauf gefallen war, mehrere Syngraphen
zur wechselseitigen Ergänzung mit einander zu verbinden, so mußte
die das ganze Evangelium begreifende Tradition vor jeder einzelnen Syngraphe
den Vorzug haben.
Daß diese Tradition in der Kirche
rein erhalten blieb, dafür bürgte der Glaube, daß die außerordentlichen
Gaben des heiligen Geistes, der früher in den Aposteln die Erinnerung
an das Leben Jesu verlebendigt hatte, noch in der Kirche fort wirke *).
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U e b e r d i e e r st e n S p u r e n v o n d e m G e b r a u ch e s ch r i f t l i ch e r E v a n g e l i e n b e i O r t h o d o x e n.
Da die
Geschichte durchaus darüber schweigt, wie und wann die 4 canonischen
Evangelien in den Gemeinden eingeführt sind; so darf man keinen Aufsehen
machenden Impuls, durch welche jene Einführung bewirkt sey, voraussetzen,
wenn man jenes Schweigen nicht ganz unerklärlich machen will. Um also
Zeit und Veranlassung derselben einigermaßen zu bestimmen, bleibt
nichts anders übrig, als zu beachten, wo und wie schriftliche Evangelien
zuerst erwähnt werden, und dann die ganze Lage der Kirche jener Zeiten
in Erwägung zu ziehen, um die Veranlassung zu jener Veränderung
in ihr zu entdecken.
P a p
i a s, Bischof von Hierapolis, ein Zeitgenosse
*) Iustin. dial. c. Tryph. 308. para hmin kai mexri nun profhtika xarismata estin.
des Polycarpus *), ist bekanntlich
der Erste, der die Evangelien Matthäi und Marci namentlich erwähnt.
Sie müssen zu seiner Zeit schon angefangen haben, unter der Menge
der übrigen Syngraphen ausgezeichnet zu werden; er selbst zieht ihnen
aber die Tradition vor.
P o l
y c a r p u s, Bischof von Smyrna (+ 167.), erwähnt in seinem
Briefe so wenig als Ignatius eines geschriebenen Evangeliums. Dieser Brief
ist indeß, nach seinem, vom Eusebius **) und in einer alten lateinischen
Version erhaltenen, Schlusse zu urtheilen, bald nach dem Tode des Ignatius
(+ 116.) geschrieben, und kann also für die folgende Lebenszeit des
Polycarpus nichts beweisen. Da nun nach andern Geschichtsdaten vor dem
Tode des Polycarpus in Asien der Gebrauch der vier Evangelien gewöhnlich
gewesen seyn muß, da er als der vornehmste Bischof in Kleinasien
** ) nicht ohne Antheil an der Einführung derselben gewesen seyn kann,
da sein Schüler Irenäus ein so eifriger Vertheidiger der Canonicität
der 4 Evangelien ist; so verdient es immer Aufmerksamkeit, daß Polycarpus
der älteste Vater ist, von welchem sich in den Catenen Erklärungen
einiger Stellen der 4 Evangelisten finden +), selbst wenn es ausgemacht
*) Iren. 5, 33.
Polycarpi contubernalis.
**) Euseb. h.
e. 3, 36.
***) In dem Briefe
der smyrnensischen Gemeinde über den Märtyrertod des Polycarpus
(Coteler. patr. Apost. T. II. p. 193. Euseb. h. e. 4, 15.)
urtheilen die Heiden und Juden über denselben (C. 12.): outoj
estin o thj Asiaj didaskaloj, o pathr twn Xristianwn.
+) Es sind 5 Fragmente,
die sich in der Catene des Victor Bischofs von Capua finden, welche zuerst
der Franciscaner Feuar-
ist, daß ein oder das
andere Fragment nicht von ihm herrühren könne.
Zwischen
den Jahren 130-150 haben zwei Nichtchristen, der Epicuräer C
e l s u s und der Jude T r y p h o n, nach ihrer eigenen
Versicherung schriftliche Evangelien gelesen. Celsus muß mehrere
Evangelien gelesen haben, denn er nennt sie nicht nur im Plural suggrammata,
sondern spricht auch von Widersprüchen unter denselben *). Die berühmte
Stelle, in der er den Christen vorwirft, daß sie ihr Evangelium wie
Betrunkene drei, vier und mehreremal umgeändert hätten **), scheint
so zu erklären zu seyn, daß er mehrere sehr ähnliche Evangelien
kannte, und nun voraussetzte, sie seyen sämmtlich durch willkührliche
Ueberarbeitungen aus Einer Schrift entstanden. Ob es unsere Evangelien
waren, welche Celsus gelesen hatte, kann nicht bestimmt werden. Es ist
dentius in seiner Ausgabe des Irenäus
(Paris, 1639.) S. 241. bekannt machte, und die auch Cotelerius Th. 2. S.
203. aufgenommen hat.
*) An mehrern Orten
versichert er die Schriften der Schüler Jesu gelesen zu haben, z.
B. Orig. c. Cels. (ed. Genebrardi. Paris, 1619.) II. pag. 433. A.
"cum multa possim de Iesu rebus dicere vera, nec scriptis discipulorum
ejus similia etc. II. p. 444. G. Tandem Celsi Iudaeus clausurus orationem
suam sic loquitur: "Haec igitur vobis protulimus ex vestris literis (ek
twn umeterwn suggrammatwn)." - Unter
den Stellen, wo er Widersprüche der Evangelien rügt, s. lib.
V. pag. 488. H. "Quin et ad ipsius sepulcrum tradunt venisse angelum, alii
unum, alii duos etc." (Wirklich reden Matth. 28, 5. Marc. 16, 5. nur
von Einem, dagegen Luc. 24, 4. Joh. 20, 12. von zwei Engeln).
**) Orig. c.
Cels. lib. II. p. 435. F. Post haec dicit quosdam fidelium quasi
per temulentiam permittere sibi quidvis in mutanda scriptura evangelica
(metaxarattein ek thj prwthj grafhj to euaggelion)
tribus modis, quatuorve aut pluribus etc.
indeß nicht unwahrscheinlich,
obgleich Origenes aus innern, aber schwachen Gründen es bezweifelt
*). Da nun auch Tryphon mehreremal versichert, das Evangelium gelesen zu
haben **) (ohne daß wir indeß dasselbe näher bestimmen
könnten), so sind wir zu der Annahme berechtigt, daß in dem
oben bezeichneten Zeitraume von einzelnen Evangelien so viele Exemplare
vorhanden waren, daß sie selbst in die Hände von Nichtchristen
fallen konnten.
J u st
i n u s M a r t y r (+ 167.), aus Sichem in Samarien ist unter
den noch vorhandenen christlichen Schriftstellern der Erste, der schriftliche
Nachrichten von Jesu Leben, nach seiner Behauptung von Aposteln und deren
Schülern verfaßt, unter den Namen: apomnhmoneumata,
euaggelia oder euaggelion
oft citirt, und zugleich die Nachricht giebt, daß dieselben in den
Versammlungen der Christen vorgelesen würden ***). Daß sie am
wahrscheinlichsten für ein Evangelium aus der Familie der Evangelien
nach den Hebräern gehalten werde, ist schon oben bemerkt. Justinus
Martyr gebrauchte also um diese Zeit auch in Rom und Kleinasien ein von
unsern canonischen Evangelien verschiedenes Evangelium, ohne in diesen
Gegenden damit anzustoßen. Uebrigens scheint er, wie dieß oben
erinnert ist, dieses Evangelium
*) Orig. c. Cels. lib. I. pag. 427. D. - evangelia,
quae Celsus ne legisse quidem videtur etc.
**) z. B. Iustin. dial. c. Tryph. pag. 227.
C., wo Tryphon sagt: emoi gar emelhsen entuxein
autoij (sc. toij en tw legomenw euaggeliw paraggelmasi).
***) Iustin. Apol. II. p. 98. ta
apomnhmoneumata twn apostolwn h ta suggrammata twn profhtwn anaginwsketai
mexrij egxwrei.
dem A. T. in Hinsicht der Heiligkeit nachzusetzen, insofern
er die Aussprüche von jenem erst durch Hinzufügung alttestamentlicher
Stellen zu bekräftigen sucht.
H e g e s i p p u s, ebenfalls
ein palästinensischer Christ, kam nach Rom unter dem Bischofe Anicetus,
und blieb daselbst bis Eleutherus Bischof wurde (160-170.). Nach dem Eusebius
gebrauchte er das Evangelium nach den Hebräern *), fand aber damit
unter den occidentalischen Orthodoxen eben so wenig Anstoß, als er
an ihrer Sitte Anstoß nahm. Er erklärt ausdrücklich den
Glauben in den Gemeinden von Rom und Corinth für orthodox **).
D i o n y s i u s, Bischof von
Corinth (um 170.) klagt in einem Briefe an die Gemeinde zu Rom, deren Bischof
damals Soter war, daß die Abgesandten des Teufels nicht nur seine
Briefe, sondern sogar auch die Schriften des Herrn, d. i. die Evangelien
zu verfälschen wagten ***). Dionysius setzt hier die Evangelien weit
über seine Briefe, er hält auf einen gewissen Text, und klagt
die an, welche diesen anzutasten wagten. Wahrscheinlich geht diese Klage
auf den Marcion, gegen welchen Dionysius
*) Euseb. h. e. IV, 22. ek
te tou kaq 0 Ebraiouj euaggeliou kai tou Suriakou, kai idiwj ek thj Ebrai+doj
dialektou tina tiqhsin.
**) Hegesipp. ap. Euseb. l. c. en
ekasth de diadoxh kai en ekasth polei outwj exei, wj o nomoj khruttei kai
oi profhtai, kai o kurioj.
***) Dionys. ap. Euseb. h. e. IV. c. 23.
ou qaumaston ara ei kai twn kuriakwn radiourghsai
tinej epibeblhntai grafwn, opote kai taij (sc.
epistolaij emou) ou toioutaij epibeblhkasi.
- Auch Clem. Alex. Strom. VI. c. 11. und VII. c. 1. nennt
die Evangelien kuriakai grafai. Iren.
II. c. 66. V, 20. dominicae scripturae.
in seinem Briefe an die Nicomedier ausdrücklich polemisirt
hat *). Nach diesen Aeußerungen können wir nicht zweifeln, daß
die Gemeinde von Corinth um diese Zeit gewisse Evangelien als kirchliche
Schriften besaß.
C l a u d i u s A p o l l i
n a r i s war um 170. Bischof von Hierapolis in Phrygien, Verfasser
einer Schutzschrift für die Christen und vieler andern Bücher,
von welchen E u s e b i u s **) zu verstehen giebt, daß er
sie nicht alle kenne. In dem Chronicon Paschale kommt ein Fragment aus
einer Schrift desselben "über das Pascha" vor, das aber deshalb zweifelhaft
ist, weil kein älterer Schriftsteller diese Schrift erwähnt.
In diesem Fragmente werden diejenigen bestritten, welche meinen, daß
Jesus am 14ten Tage das Osterlamm gegessen und am großen Tage des
Festes gelitten habe. Es wird gesagt, daß, wenn sie den Matthäus
für ihre Meinung anführten, daraus folgen würde, daß
die Evangelien mit einander nicht übereinstimmten ***). Ist dieß
Fragment ächt, was freilich nicht ausgemacht werden kann, so beweiset
es, daß um
*) Euseb. l. c. allh
d 0 epistolh tij autou proj Nikomhdeaj feretai, en h thn Markiwnoj airesin
polemwn tw thj alhqeiaj paristatai kanoni.
**) Euseb. IV, 27. tou
d 0 Apolinariou pollwn para polloij swzomenwn, ta eij hmaj elqonta esti
tade k. t. l.
***) Fragm. ex Claud. Apoll. libro de paschate in
Chronic. paschal. (ed. du Fresne Par. 1688.) praef. pag. 6. 7. eisi
toinun oi di 0 agnoian filoneikousi peri toutwn, - - - - kai legousin,
oti th| id 0 to probaton meta twn maqhtwn efagen o kurioj: th de megalh
hmera twn azumwn autoj epaqen: kai dihgountai Matqaion outw legein wj nenohkasin:
oqen asumfwnwj te nomw h nohsij autwn: kai stasiazein dokei kat 0 autouj
ta euaggelia.
170 in Hierapolis Matthäus und andere Evangelien
(daß die drei andern canonischen gemeint sind, darf man billig nicht
bezweifeln) kirchliches Ansehen und Beweiskraft hatten).
T h e o p h i l u s, Bischof
von Antiochien (170-180.), führt in seinen drei Büchern an den
Autolycus meistentheils seine evangelischen Citate mit eben so allgemeinen
Formeln an, wie die apostolischen Väter. Nur den Anfang des Evangelii
Johannis citirt er mit namentlicher Erwähnung des Verfassers, den
er zwar zu den pneumatoforoij rechnet, dessen Schrift er aber von den agiaij
grafaij, dem Alten Testamente, nicht undeutlich unterscheidet *)
Wenn er in einer andern Stelle von Evangelien spricht, deren Verfasser
ebenfalls pneumatoforoi gewesen seyen **), so können wir, wenn wir
zu derselben Zeit in andern Gemeinden die 4 Evangelien eingeführt
finden, nicht zweifeln, daß er diese vor Augen habe. Ob er eine Harmonie
der Evangelien oder einen Commentar über dieselben geschrieben habe,
ist ungewiß ***).
*) Theoph. ad Autolyc. l. II. p. 100.
oqen
didaskousin hmaj ai agiai grafai, kai pantej oi pneumato foroi, ec wn Iwannhj
legei: en arxh o logoj k. t. l. cf. Rosenmüller
hist. interpr. libr. sacr. P. I. pag. 200.
**) Theoph. ad Autol. III. p. 124. unten:
akolouqa eurisketai kai ta twn profhtwn kai twn euaggeliwn
exein, dia to touj pantaj pneumatoforouj eni pneumati qeou lelalhkenai.
***) Hieron. epist. ad Algasiam: Theophilus
Antiochenae Ecclesiae post Petrum episcopus, qui quatuor Evangelistarum
in unum opus dicta compingens, ingenii sui nobis monumenta reliquit. -
Dagegen spricht Hieronymus in seinem Catalogus (C. 25.) von einem Commentare
des Theophilus über das Evangelium.
Daß zur Zeit des Theophilus in
andern Gemeinden, namentlich in dem westlichen Kleinasien, Rom, Lugdunum,
Alexandrien und Africa die vier Evangelien vollkommenes kirchliches Ansehen
hatten, dieß wird durch die nun folgenden Zeugen unwidersprechlich
gewiß.
I r e n ä u s, wahrscheinlich
aus Asien gebürtig, ein Schüler Polycarps, nachher Bischof in
Lugdunum, der mit seiner Gemeinde, besonders mit den Gemeinden in Rom *),
Smyrna und Ephesus **), in Verbindung stand, schrieb seine fünf Bücher
gegen die Ketzereien zwischen 176 und 190. Er erkennt nur die 4 Evangelien
als ächte Grundsäulen des Glaubens ***) an, sucht sogar die Nothwendigkeit
dieser Zahl durch Vergleichung mit den 4 Weltgegenden, den 4 Hauptwinden
und der vierfachen Gestalt der Cherubim darzuthun +), und fordert unbedingt
von jedem Orthodoxen die Anerkennung dieser Schriften. Wenn sich nun also
auch im Irenäus Spuren finden, daß er ein früheres Zeitalter,
welches ohne kirchlich geheiligte Evangelien war, gekannt habe, wie oben
darauf hingedeutet ist; so nöthiget doch die Art und Weise, wie er
von den vier Evangelien spricht, zu der Annahme, daß dieselben nicht
erst kurze Zeit vorher in der Gemeinde von Lugdunum und in den apostolischen
Gemeinden Smyrna, Ephesus und Rom ++), auf deren Zeugniß Irenäus
so hohes Gewicht legt, eingeführt seyen.
*) cf. Euseb. h. e. V, 4. 24.
**) cf. Euseb. h. e. V, 1-3.
***) Iren. III, 1. fundamentum et columnam
fidei nostrae.
+) Iren. III, 11.
++) Iren. III, 3.
Von Rom bestätigt dieß außerdem
das Verzeichniß der neutestamentlichen Bücher, welches
M u r a t o r i *) herausgegeben hat, das der darin befindlichen Angabe
nach nicht lange nach der Zeit des römischen Bischofs Pius I., der
um die Mitte des zweiten Jahrhunderts lebte, aufgesetzt ist, und welches
die vier Evangelien als kirchliche Schriften aufführt.
C l e m e n s, Vorsteher der
Catechetenschule in Alexandrien, der nach D o d w e l l **) die noch
jetzt von ihm vorhandenen Werke zwischen 193 und 195 schrieb, erkennt ebenfalls
nur die 4 Evangelien als kirchliche Schriften an, und obgleich er auch
die Evangelien der Hebräer und der Aegyptier einigemal als glaubwürdige
Schriften anführt, so unterscheidet er diese doch von den paradedomenoij
hmin tetarsin euaggelioij ***).
T e r t u l l i a n, Presbyter
in Carthago im Anfange des dritten Jahrhunderts, stimmt nicht allein in
der Anerkennung der 4 Evangelien mit Irenäus und Clemens überein,
sondern sagt auch ausdrücklich, daß sich der Glaube an dieselben
auf das Ansehen der apostolischen Gemeinden (unter welchen er die von Paulus
und Johannes gestifteten, besonders aber die zu Rom anführt) stütze
+), insofern die übrigen Christen sie durch diese Gemeinden erhalten
hätten, und so wie dieselben besäßen.
*) Muratori antiquitt. Ital. medii aevi. T.
III. pag. 854.
**) Dodwell dissert. Iren. III. §. 27.
***) Strom. l. III. p. 339.
+) Tert. adv. Marc. IV. c. 5. eadem
auctoritas ecclesiarum apostolicarum ceteris quoque patrocinabitur Evangeliis,
quae proinde per illas et secundum illas habemus.
Kurz vorher behauptet er von dem Evangelium Lucä
sogar, daß die apostolischen Kirchen und diejenigen, welche mit denselben
verbunden gewesen wären, diese Schrift von ihrer ersten Bekanntmachung
angenommen hätten *). Diese Behauptung darf uns nicht irre machen,
selbst wenn sie nicht, wie es hier doch scheint, eine durch die Hitze des
Streits herbeigeführte Aeußerung ist. Von einigen apostolischen
Gemeinden ging die Einführung der Evangelien aus; nur dadurch gewannen
sie bei den übrigen Gemeinden Eingang, daß man es erwies, das
sie in jenen anerkannt wären, und von ihnen als kirchliche Schriften
gebraucht würden. Hiermit konnte sich in den übrigen Gemeinden
sehr leicht die Meinung erzeugen, daß sie in jenen von Anfang an
gebraucht wären. Da keine Andern, als etwa Ketzer, widersprachen,
so wurde dieß allmählig die Meinung der ganzen Kirche.
Wir werden also durch die Zeugnisse
dieser Schriftsteller für den Gebrauch der 4 Evangelien in dem westlichen
Kleinasien, Rom und den damit in Verbindung stehenden Gemeinden um die
Jahre 170-200, und durch die Art, wie sie davon sprechen, über die
Mitte des zweiten Jahrhunderts, als den Zeitpunct zurückgeführt,
wo zuerst die 4 Evangelien vereinigt kirchlichen Gebrauch erhalten haben
mögen. Einen so frühen Zeitpunct fordert auch die Bemerkung,
daß die Montanisten und Valentinianer, die um 140 entstanden, die
4 Evangelien ge=
*) a. a. O. Dico itaque, apud illas (ecclesias) nec solas jam apostolicas, sed apud universas, quae illis de societate sacramenti confoederantur, id evangelium Lucae ab initio editionis suae stare, quod cum maxime tuemur.
brauchten. Von jenen beweiset es theils das Beispiel des
Tertullian, der noch als Montanist unsere vier Evangelien zu gebrauchen
fortfuhr, theils dessen ausdrückliche Versicherung, daß die
Montanisten durchaus von keiner Glaubensregel der übrigen Christen
abwichen *). Daß die Valentinianer die 4 Evangelien gebrauchten,
bezeugen T e r t u l l i a n und I r e n ä u s **),
und außerdem erhellt es daraus, daß der Valentinianer Heracleon
die Evangelien Lucä und Johannis commentirte. Es läßt sich
nicht denken, daß die Orthodoxen von einer dieser Ketzerpartheien,
und eben so wenig, daß Eine derselben von der Andern diese Sammlung
angenommen habe. Daß beide Ketzerpartheien späterhin sie von
den Orthodoxen entnahmen, ist eben so unwahrscheinlich; namentlich würden
die stolzen Montanisten sich schwerlich verstanden haben, von den Psychicis
Belehrung über die ächten Schriften der Apostel zu empfangen.
Es bleibt also keine Annahme übrig, als die, daß zu der Zeit,
wo sich diese Partheien von der Kirche trennten, schon die 4 Evangelien
in Rom und Kleinasien (wo Valentinus und Montanus sich aufhielten), als
kirchliche Schriften anerkannt waren.
Es bleibt nun noch übrig, die
Veranlassungen, durch welche, und die Art, wie jene Sammlung veranstaltet
und von den Kirchen angenommen wurde, aufzusuchen.
*) Tert. de jejuniis c. 1. propter hoc
novae
prophetiae recusantur; non, - - - quod aliquam fidei aut spei regulam evertant
etc.
**) Tert. de praescript. 38. Valentinus
integro instrumento uti videtur - - materiam ad scripturas excogitavit.
Iren. III, 11.
plura habere gloriantur, quam sint ipsa evangelia (Valentin hatte ausserdem
noch das evang. veritatis).
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U e b e r d i e S a m m l u n g u n d k i r ch l i ch e E i n f ü h r u n g d e r v i e r E v a n g e l i e n.
Weit früher als bei den Orthodoxen
finden wir bei den Häretikern gewisse Evangelien als heilige Schriften,
als Erkenntnißquellen ihres Glaubens, im Gebrauche. Man erinnere
sich an die Evangelien des Cerinths, Basilides, Carpocrates und Marcion.
Forschen wir weiter nach, so werden wir bald auf die Gründe stoßen,
welche die Häresiarchen vermochten, von der Gewohnheit der übrigen
Christen ihrer Zeit abzuweichen, und gewisse Syngraphen für ihre Secte
zu canonisiren.
Sobald als wissenschaftlich gebildete
Männer zum Christenthume übertraten, so mußte sich in ihnen
der doppelte Wunsch e i n e r h i st o r i s ch e n B
e u r k u n d u n g des Lebens und der Lehre Jesu, und einer
p h i l o s o p h i s ch e n B e g r ü n d u n g der letztern
regen. Die übrigen Christen suchten in dem Evangelio mehr Nahrung
für ihr Herz, als Stoff zu Speculationen, und so genügte ihnen
die mündliche Tradition vollkommen; in den wissenschaftlich Gebildeten
mußte aber das Verlangen entstehen, die Geschichte und Lehre Jesu
der Tradition, in die doch immer Irrthümer, Weglassungen und Zusätze
einschleichen konnten, zu nehmen, sie schriftlich zu fixiren, um ein festes
Substrat zur genauen historischen Kenntniß und zum philosophischen
Nachdenken zu gewinnen. Sie hätten durch die schriftlichen Evangelien
der Jünger Jesu allerdings ihre Wünsche befriedigen können;
aber entweder kannten sie diese nicht, oder sie legten zur Beurtheilung
ihrer
Aechtheit ein falsches Criterium an, nämlich die
Uebereinstimmung mit ihrem dogmatischen Systeme. Es ist eine bekannte Sache,
daß die griechischen Philosophen, die zum Christenthume übertraten,
ihre früheren philosophischen Ansichten mit hinübernahmen, und
durch diese die wenigen dogmatischen Lehren des damaligen Christenthums
zu begründen und zu bestimmen suchten. Indem sie nun das dadurch erhaltene
Product für ächtes christliches System hielten, so mußte
ihnen dieß auch für den untrüglichsten Probierstein gelten,
die Wahrheit der verschiedenen Erzählungen von Christo zu bestimmen.
Alle andere äußere Gründe mußten diesem innern Entscheidungsgrunde
untergeordnet werden, und es konnte ihnen auch nicht schwer werden, jene
auf mancherlei Art zu entkräften *). Durch dieses Verfahren, welches
sich selbst als höhere Critik ankündigte, sonderte nun ein Jeder
aus der auf ihn gekommenen Tradition das mit seinem Systeme Harmonirende
als ächt aus, vereinigte anderes durch die Künste einer gewaltsamen
Interpretation mit seiner Dogmatik, entdeckte in dem Uebrigen Spuren von
Verfälschungen, und emendirte entweder nach seiner analogia fidei,
oder verwarf es als unächt gänzlich. Die so ausgeschiedenen Stücke
des Evangelii wurden nun in Syngraphen fixirt, und diese erhielten in den
verschiedenen Secten canonisches Ansehen.
In den ältesten Zeiten war die
Glaubensregel noch
*) Tert. de praescr. 38. Quibus fuit propositum aliter docendi, eos necessitas coëgit aliter disponendi instrumenta doctrinae.
zu allgemein gefaßt, als daß nicht manche
verschiedenartige Meinungen von übersinnlichen Dingen mit derselben
gleich gut vereinigt werden konnten. Auch herrschte die practische Tendenz
des Christenthums noch zu sehr vor, als daß geringere Abweichungen
in Lehrmeinungen zu Verketzerungen hätten Anlaß geben können.
Endlich mußten die Christen wegen ihrer geringern Menge und wegen
des Druckes, den sie von Heiden und Juden duldeten, innere Spaltungen zu
verhüten suchen, und um desto eher Privatmeinungen dulden. Da die
christlichen Gemeinden selbst noch weniger verbunden waren, so konnte um
so seltener der Fall eintreten, daß gewisse Meinungen in der ganzen
Kirche verrufen wurden. Nur Irrthümer, welche die Grundsäulen
des Christenthums zu stürzen drohten, wurden von den Bischöfen
in ihren und befreundeten Gemeinden bekämpft, wie vom Ignatius die
docetischen und ebionitischen Meinungen; die ganze Kirche wurde aber noch
nicht durch Häresimachen erregt, und selbst Cerinth konnte einen solchen
nicht wecken, obgleich derselbe in spätern Zeiten für einen der
gräulichsten Kezzer [sic] galt.
Wegen dieser Ruhe der ältesten
Zeiten des Christenthums, die ihren Grund wohl am meisten in dem duldenten
[sic] Character der Kirche selbst hatte, durfte man in spätern Zeiten
mit einigem Scheine behaupten, daß, so lange die Apostel und andere
Augenzeugen des Lebens Christi gelebt hätten, die Kirche, gleich einer
reinen Jungfrau, von Ketzereien unbefleckt geblieben sey, und daß
die Ketzer sich mit ihren Meinungen zurückgehalten hätten. Man
pflegte unter den palästinensischen Christen die
Regierung Trajans *), unter den übrigen die des Hadrian
**) als die Zeit anzunehmen, wo zuerst die Ketzer muthiger ihr Haupt zu
erheben gewagt hätten. Und allerdings waren die Unruhen der frühern
Zeiten für nichts zu achten gegen die Bewegungen, welche der ungefähr
gleichzeitige Auftritt der Häresiarchen S a t u r n i n u s,
B a s i l i d e s und C a r p o c r a t e s (zwischen
120 und 130 n. Chr.) hervorbrachte. Wie stark schildert Eusebius (K. G.
4, 7.) nicht den Contrast zwischen den bis dahin so ruhigen Zeiten der
Kirche und den Gefahren, welche durch jene Häretiker derselben jetzt
zu drohen anfingen!
Erwägen wir die Zeitumstände
näher, so wird uns bald die Größe dieser Gefahr einleuchten.
Die Erbitterung der Römer gegen die Juden, welche trotz der wiederholten
Züchtigungen immer noch fortfuhren, hartnäckig nach Selbstständigkeit
zu streben, war um diese Zeit aufs höchste gestiegen. Auch auf die
Christen, die wenigstens für eine den Juden sehr verwandte Religionsparthei
***) galten, ging gewiß dieser Haß mehr oder weniger über.
In dieser Zeit nun, wo alles zur Einigkeit aufforderte, traten gleichzeitig
drei Häresiarchen auf, und breiteten
*) Hegesipp. ap. Euseb. III, 32. mexri
twn tote xronwn parqenoj kaqara kai adiafqoroj emeinen h ekklhsia, en adhlw
pou skotei fwleuontwn eiseti tote twn, ei kai tinej uphrxon, parafqeirein
epixeirountwn ton ugih kanona tou swthriou khrugmatoj. k. t. l, [sic]
**) Clem. Alex. Strom. VII. c. 17.
katw de peri touj Adrianou tou basilewj xronouj oi
taj aireseij epinohsantej gegonasi. cf. Euseb. H. E. IV.
c. 7.
***) Tert. apolog. 16. Iudaicae religionis
propinquos.
ihre Lehren in ganze Länder aus, da die frühern Ketzer sich fast nur auf einzelne Gemeinden beschränkt hatten. So wie Saturnin in mehreren Orten Syriens, so stiftete Basilides in mehreren Orten Aegyptens Schulen für seine Secte *). Wie bedeutend die Parthei des Basilides gewesen seyn muß, folgt schon daraus, daß sie noch im Anfange des fünften Jahrhunderts fortdauerte **). Am furchtbarsten wurden aber die Anhänger des Carpocrates, die selbst nach andern Ländern Missionare ausschickten und überall Jünger fanden. Carpocrates selbst blieb zwar in Alexandrien, aber Epiphanes, sein Sohn, wählte S a m e in Cephalenien zu seinem Aufenthalte und fand hier bleibende Verehrer ***); unter dem Anicetus kam sogar eine Marcellina nach Rom, und warb hier für den Carpocrates Anhänger +). Noch mehr Aufsehen als durch diese schnelle Ausbreitung machten aber diese Secten durch ihre praktischen Irrthümer, die zum Theil von der Art waren, wie sie gerade damals dem christlichen Geiste geradezu widersprachen, Allerdings sind diese von den spätern Häresimachen übertrieben; allein ganz erdichtet waren sie schwerlich, da selbst der mildere Clemens für sie zeuget, und man auch zuweilen ihren innern Zusammenhang mit dem dogmatischen Systeme jener Ketzer entdecken kann. Hierher gehört zuerst die Lehre des Basilides, daß es dem Christen erlaubt sey, seine Religion zu
*) Euseb. h. e. IV, 7. o
men kata Surian, o de kat 0 Aigupton sunesthsanto qeomiswn airesewn didaskaleia.
**) Epiphan. haer. XXIV. §. 1.
***) Clem. Alex. Strom. III. c. 2.
+) Iren. I, c. 24.
verläugnen, um dem Märtyrertode zu entgehen
*). Vorzüglich aber mußte das Moralsystem des Carpocrates, das
die Befriedigung jedes Naturtriebes erlaubte und die Weiber zur Gemeinschaft
bestimmte, jedem Christen das höchste Aergerniß geben. Es lag
also schon in der Sache selbst, daß alle christliche Gemeinden dahin
streben mußten, diesem sich immer weiter verbreitenden Gifte, das
nicht nur den Glauben, sondern auch alle Tugend gefährdete, und das
ganze Christenthum von Grund aus zu zerstöhren drohte, sich entgegen
zu setzen. Um so mehr wurden sie aber dazu gezwungen, da die Heiden oft
den Christen im Allgemeinen die Laster vorwarfen, welcher sich insbesondere
die Carpocratianer, die sich freilich auch Christen nannten, schuldig machten
**). Sie mußten jene Irrgläubigen durchaus von sich ausscheiden,
um den alten Ruf der Tugend und Frömmigkeit, der sie bis jetzt den
Heiden ehrwürdig gemacht hatte, zu bewahren, und zu zeigen, daß
sie mit jenen Verirrten nichts als den Namen gemein hätten. Sie mußten
durch Widerlegungen der häretischen Meinungen die Gläubigen vor
Verführung zu bewahren, und die Irrenden von ihrem Irrthume zu überzeugen
suchen.
Da die christlichen Gemeinden bis
dahin ohne ein gemeinschaftliches Band, jede für sich unter ihrem
Bischofe, bestanden hatten, so konnten die Masregeln, wel=
*) Iren. I. c. 23.
**) Euseb. h. e. IV. c. 7. tauth|
d 0 oun epipleiston sunebaine thn peri hmwn para toij tote apistoij uponoian
dussebh kai atopwtathn diadidosqai etc. (cf. Tert. apol.
c. 7. Minuc. Fel. c. 9. c et.[?]).
che die Christen jetzt ergriffen, noch nicht von gemeinschaftlichen Berathungen ausgehen, sie führten aber allmählig zu der engern Verbindung der rechtgläubigen Gemeinden in einer katholischen Kirche hin. Zuerst traten einzelne Männer, die dazu den meisten Beruf in sich fühlten, auf, theils um die Ketzer zu widerlegen, dann aber auch, um die Heiden von der Beschaffenheit der christlichen Religion genauer zu belehren, und die Verwechselung derselben mit der jüdischen Religion und mit den ketzerischen Systemen zu verhüten. Daher zeigen sich um die Zeit des Auftritts jener Ketzer die ersten Apologeten Q u a d r a t u s und A r i st i d e s *), die dem Hadrian in Athen ihre Schriften übergaben, und die ersten Häresimachen, die theils mündlich, theils schriftlich die Ketzer bestritten, von denen aber, obgleich Eusebius wiederholt ihre Mehrheit versichert **), nur A g r i p p a C a st o r als Bestreiter des Basilides bekannt ist. Eusebius selbst hatte unstreitig nur wenig Quellen von diesen Zeiten, die meisten Schriften der damaligen christlichen Schriftsteller waren nicht auf ihn gekommen, und er kennt sogar nicht einmal ihre Namen mehr. Aber das giebt er deutlich zu verstehen, daß eben jene Ketzer, indem sie die Orthodoxen zur Vertheidigung anregten, die Ursache der nähern Verbindung der christlichen Kirchen und insofern des größern Glanzes derselben wurden. Indem er den Zustand der christlichen Kirchen vor dem Auftritte der Ketzer beschreibt, vergleicht er sie mit Ster=
*) Euseb. h. e. IV, 3.
**) Euseb. h. e. IV, 7.
nen, die einzeln am Himmel glänzen *); nachdem er
darauf erzählt hat, wie die Kirche zwar erschüttert, aber auch
gestützt und vertheidigt sey, sagt er, daß sich unter diesen
Kämpfen der Glanz der catholischen und allein wahren Kirche gemehrt
und vergrößert habe **). Scheint es nicht, als ob er diese Einheit
jener Mehrheit in dem bedeutenden Sinne entgegenstelle, daß sich
unter jenen Kämpfen die Kirchen zu einer Verbindung geeinigt hätten?
- Daß in die Zeit zwischen dem Auftritte jener Ketzer und zwischen
Celsus (also zwischen 126. und 140.) diese nähere Verbindung der Kirchen
falle, erhellt aus einer Aeußerung des Letztern, der schon eine
"g r o ß e K i r ch e" kennt, und sie von den Gnostikern
unterscheidet ***).
In diesem Streite gegen die Ketzer
scheint sich aber auch zuerst das Bedürfniß gemeinschaftlicher
Religionsurkunden, aus denen die häretischen Systeme widerlegt werden
konnten, entwickelt zu haben. Die Orthodoxen mußten es nämlich
in dem Streite bald merken, wie
*) Euseb. l. c. hdh de
lamprotatwn dikhn fwsthrwn twn ana thn oikoumenhn apostilbouswn ekklhsiwn
k. t. l.
**) l. c. prohei d 0 ej auchsin
kai megeqoj aei kata ta auta kai wsautwj exousa h thj kaqolou kai monhj
alhqouj ekklhsiaj lamprothj, to, te swfron kai kaqaron thj enqeou politeiaj
te kai filosofiaj eij apan genoj Ellhnwn te kai barbarwn apostilbousa.
***) Celsus (ap. Orig. c. Cels. I. 5. pag.
489. C.) Ergo idem Deus Iudaeorum est et istorum Christianorum
videlicet: id fatetur magna ecclesia. Nachher unterscheidet
er diese von den Gnostikern, E: Nemo me putet ignorare, quosdam Christianorum
assensuros communem sibi esse cum Iudaeis Deum; quosdam vero dicturos diversum
atque adeo contrarium, et ab illo venisse filium.
sehr die Ketzer durch den Besitz kirchlicher Evangelien in den Augen Fremder ihnen überlegen erschienen. Bis dahin waren sie nicht gewohnt gewesen, ihre Dogmatik erst durch Interpretation aus dem Evangelio zu schöpfen, wie überhaupt bei einer Tradition genaue Interpretation nicht möglich ist, sondern sie folgten einer besondern dogmatischen Tradition, die sie ebenfalls von den Aposteln ableiteten. Wollten sie sich nun aber gegen die Ketzer auf diese Tradition berufen, so stellten ihnen diese nicht minder ehrwürdige Namen entgegen, von denen sie ihre Tradition ableiteten. Daneben hatten nun aber die Ketzer den Vortheil, der Unkundige blenden mußte, daß sie ihre Dogmatik auch aus ihrem schriftlichen Evangelio durch Interpretation erweisen konnten, während sie die blos mündliche historische Ueberlieferung der Orthodoxen eben deswegen leicht verdächtig machen konnten. So wurden nun die Orthodoxen gezwungen, darauf zu denken, mit denselben Mitteln zu widerstehen, und die apostolischen Syngraphen den Ketzern entgegen zu setzen. Vermuthlich geschah dieß also zuerst von den Häresimachen. Diese fanden in ihren Gemeinden und durch das Zeugniß derselben beglaubigt, einzeln die Evangelien der Apostel und apostolischen Männer vor, gebrauchten sie in ihren mündlichen und schriftlichen Widerlegungen der Ketzer, und konnten sie, da sie nicht selten zur Bestreitung der Ketzer Reisen unternahmen, um so eher weitern Kreisen bekannt machen. Wenn nun diese Schriften dadurch auch andern Gemeinden bekannt und lieb wurden, so mußten sich natürlich die Augen aller, besonders der asiatischen Christen auf die noch vorhandenen Schüler
des Johannes, Papias und Polycarpus, richten, um deren
Urtheil über dieselben zu erfahren. Obgleich beide über die Aechtheit
und den Werth dieser Schriften wohl einverstanden waren, so scheint es
doch, als ob sie über die kirchliche Einführung derselben verschieden
gedacht hätten. Papias, dem alten Herkommen den Vorzug gebend, stimmte
für die Beibehaltung der Tradition, welche allein ein v o l
l st ä n d i g e s Evangelium enthielt, und schrieb deshalb
über sie seine logiwn kuriakwn echghsij.
Polycarp hingegen führte in seiner Gemeinde die vier Evangelien ein
*), und sein Beispiel wirkte auf die meisten übrigen Gemeinden des
westlichen Kleinasiens, und durch die gleichzeitig wachsende Verbindung
der orthodoxen Gemeinden auch bald auf den Occident, namentlich auf Rom.
Für die enge Verbindung dieser Stadt mit den asiatischen Gemeinden
bürgt außer andern Spuren besonders die Reise, welche Polycarp
in der Folge unter dem Anicetus (zwischen 152 und 158.) dahin unternahm
**).
Ein jeder Unbefangene mußte
es einsehen, daß das Heil der Kirche durch die Canonisirung dieser
vier apostolischen Syngraphen gewann. Einseitigkeit in der Benutzung der
Tradition hatte die Ketzereien herbeigeführt,
*) Vor dem Tode des Polycarp (167.) müssen in
Smyrna und Ephesus die 4 Evangelien eingeführt seyn, denn nicht lange
darauf beruft sich schon Irenäus auf diese Gemeinden. Wurden sie aber,
während Polycarp Bischof war, eingeführt, so mußte sein
Einfluß ungefähr ein solcher seyn, wie er hier beschrieben ist.
Andere Gründe, durch welche dieß ebenfalls bestätigt wird,
sind schon oben angedeutet.
**) Euseb. H. E. IV. c. 14.
der kirchliche Gebrauch Eines Evangeliums mußte
aber nothwendig zur Einseitigkeit führen. Aus dem Evangelio Matthäi
konnte den Ebioniten die höhere Natur Christi nicht so deutlich erwiesen
werden, wie aus dem Evangelio Johannis; gnostische Träume zu widerlegen
war wieder jenes mehr geeignet als dieses. Da alle vier Evangelien aber
als kirchliche Schriften verbunden wurden, so war die Kirche von allen
Seiten geschützt. Mit Recht nennt Irenäus daher dieselben die
Säulen der Kirche *), jedes Einzelne stützte auf seiner Seite
das Gebäude, und bewahrte es vor dem Versinken in Eine der Ketzereien.
Nur daß es v i e r
Evangelien waren, welche die Kirche annahm, dieß mußte sowohl
bei Orthodoxen Bedenklichkeiten erregen, deren höchster Ruhm bis dahin
die Einheit des Evangelii gewesen war, als es Ketzern eine Veranlassung
zum Angriffe geben konnte. Und wirklich warfen diese es den Orthodoxen
vor, daß diese 4 Evangelien gebrauchten, da es doch nur Eines gäbe,
daß jene also verfälscht seyn müßten **). Daher bemühen
sich nun die Kirchenväter zu zeigen, daß ihr Evangelium immer
nur Eines, und nur viergestaltet, durch vier Zeugen überliefert, in
vier Bücher vertheilt sey ***). Daher
*) Iren. 3, 11. quoniam - columna et
firmamentum ecclesiae est Evangelium, et spiritus vitae, consequens est
quatuor habere eam columnas.
**) Orig. dial. c. Marc. dial. I. pag. 534.
L. Megeth. Contra arguo mendosa esse evangelia. Dicit enim
apostolus unum evangelium, et vos memoratis quatuor.
***) Iren. 3, 11. Verbum - - dedit
nobis quadriforme (tetramorfon) evangelium,
quod in uno spiritu continetur. - Orig. comm. in Ioh. T. II. p.
91. (ed. Huet.) kai to alhqwj
nannten sie auch die Sammlung der vier Evangelien, wie
die frühere Tradition, an deren Stelle jene getreten waren, gewöhnlich
to enaggelion [sic] *). Ja zur noch gründlichern
Widerlegung bemühten sie sich wohl gar, wie Irenäus, die natürliche
Nothwendigkeit von vier Syngraphen des Evangeliums dadurch zu erweisen,
daß sie auf andere wichtige Gegenstände aufmerksam machten,
die ebenfalls aus vier Theilen beständen **). So schal uns diese Art
von Beweisen vorkommt, so waren sie damals doch zeitgemäß, was
namentlich daraus erhellt, daß die Vergleichung der Evangelien mit
den Cherubim die Sitte hervorbrachte, jedem Evangelisten eine von den Gestalten,
aus denen die Cherubim bestanden, zuzutheilen.
Da die Einführung der vier Evangelien
übrigens ganz von dem Willen der einzelnen Bischöfe und Gemeinden
abhing, und, insofern diese Schriften ganz an die Stelle der ihnen gleichen
Tradition traten, durchaus keine Veränderung in der Kirche hervorbrachte;
so darf es
dia tessarwn en esti euaggelion. -
Dial. c. Marc. I. l. c. quatuor quidem sunt Evangelii scriptores,
Evangelium autem unum. - Ambros. Comm. in Luc. prooem.
Sic et nunc in N. T. multi evangelia scribere sunt conati, quae boni numularii
non probaverunt. Unum autem tantummodo in quatuor libros
digestum ex omnibus arbitrati sunt eligendum.
*) Iren. I, 3. 6. Clem. Strom.
V. p. 664. VI. p. 784. VII. p. 836. Tert. de pudic. c. 11.
12. de baptismo 15. Orig. hom. XIV. in Ierem. ed. Huet. p.
186.
**) Iren. III, 11. Neque autem plura
numero quam haec sunt, neque rursus pauciora capit (i. e. licet) esse Evangelia.
Die Beweise dafür werden von den vier Weltgegenden, den vier Hauptwinden,
den vier Gestalten der Cherubim u. s. w. hergenommen.
es [sic] nicht befremden, wenn genauere Nachrichten über
dieselbe fehlen.
Jemehr sich allmählig die Verbindung
der katholischen Kirche auch in andere Länder erweiterte, destomehr
verbreitete sich durch die Macht des Beispiels diese Sammlung der Evangelien.
Am frühesten folgte wohl das von den Ketzern am meisten beängstigte
Aegypten und das übrige Africa nach. Wie wenig strenge Masregeln bei
der Einführung derselben ergriffen wurden, und wie duldsam man sich
dabei auch gegen andere Syngraphen erwies, wenn sie nur nicht geradezu
Ketzereien beförderten, lehrt das Beispiel des Bischofs Serapion von
Antiochien (des zweiten Bischofs nach dem Theophilus, welcher schon die
vier Evangelien kannte) um 190. Da die Gemeinde von Rhossus in Cilicien
das Evangelium Petri gebrauchte, wurde er im Anfange so wenig unwillig
darüber, daß er dieß als etwas Gleichgültiges erlaubte,
ohne einmal die Schrift gelesen zu haben *). Erst nachher, als es sich
auswies, daß dieselbe docetische Irrthümer beförderte,
verbot er sie.
Auch die noch frühern Beispiele
des Justin und Hegesippus gehören hierher, da dieselben, obgleich
sie hebräische Evangelien gebrauchten, unter den Orthodoxen in Asien,
Griechenland und Italien nirgends anstießen. Syrien scheint indeß
überhaupt nicht mit Kleinasien und Rom gleichzeitig die vier Evangelien
angenommen zu ha=
*) Serapion. ap. Euseb. VI, 12. mh dielqwn to up 0 autwn proferomenon onomati Petrou euaggelion, eipon: oti ei touto esti monon to dokoun umin parexein mikroyuxian, anaginwskesqw.
ben. Theophilus spricht lange nach der Einführung der vier Evangelien in Kleinasien und Rom von diesen Büchern so wenig und auf eine solche Art, daß man schließen muß, um 180 seyen die Evangelien erst seit Kurzem in der Gemeinde von Antiochien eingeführt worden. In einigen Gemeinden Syriens müssen sogar statt jener andere Evangelien kirchliches Ansehen erhalten haben. Denn noch im fünften Jahrhunderte fand hier T h e o d o r e t *) in orthodoxen Gemeinden das Tatianische Diatessaron, nahm über zweihundert Exemplare davon weg, und führte dafür die vier Evangelien ein.
*) Theodoret. haer. fab. compend. l. I. c.
20.
[Ende des Buches]
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