Hauptseite > Texte > Godet: Einleitung
(Version 1.02    06.04.02  Fonts: SPIonic)
 

[Übersicht zu Frederic Godet: Einleitung in das Neue Testament]

K a p i t e l I. Die Entstehung der Sammlung der vier kanonischen Evangelien (S. 1)
...

K a p i t e l II. Das Evangelium des Matthäus (S. 69)
...

K a p i t e l III. Das Evangelium des Markus (S. 165)
...

K a p i t e l IV. Das Evangelium des Lukas (S. 225)
...

K a p i t e l V. Das Verhältnis der synoptischen Evangelien zu einander (S. 339)
I. Das Problem (S. 339)
II. Die Geschichte der Diskussion (S. 340)
    A. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts (S. 340)
    B. Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts (S. 342)
    C. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts (S. 348)
III. Das System der gegenseitigen Abhängigkeit (S. 365)
    1. Ist Matthäus unter Benutzung des Markus, des Lukas oder beider verfaßt? (S. 366)
    2. Ist Markus mit Hülfe des Matthäus, des Lukas oder beider verfaßt? (S. 378)
    3. Ist Lukas in Abhängigkeit von Matthäus, Markus oder beiden verfaßt? (S. 383)
IV. Die Theorie der gemeinsamen Quellen (S. 394)
    1. Vereinzelte Abhandlungen (S. 394)
    2. Die Logia des Matthäus (S. 394)
    3. Der Urmarkus (S. 397)
    4. Das aramäische Urevangelium (S. 399)
    5. Die Zweiquellentheorie (S. 403)
V. Die apostolische Tradition (S. 410)
    1. Die aramäische Urtradition (S. 410)
    2. Die mündliche Tradition in griechischer Sprache (S. 413)
    3. Die ersten Redaktionen (S. 414)
    4. Die Abfassung unsrer Evangelien (S. 415)
    5. Einwände (S. 418)
    S ch l u ß (S. 426)



 
 

Einleitung

in das

N e u e T e st a m e n t

von

F. Godet,
Doktor und Professor der Theologie in Neuchâtel.
 
 
 
 

Spezielle Einleitung.

Zweiter Band:

Die Evangelien und die Apostelgeschichte.

Erste Abtheilung:

Die drei ersten Evangelien.
 
 

Deutsch bearbeitet

von

Dr. E. Reineck,
Superintendent in Heldrungen.
 
 
 
 

Hannover.
V e r l a g v o n C a r l M e y e r.
(Gustav Prior.)

1905.


















339

F ü n f t e s  K a p i t e l.
Das Verhältnis der synoptischen Evangelien zu einander.

I.
Das Problem.

    Unter unsern vier Evangelien sind drei, die ein sehr deutliches Verwandschaftsverhältnis aufweisen. Der allgemeine Gang ihrer Erzählung ist ähnlich; sie bestehen aus zwei Hauptmassen, dem Bericht über Jesu Thätigkeit in Galiläa und dem über seinen Aufenthalt in Jerusalem. Die benutzten Stoffe (Thaten und Reden) sind ziemlich dieselben, obwohl jeder der drei Schriften eigenes besitzt, und ihre Reihenfolge ist ebenfalls großentheils dieselbe; endlich bietet die Erzählung vielfach völlig gleichlautende Ausdrücke, so daß ein Bericht von dem andern abgeschrieben zu sein scheint. Daher der Parallelismus dieser drei Schriften, um deswillen sie seit Griesbach den Namen Synoptiker tragen.
    So nahe Verwandtschaft führt natürlich dazu, ein litterarisches Abhängigkeitsverhältnis unter ihnen zu vermuten. Andrerseits fallen die Unterschiede zwischen diesen Schriften ebenso in die Augen wie ihre Übereinstimmung. Die Reihenfolge der Berichte über die galiläische Wirksamkeit wird im ersten Evangelium, wie wir gesehen haben, durch eine Sachordnung bestimmt. Im zweiten stellt die Erzählung eine Reihe von Reisen dar, die von Kapernaum ausgehen und sich dann immer weiter ausdehnen bis zur letzten, die Jesum nach Jerusalem führt. Der Gang im dritten Evangelium unterscheidet sich von dem der beiden ersten sehr bedeutend dadurch, daß zwischen die galiläische Wirksamkeit und die Ankunft in Jerusalem ein langer Reisebericht eingeschaltet wird, der neun Kapitel, mehr als ein Drittel der Schrift, umfaßt. Was die verwendeten Stoffe betrifft, so enthält Markus mehr Thatsachen als Reden, Matthäus zeichnet sich durch die großen Redegruppen aus, die auf verschiedene Stellen der Erzählung verteilt sind, während Lukas zum Teil dieselben Lehrreden bringt, aber sie einzeln an besondere Veranlassungen anknüpft und eine große Anzahl anderer sehr wichtiger zufügt, die bei Matthäus wie auch bei Markus fehlen. Bisweilen bringt die Verschiedenheit des Contextes eine völlige Verschiedenheit des Sinnes mit sich (vergl. z. B. Matth. 5, 25-26 mit Luk. 12, 58-59). In der Erzählung selbst kommen Differenzen vor, die sich nicht selten zum Widerspruch zu steigern scheinen. Die Beispiele dafür sind zu zahlreich, als daß es nötig wäre, solche anzuführen. Die Anordnung der Thatsachen und Thatsachengruppen stimmt gewöhnlich überein, es kommen aber auch bedeutende Umstellungen vor. Auch da endlich, wo der Text gleichlautend ist, wir diese Übereinstimmung plötzlich unterbrochen, entweder durch ganz unbedeutende Änderungen im Ausdruck, deren Zweck nicht erkennbar ist (z. B. im Gleichnis vom Säemann, wenn der eine Evangelist, um die Grade der Fruchtbarkeit zu bezeichnen, sagt: "hundert=, sechzig=, dreißigfältig", der andre: "dreißig=, sechzig=, hundertfältig", während der dritte diesen Zug ganz wegläßt), oder durch sehr bezeichnende Varianten, wie wenn Markus sagt:


340

"Nehmet nichts als einen Stab", Matthäus und Lukas: "Nehmet nichts, auch keinen Stab", oder wenn Lukas im Gebet des Herrn die dritte und sechste Bitte ausläßt und bei der vierten die Worte: "an jedem Tage" hinzufügt, oder aber wenn Matthäus Jesum in der Bergpredigt sagen läßt: "Selig sind die Armen im Geiste", während Lukas nur hat: "Selig, ihr Armen".
    Abweichungen solcher Art sind zahlreich. Bei der Voraussetzung einer litterarischen Abhängigkeit eines Evangeliums vom andern machen sie, wenn sie unerheblich sind, den Eindruck einer Spielerei, wenn sie aber den Sinn ändern, den eines beabsichtigten Gegensatzes.
    Wie sind bei der Annahme der Unabhängigkeit von einander die Ähnlichkeiten, bei der einer gegenseitigen Abhängigkeit die Unterschiede zu erklären? Das ist das Problem. Keine Litteratur bietet etwas Ähnliches dar. Seit mehr als einem Jahrhundert hat die Kritik, um die Lösung zu finden, eine Summe von Arbeit und Scharfsinn aufgewandt, von der man sich schwer einen Begriff macht. Bei dem Bericht über diese lange Reihe von Versuchen, die bisher nicht im geringsten zu einer allgemeinen Verständigung geführt haben, werden wir nur die Arbeiten ausführlicher besprechen, die der Discussion neue Momente zugeführt haben, während die andern, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, die übrigens unmöglich wäre, kurz erwähnt werden sollen.
[Top]

II.
Die Geschichte der Discussion.

A.  B i s  z u m  E n d e  d e s  18.  J a h r h u n d e r t s.
    Die Väter scheinen sich mit dieser Frage nicht beschäftigt zu haben.  P a p i a s 1) weist auf den Mangel an Ordnung hin, den er in der Darstellung des Markus fand, aber er sagt nicht, welche andre Darstellung er deswegen dieser vorzieht. Ich nehme an, daß es die des Matthäus ist, von dem er auch spricht, und bei dem er eine bessere Ordnung der Reden des Herrn fand.  A u g u st i n u s  (de consensu evangelistarum, I, 4) sieht in Markus einen Auszug aus Matthäus.
    Die Reformation stellt die Frage nicht ernstlich auf.  C a l v i n  beschränkt sich darauf, zu sagen, daß nach seiner Ansicht Markus keine Kenntnis von Matthäus gehabt hat, und Lukas ebensowenig von den beiden andern.  B e z a  findet ebenfalls in der Einleitung des Lukas den Beweis, daß Matthäus und Markus nicht unter seinen Vorgängern sein konnten. Nichtsdestoweniger kehrt  G r o t i u s  in seinen  A n n o t a t i o n e s  (1641) zu dem Gedanken Augustins zurück; er läßt Markus aus Matthäus, und Lukas aus allen beiden hervorgehen. "Markus", sagt er, "hat, wenn ich nicht irre, den hebräischen Matthäus benutzt, und wer es auch sei, der Matthäus ins Griechische übersetzte, hat sich des griechischen Markus bedient. Lukas hat den Bericht des Markus erweitert, der mehr ein Auszug als eine Geschichte war. Daher kommt es, daß er häufig dieselben Ausdrücke gebraucht." Im Jahre 1716 spricht  L e  C l e r c,  wie Grotius ein Arminianer, in seiner Hist. ecclesiastica duorum saeculorum den Gedanken aus, die Übereinstimmung unsrer Evangelien könne von einer Anzahl kleiner skizzenhafter Schriften herrühren, die alle drei Verfasser benutzt hätten.
    Mit  L e s s i n g s  Aufsatz: "Neue Hypothese über die Evangelisten als blos menschliche Schriftsteller betrachtet" (1778) 2), beginnt die ernstliche und fort=

    1) Siehe S. 30 sein Zeugnis, welches das des "Presbyters" anführt.
    2) Erst 1784 nach seinem Tode veröffentlicht (ed. Lachmann, Bd. XI).


341

laufende Behandlung des Problems. Die erste evangelische Redaktion geht nach Lessing unsern Evangelien voraus; denn die palästinensische Kirche konnte unmöglich 30 Jahre ohne schriftliche Aufzeichnung des Lebens Jesu bleiben. Diese Schrift, das sogenannte Evangelium "der Nazaräer" oder "der zwölf Apostel" oder auch "des Matthäus" (diesem Apostel schrieb man es zu), bestand in einer Sammlung einzelner Erzählungen, die als solche Zusätze der Abschreiber oder Leser zuließ, welche glaubwürdige Nachrichten zu besitzen meinten. Aramäisch abgefaßt, wurde sie ins Griechische übersetzt, sobald sich das Evangelium in der Heidenwelt auszubreiten begann. Matthäus, der mehr als die andern Apostel gewohnt war, die Feder zu führen, fertigte die erste Übersetzung davon an, andre entstanden später (Luk. 1, 1), unter andern die des Markus nach einer weniger vollständigen Handschrift, und die des Lukas, die sich durch einen sorgfältigeren griechischen Stil auszeichnet. Unsre Evangelien sind demnach aus einer einzigen Wurzel entsprossen, dem palästinensischen Urevangelium.
    Einige Jahre später nahm  S t o r r 1)  den Gedanken, den schon  K o p p e  in einem Programm von 1782 ausgesprochen hatte, wieder auf, wonach Markus keineswegs von Matthäus abhängig, vielmehr die Quelle der beiden andern Synoptiker wäre; er hätte für die Gemeinden Syriens geschrieben, die sich nach der Verfolgung der Gemeinde zu Jerusalem bildeten, und zwar auf der Grundlage der Berichte des Petrus. Er könne nicht aus Matthäus geschöpft haben, denn einerseits läßt er zu viele wichtige Stücke aus, die dieser hat, andrerseits ist das, was er hinzufügt, so unbedeutend, daß man nicht recht weiß, wozu ihm die Erzählungen des Petrus gedient haben sollten. Seine Schrift ließ unter den Christen Palästinas den Wunsch entstehen, etwas Ähnliches in ihrer eignen Sprache zu besitzen, daher die aramäische Schrift des Apostels Matthäus, von der Übersetzungen in verschiedener Form entstanden. Unser erstes kanonisches Evangelium ist eine genauere Übersetzung, zu der ihr Verfasser sich auch des Markus- und des Lukasevangeliums bediente. Dieses, in Rom verfaßt, hat das des Markus zur Grundlage, und Lukas bereicherte es durch Erkundigungen, die er in Jerusalem bei Augenzeugen eingezogen hatte. Sein Vorwort spielt auf ungenaue Zuthaten an, mit denen man den apostolischen Matthäus überlastet hatte.
    G r i e s b a ch 2) nahm bald darauf seinen Standpunkt im Gegensatz zu dem Storrs. Er ließ Markus nicht nur, wie Augustinus, von Matthäus, sondern auch von Lukas abhängen. In seiner  S y n o p s i s  (1797) wies er auf mehrere Stellen hin, wo Markus zwei Ausdrücke vereinigt, deren einer Matthäus, der andre Lukas entlehnt ist. Er glaubte nachgewiesen zu haben, daß Markus da, wo er dem Matthäus folgt, dessen Reihenfolge unverändert beibehält, während er sich da, wo er ihn verläßt, an Lukas anschließt.
    Von einem ganz andern Gesichtspunkte wurde die Frage von  H e r d e r 3) wieder aufgenommen auf einem Wege, den bereits  E ck e r m a n n  in seinen  T h e o l o g i s ch e n  B e i t r ä g e n  betreten hatte. Danach ist der gemeinsame Ausgangspunkt unsrer Synoptiker "ein ungeschriebenes Urevangelium", eine Art Abriß der evangelischen Erzählung, die unter den Augen der Apostel entstand und den Predigten der Evangelisten als Leitfaden dienen sollte. Dieser zunächst mündlich verbreitete Erzählungstypus erklärt besser als ein geschriebenes Urevangelium (wie das Lessings) sowohl die gemeinsame Grundlage, als auch die Verschiedenheiten unsrer drei Synoptiker, die aus dieser volkstümlichen Evan=

    1)  Ü b e r  d e n  Z w e ck  d e r  e v a n g.  G e s ch i ch t e  u n d  d e r  B r i e f e  J o h a n n i s,  1786.
    2)  C o m m e n t a t i o  q u a  M a r c i  e v a n g e l i u m  t o t u m  e  M a t t h ä i  e t  L u c a e  c o m m e n t a r i i s  d e c e r p t u m  e s s e  m o n s t r a t u r,  1789.
    3)  V o m  E r l ö s e r  d e r  M e n s ch e n  n a ch  d e n  d r e i  e r st e n  E v a n g e l i e n,  1796.


342

gelisation frei hervorgingen. Die Evangelisten sind keine Abschreiber, die Bruchstücke von Urkunden mühselig zusammenstellen, vergleichen und aneinander flicken; dergleichen entspricht weder der Abfassungsart alter Schriften noch dem Charakter unsrer Evangelien. In den Abweichungen ihrer Berichte erkennt man vielmehr die der mündlichen Tradition eigne Freiheit. Dies ist besonders bei Markus der Fall, in dessen Erzählung man noch die lebensvollen Berichte des Petrus zu vernehmen glaubt. Seine Schrift ist es, die das ursprüngliche aramäische Evangelium am genauesten wiedergiebt. Lukas hat die besonderen Erkundigungen, die er eingezogen hatte, mit der allgemeinen mündlichen Tradition verschmolzen. Matthäus beschränkt sich nicht darauf, die sehr vollständige aramäische Redaktion, die um das Jahr 60 von der apostolischen Überlieferung angefertigt wurde, zu übersetzen; sein Stil ist nicht der einer Übersetzung, sondern einer eigenen Arbeit.
    In jener Zeit wurde infolge der Arbeiten Wolffs viel von den homerischen Sängern geredet, die aus den Schulen von Chios und Kleinasien hervorgegangen die Städte Griechenlands durchzogen und die Thaten des trojanischen Krieges besangen. So erschienen Herder die ersten Evangelisten, die die apostolischen Berichte gehört hatten und die Wunder des Lebens Christi in einer bestimmten Fassung den Gemeinden vortrugen. Seine Gedanken, die anfangs auf dürren Boden fielen, fanden später gerechtere Würdigung.
    So war der Feldzug eröffnet, die verschiedenen Scharen der Kämpfer auf den Plan getreten: die vereinzelten Erzählungen Le Clercs, das aramäische Evangelium Lessings, die Benutzung von einem oder von zwei Synoptikern durch die beiden andern oder durch den dritten (Grotius, Storr, Griesbach), die mündliche Überlieferung Herders. In den Streit hatten sich viele andre Schriftsteller gemischt, die wir nicht genannt haben.  M i l l  (1707),  W e t st e i n  (1730),  B e n g e l  (1736),  T o w n s o n  (übersetzt von Semler, 1783), schlossen sich dem Gedanken Grotius' an,  N i e m e y e r  (1790) dem Lessings;  S e m l e r  hatte von mehreren aramäischen Redaktionen gesprochen, einige hatten der von Storr behaupteten Priorität des Markus die des Lukas gegenübergestellt, so  O w e n  (1764),  B ü s ch i n g  (1766),  E v a n s o n  (1792) und  V o g e l  (1804).

B.  D i e  e r st e  H ä l f t e  d e s  19.  J a h r h u n d e r t s.
    In dieser Periode scheinen mir aus der Menge der Schriftsteller, die sich mit unserer Frage beschäftigt haben, vier Namen besonders hervorzutreten: Eichhorn, Gieseler, Schleiermacher und Weiße, zwischen denen natürlich zahlreiche Männer stehen, deren Bedeutung ich nicht herabsetzen möchte. Man wird sehen, daß die einen wie die andern eigentlich nur die Grundzüge der Lösung, wie sie in der vorigen Periode aufgestellt wurden, wieder aufnehmen, verteidigen und näher bestimmen.
    Die erste gründliche Erforschung des Problems wurde durch  E i ch h o r n 1) veranstaltet. Indem er wie Lessing eine aramäische Schrift vor unsern Synoptikern annimmt, behauptet er doch nicht, wie jener, einen anonymen Ursprung derselben. Dieses Urevangelium, das öffentliche Gültigkeit haben und den Evangelisten als Führer dienen sollte, wäre vielmehr von einem Schüler der Apostel und unter ihrer Leitung abgefaßt worden. Um es wiederherzustellen, brauche man nur die 44 Abschnitte zusammenzustellen, die die gemeinsame Grundlage unsrer drei Synoptiker bilden. Eichhorn erklärt so die Ähnlichkeiten dieser drei Schriften ziemlich leicht, aber woher kommen die Abweichungen?

    1) In einer Abhandlung aus dem Jahre 1794, dann vollständiger in seiner  E i n l e i t u n g  (1804).


343

und wie sind die gemeinsamen griechischen Ausdrücke bei einer aramäischen Quelle zu verstehen? Um dieses zweifache Bedenken zu heben, nimmt Eichhorn eine griechische Übersetzung an, die nach und nach verschiedentlich umgearbeitet und durch viele Zusätze erweitert worden wäre und sehr verschiedene Formen angenommen hätte, die durch alle möglichen Verbindungen fast ins Unendliche vermehrt worden wären, - unter diesen von einander abweichenden Formen sei sie von unsern Evangelisten benutzt worden. 1) Diese gekünstelte Hypothese hatte einige Jahre hindurch großen Erfolg. In noch mehr gekünstelter Form wurde sie von H.  M a r s h  dargeboten, dann einfacher von  G r a tz  (1812), der von Eichhorn darin abweicht, daß er Markus vor Matthäus setzt.  K u i n o e l,  B e r t h o l d t  und andre schlossen sich dem an. Bald jedoch begann man sich zu fragen, ob unsere Evangelisten wirklich die verschiedenen Stücke aus einer ganzen Reihe von Urkunden entlehnt und Satz für Satz aneinander gereiht haben sollten. Wie wären übrigens die Unterschiede in den gemeinsamen Berichten zu erklären, wenn die zu Grunde liegende Haupturkunde ausführlich genug war, um wörtliche Übereinstimmung unter den Evangelien herbeizuführen? War sie hingegen nur ein einfacher Entwurf, der, wie Schleiermacher sagt, eigentlich nur eine Inhaltsangabe enthielt, wie wäre dann eine so große Übereinstimmung unsrer drei Texte im einzelnen möglich? Wie sollte endlich eine so wichtige Urkunde keinerlei Spur in der Erinnerung der Gemeinde zurückgelassen haben?
    Das Gewicht dieser Gründe machte sich fühlbar. Im Jahre 1808 kehrte der katholische Theologe  H u g  in seiner  E i n l e i t u n g  z u m  N e u e n  T e st a m e n t  zu der Auffassung Augustins zurück, wonach die Reihenfolge der Evangelien im Kanon ihrem Erscheinen entsprach und den Einfluß andeutete, den das eine auf das andre geübt hatte. Matthäus ist die erste Quelle, Markus hat einen Auszug daraus gegeben, den er durch die Erzählungen des Petrus ergänzte, Lukas hat beide verbunden, indem er Markus hinsichtlich der Folge und der Einzelheiten der Handlung nachging, Matthäus hinsichtlich der Reden; ebenso hat er aus den Werken geschöpft, die er in seinem Vorwort erwähnt, und unter denen sich außer Markus und Matthäus andre evangelische Schriften befanden. - Kann dieses System die Verschiedenheit zwischen den drei Berichten erklären, die bisweilen sich bis zum Gegensatz steigert?
S ch l e i e r m a ch e r  erklärte in einer Arbeit 2), die 1817 erschien, die Entstehung des dritten Evangeliums aus der Verbindung einer großen Zahl kleiner Schriften, die gewisse Züge oder Reden aus dem Leben Jesu erzählten. Ist es nicht natürlicher, die evangelische Litteratur mit kleinen Aufsätzen von der Hand verschiedener Verfasser beginnen zu lassen, die sich darauf beschränkten, den Bericht eines einzelnen Vorgangs, dem sie beigewohnt, oder einer Rede, die sie gehört hatten, niederzuschreiben, als eine mehr oder minder vollständige Erzählung zum Ausgangspunkt zu nehmen? Während also Eichhorn von der Einheit ausging, um zum Verschiedenen zu gelangen, schlug Schleiermacher den umgekehrten Weg ein. Er sieht in unsern Synoptikern die Verbindung einer Menge solcher "Diegesen" 3) oder ursprünglicher Aufzeichnungen und behauptet, daß sich daraus sowohl die Abweichungen als auch die Übereinstimmung unter ihnen erklären. Er gründete seinen Beweis auf eine genaue Analyse des Lukas, hat aber für die beiden andern diese Arbeit niemals ausgeführt. Wenn seine Forschung über Lukas in der Wissenschaft keinen Anklang fand, so hat

    1) Bei Lukas, dem letzten der drei, kam man bis zu zwölf Urkunden, die er benutzt haben sollte.
    2) Über die Schriften des Lukas.
    3) Lukas 1, 1.


344

dies wohl seinen Grund darin, daß die in dieser Schrift so deutliche Einheit des Plans und des Stils solche mosaikartige Entstehung wenig wahrscheinlich machte. Nichtsdestoweniger kam diese Art, die Anfänge der evangelischen Litteratur aufzufassen, dem natürlichen Verlauf näher, als die gekünstelte Hypothese des "Urevangeliums". Wir werden übrigens dem Einfluß dieses Gelehrten bei Gelegenheit seiner späteren Arbeit über Matthäus und Markus wieder begegnen, wo er viel entscheidender hervortrat.
Der Hypothese Schleiermachers und Eichhorns, sowie jedem Gedanken an gemeinsame schriftliche Quellen stellte der Historiker  G i e s e l e r 1) den bereits von Eckermann und Herder angedeuteten Gedanken eines nur mündlichen Urevangeliums gegenüber. Mündlich, nicht schriftlich ist die apostolische Thätigkeit geübt worden, das beweisen die Ausdrücke khru/ssein, eu)aggeli/zesqai u. a., durch welche die ursprüngliche Evangelisation im N. T. bezeichnet wird, zur Genüge. Erst später, als die mündliche Erzählung nicht mehr ausreichte, dachte man daran, sie in den zahlreichen Schriften, von denen Lukas 1, 1 redet, niederzulegen. Diese Überlieferung, die nach dem Vorgange der Apostel von den Evangelisten täglich wiederholt wurde, hatte damals bereits eine abgeschlossene Form angenommen; sie war sozusagen stereotyp geworden. Die Armut und der Mangel an Geschmeidigkeit der aramäischen Sprache erleichterte eine solche feststehende Form, die auch durch die geringe Bildung der einfachen Männer begünstigt wurde, welche die apostolischen Berichte anspruchslos, so wie sie sie gehört hatten, wiedergaben. Ferner ist die bilderreiche Form der Aussprüche Jesu zu beachten, die sich zugleich dem Gewissen, dem Geiste und dem Herzen unauslöschlich einprägten, sowie die Ehrfurcht, die ihr geheiligter Charakter einflößte. Dadurch wird es begreiflich, daß die feststehende Form, die diese Tradition angenommen hatte, unverändert blieb, als sie niedergeschrieben wurde. Gewisse Reihen von Berichten, die gewohnheitsmäßig nacheinander erzählt wurden, fanden sich in den verschiedenen Bearbeitungen ebenso wieder. Gieseler führt teils aus dem Altertum, teils aus der Welt des Orients eine Menge von Analogien an, die beweisen, wie da, wo die Schrift noch wenig angewendet wird, das Gedächtnis eine wunderbare Kraft gewinnt und ausreicht, den Stoff ganzer Bände und Gedichte von Tausenden von Versen unverändert zu erhalten. Die mündliche Tradition, die bis in das zweite Jahrhundert hinein lebendig blieb, aber allmählich in eine griechische Form sich kleidete, als das Evangelium von den Juden zu den Griechen überging, hat die gemeinsame Grundlage unsrer synoptischen Schriften abgegeben.
    Diese Lösung sicherte der Abfassungsweise der Evangelien die zur Erklärung sowohl ihrer Ähnlichkeit als auch ihrer Unterschiede nötige Elasticität und machte die genaue Vergleichung der Texte im einzelnen überflüssig, deren Ergebnisse immer so unsicher sind. Aber man bestritt ihr die Möglichkeit, die gleichlautenden Formen zu erklären, die wir in parallelen Erzählungen oder Reden so oft finden, oder den gemeinsamen Gebrauch gewisser charakteristischer griechischer Ausdrücke. Auch that ein Umstand dem Einfluß Abbruch, den sie hätte üben können; es ist bekannt, wie  S t r a u ß  sie in seinem  L e b e n  J e s u  (1835) verwertete. Zu Gunsten seiner Erklärung der evangelischen Geschichte als eines Niederschlages vieler mythischer Überlieferungen, die im Verlaufe eines Jahrhunderts entstanden wären und sich allmählich angehäuft hätten, zog er die Theorie Gieselers heran. Der Halt, den sie dieser Hypothese zu gewähren schien, trug nicht dazu bei, ihr die verdiente Beachtung zu sichern.

    1)  H i st o r i s ch = k r i t i s ch e r  V e r s u ch  ü b e r  d i e  E n t st e h u n g  u n d  d i e  f r ü h e st e n  S ch i ck s a l e  d e r  s ch r i f t l i ch e n  E v a n g e l i e n,  1818.


345

    Hierher gehört ein zweites Eintreten Schleiermachers, das entscheidender war als das erste und der kritischen Arbeit eine neue Richtung gab. In einem Aufsatz in den  S t u d i e n  u n d  K r i t i k e n 1) machte er zum ersten Male darauf aufmerksam, daß Papias, wenn er von Matthäus als einer aramäischen Schrift unter dem Titel ta& Lo/gia,  d i e  R e d e n,  spricht, nicht unsern kanonischen Matthäus gemeint haben könne, der griechisch geschrieben ist und vieles andre enthält als Reden. Papias hatte also von einem andern Werke geredet, in dem Matthäus die Lehrreden Jesu in ihrer Ursprache gesammelt hatte. Wie verhielt sich diese apostolische Schrift zu unserm kanonischen Evangelium? So lautete nun die Frage. Die Beobachtung Schleiermachers traf mit dem Umstande zusammen, daß kurz vorher  S i e f f e r t 2) durch viele innere Gründe den Nachweis geführt hatte, daß das erste Evangelium unmöglich dem Apostel Matthäus zugeschrieben werden könne. Seine Schrift blieb nicht ohne erheblichen Einfluß auf die synoptische Frage, indem sie dies Evangelium auf dieselbe Stufe stellte, wie die beiden andern, und eine unparteiischere Prüfung ihres Verhältnisses ermöglichte. - Zu gleicher Zeit beobachtete Schleiermacher Ähnliches bei unserm zweiten Evangelium: die von Papias Markus zugeschriebene Schrift sollte nach ihm ganz verschieden vom 2. Evangelium sein. Papias spricht von Notizen, die Markus nach den gelegentlichen Erzählungen des Petrus aufgeschrieben habe, und die demgemäß jeder historischen Anordnung entbehrten, während das zweite Evangelium eine ebenso wohlgeordnete Erzählung ist, wie die beiden andern.
    So bot sich der Kritik ein ganz neues Feld dar; sie hatte vergeblich die Lösung des Problems gesucht, sei es durch die Annahme, den drei Synoptikern liege ein Urevangelium zu Grunde, sei es durch die Behauptung, ein Evangelium sei von einem der andern oder von beiden benutzt worden; nun hatte sie zwei Quellen entdeckt, die vielleicht geeignet waren, die Erklärung sowohl des Gemeinsamen als auch des Verschiedenen zu geben, nämlich die  R e d e n s a m m l u n g,  die dem Matthäus zugeschrieben wird, und den  U r m a r k u s,  ein Werk des Schülers des Petrus, älter als das Evangelium, das seinen Namen trägt.
    Bald darauf suchte  L a ch m a n n  in einem sehr beachtenswerten Aufsatz 3) darzuthun, daß die mündliche Überlieferung, die Quelle unsrer Synoptiker, nicht unmittelbar in diese Schriften übergegangen sei; auf die Zeit der vereinzelten Erzählungen, von der Schleiermacher 4) geredet hatte, ließ er eine Zeit der Gruppierung folgen, in der sich gewisse Kreise von Erzählungen gebildet hätten, die wir mehr oder weniger gut erhalten in unsern Evangelien wiederfinden. Diese corpuscula historiae evangelicae, wie er sie nannte, bildeten eine Zwischenstufe zwischen den ersten Einzelbearbeitungen und den synoptischen Schriften. Er entdeckte besonders bei Markus die Spuren von fünf solchen Kreisen, die, wenn auch mit mancherlei Umstellungen, Zusätzen und Weglassungen, bei Matthäus und Lukas ebenfalls erscheinen. Er führte sie auf eine von einer bestimmten Autorität und einer evangelischen Überlieferung festgesetzte und festgehaltene Anordnung zurück, die älter als die Abfassung unsrer drei Evangelien war, ohne jedoch entscheiden zu wollen, ob diese Ordnung schon in einer geschriebenen Urkunde vorlag oder einfach durch eine gewisse Gewöhnung des Lehrens und Hörens gebildet war.
Nunmehr war die Frucht reif, sie fiel gleichsam von selbst und gleichzeitig in die Hand von zwei bedeutenden Kritikern, Credner und Weiße.  C r e d n e r

    1)  Ü b e r  d i e  Z e u g n i s s e  d e s  P a p i a s  v o n  u n s e r n  b e i d e n  e r st e n  E v a n g e l i e n  (1832).
    2)  Ü b e r  d e n  U r s p r u n g  d e s  e r st e n  k a n o n.  E v a n g e l i u m s,  1832.
    3)  S t u d i e n  u n d  K r i t i k e n,  1835.
    4) Siehe S. 343.


346

führte in seiner  E i n l e i t u n g 1) zu Ende, worauf die Arbeit Schleiermachers abzielte. Indem er zwischen den einfachen Umrissen des Markus, der Wiedergabe der Erzählungen des Petrus, und unserm zweiten Evangelium unterschied, worin diese Umrisse geordnet und vervollständigt wurden, sah er in dem "Urmarkus" die Hauptquelle für das Geschichtliche in unsern drei Synoptikern, während die "Logia" des Apostels Matthäus, von denen Papias geredet hatte, die Quelle der Reden Jesu war, wie sie sich bei Matthäus und Lukas finden, bei Markus aber fehlen. Unser erstes Evangelium rührt von einem palästinensischen Verfasser her, der den apostolischen Matthäus mit dem Urmarkus und der mündlichen Tradition verband. Lukas erklärt selbst, sich älterer Schriften bedient zu haben; zu diesen gehören natürlich die Logia und der Urmarkus, vielleicht auch schon die beiden ersten kanonischen Evangelien; außerdem schöpft er aus der Tradition und bewahrt so seine Freiheit und Eigenart seinen Vorgängern gegenüber. -  W e i ß e 2) trennte sich von Schleiermacher und Credner durch die Behauptung, daß das Zeugnis des Papias sich sehr wohl auf unsern kanonischen Markus anwenden lasse, und durch die gänzliche Verwerfung des Urmarkus. Er erblickte also in dem aramäischen Matthäus oder den Logia und in unserm Markus die beiden großen Quellen, aus denen Lukas und etwas später der kanonische Matthäus hervorgingen.
    Durch die gründliche Arbeit  W i l k e s 3), die fast gleichzeitig mit der von Weiße erschien, gewann das Ergebnis, zu dem Credner und Weiße (mit dem Unterschiede, den wir hinsichtlich der Urmarkushypothese angegeben haben) gelangt waren, die Ursprünglichkeit des Markus und die Benutzung seiner Schrift durch die beiden andern Synoptiker, zunächst durch Lukas, dann durch Matthäus - der nach Wilke auch von Lukas abhängig sein soll - einen neuen Stützpunkt. Die Abweichungen zwischen den drei Texten schrieb Wilke teils der Eigenart der Evangelisten zu, teils ihrer absichtlichen Überlegung und den von ihnen aufgenommenen legendenhaften Zuthaten. Er bahnte so der Kritik der Tübinger Schule den Weg.
    Nach ihnen trieb  B r u n o  B a u e r 4) den Gedanken der Priorität des Markus auf die Spitze; die evangelische Geschichte, die er erzählt, ist eigene Schöpfung des Verfassers. Bald darauf stellte  H a s e r t,  der "sächsische Anonymus" unsre Synoptiker und ihre Eigentümlichkeiten als das Produkt des heftigen und rein persönlichen Kampfes zwischen den Aposteln Petrus und Paulus dar.
    Wichtiger war die Schrift von  R e u ß  über die neutestamentliche Litteratur 5). Darin wie später in seiner Einleitung zur Erklärung der Evangelien 6) hat Reuß die Zweiquellenhypothese, wie Credner sie formuliert hatte, in meisterhafter Weise verteidigt. Die mündliche Überlieferung, wie die Apostel sie in Umlauf gesetzt hatten, fing an, eine festere Gestalt anzunehmen, als man nach und nach die Augenzeugen verschwinden sah. Die ersten Aufzeichnungen waren keine vollständigen Evangelien; Hörer sammelten ihre Erinnerungen, schrieben sie auf (Lukas 1, 1) und vervollständigten sie dann durch weitere Erkundigungen. Dies wurde der Übergang zur Abfassung der vollständigeren Schriften unsrer Synoptiker. Markus war der erste unter ihnen; denn die Anordnung der Erzählung bei den beiden andern ruht auf der seinen, bei Lukas ganz und gar, bei Matthäus von Kap. 14 ab. Aber diese Anordnung war nach der Bemerkung des Papias in der Urschrift des Markus nicht so vollständig wie

    1)  E i n l.  i n  d a s  N.  T., 1836.
    2)  D i e  e v a n g.  G e s ch i ch t e,  1838; dann  d i e  E v a n g e l i e n f r a g e,  1856.
    3)  D e r  U r e v a n g e l i s t,  1838.
    4)  K r i t i k  d e r  e v a n g.  G e s ch.  d e r  S y n o p t i k e r,  1841.
    5)  G e s ch i ch t e  d e r  h e i l.  S ch r i f t e n  N.  T., 1842.
    6)  L a  B i b l e,  N.  T.  I (1876), S. 3-112.


347

im kanonischen Markus. Im Urmarkus fehlte der Eingang des jetzigen Evangeliums (1, 1-15), der offenbar nur ein Auszug aus den beiden andern Evangelien ist, und die Geschichte des Leidens und der Auferstehung; denn der Bericht des Lukas weicht darin so sehr von Markus ab, daß man nicht annehmen kann, er habe diesen Teil des Markus vor Augen gehabt; er ist da einer andern Quelle gefolgt. Ebensowenig lassen sich die großen Lehrreden Jesu, die einen so bedeutenden Teil des Matthäus und Lukas ausmachen, von Markus herleiten. Sollte Lukas sie aus Matthäus entnommen haben? Nein, denn sie erschienen bei ihm in einzelnen Stücken, während sie bei Matthäus große zusammenhängende Abschnitte bilden. Außerdem beweisen die Widersprüche beider Berichte über die Geburt Jesu, daß Lukas Matthäus nicht gekannt hat. Man muß also hinsichtlich der Reden auf eine zweite gemeinsame Quelle zurückgehen, die nur die Logia des Apostels Matthäus sein können; nur muß dabei angenommen werden, daß die Ausgabe dieser Schrift, die Lukas in Händen hatte, eine ganz andre Form besaß, als die, deren sich der Verfasser unsers kanonischen Matthäus bediente.
    Diese Übersicht über die Arbeit von Reuß giebt zugleich auch den Hauptinhalt mehrerer französischer Schriften an, die seitdem erschienen sind, und die wir hier vorgreifend erwähnen. Es sind die von A.  R é v i l l e 1) (ein Urmarkus wenig verschieden von unserm Markus, der nur einige Zusätze mehr hat);  M i ch.  N i c o l a s 2) (Markus hat als Urmarkus Matthäus und wahrscheinlich auch Lukas als Führer gedient und dann durch Entlehnung aus beiden seine jetzige Gestalt erhalten); E.  d e  P r e s s e n s é 3) (das Markusevangelium, aus den Erzählungen des Petrus hervorgegangen, ist keineswegs ein Auszug aus den beiden andern, sondern dient ihnen eher als Quelle. Matthäus ist eine sehr freie Übersetzung, ein "zweites Original" des aramäischen Matthäus. Lukas hat Markus benutzt und trifft durch ihn vermittelt mit Matthäus zusammen, den er nicht kannte, auch hat er die Logia benutzt); G.  M e y e r 4) (die aramäische Redensammlung zum Schutz der Kirche vor pharisäischem Formalismus, der griechische Urmarkus, dazu bestimmt, die apostolische Tradition in ihrer ursprünglichen Reinheit zu bewahren; aus beiden geht der kanonische Matthäus hervor, der erklären sollte, warum Jesus, der Messias, von den Juden verworfen wurde, und diese auf die ihnen drohende Gefahr hinweisen; Lukas ist der Vorkämpfer des christlichen Universalismus, endlich Markus, von unbekannter Hand nach dem Erscheinen des Johannesevangeliums vervollständigt; so kam die synoptische Entwickelung zum Abschluß);  S a b a t i e r 5) (kein Urmarkus, Markus als Wiedergabe der Tradition in ihrer einfachsten Form nach den Mitteilungen des Petrus, die Logia als zweite Quelle des ersten und dritten Evangeliums neben Markus in Umlauf, Lukas hat außerdem seine besonderen Quellen). H.  L u t t e r o t h 6) nimmt eine Sonderstellung ein; er lehnt nicht nur den Urmarkus ab, sondern auch den Urmatthäus (die Logia) auf Grund der Zeugnisse des Eusebius und Irenäus, die nichts der Art vermutet haben. Unser erstes Evangelium wurde früh (um 44) in Palästina verfaßt, zuerst hebräisch, dann griechisch, entweder von Matthäus selbst oder einem andern, Markus schrieb zu Rom, Lukas viel später; er hatte den griechischen Matthäus vor Augen und behielt dessen Rahmen bei.

    1)  É t u d e s  c r i t i q u e s  s u r  l ' é v a n g i l e  s e l o n  S t.  M a t t h i e u,  1862.
    2)  É t u d e s  c r i t i q u e s  s u r  l e  N.  T.,  1862.
    3)  J é s u s - C h r i s t,  1865.
    4)  L a  q u e s t i o n  s y n o p t i q u e,  1878.
    5)  E v a n g i l e s  s y n o p t i q u e s,  in der  E n c y c l o p é d i e  d e s  s c i e n c e s  r e l i g i e u s e s,  XI, 1881.
    6)  E s s a i  d ' i n t e r p r é t a t i o n  d e  q u e l q u e s  p a r t i e s  d e  l ' E v a n g i l e  d e  S t.  M a t t h i e u,  1860-1876.


348

    Ehe wir diese Periode verlassen, nennen wir noch einige Schriften, die, wenn sie auch nichts Neues zu der Frage beibrachten, doch ihren Verlauf beeinflußt haben. In mannigfachem Wechsel hielt  d e  W e t t e 1) stets an dem von Griesbach aufgestellten Gedanken der Abhängigkeit des Markus von den beiden andern fest; er erklärte die Beziehungen zwischen Lukas und Matthäus aus der mündlichen Überlieferung und aus den Erinnerungen des Lukas, nachdem er Matthäus gelesen hatte.  B l e e k 2), dessen  E i n l e i t u n g  erst nach seinem Tode herauskam, ließ ebenfalls Markus von Lukas und Matthäus abhängen und diese von einem galiläischen Urevangelium, das unserm Markus ziemlich ähnlich war.  T h o l u ck 3) widerlegte in überzeugender Weise die Theorie Griesbachs.  E b r a r d 4) sah, wie schon Gieseler, in der mündlichen Überlieferung das wahre Mittel der Erklärung des Verhältnisses zwischen den Synoptikern.  T h i e r s ch 5) endlich sprach sich auch zu Gunsten der mündlichen Überlieferung aus.

C.  D i e  z w e i t e  H ä l f t e  d e s  1 9.  J a h r h u n d e r t s.
    Die Wendung, welche die Kritik kurz vor der Mitte des Jahrhunderts nahm, wie glänzend und in mancher Hinsicht fruchtbar sie gewesen sein mag, muß doch in andrer Beziehung als unheilvoll bezeichnet werden, denn sie brachte einen schädlichen Faktor, den der "Tendenzkritik", in die Behandlung der Frage, der noch nicht völlig überwunden ist. Es ist die Periode der Tübinger Schule.
    Diese Periode beginnt mit dem Werke  S ch w e g l e r s,  der zugleich Schüler und Vorläufer Baurs war:  D a s  n a c h a p o st o l i s ch e  Z e i t a l t e r  (1846). Nach ihm ist aus dem ebionitischen Urchristentum das Hebräerevangelium hervorgegangen, dann in abgeschwächter Form das des Matthäus, im Gegensatz dazu entstand aus dem paulinischen Christentum das Evangelium des Marcion und in gemilderter Form das des Lukas, die völlige Harmonie der so abgeschwächten Gegensätze findet sich in Markus verwirklicht.
    Das grundlegende Werk  F e r d.  C h r i st i a n  B a u r s,  des Hauptes der Schule:  K r i t i s ch e  U n t e r s u ch u n g e n  ü b e r  d i e  k a n o n i s ch e n  E v a n g e l i e n  (1847), folgte alsbald nach. Das Studium der paulinischen Briefe hatte Baur dazu geführt, einen ausgeprägten Gegensatz der Grundanschauungen zwischen diesem und den zwölf Aposteln zu behaupten, und er glaubte diesen Gedanken auf die Erklärung der Abweichungen zwischen unsern Synoptikern anwenden zu können. Jeder der Evangelisten hätte die Person Jesu unter der Beleuchtung dargestellt, die seiner Tendenz entsprach. Damit schwand der Geist der Reinheit und Lauterkeit, den die Kirche stets diesen Schriften zuerkannt hatte.
    Die Aufgabe, die Baur sich gestellt hatte, war nicht ohne Schwierigkeit. Matthäus, der Vertreter des gesetzlichen und partikularistischen Geistes der Zwölf, enthielt doch auch manche entschieden universalistische Stelle, während der Vorkämpfer des paulinischen Spiritualismus, Lukas, mehrere judaistischen und gesetzlichen Charakters hatte. Wie war das zu erklären? Baur behauptete, daß wir weder den einen noch den andern in ihrer ursprünglichen Form besäßen. Der streng judenchristliche Urmatthäus, der im Grunde nichts andres ist als das Evangelium der Hebräer, von dem die Väter reden - ist über=

    1) In den verschiedenen Ausgaben seiner  E i n l e i t u n g  z u m  N.  T.,  1817-1845.
    2)  E i n l.  i n  d a s  N.  T.,  1862.
    3) In seiner Schrift:  D i e  G l a u b w ü r d i g k e i t  d e r  e v a n g.  G e s ch i ch t e,  1837.
    4)  W i s s e n s ch a f t l i ch e  K r i t i k  d e r  e v a n g.  G e s ch i ch t e,  1842.
    5)  V e r s u ch  z u r  H e r st e l l u n g  d e s  h i st o r.  S t a n d p u n k t s  f ü r  d i e  K r i t i k  d e r  n e u t e st.  S ch r i f t e n,  1845.


349

arbeitet und in universalistischem und paulinischem Sinne ergänzt worden; der Urlukas, der viel strenger paulinisch war als der gegenwärtige, unterschied sich andrerseits kaum von dem ultrapaulinischen Evangelium des Marcion, das wir durch Tertullian und Epiphanius kennen. Markus ist, wie Griesbach erkannt hat, ein farbloser Auszug aus den beiden andern zu dem ausdrücklichen Zwecke, den dogmatischen Gegensatz zwischen ihnen auszugleichen. Aus diesem wesentlichen Gegensatz der drei Gesichtspunkte sind durch wohlüberlegte und absichtliche Änderungen alle Unterschiede zwischen unsern Synoptikern entstanden, da jeder ohne Bedenken den Text seines Vorgängers umgestaltet hat, um die Lehre Jesu seinen eigenen Gedanken anzupassen.
    Diese Gesamtauffassung ist die Grundlage aller Arbeiten der Schule geblieben, wenn auch zahlreiche Verschiedenheiten, ja Gegensätze hervortraten, sobald es sich darum handelte, sie anzuwenden.
    H i l g e n f e l d 1) hält das Evangelium der Hebräer und seine griechische Umarbeitung in unserm kanonischen Matthäus für die Quelle der beiden andern, weist aber Markus die erste Stelle unter diesen an; er erblickt in ihm den Vertreter eines gemäßigten Judenchristentums, etwa dem des Petrus entsprechend, der der Zulassung der Heiden geneigt war, während Lukas auf Grund andrer Quellen die Umbildung des ursprünglichen Evangeliums soweit treibt, daß er es zum Zeugnis des vollständigen Paulinismus macht. 2)
    Für  K.  R.  K ö s t l i n 3) bildet Markus den Anfang, die Mitte und das Ende. Der Markus, von dem Papias redet, die Logia, die ein gemäßigtes Judenchristentum vertreten und eine dritte Schrift, - eine Beschreibung der wichtigsten Scenen des Lebens Jesu (Versuchung, Verklärung usw.) - haben den Stoff des Matthäus geliefert. Andrerseits ist der Urmarkus zu einem Evangelium des Petrus umgearbeitet worden, in das die Logia des Matthäus, vermehrt durch judäische Ergänzungen, Aufnahme fanden. Lukas hat diese verschiedenen Schriften zusammengestellt und mit südpalästinensischen Quellen verwebt. Unser kanonischer Markus endlich ist der nach Matthäus und Lukas umgearbeitete Urmarkus. Unsere Evangelisten sind also nicht Originalschriftsteller, sondern einfache Sammler.
    Ganz anders bei  V o l k m a r 4), der dem Haupt der Schule gegenüber die Identificierung unsers Lukas mit dem Evangelium Marcions siegreich bekämpfte, den Urmarkus und die Logia des Matthäus aber in das Reich der Fabel verwies. Für ihn wie für B. Bauer ist unser kanonischer Markus, ein geniales Epos, die eigne Schöpfung seines Verfassers und die Grundlage der ganzen synoptischen Litteratur. Markus ist Pauliner. Sein Evangelium ist die Antwort auf das judenchristliche Manifest, die Apokalypse des Johannes. Diesem paulinischen Markus stand ein stark judaisierender Matthäus gegenüber, dem Lukas seinerseits sein Evangelium entgegenstellte, den gemäßigten Paulinismus des Markus zu behaupten und zu verstärken. Unser Matthäus, eine Bear=

    1)  D a s  M a r k u s e v a n g e l i u m,  1850.  D i e  E v a n g e l i e n  n a ch  i h r e r  E n t st e h u n g  u n d  g e s ch i ch t l i ch e n  B e d e u t u n g,  1854.  E i n l e i t u n g  i n  d a s  N.  T.  1875.
    2) Eine ähnliche Auffassung vertritt  G.  d ' E i ch t h a l:  L e s  E v a n g i l e s,  1851. Nach seiner Meinung hat Markus aus dem Urevangelium, um es den Bedürfnissen heidnischer Leser anzupassen, die partikularistischen Stellen weggelassen, die der Verfasser unsers Matthäus beibehielt. Lukas ist beiden gefolgt; in den beiden geschichtlichen Teilen (1-9, 50 und 18, 15 bis zum Ende) hält er sich besonders an Markus; wenn er ihn auch bisweilen nach Matthäus berichtigt und manches streicht, wofür der Kritiker keine Erklärung giebt; der dogmatische Teil hingegen (so nennt d'Eichthal den Reisebericht 9, 51-18, 14) ist eine durchdachte Bearbeitung verschiedener Lehrpunkte, die Lukas im Matthäusevangelium gefunden hatte.
    3)  U r s p r u n g  u n d  C o m p o s i t i o n  d e r  s y n o p t i s ch e n  E v a n g e l i e n,  1853.
    4)  D e r  U r s p r u n g  u n s r e r  E v a n g e l i e n,  1866.  D i e  E v a n g e l i e n  o d e r  M a r k u s  u n d  d i e  S y n o p s i s,  1870.


350

beitung des Markus und des Lukas aus der Feder eines freisinnigen palästinensischen Christen, der diese Gegensätze versöhnen möchte, ist das Endresultat dieses Kampfes. So wird Matthäus, der bei Baur den Ausgangspunkt bildete, bei Volkmar der Abschluß der Entwickelung, während Markus, der bei dem Meister ganz farblos und von den beiden andern abhängig war, bei dem Schüler ihre gemeinsame Quelle, und zwar eine entschieden paulinische Quelle wird.
    H o l st e n 1) bringt die schrittweise Entwickelung der Gedanken der Schule zu ihrem Abschluß. Hier wird die ursprüngliche Auffassung des Petrus und der Zwölf, d.h. das einfache und naive, dem Paulinismus noch nicht entgegengesetzte Judenchristentum durch ein Evangelium vertreten, das älter als unser Matthäus ist, und das man Evangelium des Petrus nennen könnte. In dem Maße, als Paulus die praktischen Consequenzen dieses naiv universalistischen Standpunkts zieht, tritt in der Gemeinde zu Jerusalem, wo der Einfluß des Jacobus vorherrschend wird, der Gegensatz hervor, und nach dem Streit zwischen Petrus und Paulus in Antiochien wird der Krieg zwischen beiden Standpunkten erklärt. Das Urevangelium wird, vielleicht unter dem Einfluß der Logia des Matthäus, in entschieden antipaulinischem Sinne umgearbeitet; so entsteht unser kanonischer Matthäus. Im Gegensatz zu ihm wird dann unser Markus verfaßt, der durch seinen scharfen Paulinismus und die Entfernung aller judaistischen Elemente des Matthäus tendenziöseste unsrer Synoptiker; er sollte nachweisen, daß der Standpunkt des Paulus der Jesu selbst gewesen sei. Alle Unterschiede zwischen Matthäus und Markus sind absichtliche Umgestaltungen des Matthäustextes zu diesem besonderen Zwecke. Lukas endlich schreibt, um die durch diesen Streit unter den Evangelien erschütterte Kirche wieder zu festigen. Zu dem Ende giebt er nach neuen Urkunden dem Inhalt des Markus die Anordnung, die ihm fehlte, und fügt die judenchristlichen Elemente des Matthäus, die Markus beseitigt hatte, wieder ein. So geschieht es, daß Lukas, bei Baur der eifrige Gegner der Zwölf, bei Holsten der Vermittler wird, während Markus, bei Baur der farblose Schriftsteller, hier als der strenge Pauliner erscheint, dessen Standpunkt Lukas mildert. Nachdem die Schule Baurs so ihren Weg nach allen Richtungen verfolgt hat, kommt sie zuletzt in jeder Hinsicht bei dem Gegenteil dessen an, von dem sie ausging, stets jedoch, das muß festgehalten werden, auf der Grundlage derselben Voraussetzung, des angeblichen Widerstreits zwischen Paulus und den Zwölf. Diese seltsame Entwickelung beweist zur Genüge, was die Voraussetzung in Wahrheit für einen Wert hat, und mit welcher Willkür der Geist unsrer Evangelien in dieser Schule gewürdigt wird. Ihr Auftreten bedeutet entschieden einen Abweg von dem normalen Verlauf der Discussion; immerhin ist sie nicht ohne Nutzen gewesen, denn sie hat energisch zu dem tieferen Studium unsrer evangelischen Urkunden getrieben.
    Die Entwickelung, die wir jetzt zu betrachten haben, beherrschen vor allem die Namen Ritschl, Holtzmann, Weizsäcker, B. Weiß und Simons.
    Seit 1848 widmete  H.  E w a l d  seine  J a h r b ü ch e r  d e r  b i b l i s ch e n  W i s s e n s ch a f t  besonders der Bekämpfung der Tübinger Schule sowohl hinsichtlich der Synoptiker, als auch des Johannes. Zwei evangelische Schriften sind nach ihm allen andern voraufgegangen: die Sammlung der Reden des Matthäus und eine griechische Schrift des Evangelisten Philippus, die einige Züge aus dem Leben des Herrn wiedergab. Diese Schrift ist in das Evangelium des Markus übergegangen, in welchem jene ebenfalls benutzt worden

    1)  D i e  d r e i  u r s p r ü n g l i ch e n  n o ch  u n g e s ch r i e b e n e n  E v a n g e l i e n,  1883.  D i e  s y n o p t.  E v a n g e l i e n  n a ch  d e r  F o r m  i h r e s  I n h a l t s,  1886.


351

ist. Markus und die Logia, ferner eine andre Schrift, die einiges aus dem Leben Jesu erzählte (wie die Versuchung), haben unserm kanonischen Matthäus als Quelle gedient. Aus diesen und drei weiteren Schriften endlich ist Lukas zusammengesetzt worden. Wir halten uns nicht bei der noch künstlicheren Construktion  S ch o l t e n s 1) auf, der nicht nur von einem Proto= und Deutero=Markus, sondern sogar von einem Proto=, Deutero= und Trito=Matthäus redet. Dagegen ist der Aufsatz  R i t s ch l s  in den  T h e o l o g i s ch e n  J a h r b ü ch e r n  von 1851 als einflußreich hervorzuheben. Dieser Gelehrte vertrat die These von der Priorität des Markus mit ganz neuen Gründen, die er aus der Vergleichung der synoptischen Berichte schöpfte, und die bedeutenden Eindruck machten. 2)
    Die wichtigste Arbeit aus dieser Periode der Discussion ist die von  H.  H o l tz m a n n,  D i e  s y n o p t i s ch e n  E v a n g e l i e n,  1863, welche die Zweiquellentheorie am gründlichsten und folgerichtigsten entwickelt: Der Urmarkus (A), die gemeinsame Quelle der erzählenden Stücke unsrer drei Synoptiker; die Logia (L), die Quelle des Matthäus und des Lukas für die Reden Jesu. Die genaue Analyse der drei Synoptiker setzt den Verfasser in den Stand, jede Erzählung und jeden Ausspruch der einen oder der andern dieser beiden Quellen zuzuweisen und so ihren Ursprung und ihren litterarischen und theologischen Charakter genau festzustellen. Während bei Reuß der Urmarkus viel kürzer als unsre kanonische Schrift 3) war und später ergänzt worden sein mußte, enthielt im Gegenteil nach Holtzmann, wie nach Réville, der Urmarkus mehrere Stücke, die sich in unserm Markus nicht mehr finden, wie die Bergpredigt, die Geschichte des Hauptmanns von Kapernaum u.a., die auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen müssen.
    Bald darauf erschien  W e i z s ä ck e r s  Werk:  U n t e r s u ch u n g e n  ü b e r  d i e  e v a n g e l i s ch e  G e s ch i ch t e,  i h r e  Q u e l l e n  u n d  d e n  G a n g  i h r e r  E n t w i ck e l u n g,  1864.  Der Grundgedanke ist derselbe wie bei Holtzmann und Reuß. Aber wie Reuß und Holtzmann über die erste der beiden Quellen verschiedener Ansicht waren, so unterscheiden sich Weizsäcker und Holtzmann in der Auffassung der zweiten. Die Sammlung der Logia soll zur Erklärung des Ursprungs der Lehrreden Jesu bei Matthäus und Lukas dienen. Aber wie lassen sich zwei so verschiedene Formen aus einer und derselben Quelle herleiten: einerseits die großen Redegruppen, die wir bei Matthäus finden, andrerseits die Menge einzelner Unterweisungen, die wir bei Lukas lesen, besonders in dem Mittelstück, dem Reisebericht 9, 51-18, 14, in dem sich ein großer Teil des Inhalts der Reden des Matthäus findet? Reuß zog sich durch die Annahme von zwei verschiedenen Ausgaben der Logia aus der Schwierigkeit, deren eine Matthäus, die andre Lukas benutzt hätte. Allein wie hätte dasselbe Werk zwei so abweichende Formen annehmen können? Nach Holtzmann ist vielmehr anzunehmen, daß Lukas die ursprüngliche Form der Logia bewahrt hat, während die im ersten Evangelium dargebotene das

    1)  D a s  ä l t e st e  E v a n g e l i u m,  1869.  D a s  p a u l i n i s ch e  E v a n g e l i u m,  1881.
    2) So erklärt sich z. B. Lukas 4, 23 nur aus einer andern Anordnung der Erzählungen, als der des Lukas selbst, die nur Markus entnommen werden kann. 4, 39 setzt die vorgängige Berufung der Jünger voraus, wie bei Markus. Daß Lukas alles, was zwischen den beiden wunderbaren Speisungen liegt, wegläßt, hat darin seinen Grund, daß Lukas, dem der Bericht des Markus vorschwebt, die beiden ähnlichen Vorgänge vermischt. - Das gewonnene Resultat hat Ritschl in seiner Vorlesung von 1865 folgendermaßen entwickelt: Matthäus hat als Quellen gehabt 1) unsern Markus, 2) eine Redaktion (A) der Reden des Matthäus, 3) andre uns unbekannte Quellen. Lukas hat ebenfalls Markus benutzt, ferner eine Redaktion (B) der Logia, endlich unsern Matthäus. Aber die Benutzung früherer Schriften hat nur nach dem Gedächtnis stattgefunden.
    3) Er enthielt nur Markus 1, 21-6, 48 und 8, 27-13, 37.


352

Werk des Verfassers desselben ist. Weizsäcker glaubt im Gegenteil die ursprüngliche Fassung der Logia bei Matthäus zu finden und denkt, Lukas habe die großen Redestücke aufgelöst und den Unterweisungen Jesu die Form von Privatunterhaltungen gegeben mit Rücksicht auf die kirchlichen und sozialen Umstände der späteren Zeit, in der er schrieb; er hat sie zu dem Ende meist nach eigner Erfindung mit begründenden Einleitungen versehen. Im Unterschiede von Holtzmann schreibt Weizsäcker ebenfalls den Logia gewisse Züge zu, die Lukas und Matthäus gemeinsam sind, aber bei Markus fehlen, und von denen Holtzmann annimmt, sie seien im Urmarkus gewesen; so sieht er in den Logia nicht nur eine didaktische, sondern in gewissem Grade auch eine erzählende Quelle, die dadurch in demselben Maße an Wichtigkeit gewinnt, als der Urmarkus daran einbüßt. 1) Damit ist schon ein Teil des Weges zurückgelegt, der zu der Erklärung von B. Weiß führt.
    M e y e r,  zuerst Anhänger der Ansicht Griesbachs, ist seit 1853 zu der Ewalds übergegangen. Lukas ist von Matthäus abhängig, von dem auch Markus, obwohl er von den dreien der älteste ist, in gewisser Hinsicht beeinflußt sein kann, weil das erste Evangelium allmählich in Palästina entstanden ist und deshalb viele sehr alte und ursprüngliche Stücke bewahrt hat, die Markus später sammelte. Reuß glaubte trotz der Annahme der Priorität des Markus ebenfalls festgestellt zu haben, daß der Anfang und der Schluß dieses Evangeliums Auszüge aus Lukas und Matthäus seien.
    Erwägungen dieser Art haben  B.  W e i ß  zu dem System geführt, das er zuerst in mehreren Artikeln der  J a h r b ü ch e r  f ü r  d e u t s ch e  T h e o l o g i e  (1864) entwickelte, dann in zwei großen Schriften:  D a s  M a r k u s e v a n g e l i u m  u n d  s e i n e  s y n o p t i s ch e n  P a r a l l e l e n  (1872) und  D a s  M a t t h ä u s e v a n g e l i u m  u n d  s e i n e  L u k a s = P a r a l l e l e n  (1876), endlich in seiner  E i n l e i t u n g  i n  d a s  N.  T. 2)  Während Holtzmann den Urmarkus als gemeinsame (erzählende) Quelle der drei Synoptiker und die Logia als (lehrhafte) Quelle des Matthäus und Lukas annahm, nimmt Weiß als gemeinsame (erzählende und didaktische) Quelle aller drei die Logia und als (erzählende) Quelle des Lukas und Matthäus unsern Markus selbst an. Die Hauptquelle der synoptischen Berichte ist keineswegs ein Urmarkus, der nie existiert hat, auch nicht unser Markus, sondern der apostolische Matthäus oder das Werk, das Papias Logia nennt. Dieses Werk enthielt in Wirklichkeit nicht nur Reden; eine Schrift, die nur Reden umfaßte ohne erzählende Elemente, wäre undenkbar, die Aussprüche Jesu mußten an die Umstände geknüpft werden, die sie veranlaßten. Der Urmatthäus umfaßte also viele Züge aus dem Leben Jesu und wurde "Logia"  a  p o t i o r i  p a r t e  genannt. Aus dieser Schrift sind nicht nur die Matthäus und Lukas gemeinsamen Reden Jesu hervorgegangen, sondern alle die Züge, die sich in beiden finden und bei Markus fehlen 3), endlich viele andre Thatsachen und Reden, die jetzt im Markus vorhanden sind, aber dort augenscheinlich den Charakter einer Entlehnung tragen. Dadurch, daß Weiß alle diese Stoffe aus den Logia herleitet, macht er nicht nur jede

    1) In seinem  A p o st o l i s ch e n  Z e i t a l t e r  (1886) läßt Weizsäcker selbst den Gedanken an die Benutzung derselben Quelle für die Reden Jesu durch Matthäus und Lukas fallen und nimmt zwei verschiedene zur Befriedigung der Bedürfnisse der Gemeinden verfaßte Sammlungen an, von denen Matthäus die eine, Lukas die andre benutzte. Die Redaktion, deren Matthäus sich bediente, ist älter, denn sie befaßt sich ausschließlich mit Gegenständen, die das Leben der Urkirche direkt interessierten.
    2)  L e h r b u ch  d e r  E i n l e i t u n g  i n  d a s  N.  T.,  1886.
    3) Da diese Lukas und Matthäus gemeinsamen Stücke sich nicht bei Markus, der Quelle beider, finden, mußten sie, wenn man nicht einen früheren Markus, in dem sie waren, annehmen will, einer andern Quelle, den Logia, und dieser ein historischer Inhalt, zugeschrieben werden.


353

Urmarkushypothese überflüssig, sondern weist auch Markus trotz der Originalität, die ihm die darin enthaltenen Erzählungen des Petrus sichert, eine weit niedrigere Stellung an, als die ihm die Kritiker gaben, die in ihm die historische Hauptquelle der beiden andern erblickten. Nach Weiß ist in diesem Evangelium immer eine gewisse Mischung von ursprünglichen und abgeleiteten Zügen aufgefallen. Jene stammen wohl aus den Erzählungen des Petrus, diese erklären sich aus dem Umstande, daß Markus, obwohl auch er die "apostolische Quelle" (Logia) benutzte, sie weniger genau und weniger vollständig wiedergegeben hat als Matthäus und Lukas, deren Übereinstimmung sich eben aus diesem Grunde erklärt, ebenso wie die Schwächen der Markusschrift. Daraus ergiebt sich der zwiefache Eindruck, den Markus macht, und die verschiedenen Stellungen, die ihm nach einander gegeben worden sind; er ist thatsächlich zugleich ursprünglich und abhängig, abhängig dem apostolischen Matthäus gegenüber, aber Quelle für den kanonischen Matthäus; dies ist der Grund, warum er dem ersten Evangelium gegenüber bald als das Original erscheint, bald als die Nachbildung.
    Der apostolische Matthäus ist also die große Quelle, der Matthäus und Lukas hauptsächlich ihren Stoff entnommen haben, und die Markus ebenfalls aushülfsweise benutzt hat. Aber Lukas hat uns die Reden Jesu in ihrer ursprünglichen Getrenntheit bewahrt, während Matthäus die bekannten großen Zusammenfassungen gebildet hat. Andrerseits hat Markus nach den Berichten des Petrus den Fortschritt in der Reihenfolge und Anordnung geliefert, die wir bei Lukas und dem kanonischen Matthäus finden. Die "apostolische Quelle" begann mit der Tätigkeit Johannes des Täufers (Matth. 3, 1) und schloß mit dem Anfang der Leidensgeschichte, wo der Bericht des Lukas zu sehr von dem der beiden andern abweicht, als daß er dieselbe Quelle wie sie benutzt haben könnte. Lukas muß außer den Logia und Markus noch eine dritte Quelle gehabt haben, die das ganze Leben des Herrn umfaßte und die zahlreichen Züge, Reden und Gleichnisse enthielt, die dem dritten Evangelisten eigen sind. Aus dieser Quelle leitet Weiß auch die Leidensgeschichte bei Lukas ab.
    In seinen beiden Schriften über Markus und Matthäus hat Weiß seine Theorie an dem Text der Synoptiker bis ins einzelnste angewendet; dies ist vielleicht die bedeutendste Arbeit, die es über diesen Gegenstand giebt.
    K l o st e r m a n n  hat in seiner 1876 erschienenen Schrift 1) den Satz aufgestellt, daß Markus unsern Matthäus oder eine von diesem wenig verschiedene Fassung der mündlichen Urtradition vor Augen gehabt haben müsse; diese hat er unter Hinzufügung von Notizen nach den Berichten des Petrus überarbeitet. Lukas hat sein Evangelium zunächst auf der Grundlage der beiden andern, dann auch nach weiteren mündlichen und schriftlichen Quellen verfaßt.
    R e n a n  nimmt in der Einleitung zu seinem  L e b e n  J e s u  (1863) und in den  E v a n g e l i e n  (1877) als erste evangelische Schrift ein syro=chaldäisches Werk aus dem Schoße der judenchristlichen Gemeinden an, die sich vor der Zerstörung Jerusalems in das Ostjordanland geflüchtet hatten, und an deren Spitze die Brüder Jesu standen. Dies Evangelium erhielt sich in mannigfacher Umgestaltung bis ins 5. Jahrhundert bei den Nazaräern. Es enthielt vor allem die Reden des Herrn. Matthäus steht ihm unter unsern Evangelien am nächsten. Aus diesem batanäischen Evangelium stammen die Reden des Herrn im ersten Evangelium, die Lukas auch wiedergegeben hat. Markus schrieb zuerst ein Evangelium in griechischer Sprache. Als Begleiter des Petrus verfaßte er in Rom nach dessen Märtyrertode seine kleine Schrift, "den ersten

    1) Das Markusevang. nach seinem Quellenwert für die evang. Geschichte.


354

Kern der griechischen Evangelien". Nichts hindert an der Annahme, daß der Augenzeuge, dessen Berichte Markus wiedergab, der Apostel selbst gewesen sei, auch liegt kein Grund vor, zu glauben, daß seine Erzählung sich von der des kanonischen Markus merkbar unterschieden habe. Für die Mitteilung der Thatsachen hat Markus den beiden andern als Quelle gedient. Der Verfasser des Matthäus benutzte auch das hebräische Evangelium (Logia). Lukas hat Markus und ein hebräisches Evangelium gebraucht, nicht aber eine Redensammlung, in der die großen Stücke zusammengestellt gewesen wären, wie wir sie in unserm Matthäus finden. Er hat unsern Matthäus nicht gekannt, denn sonst wäre es unverständlich, daß er fortwährend die großen Reden, die dieser giebt, zerrissen hätte. Renan weist auch darauf hin, daß Lukas die Einzelheiten nicht hat, die Matthäus dem Markustexte zufügt, und daß Lukas in den Stellen, die bei Markus fehlen, eine von der des Matthäus abweichende Fassung bietet. Übrigens schöpfte Lukas noch voll und ganz aus der Tradition.
    K e i m  trat in seiner  G e s ch i ch t e  J e s u  v o n  N a z a r a  (T. I, 1867) mit Entschiedenheit der Priorität des Markus, wie auch der Benutzung des Matthäus durch Lukas entgegen. Er denkt, daß kurz vor der Zerstörung Jerusalems aus schon vorhandenen Materialien (Genealogien, Apokalypsen, Bearbeitungen der Reden und Thaten Jesu) der wohlgefügte Bau des ersten Evangeliums entstand. Papias hat keineswegs einem Matthäus, der nur Reden enthielt, einen andern Matthäus gegenübergestellt, der Reden und Geschichte umfaßte, sondern er unterscheidet einfach einen hebräischen Matthäus von einem griechischen. Die Hauptquelle des Lukas ist ein großes Evangelium judenchristlichen und ebionitischen Charakters gewesen. Sein Text der Reden Jesu ist zu verschieden, als daß er ihn Matthäus entnommen haben könnte. Außerdem hat er aus paulinischen und samaritanischen Quellen geschöpft. Markus ist von Matthäus und Lukas abhängig, wie Griesbach und Baur erkannt haben, hat aber auch die mündliche Überlieferung benutzt. 1)
    G r a u 2) meint, daß der Schatz der Erinnerungen der Gemeinde zu Jerusalem, zu dessen mündlicher Feststellung Petrus hauptsächlich mitgewirkt hat, die erste Quelle der evangelischen Litteratur gewesen ist. Um die Aussprüche Jesu unverändert zu bewahren, verfaßte Matthäus die Redensammlung, die er später griechisch bearbeitete und mit der von Petrus formulierten Tradition verband; so entstand unser kanonischer Matthäus, dessen sich Markus bediente, um sein Evangelium für die Heiden zu schreiben, indem er auch die Predigten des Petrus zu Hülfe nahm. Lukas benutzt die Reden des Matthäus und unsern Markus, mit denen er seine paulinischen Überlieferungen verwebt.
N ö s g e n 3) hat von 1876 bis 1880 in den  S t u d i e n  u n d  K r i t i k e n  mehrere Artikel über das Lukasevangelium veröffentlicht, von dem er glaubt, daß es verfaßt wurde, um Theophilus gegen die judaisierenden Lehren, die in Syrien, wo dieser vornehme Mann lebte, besonders verbreitet und wirksam waren, Halt zu gewähren. Lukas hat den Inhalt desselben aus der apostolischen Tradition, unter andern bei Jakobus, dem Bruder des Herrn, und bei Johannes, bisweilen auch aus den aramäischen Logia des Matthäus entnommen. Markus ist hinsichtlich der Folge der Thatsachen in dem ersten Teile seiner Schrift Lukas, in dem letzten Matthäus gefolgt, indem er außerdem die Berichte des Petrus verwertete. Der kanonische Matthäus ist keine Über=

    1) In seiner letzten Schrift  A u s  d e m  U r ch r i st e n t u m,  1878,  geht Keim weiter und erklärt, daß er nach erneuertem Studium des Papiaszeugnisses und der Matthäusreden sich nicht mehr so entschieden der Theorie von den zwei Quellen, der einen für die Reden, der andern für die Thatsachen, widersetzt.
    2)  E n t w i ck e l u n g s g e s ch i ch t e  d e s  n e u t e st.  S ch r i f t t u m s,  1871.
    3) Siehe auch den  k u r z g e f a ß t e n  K o m m e n t a r  z u m  N.  T.,  I., 1886.


355

setzung - die Sprache beweist eine ursprünglich griechische Abfassung - sondern eine Bearbeitung der Logia durch Matthäus selbst unter Hinzunahme der mündlichen Überlieferung.
Man sieht, daß der Gedanke der mündlichen Überlieferung keineswegs vergessen ist, wenn er auch bei diesen verschiedenen Construktionen an untergeordneter Stelle steht. Zu diesem Mittel der Erklärung ist  H a s e  am Ende seiner Laufbahn 1) nach verschiedenen Theorieen, [sic] denen er nacheinander den Vorzug gab, zurückgekommen. Nach der Beleuchtung der andern Lösungen fügt er hinzu: "Hierdurch werden wir zu einer dritten Ansicht fortgetrieben: ein Urevangelium, aber nicht schriftlich, nicht durch Verabredung, sondern es hat sich von selbst so gemacht. Dies entspricht dem Sinn jener begeisterten Zeit, die noch wenig gab auf den Buchstaben, aber das Andenken des Herrn alltäglich feierte. Denken wir uns eine Familie, welche ganz in der Erinnerung lebt an einen abgeschiedenen ruhmvollen Ahnherrn. Einige Genossen seiner Jugend, seiner Thaten sind noch am Leben und erzählen dem heranwachsenden Geschlechte die weisen Sprüche und hohen Thaten ihres großen Vorfahren, und das oft Gehörte hören alle gerne von Neuem. Die Geschichten werden sich allmählich abrunden und eine feste Gestalt annehmen bis auf Wortfügungen. Solch eine Familie war die apostolische Christenheit in Palästina." Hase macht darauf aufmerksam, daß der mündliche Bericht selten die wirkliche Reihenfolge der Thatsachen innehält, und daß sich daraus die so häufigen Umstellungen der Vorgänge in der synoptischen Geschichte erklären. Er sieht Markus als die Schrift an, in der der anfängliche evangelische Typus sich am genauesten erhalten hat, auch wenn er später als die Urform des Matthäus entstanden sein sollte.
In einer Schrift voll feiner und treffender Bemerkungen, die vielleicht nicht genug beachtet worden ist 2), widerlegt  W e tz e l  mit Scharfsinn die üblichen Lösungen und stimmt der Erklärung durch die mündliche Überlieferung zu, der er jedoch eine eigentümliche Form giebt. Er nimmt an, der Apostel Matthäus habe zu Jerusalem den hellenistischen Evangelisten, die zum Besuch bestehender Gemeinden und zur Gründung neuer ausgingen, eine Unterweisung über das Leben Jesu in griechischer Sprache gegeben. Die Hörer schrieben diesen Lehrgang selbst auf; das waren die Schriften der polloi/, der zahlreichen Verfasser, von denen Lukas redet (1, 1). Markus führte diese Arbeit aufs genaueste aus, indem er die einzelnen Vorgänge sorgfältig notierte und besonders das Thatsächliche berücksichtigte, das ihm wichtiger erschien als die Reden. Die Notizen des Verfassers unsers ersten Evangeliums waren ausführlicher als die des Markus, aber er begann seine Aufzeichnungen erst mit Kap. 14, 13, dem Punkte, von dem an beide Evangelien parallel laufen. Bis dahin hatte er sich auf sein Gedächtnis verlassen. Lukas hat gar nichts geschrieben, er eignete sich die Vorträge nur gedächtnismäßig an, einige hat er sogar versäumt, woraus sich die große Lücke zwischen 9, 17 und 18 erklärt. Außer dieser Vorlesung aber hat das erste und dritte Evangelium noch andere Nebenquellen benutzt.
    Die Hypothese der mündlichen Überlieferung braucht glücklicherweise keine so materielle Form anzunehmen, um die Lösung des Problems zu geben. An diese Erklärungsweise schließen sich  W e st c o t t 3) und  L e  C a m u s 4) an.

    1) In seiner  G e s ch i ch t e  J e s u,  1876.
    2)  D i e  s y n o p t i s ch e n  E v a n g e l i e n,  1883.
    3)  I n t r o d u c t i o n  t o  t h e  s t u d y  o f  t h e  G o s p e l s,  1860.  7. Aufl.  1882.
    4)  V i e  d e  N.  S.  J é s u s - C h r i s t,  6. Aufl.  1901.


356

    Eine Schrift, die in der gegenwärtigen Kritik eine ziemlich bedeutende Rolle gespielt hat, ist die von  S i m o n s:  H a t  d e r  d r i t t e  E v a n g e l i st  d e n  k a n o n i s ch e n  M a t t h ä u s  b e n u tz t?  (1880.)  Zwei Punkte erscheinen dem Verfasser als feststehende Resultate, die Priorität des Markus vor den beiden andern Synoptikern und die Abhängigkeit dieser von ihm; ferner das Vorhandensein einer zweiten Quelle, der Sammlung der Reden, der er aber nicht nur Reden, sondern gelegentlich auch Thatsachen zuschreibt. Auf dieser Grundlage unternimmt er den Nachweis, daß, wenn auch Matthäus möglicherweise nur diese beiden Quellen gehabt hat, Lukas außerdem Matthäus selbst gekannt und benutzt haben muß. Dadurch wird der Urmarkus Holtzmanns, der die Matthäus und Lukas gemeinsamen Stücke, die bei Markus fehlen, erklären sollte, überflüssig. Lukas hat sie direkt aus Matthäus oder aus den Logia entnommen, mit deren Hülfe er sogar Matthäus berichtigen konnte, wo dieser die Logia unvollständig oder ungenau wiedergegeben hatte. Simons kann endlich auf die Abhängigkeit des Markus von den Logia verzichten, die Weiß behauptete, und die seine Hypothese complicierte, weil, wenn Lukas direkt von Matthäus abhängt, sich die Züge, die er mit diesem gemeinsam hat, abgesehen von Markus leicht durch den Einfluß erklären, den Matthäus auf ihn geübt hat. Man dürfte sich freilich nicht vorstellen, als sei Lukas bei seiner Arbeit von einer Urkunde zur andern, von Markus zu Matthäus übergesprungen, das ließe sich mit der Einheitlichkeit seiner Schrift nicht vereinigen. Simons läßt eine Quellenbenutzung durch Lukas nicht  d e  v i s u,  sondern nach dem Gedächtnis zu, so wie die Schriftsteller des N. T. die LXX citierten. Dabei bleibt zu erwägen, ob die einfache Erinnerung an früher gelesene oder durchgesehene Urkunden ausreicht, um den gleichen Wortlaut so vieler synoptischer Stellen zu erklären.
    Simons erzielte mit seiner Schrift eine bedeutende Wirkung.  H o l tz m a n n,  der in seinem Glauben an den Urmarkus durch die Schwierigkeit, sich von einer solchen Schrift eine deutliche Vorstellung zu machen, bereits erschüttert war, verzichtete ganz darauf 1), um an seine Stelle die Benutzung des Matthäus durch Lukas zu setzen, wie Simons sie nachwies, Auch  M a n g o l d 2) hat die Überzeugung ausgesprochen, daß Lukas von Matthäus abhängig sei, jedoch ohne den Urmarkus aufzugeben. Ebenso  W e n d t  und  P a u l  E w a l d,  von denen wir weiter unten zu reden haben.
    In einem Aufsatze mit dem Titel:  D i e  a p o st o l i s ch e  S p r u ch s a m m l u n g 3), kommt  B e y s ch l a g  auf den Urmarkus als die Hauptgeschichtsquelle zurück und nimmt für diese Schrift den Platz in Anspruch, den Weiß den Logia hatte einräumen wollen. In Übereinstimmung mit  W e i f f e n b a ch 4) nimmt er sogar zwei Urmarkus an; der, welcher unsern Synoptikern als gemeinsame Quelle gedient hat, war selbst schon die Umarbeitung älterer Notizen des Markus nach den Erzählungen des Petrus. Diese Notizen, einfache Darstellungen einzelner Vorgänge, erhielten in Palästina die historische Anordnung, die ihnen fehlte, und dienten in dieser vollständigeren Form unsern beiden großen Synoptikern und unserm Markus selbst als Quelle. Dieser wurde in Rom für die Heidenchristen dieser Stadt verfaßt.
    In dem 9. Teil seines großen Werks über das Neue Testament, das nach seinem Tode erschien 5), nimmt  H o f m a n n  an, daß Lukas zu Rom nach seinen eignen Erkundigungen aber auch nach verschiedenen Schriften (1, 1),

    1)  T h e o l o g.  L i t t e r a t u r z e i t u n g,  1881, Nr. 8.
    2)  E i n l.  i n  d a s  N.  T., von Bleek=Mangold, 4. Aufl., 1886, S. 240.
    3) In den  S t u d i e n  u n d  K r i t i k e n,  1881.
    4)  D a s  P a p i a s = F r a g m e n t,  1874.
    5)  D i e  h e i l.  S ch r i f t  N.  T.,  9. Abt.:  Z u s a m m e n f a s s e n d e  U n t e r s u ch u n g,  herausgeg. von Volck, 1881.


357

unter andern der des Markus, sein Buch verfaßt habe, Matthäus sei ihm gleichfalls bekannt gewesen. Markus hat in Palästina von Matthäus Kenntnis gehabt, eher er sich nach Rom begab.
    J a c o b s e n  stellt in einer kleinen Schrift, die 1883 erschien 1), als erste Quelle den Kern der Markusschrift hin, der von Petrus stammt, den er aber unserm Markus entgegenstellt, der mit neuen Zusätzen überladen sei. Matthäus habe sich dieses Urmarkus bedient und viele Aussprüche des Herrn nach der Redensammlung hinzugefügt. Lukas benutzte nicht die Logia, sondern unsern Matthäus und Markus, denen er abwechselnd folgt. Es ist nach Jacobsen ein Beweis des Wirkens Gottes in der Geschichte, daß sich dank diesen beiden Urschriften die echten Spuren der Wirksamkeit Jesu niemals verwischt haben und daß wir uns noch heute in den Geist dieser großartigen Epoche versenken können.
    Nach  S t o ck m e y e r 2) ist Matthäus nichts als ein mittelst der Logia erweiterter Markus, von denen der Verfasser von Zeit zu Zeit ein Stück in den Rahmen des Markus einschiebt. Lukas hat ebenfalls Markus benutzt, von dem er ein unvollständiges Exemplar besaß (die große Lücke bei Lukas), außerdem die Logia, die er ziemlich unverändert wiedergab, und weiter ein Evangelium ebionitischer Färbung, das aus der Urgemeinde herrührte.
    S a l m o n  bekämpft in seinem Buche A  h i s t o r i c a l  I n t r o d u c t i o n  t o  t h e  b o o k s  o f  t h e  N.  T. 3) die Erklärung durch die mündliche Überlieferung und stellt ein besonderes System auf, wonach ein Urmarkus zur Abfassung des Lukas und des Matthäus gedient hätte, während diese wiederum von dem Verfasser unsers kanonischen Markus benutzt worden wären.
    W e n d t 4) nimmt ebenfalls die beiden Quellen an. Die Verfasser unsers ersten und dritten Evangeliums haben dieselbe Absicht gehabt, sie durch neue Nachforschungen zu vervollständigen und zu einem einheitlichen Bilde der Wirksamkeit Jesu zu vereinigen. Markus hat nicht einen Urmarkus als Grundlage gehabt (gegen Holtzmann) und kann nicht die Logia gekannt haben (gegen Weiß), wie hätte er sonst deren größten Teil weglassen können, sogar das, was so gut zu seinem Zwecke paßte? Er hat die Hauptmasse seines Stoffs den mündlich überlieferten apostolischen Berichten entnommen, die aber in der Überlieferung bereits eine feste Form angenommen hatten. Die Quellen des Markus liegen also ganz außerhalb der in unserm Besitz befindlichen Urkunden. Die Sammlung der Reden Jesu stammt von einem Ohrenzeugen her, sie ist in zwei verschiedenen Bearbeitungen auf uns gekommen, von denen Matthäus die eine, Lukas die andere benutzte. Wir können diese Urschrift annähernd reconstruieren, indem wir diese beiden Evangelien verbinden. 5) Wendt leitet das Meiste, das Lukas eigentümlich und das ihm mit Matthäus gemeinsam ist, aus den Logia her, während Weiß eine dritte Quelle für ihn annahm.
P a u l  E w a l d 6) hat einen eigentümlichen Gedanken ausgesprochen; daß nämlich das synoptische Problem nur gelöst werden kann, wenn man das vierte Evangelium in Betracht zieht. Wo sollte sich wohl die wirkliche apostolische Tradition über das Leben Jesu finden, wenn nicht in dem Bericht, der direkt von dem Apostel Johannes herrührt? Die synoptische Erzählung, die so bedeutend von jener abweicht, kann doch nicht den Anspruch erheben, die wahre Tradition der Gemeinde zu Jerusalem zu sein. Wie ist aber in diesem Falle

    1)  U n t e r s u ch u n g e n  ü b e r  d i e  s y n o p t i s ch e n  E v a n g e l i e n.
    2)  T h e o l.  Z e i t s ch r i f t  a u s  d e r  S ch w e i z,  1884.
    3) 1885,  4. Aufl. 1889.
    4)  D i e  L e h r e  J e s u,  I, 1886.
    5) Wie Wendt dies thatsächlich versucht hat.
    6)  D a s  H a u p t p r o b l e m  d e r  E v a n g e l i e n f r a g e,  1890.


358

der Ursprung des synoptischen Typus zu erklären, der dem johanneischen in so vielen Punkten widerspricht? Er muß außerhalb der großen Strömung der palästinensischen Tradition, die von Johannes vertreten wird, entstanden sein. Wenn für die, welche mit P. Ewald selbst die Echtheit des 4. Evangeliums annehmen, die synoptische Tradition wirklich nicht central sein kann, so muß sie rein lokalen, ja gewissermaßen persönlichen Ursprungs sein. Als Lösung dieser rätselhaften Erscheinung wird Folgendes vorgeschlagen: Petrus war gewohnt, vor allem die Vorgänge der galiläischen Wirksamkeit zu schildern, folglich füllten natürlich diese Erinnerungen den Bericht des Markus, der die Predigt des Petrus wiedergab. Dieser persönliche Einfluß des Petrus machte sich besonders in Italien fühlbar, und in diesem Lande haben wir den Ursprung unsrer Synoptiker und den Leserkreis zu suchen, für den sie zunächst bestimmt waren. Der Verfasser des Matthäus benutzte neben Markus die Redensammlung des gleichnamigen Apostels, die er zu dem didaktischen Zweck, den Begriff des Gottesreichs nach allen Seiten darzustellen, fals ganz aufnahm. Außer diesen beiden von Matthäus benutzten Urkunden gebrauchte Lukas eine dritte, die ihm den Stoff für das große Zwischenstück darbot, als dessen Quelle man gewöhnlich eine Bearbeitung der Logia annimmt, die von der dem Matthäus zu Gebote stehenden verschieden war. - Diese sonderbare Hypothese kann jedenfalls dazu dienen, daß man das synoptische Problem in seinem Verhältnis zur mündlichen Tradition einerseits und zur johanneischen Erzählung andrerseits genauer verfolgen wird.
    Hier ist der Ort, eine interessante Arbeit zu erwähnen, die  F e i n e  1891 veröffentlichte. Dieser Kritiker hatte die synoptische Frage bereits früher unter dem Gesichtspunkt der zwei Quellen behandelt. 1) Er hatte zugegeben, daß die erzählende Quelle der drei Synoptiker in ihrer Urform von Matthäus genauer als von Markus wiedergegeben sei, und daß die didaktische Quelle in ebionitischem Sinne bedeutend verändert in die Hände des Lukas gekommen sei. In seiner neueren Schrift 2) geht er auf diesem Wege weiter, indem er zeigt, daß Lukas eine judenchristliche, dem gesetzlichen und verfolgungssüchtigen Judaismus sehr feindliche Quelle benutzt habe, deren Text dem des Briefs des Jakobus und selbst dem des Johannes ziemlich ähnlich war. Dies würde beweisen, daß von den Anfängen der Gemeinde an zu Jerusalem ein Christentum universalistischer und antipharisäischer Tendenz vorhanden war, und Lukas von dem Vorwurf reinigen, sowohl im Evangelium als auch in der Apostelgeschichte von sich aus Änderungen der Geschichte vorgenommen zu haben. Neben diesem Urevangelium, das auch Matthäus und Markus benutzten, habe Lukas die Logia und Markus gebraucht, dagegen sei ihm Matthäus unbekannt gewesen, ebenso wie Markus diesem.
    Fast zu gleicher Zeit sehen wir Versuche in einer ganz verschiedenen Richtung erscheinen. In zwei Schriften,  A g r a p h a  (1889) und  A u ß e r k a n o n i s ch e  P a r a l l e l t e x t e  z u  d e n  E v a n g e l i e n  (1893-1897) 3), hat A. Resch eine große Zahl nicht kanonischer Aussprüche gesammelt, die von den Vätern und den apokryphischen Evangelien Christo beigelegt werden. Resch zählt deren 74 auf, die er für echt hält. 4) Diese Aussprüche würden nach ihm das Vorhandensein eines Urevangeliums beweisen, aus dem nicht nur unsre Synoptiker, sondern auch Paulus und andre Schriftsteller des

    1)  J a h r b.  f ü r  p r o t e st.  T h e o l.,  1885-1888.
    2)  E i n e  v o r k a n o n i s ch e  Ü b e r l i e f e r u n g  d e s  L u k a s,  1891.
    3) Herausgegeben in den  T e x t e n  u n d  U n t e r s u ch u n g e n  von Gebhardt und Harnack. - Siehe auch den Aufsatz von Resch: "Ta\ lo&gia  0Ihsou=", in den  T h e o l o g i s ch e n  S t u d i e n,  B. Weiß dargebracht, 1897.
    4) Er hat weitere 103 aufgeführt, die er selbst für apokryph hält.


359

Neuen Testaments, endlich auch die Väter geschöpft hätten. Diese Schrift enthielt neben den Aussprüchen einen umfassenden historischen Stoff, in erster Linie die Matthäus und Lukas gemeinsamen Stücke. Sie ging von der Thätigkeit Johannes des Täufers aus und schloß mit dem Bericht der Himmelfahrt und dem Apostelverzeichnis (Ap. Gesch. 1). Resch hat den Versuch gemacht 1), ihren Wortlaut in der Ursprache - nach ihm hebräisch - herzustellen, um so zu zeigen, wie die Verschiedenartigkeit unserer evangelischen Texte sich aus verschiedenen Übersetzungen desselben Originals ergeben. Dies von Resch angenommene Werk sei betitelt gewesen  D i b r e  J e s ch u a  ("Geschichten" Jesu), etwas ungenau ins Griechische übersetzt "Logia". Das ist die Schrift des Matthäus, von der Papias geredet hat. Die Kindheitsgeschichten waren nicht darin. Als Quelle für die ersten Kapitel des Lukas und des Matthäus nimmt Resch ein hebräisches "Kindheitsevangelium" an, dessen Text er ebenfalls reconstruiert hat. 2)
    J.  H.  R o p e s 3) übte strenge Kritik an den  A g r a p h a  und an dem System, das Resch darauf baut. Er hat gezeigt, daß etwa ein Dutzend der "Agrapha" als historisch angesehen werden können, und daß ein Urevangelium, das lange nach der Zeit der Apostel bestanden (denn die Väter sollen es benutzt haben) und sich einer großen Verbreitung erfreut, und von dem doch niemals jemand etwas gehört hätte, eine ganz unhaltbare Hypothese sei. Andrerseits hat ein Orientalist anerkannten Ansehens,  G.  D a l m a n 4) in überzeugender Weise nachgewiesen, daß von einem  h e b r ä i s ch e n  Urevangelium nicht die Rede sein kann, und daß die Reden des Herrn vielmehr nur in der von Jesu und den Aposteln geredeten und von den Juden verstandenen Sprache, dem Aramäischen, mündlich und schriftlich 5) überliefert sein können.
    Fast gleichzeitig mit Resch und unabhängig von ihm war der englische Professor  M a r s h a l l  auf den Gedanken gekommen 6), daß die Verschiedenheit unsrer Texte sich aus der verschiedenen Wiedergabe eines Originals erklären müsse, das vor unsern Synoptikern vorhanden war, dies Original aber wäre aramäisch gewesen. 7) Nach seiner Meinung begünstigte sogar die Form der aramäischen Schrift Irrtümer und Verschiedenheiten der Übersetzung. Trotz der von Marshall bei seinen Beispielen entwickelten Geschicklichkeit hält Dalman seine Arbeit für wenig gründlich und erklärt, daß er von dem Vorhandensein eines aramäischen Originals des evangelischen Textes nicht überzeugt sei. Die zahlreichen Hebraismen und Aramaismen darin kommen nach seiner Meinung auf Rechnung des stark hebraisierenden und aramaisierenden Griechisch jener Zeit, von dem die LXX uns ein Beispiel bieten. Die unmittelbaren Quellen unsrer Evangelien waren griechisch abgefaßt.
    Diesen Gesichtspunkt teilen die weitaus meisten Kritiker der Gegenwart; sie halten im allgemeinen an der Theorie fest, die in Matthäus und Lukas die Vereinigung von zwei Hauptquellen erblickt, des Markus für die erzählenden Teile, der Matthäuslogia für die ihnen gemeinsamen Lehrstücke. Diese Zweiquellentheorie bildet mit vielen Abweichungen im einzelnen die Grundlage

    1) In seinem Werk  D i e  L o g i a  J e s u,  1898.
    2)  D a s  K i n d h e i t s e v a n g e l i u m  n a ch  L u k a s  u n d  M a t t h ä u s  (P a r a l l e l t e x t e,  V) 1897.
    3)  D i e  S p r ü ch e  J e s u  (T e x t e  u n d  U n t e r s u ch u n g e n,  XIV, 2), 1896.
    4)  D i e  W o r t e J e s u,  I, 1898.
    5) Unter der Voraussetzung, daß den griechischen eine semitische Bearbeitung vorangegangen sei.
    6) In einer Reihe von Artikeln des Expositor (1891-1893) entwickelt.
    7) Wellhausen und Nestle (Philologia sacra, 1896) haben auch versucht, ein aramäisches Original als Grundlage unsrer Texte nachzuweisen.


360

der meisten Veröffentlichungen der letzten Jahre. Man findet sie ausführlich dargelegt in den neueren Werken von  H.  H o l tz m a n n 1),  J ü l i ch e r 2),  W e r n l e 3), kürzer bei  F.  B a r t h 4) und  O.  H o l tz m a n n 5); auf französisch ist sie entwickelt von  J.  B o v o n 6),  A.  R é v i l l e 7) und übersichtlich im  C o m m e n t a r  z u m  N e u e n  T e st a m e n t  von  B o n n e t. 8)
    Den Standpunkt  H.  H o l tz m a n n s  haben wir schon angegeben.
    J ü l i ch e r  setzt mit bewundernswerter Klarheit die verschiedenen Punkte des Problems auseinander, will aber nicht ein vollständiges System entwickeln. Er nimmt als Hauptquellen Markus und die Logia an, die in einer Sammlung von Reden ohne historische Beigaben bestanden. Matthäus und Lukas benutzen diese beiden Quellen unabhängig von einander. Außerdem hat jeder seine besonderen Quellen. Zu den Quellen des Lukas darf der kanonische Matthäus nicht gerechnet werden, auch ist es nicht wahrscheinlich, daß Markus die Logia benutzt hat.
    W e r n l e  erkennt in Markus, der gemeinsamen Grundlage des Matthäus und des Lukas, die Niederschrift des Berichts eines Augenzeugen (Petrus). Die Redensammlung hat mehrere Überarbeitungen hinter einander erfahren und verschiedene Formen angenommen, ehe sie als wesentlicher Bestandteil in die Evangelien des Lukas und des Matthäus aufgenommen wurde. So wird die Verschiedenheit der beiden Redaktionen verständlich. Markus und die Logia schöpfen neben einander und unabhängig aus der mündlichen Überlieferung, woraus sich die Übereinstimmung zwischen dem zweiten Evangelium und den beiden andern im Texte der Reden genügend erklärt. Markus hat von den Logia, die älter als er sind, wohl Kenntnis haben können, aber er hat sie nicht benutzt. Es darf bei ihm keine andre schriftliche Quelle als für Kap. 13, die "kleine Apokalypse", angenommen werden; sie stammt aus der Zeit vor dem Jahre 70 (das Evangelium wurde später verfaßt) und findet sich Matth. 24 wieder. Lukas benutzt am Anfang und am Schlusse, sowie an andern Stellen eine dritte Quelle. Matthäus hat ebenfalls seine eignen mündlichen oder schriftlichen Quellen.
    Für  F.  B a r t h  ist Markus die bemerkenswert genaue und malerische Quelle der beiden andern für die Thatsachen, hängt aber von den Logia hinsichtlich der Reden ab. Diese werden bei Matthäus in ihrer ursprünglichen Fassung am besten wiedergegeben, Lukas hingegen hat sie in der historischen Ordnung bewahrt, in der sie in der Quelle sich darstellten. Barth hält die Hypothese eines Urmarkus für überflüssig und weist ausdrücklich die Annahme von Simons zurück, wonach Lukas Kenntnis von Matthäus gehabt hätte, der übrigens der Zeit nach der letzte der drei Synoptiker ist.
    O.  H o l tz m a n n  erkennt den großen historischen Wert und die gute Ordnung des Markus an, der natürlich den Erzählungen des Matthäus und des Lukas zu Grunde liegt. Für die Reden hat er dieselbe Quelle verwendet wie die beiden andern, die die Reden nicht einander entnommen haben können, da ihr Text zu verschieden ist. Indes hat Lukas wahrscheinlich Matthäus gekannt und ausnahmsweise benutzt.
    Nach  B o v o n  verfaßte Matthäus, als er die palästinensische Kirche verlassen wollte, in der Landessprache eine Sammlung der Reden Jesu, der er einige erzählende Stücke hinzufügte. Unter den griechischen Übersetzungen, die

    1)  E i n l.  i n  d a s  N.  T.,  3. Aufl., 1892.  H a n d = C o m m.  z u m  N.  T.,  I, 1, 3. Aufl., 1901.
    2)  E i n l.  i n  d a s  N.  T., 3.-4. Aufl., 1901. - 3)  D i e  s y n o p t i s ch e  F r a g e,  1899.
    4)  D i e  H a u p t p r o b l e m e  d e s  L e b e n s  J e s u,  1899.  2. Aufl.  1903.
    5)  L e b e n  J e s u,  1901. - 6)  T h é o l o g i e  d u  N.  T.,  I, 1893.
    7)  J é s u s  d e  N a z a r e t h,  I, 1897.
    8) Teil I, 2. Aufl., durchgesehen von A. Schroeder, 1895.


361

von dieser Schrift in Umlauf waren, trat unser kanonischer Matthäus besonders hervor, zu dessen Abfassung der anonyme Verfasser auch mündliche Überlieferungen und gewisse einzelne Bruchstücke benutzte, die jetzt in das Markusevangelium aufgenommen sind. Was dieses anlang, so schrieb der Verfasser, ein Begleiter des Petrus, zuerst seine Erinnerungen aus der Predigt des Apostels auf, danach arbeitete er diesen ersten Entwurf selbst aus und verfaßte endlich mit Hülfe andrer Quellen unser kanonisches Evangelium. Er ist weder Matthäus gefolgt, noch hat er diesem als Quelle gedient. Ebenso verhält es sich mit Lukas, der weder Markus noch Matthäus gekannt hat, auch von keinem derselben benutzt worden ist. Die Übereinstimmungen zwischen den drei erklären sich aus dem gemeinsamen Gebrauch der Logia des Matthäus, der Erinnerungen des Petrus in den bruchstückartigen Erzählungen des Markus und der Sammlungen von Geschichten und Lehren, von denen Lukas in seiner Vorrede spricht.
    R é v i l l e  tritt ebenfalls bestimmt dem Gedanken entgegen, daß irgend einer der Evangelisten das Werk der beiden andern oder des einen von ihnen gekannt habe. Als gemeinsame Quellen der drei nimmt er einen Urmarkus an, der von unserm Markus wenig abweicht, und für Lukas und Matthäus die (anfänglich aramäisch geschriebenen) Logia des Apostels dieses Namens. Lukas hat außerdem eine dritte Quelle benutzt, die man in dem Stück Kap. 9, 51 - 18, 14 und wahrscheinlich in der Leidens= und Auferstehungsgeschichte wiederfindet.
    Die Sicherheit, mit der die Anhänger der Zweiquellentheorie diese gern als endgültig festgestellt ausgeben, darf nicht über den wahren Sachverhalt täuschen. Die Übereinstimmung unter ihnen ist keineswegs vollständig, und über wichtige Punkte bestehen noch große Meinungsverschiedenheiten. Die hauptsächlichsten sind folgende:
    1. Hat Markus die apostolische Quelle, die Logia, benutzt, wie unter andern B. Weiß behauptet?
    T i t i u s  hat in einem Aufsatz von außerordentlichem Scharfsinn 1) dieser These entscheidende Beweiskraft dadurch geben wollen, daß er den bedeutenden Schatz von Lehrstücken, die Markus und den Logia gemeinsam sind, ins Licht stellte, ferner die zahlreichen sprachlichen Elemente - darunter manche seltene Ausdrücke - die sich in beiden Schriften finden, und eine ganze Reihe von Zügen, die beweisen würden, daß Markus in vielen Fällen keineswegs die Quelle der Parallelstellen in den beiden andern ist, sondern vielmehr selbst von einer andern Quelle abhängt, die nur die Logia sein können. Daraus würde sich ergeben, daß schließlich nicht Markus, sondern die Logia die erste und Hauptquelle unsrer Synoptiker sind (wie in der Auffassung von B. Weiß).
    Aber diese Behauptung vom Gebrauch der Logia durch Markus wird von andern Kritikern eifrig bestritten.  B e y s ch l a g  hat nicht aufgehört, sich entschieden dagegen auszusprechen, und ist soweit gegangen, sie als  T h o r h e i t  zu bezeichnen. 2) Nach ihm ist die aramäische Redaktion der Logia die gemeinsame Quelle nur für Lukas und Matthäus, die sie, jeder für sich, übersetzt haben, "so gut sie konnten," - daher die Verschiedenheiten.  W e r n l e  bestreitet ebenfalls jede Benutzung der Logia durch Markus und bemerkt, die Annahme dieser Benutzung komme darauf hinaus, die Rolle der petrinischen

    1)  D a s  V e r h ä l t n i s  d e r  H e r r e n w o r t e  i m  M a r k u s e v.  z u  d e n  L o g i a  d e s  M a t t h ä u s,  in den  T h e o l.  S t u d i e n,  B. Weiß dargebracht, 1897.
    2)  S t u d i e n  u n d  K r i t i k e n,  1898.


362

Tradition bei der Abfassung des zweiten Evangeliums zu vernichten. 1)  S o l t a u  spricht sich in Schriften, die wir sogleich erwähnen werden, in demselben Sinne aus.
    2. Hat unser kanonischer Markus selbst, oder ein Urmarkus, dem Matthäus und Lukas als Quelle gedient?
    Die Urmarkushypothese, die ihr Haupturheber (H. Holtzmann) aufgegeben hat, und die von den meisten Modernen für überflüssig gehalten wird 2), ist neuerdings von mehreren Kritikern wieder zu Ehren gebracht worden, zum Beispiel von  F e i n e,  ebenso von zwei Schriftstellern, die kürzlich das Markusevangelium, das nach der allgemeinen Ansicht den festen Grundstock der geschichtlichen Wirklichkeit darstellt, zum Gegenstande sehr geistvoller und radikaler Studien gemacht haben.  W r e d e 3) glaubt darin die Spur zahlreicher Umgestaltungen zu finden, die der Bearbeitung, in welcher es auf uns gekommen ist, vorangegangen sind. Unser Markus hat eine lange Geschichte hinter sich; es sind die dogmatischen Gesichtspunkte des nachapostolischen Zeitalters, die sich darin widerspiegeln, und die Thatsachen sind für den Verfasser meist nur die Hülle der Gedanken. Der historische Wert dieser Schrift ist also fast gleich Null. Sie beruht übrigens ganz und gar auf einer Grundidee, die nichts Historisches hat, der Behauptung der Messianität Jesu, die in Wirklichkeit erst nach seiner Auferstehung aufgestellt worden ist, hier aber in das Leben des Herrn zurückverlegt wird, freilich in der Form einer zwar geheimen, aber doch bezeugten Lehre, deren Verkündigung Jesus fortwährend untersagt. 4)
    J.  W e i ß 5) hält die Zweifel Wredes an der Geschichtlichkeit der Erzählung des Markus für übertrieben. Der Verfasser dieses Evangeliums 6), das von 64-66 verfaßt wurde, ist zugleich Schüler des Petrus, dessen Erinnerungen er unter Hinzufügung andrer Traditionen ziemlich verschiedenen Ursprungs sammelte, und des Paulus, dessen Einfluß er sichtlich erfährt. Weiß tritt für einen Urmarkus ein, der kürzer als der kanonische ist. 7)
    Die Hypothese des Urmarkus ist kürzlich von  H a w k i n s 8) bestritten worden, der durch eine sehr genaue Prüfung der Sprache der Evangelien festzustellen gesucht hat, daß Lukas und Matthäus unsern Markus und nicht ein von ihm verschiedenes Werk vor Augen gehabt haben; ferner von  S o l t a u 9), der diese Hypothese für unhaltbar erklärt, weil man sich den Urmarkus weder als viel kürzer noch als viel länger als den jetzigen Markus, folglich auch nicht als wirklich von diesem verschieden vorstellen kann; endlich von  W e r n l e,  der das Urteil fällt, die Urmarkushypothese müsse fortan aus der synoptischen Frage ausscheiden.

    1) Wernle widerspricht auch den Behauptungen von Titius über die Sprache des Markus, in der er keine solche charakteristischen Züge findet, die seine Abhängigkeit von den Logia erweisen würden. Übrigens ist nichts so willkürlich als Schlüsse aus derartigen Beobachtungen. Man wird dies von Neuem finden, wenn man den Aufsatz von Titius liest.
    2)  B e y s ch l a g  hat sie fortgesetzt mit Nachdruck vertreten, zuletzt in der 4. Aufl. seines  L e b e n s  J e s u  (1901-1902).
    3)  D a s  M e s s i a s g e h e i m n i s  i n  d e n  E v a n g e l i e n,  1901.
    4)  B a l d e n s p e r g e r  hat in einer bemerkenswerten Kritik des Wredeschen Buches  (T h e o l.  L i t t e r a t u r z e i t u n g,  1902, Nr. 14) gezeigt, daß der Widerspruch, den dieser Markus zuschreibt, noch viel mehr in seiner eignen Anschauung besteht.  O.  H o l tz m a n n  hat die Verteidigung der geschichtlichen Glaubwürdigkeit des Markus unternommen.  (D a s  M e s s i a s b e w u ß t s e i n  J e s u  u n d  s e i n e  n e u e st e  B e st r e i t u n g,  1902.)
    5)  D a s ä l t e st e  E v a n g e l i u m,  1903.
    6) Der nach J. Weiß kaum der von der Tradition genannte Johannes Markus sein könnte.
    7) Ebenso  O.  S ch m i e d e l  in seiner kleinen Schrift:  D i e  H a u p t p r o b l e m e  d e r  L e b e n = J e s u = F o r s ch u n g,  1902.
    8)  H o r a e  s y n o p t i c a e,  1899.
    9)  U n s e r e  E v a n g e l i e n,  1901.


363

    3. Hat Lukas den Matthäus benutzt, wie Simons und nach ihm Holtzmann angenommen hat? oder sollte Matthäus Lukas benutzt haben?
    Diese Fragen werden von vielen Kritikern in verneinendem Sinne beantwortet; sie machen unter anderm die gewaltigen Unterschiede in der Geschichte der Kindheit und des Leidens und der Auferstehung bei beiden Evangelisten geltend. Wie könnte man auch annehmen, daß einer von ihnen, wenn er nach dem Text des andern arbeitete, so viele wertvolle Stücke daraus unbeachtet gelassen hätte?  B e y s ch l a g  erklärt es denn auch unbedenklich als eins der sichersten Resultate der Kritik, daß Matthäus und Lukas sich gegenseitig nicht gekannt haben. 1)
    4. Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Lukas und Matthäus hat zu der Hypothese eines Urmatthäus Anlaß gegeben, die besonders  S o l t a u  entwickelt hat. 2) Es handelt sich dabei nicht um den Urmatthäus, wie man ihn seit Schleiermacher allgemein aufgefaßt hat, und der nichts andres als eine Redensammlung ist, sondern um eine erste Auflage des vollständigen Evangeliums. Diese erste Bearbeitung soll dazu dienen, die zahlreichen Fälle zu erklären, in denen der Text des Matthäus mit dem des Lukas zusammentrifft, von dem des Markus hingegen verschieden ist. Dies Zusammentreffen setzt in der That eine gemeinsame Quelle voraus, die nicht Markus sein kann; es ist vielmehr der Urmatthäus, den Lukas nach dem Gedächtnis benutzt hat. Zu Gunsten der Hypothese sucht man in unserm Matthäus die Spur von zwei verschiedenen Verfassern nachzuweisen, eines ersten und eines zweiten Redaktors, von denen der eine universalistisch, antipharisäisch, nicht dogmatisch ist, und das A. T. nach den LXX citiert wie die Logia, während der andre der pharisäischen Dogmatik ergeben darauf aus ist, in der evangelischen Geschichte die Erfüllung des A. T., das er nach dem hebräischen Texte citiert, nachzuweisen. 3) Außer den zahlreichen Citaten, die er dem Urmatthäus zugefügt hat, verdankt man ihm eine gewisse Anzahl von Zügen und Erzählungen, die einen offenbar legendenhaften Charakter tragen.
    In etwas abweichender Form spricht auch  Z a h n  von einem Urmatthäus. 4) Die älteste evangelische Schrift ist das aramäisch verfaßte Werk des Apostels Matthäus. Dieses hat Markus benutzt, indem er es mit den Erinnerungen des Petrus verschmolz. Lukas verwendet Markus und fügt das reiche Ergebnis seiner eignen Nachforschungen hinzu, schöpft aber auch aus schriftlichen Quellen. Unser griechischer Matthäus endlich ist eine Übersetzung des Urmatthäus; der Übersetzer benutzt jedoch zu seiner Arbeit den Text des Markus, der auf diese Weise (wie bei B. Weiß) in doppelter Beziehung zu Matthäus steht, da er einerseits den aramäischen Matthäus zur Grundlage hat, andrerseits dem kanonischen Matthäus als Quelle dient. - Zahn steht jetzt fast allein mit

    1) Die Frage nach den Quellen des Lukas gehört zu denen, die noch keineswegs genügend aufgeklärt sind. Die einen nehmen an, daß er die Logia bereits griechisch verfaßt und in derselben Form, wie Matthäus sie kannte, in Händen gehabt hat. Andre sind der Ansicht, daß der so verschiedene Wortlaut der Reden in beiden Evangelien es notwendig bedinge, daß die Logia, sei es auf aramäisch, sei es auf griechisch, beiden Evangelisten in sehr abweichender Form vorgelegen haben. Nach  F e i n e,  S o l t a u  und andern hat Lukas sie in einer vom Urtext weit entfernten, in ebionitischen Sinne umgearbeiteten Form ("Evangelium der Armen, der Zöllner, der Sünder und der Samariter") gebraucht. Mehrere endlich stellen in Abrede, daß Lukas sich der Logia bedient habe. - Manche schreiben Lukas außer den beiden bekannten noch eine große schriftliche Quelle zu, während andre meinen, daß er die ihm eignen Stücke aus der Tradition und aus seinen Privaterkundigungen geschöpft habe.
    2)  E i n e  L ü ck e  d e r  E v a n g e l i e n f o r s ch u n g,  1899.  D i e  E n t st e h u n g  d e s  e r st e n  E v a n g e l i u m s,  in der  Z e i t s ch r i f t  f ü r  n e u t e st.  W i s s e n s ch a f t,  1900.
    3) Siehe hierüber  E.  M a s s e b i e a u,  Examen des citations de l'A. T. dans l'Evangile selon St. Matthieu, 1885.
    4)  E i n l.  i n  d a s  N.  T.,  II., 1899;  2. Aufl.  1900.


364

der Behauptung, das erste kanonische Evangelium sei eine Übersetzung. Man erkennt ihm allgemein den Charakter einer ursprünglich griechischen Abfassung zu.
    5. Die Priorität des Markus gilt vielen gar nicht mehr für fraglich. Sie ist jedoch neuerdings wieder in Frage gestellt worden. Wir haben soeben gesehen, daß Zahn Matthäus den ersten Platz anweist. Ebenso verfahren  H a d o r n 1),  H a u ß l e i t n e r 2) und  B o l l i g e r. 3) Diesen Versuchen, hierin die Tübinger Auffassung zu erneuern, läßt sich ein glänzender Mißerfolg voraussagen.
    Die Darstellung, die wir von den hauptsächlichsten Arbeiten der gegenwärtigen Kritik gegeben haben, zeigt deutlich, daß es der Hypothese der gemeinsamen Quellen bisher nicht gelungen ist, alle Schwierigkeiten des synoptischen Problems zu lösen. Die meisten ihrer Verfechter lassen übrigens einem Erklärungsmittel, das häufig zu wenig beachtet wird, weiten Raum, nämlich der mündlichen Überlieferung, aus der unsre drei Evangelisten jeweils geschöpft haben müssen, welches auch sonst die schriftlichen Quellen gewesen sein mögen, über die sie verfügten. Die Überlieferung spielt eine wichtige Rolle bei Beyschlag, Holtzmann, Wernle, Soltau, Hawkins u. a.  Sie genügt nach der Ansicht mancher von ihnen vollständig, um die gemeinsamen Stücke bei Markus und in den Logia zu erklären.
Der Verfasser des vorliegenden Werkes hat sie immer als hinreichende Grundlage für die Erklärung der Beziehungen zwischen unsern Synoptikern aufgestellt. 4) Ebenso  B o n n e t.  Eine gründliche Arbeit hat  C.  V e i t 5) dem Gegenstande gewidmet. Der Verfasser erinnert an die bedeutsame Rolle, die die Überlieferung im christlichen Altertum gespielt hat; er giebt interessante Mitteilungen über die Methode der Rabbinen, die darin besteht, die Lehre durch Wiederholung dem Gedächtnis einzuprägen, und spricht die Ansicht aus, da Jesus nichts aufgeschrieben habe, müsse er die Erhaltung seines Wortes durch dasselbe Verfahren mit seinen Jüngern sicher gestellt haben, wie diese ihrerseits bei ihrer mündlichen Unterweisung darüber zu wachen hatten, daß der Kirche dies anvertraute Gut, das ihr teuerster Schatz war, unverletzt erhalten blieb. Er zeigt, daß die Unterschiede zwischen unsern Evangelien in Form und Inhalt sich am besten aus den natürlichen Wandlungen der mündlichen Überlieferung erklären, und wie künstlich und mit der Lauterkeit und Einfalt ihrer Verfasser unverträglich das System sei, nach dem sie einander auf das rücksichtsloseste und willkürlichste ab= und ausgeschrieben, verbessert und überarbeitet haben sollen. - Diese Schrift, voll richtiger Bemerkungen, entwickelt mit mehr Nüchternheit, als sonst wohl geschehen, den Standpunkt, den wir selbst behaupten, und ist in jedem Falle der Beachtung wert.
    Trotz der Länge des Zuges, den wir vorüberziehen sehen, kann sich der Leser nur eine schwache Vorstellung von der ungeheuren Summe von Arbeit machen, die seit mehr als einem Jahrhundert darauf verwendet worden ist, die Lösung des Problems zu finden, welches das Verhältnis unsrer Synoptiker der Theologie darbietet. Wir haben bei weitem nicht alle Autoren erwähnt, und bei denen, die wir genannt haben, sind vielfach dicke Bände in wenigen Zeilen zusammengefaßt worden. Wohl nie hat eine Frage der Geschichte

    1)  D i e  E n t st e h u n g  d e s  M a r k u s = E v a n g e l i u m s,  1898.
    2)  P r o b l e m e  d e s  M a t t h ä u s = E v a n g e l i u m s,  1901.
    3)  M a r k u s,  d e r  B e a r b e i t e r  d e s  M a t t h ä u s = E v a n g e l i u m s,  1902.
    4) Siehe besonders seinen  C o m m e n t a r  z u m  E v.  d e s  L u k a s,  2. (deutsche) Aufl., 1890.
    5)  D i e  s y n o p t i s ch e n  P a r a l l e l e n  u n d  e i n  a l t e r  V e r s u ch  i h r e r  E n t r ä t s e l u n g  m i t  n e u e r  B e g r ü n d u n g,  1897.


365

oder der Wissenschaft solche Anstrengungen hervorgerufen. Welches auch der Wert der erlangten Resultate sei, es liegt darin eine einzigartige Huldigung weniger den Werken, um die es sich handelt, als der Größe dessen gegenüber, von dem sie allein uns eine echte Erinnerung bewahrt haben.
    Hat nun diese mühevolle Forschung zu einem einigermaßen sicheren Ergebnis geführt? Es läßt sich kaum bejahen. Wir sahen, wie die Hypothese der zwei Quellen, die von vielen eine zeitlang als eine endgültige Lösung angesehen wurde, das Los der von Eichhorn teilte, die ebenfalls etwa zwanzig Jahre hindurch als das letzte Wort in der Frage galt. Ihr hervorragendster Vertreter hat sie, man kann sagen, fallen lassen, um seit der Schrift Simons' sich einer andern zuzuwenden, die die directe Benutzung des Markus durch Matthäus und des Matthäus und Markus durch Lukas annimmt. Schließlich erscheint wieder unter verschiedenen Formen die Hypothese eines aramäischen Urevangeliums, die uns zu dem Ausgangspunkt dieser langen Arbeit, der Anschauung Lessings, zurückführt.
    Sollen wir es nach dieser Erfahrung wagen, die Untersuchung wieder zu eröffnen? Wir müssen wohl, um so mehr als diese Erfahrung selbst zu beweisen scheint, daß man im allgemeinen fehlgegangen ist, und daß die einfachste Lösung zugleich die ist, bei der man früher oder später stehen bleiben wird.
    Wir können alle die verschiedenen Systeme, die wir dargelegt haben, nicht einzeln durchgehen und prüfen. Die einzig mögliche Methode besteht in der Besprechung des inneren Wertes der Materialien, aus denen sie aufgebaut sind. Wir prüfen also nacheinander die drei Erklärungsarten, auf die diese verschiedenen Systeme sich zurückführen lassen:
    1. Die directe Benutzung der Evangelien durcheinander,
    2. Die Benutzung gemeinsamer schriftlicher Quellen,
    3. Die Benutzung einer gemeinsamen rein mündlichen Quelle (der apostolischen Tradition).
    Ich verhehle mir nicht, daß die Thatsachen für ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit oder gemeinsamen litterarischen Ursprungs irgend welcher Art zu sprechen scheinen. Die Übereinstimmung im allgemeinen Plane der drei Evangelien, die völlig gleichen Erzählungsreihen, die Stücke, welche bis in die Einzelheiten der Form zusammentreffen, begünstigen diese Auffassung, ja scheinen ihr den Charakter der Gewißheit zu verleihen. Doch lassen wir uns nicht durch den Anschein verleiten, prüfen wir genau und urteilen dann.
[Top]

III.
Das System der gegenseitigen Abhängigkeit.1)

    Hier bieten sich neun Möglichkeiten dar, denn jedes der drei Evangelien kann unter dem Einfluß eines der beiden andern oder beider verfaßt sein, was drei mögliche Combinationen für jedes ergiebt.

    1) Zum Studium des Verhältnisses der Evangelien untereinander wird man sich mit Nutzen der synoptischen Ausgaben bedienen (s. S. 70), wie der  S y n o p s e n  von de Wette und Lücke (1818. 1842) und von Tischendorf (1854. 1878), dann besonders der neueren Arbeiten: des  S y n o p t i k o n  von Rushbrooke (1880),  A  S y n o p s i s  o f  t h e  G o s p e l s  von Wright (1896), der  s y n o p t i s ch e n  P a r a l l e l e n  von Veit (1897) und der  S y n o p s e  d e r  d r e i  e r st e n  E v a n g e l i e n  von Huck (1892, 2. Aufl. 1898). Diese, welche nach dem  H a n d = C o m m e n t a r  von Holtzmann angeordnet ist, bietet ein bequemes Hülfsmittel. - Die  C o n c o r d a n c e  d e s  é v a n g i l e s  s y n o p t i q u e s  von E. Morel und G. Chastand (Lausanne, 1901) wird den Lesern, die den griechischen Text nicht benutzen können, gute Dienste leisten.


366

[...]

[Top]


410

V.
Die apostolische Tradition.

I. Unter den Grundzügen der Einheit, auf denen die innige Gemeinschaft der Herzen in der Urgemeinde zu Jerusalem ruhte, nennt der Bericht der Apostelgeschichte an erster Stelle d i e L e h r e d e r A p o st e l (didaxh& tw=n a)posto/lwn, 2, 42). Derselbe Bericht zeigt uns die Zwölf, wie sie den s i e b e n Erwählten der Gemeinde das „Dienen bei Tische" überließen, um sich ausschließlich dem D i e n st a m W o r t e (diakoni/a tou= lo/gou), 6, 4) zu widmen. Worin bestand dieser Dienst am Worte? Was enthielt diese Lehre?
    Es konnte keine systematische Darlegung des Heilsplans sein, wie sie sich später aus den großen Thatsachen des Todes und der Auferstehung Jesu in dem Geiste des Paulus entwickelte und wie wir sie im Römerbriefe finden. Es war offenbar etwas viel Einfacheres und den Bedürfnissen der entstehenden Gemeinde Angemesseneres, eine vor allem historische Unterweisung, wie dies aus der Thatsache hervorgeht, daß mit der Erfüllung dieser apostolischen Aufgabe nicht die tiefsten Denker der Gemeinde betraut wurden, sondern solche, die die Wirksamkeit Jesu von der Taufe des Johannes bis zur Himmelfahrt gesehen hatten (Ap. Gesch. 1, 21. 22), vergl. Joh. 15, 27: „Ihr werdet meine Zeugen sein, weil ihr von Anfang an bei mir gewesen seid."
    Die Apostel hatten zwei Arten von Hörern vor sich, solche, die dem Glauben noch fern standen, und solche, die bereits in Jesu den verheißenen Messias erkannt hatten. Für jene ereignete sich ein zusammenfassendes Zeugnis von dem Leben, dem Tode und der Auferstehung Jesu mit einigen Beweisstellen aus den Propheten, wie wir es zum Beispiel in der Pfingstpredigt des Petrus (Kap. 2) und der bei Cornelius haben (Kap. 10), oder auch in der Rede des Paulus vor den Juden zu Antiochia in Pisidien (Kap. 13). Aber es ist unrichtig, daraus zu schließen, wie  H o l tz m a n n  thut 1), daß es in den Versammlungen der Gläubigen ebenso gehalten werden mußte. Die Apostel hatten nicht allein die Leute zum Glauben zu führen, sondern auch die Gläubigen in diesem Glauben zu unterweisen und zu befestigen, ihnen das Bild Christi einzuprägen, seine Vorschriften und Lehren, die die Lebensregel der Gemeinde und jedes ihrer Glieder werden sollten, ihnen mit unauslöschlichen Buchstaben ins Herz zu schreiben. 2) Indem sie so in den Versammlungen der Gläubigen immer von Neuem das Bild der Thaten des Lebens Christi wiederholten, suchten sie damit die besonderen darauf bezüglichen Weissagungen, durch die jene Thaten als messianisch im Voraus angekündigt waren, zur Stärkung des Glaubens zu verbinden. 3) So bei Gelegenheit der Wirksamkeit Johannes des Täufers die Weissagungen des Maleachi und Jesaja (Mark. 1, 2. Matth. 11, 10. Luk. 7, 27. Joh. 1, 23), aus Anlaß der Niederlassung Jesu in Kapernaum die Weissagung, in der Jesaja gegen alle Erwartung Galiläa zum Schauplatz der messianischen Thätigkeit macht (Matth. 4, 13), bei der Darstellung des unscheinbaren Werkes Jesu die Weissagung vom Knechte Jehovahs bei Jesaja (12, 17), bei der Erzählung der Gleichnisse das Wort Assaphs (13, 35) usw. Dies ist, wie  W e i z s ä ck e r  es nennt, "das messianische

    1)  S y n o p t.  E v a n g e l i e n,  S. 51. 52.
    2) Siehe die Entwickelung dieses Gedankens und seiner Folgen für die Bildung der Tradition in der vorzüglichen Schrift  V e i t s,  E n t r ä t s e l u n g  d e r  s y n.  P a r., II, S. 74 ff.
    3) "Die Ausführung des messianischen Lebens, sagt Renan, untermischt mit Stellen aus den alten Propheten, die immer dieselben waren, und so bemessen, daß sie in einer Zusammenkunft vorgetragen werden konnte, nahm früh eine feste Form an in Ausdrücken, die, wenigstens dem Sinne nach, fast unveränderlich waren. Nicht nur die Erzählung folgte einem bestimmten Plane, sondern auch die charakteristischen Ausdrücke standen fest. Der Rahmen des Evangeliums bestand so vor dem Evangelium." (L e s  E v a n g i l e s,  S. 94.)


411

Beweisverfahren", welches mehr ein gemeinsamer Bau, zu dem jeder einen Stein herbeitrug, als das Werk eines einzelnen war. 1)
    W e i z s ä ck e r  bemerkt sehr richtig, daß diese unablässig wiederholte Darstellung nicht dem Zufall individueller Eingebungen ausgesetzt werden durfte, sondern von Anfang an einer bestimmten Regel unterliegen und feste Formen annehmen mußte. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur an den Umstand zu denken, daß es sich bei einer solchen Erzählung nicht um eine persönliche Erinnerung, um ein liebevolles Gedenken des Erzählers handelte, sondern daß sie von Anfang an den bestimmten Zweck hatte, den Interessen der Gemeinschaft zu dienen. Die Apostel hatten nicht allein die Gemeinde zu werben oder sie zu unterrichten, sondern sie zu bilden, zu schulen, eine Lebensregel für ihre Glieder vorzuzeichnen, unausgesetzt über ihren Fortschritt Aufsicht zu üben. Die Tradition mußte also sogleich den Charakter einer feststehenden Lehre annehmen, vor allem sofern sie die Worte Jesu betraf, aber auch hinsichtlich der Thaten seines Lebens. Wohl waren einzelne Beiträge der Zeugen nicht ausgeschlossen, aber die gemeinsame Arbeit bestimmte die angenommene Erzählungsweise und stellte sie zum Zweck späterer Ubermittelung fest. - So denkt  W e i z s ä ck e r 2), und wir dürfen in der That gewiß sein, daß es nicht jedem zustand, nach seinen persönlichen Erinnerungen Lehren von solcher Bedeutung in Umlauf zu setzen und sie selbst einem Paulus als Regeln für das Verhalten der Christengemeinden vorzuschreiben. Allein ein Mund durfte sich vor allem als berechtigt ansehen, in dem Stück, bei dem jeder der Apostel mitwirkte, den Ton anzugeben, und darin von allen anerkannt zu werden, der des Petrus. Immerhin, wenn auch kein andrer so wie er geeignet war, den Bericht über die Begebenheiten des Lebens Jesu aufzustellen, verhielt es sich doch vielleicht nicht ebenso hinsichtlich der Lehrstücke. Der oder jener seiner Genossen besaß vielleicht eine bessere Auffassungsgabe, ein schärferes Gedächtnis und war daher geeigneter, den genauen Wortlaut der Aussprüche des Meisters wiederzugeben. Die Tradition nennt uns Matthäus als den, der die Reden des Herrn zuerst niederschrieb. Wie man auch über den Ursprung unsers 1. Evangeliums denken mag, die Thatsache, daß es von der Urkirche allgemein diesem Apostel zugeschrieben wurde, kann nicht wohl jedes Grundes entbehren. Warum würde sonst gerade er genannt? Wir haben darin ein Anzeichen für den Anteil, den Matthäus wahrscheinlich an der Bildung der apostolischen Tradition hinsichtlich der Lehre Jesu genommen hat. Und in der That bilden die Reden des Herrn den wesentlichen Inhalt des Evangeliums, das seinen Namen trägt.
    Wir würde so zu der Annahme geführt, daß, wenn Petrus bei Feststellung des erzählenden Elements der Tradition die Hauptrolle übernahm, es Matthäus war, der den bedeutendsten Beitrag zur Darstellung ihrer Lehre lieferte.
    Die doppelte Ueberlieferung der Thatsachen und der Reden erhielt sicherlich ihre ursprüngliche Form in der aramäischen Sprache. 3) Dies war die Sprache,

    1)  A p o st o l.  Z e i t a l t e r,  S. 383 u. 385.
    2) Eine Bestätigung dieser Anschauungsweise würden wir in der Art finden, wie Paulus Vorschriften Jesu mehrfach benutzt hat, so wie sie in der Kirche überliefert waren und nunmehr zu der apostolischen Regel gehörten, - zum Beispiel 1. Cor. 6, 7 (vergl. Mt. 5, 39. 41.  Lukas 6, 29, das Unrecht leiden), 1. Cor. 7, 10. 11 (Mt. 5, 32.  Mk. 10, 11.  Lk. 16, 18, über die Scheidung), 1. Cor. 9, 14.  1. Tim. 5, 18 (Mt. 10, 10.  Luk. 10, 7, der Lohn der Diener Christi), 1. Thess. 5, 1 ff. (Mt. 24, 42-44.  Mk. 13, 35. 36.  Lk 21, 34. 35, die Wachsamkeit, die Parusie), usw., - wenn die Anzahl und die Art dieser Parallelen uns nicht vielmehr anzunehmen bestimmte, daß Paulus schon das Buch der Logia selbst vor Augen gehabt hat.  Siehe unsre Ausführung über die Benutzung dieses Werkes im N. T., S. 129-131.
    3) Siehe darüber  D a l m a n  (W o r t e  J e s u,  I, S. 13 ff.).


412

deren Jesus sich gewöhnlich bedient hatte, wie wir aus den semitischen Ausdrücken ersehen, die Markus häufig wiedergiebt, um die  i p s i s s i m a  v e r b a  des Herrn zu erhalten (S. 399). Dieser Umstand ist in der Frage, die uns beschäftigt, nicht ohne Interesse. Zunächst ist es uns wichtig zu wissen, daß die Tradition in derselben Sprache, in der die Aussprüche gethan wurden, eine feste Gestalt gewann, sodann ist zu bemerken, daß diese Sprache gerade durch ihre Armut am besten geeignet war, große Abweichungen bei der Wiedergabe zu verhüten.
    Übrigens war die Rede Jesu solcher Art, daß sie leichter als jede andre zu behalten war. Sie besitzt einen so besonderen Charakter, ein so originales Gepräge, eine so plastische Form, einen so ergreifenden Ernst, daß es nicht mehrmaligen Hörens bedurfte, um sie dauernd dem Gedächtnis des Hörers einzuprägen. "Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Ein Rohr, das der Wind hin und her weht? . . . Sehet die Vögel unter dem Himmel an . . . Sehet die Lilien auf dem Felde . . . Dieses Geschlecht ist den Kindern gleich, die auf dem Markte spielen und sich zurufen . . . Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten! . . ." Wer könnte solche Worte vergessen, wenn er sie auch nur einmal gehört hatte? 1) Diese Art der Beredsamkeit erfaßte den ganzen Menschen, das Gewissen durch ihre innere Wahrheit, den Verstand durch die Hoheit des Gedankens, die Einbildungskraft durch die Klarheit der Form und die Neuheit der Bilder, das Herz durch die Tiefe des religiösen Gefühls. Während so die Lehre des Meisters gleich einem scharf geschnittenen Stempel dem Geiste der Jünger aufgedrückt wurde, nahm dieser wie frisches und völlig geschmeidiges Wachs den Eindruck unauslöschlich auf. Dieses Gepräge ist der apostolischen Tradition aufgedrückt geblieben.
    Erscheinungen dieser Art sind nicht ohne Beispiel, zumal im Orient, wo, wie  R e n a n  sagt, mehr als sonst überall, die wörtliche Wiedergabe älterer Texte die Regel ist. "Eine wasserdichte Cisterne, die keinen Tropfen Wassers entschlüpfen läßt", das ist das Ideal Israels. 2) Man kann sich von dieser Gedächtnisarbeit nach den Worten, die der Verfasser der Clementinischen Recognitionen (etwa 160-170) 3) Petrus in den Mund legt, einen Begriff machen: "Nach Mitternacht erwache ich von selbst, und der Schlaf kehrt nicht wieder. Das kommt aus meiner Gewohnheit, meinem Gedächtnis die Worte des Herrn zu wiederholen, die ich von ihm selbst gehört habe, damit ich sie treu behalten kann." (Recogn. II, 1). Es ist bekannt, daß der enorme rabbinische Ballast erst schriftlich niedergelegt wurde, nachdem er lange Jahrhunderte hindurch mündlich überliefert worden war. Die Litteratur des Rig-Veda in Indien hat sich nach Max Müller mit seinen 1028 Liedern und 16 448 Versen ohne Mithülfe der Schrift Jahrhunderte hindurch erhalten. 4)
    Das Problem, welches uns beschäftigt, hat es weniger mit den Aposteln selbst zu thun, als mit den von ihnen unterwiesenen Evangelisten, deren Aufgabe es war, als berufene Verkündiger der Geschichte und der Lehre Jesu die

    1) Vergl. die schönen Worte bei  H.  H o l tz m a n n  (H a n d = C o m m.,  I, 1, 3. Aufl., S. 22).
    2)  R e n a n,  L e s  E v a n g i l e s,  S. VI und 5-6.
    3) Dies war die bisher allgemein angenommene Zeitangabe. Neuere Arbeiten scheinen festzustellen, daß die Abfassung der  C l e m e n t i n e n  (H o m i l i e n  und  R e c o g n i t i o n e n)  nicht über das 3. oder selbst den Anfang des 4. Jahrhunderts hinaufreicht. Siehe  H a r n a ck,  C h r o n o l o g i e  d e r  a l t ch r i st l.  L i t t e r a t u r,  1904, II, S. 518-540.
    4)  R e n a n  sagt (L e s  E v a n g i l e s,  S. 94): "Die Vedas sind durch Jahrhunderte gegangen ohne geschrieben zu werden. Ein Teil der jüdischen Thora muß mündlich gewesen sein, ehe er aufgeschrieben wurde. Der Talmud hat ungeschrieben fast zweihundert Jahre bestanden." Über die in den jüdischen Schulen gebräuchliche Lehrmethode siehe  S ch ü r e r,  G e s ch.  d e s  j ü d.  V o l k e s,  3. Aufl., II, S. 323-325.


413

Gemeinden zu durchwandern; es kam darauf an, ihnen den Wortlaut der apostolischen Tradition, vor allem hinsichtlich der Worte des Herrn, so genau wie möglich einzuprägen. 1) Bei der Wiedergabe der geschichtlichen Scenen war größere Freiheit zulässig.
[Top]

II. Ein entscheidender Augenblick war es, als die anfänglich aramäische Tradition in eine fremde Form - die der griechischen Sprache - gegossen werden mußte, aus der sie festgefügt und gleichsam kristallisiert hervorging, so wie sie in unsern Synoptikern erscheint und mit ihnen den Weltkreis durchlaufen sollte. Die Apostelgeschichte erzählt uns (Kap. 6), daß die Witwen der griechisch redenden Juden zu Jerusalem, der Hellenisten ( 9Ellhnistai/), sich darüber beklagten, daß sie bei der täglichen Brotverteilung hinter denen der hebräisch redenden (der  9Ebrai=oi) zurückgesetzt würden, und daß die Gemeinde, um diese Klagen zu stillen, die sieben sogenannten Diakonen erwählte, welche nach ihrem Namen alle oder fast alle Hellenisten waren. Angenommen, die aramäische apostolische Tradition wäre lange Zeit das einzige Mittel für die geistliche Speisung der Gemeinde gewesen, wieviel ernster und besser begründet hätten nicht die Klagen der gläubigen Hellenisten sein müssen! 2) Es mußte also bald zur Übersetzung der apostolischen Tradition ins Griechische geschritten werden. Hier lassen sich die so richtigen Bemerkungen  W e i z s ä ck e r s  über die Bildung der ältesten evangelischen Erzählung in noch höherem Maße anwenden. Die fragliche Arbeit konnte keine rein individuelle Sache sein; die Zukunft der Kirche war zu ernstlich dabei beteiligt. Eine befugte Hand mußte die Leitung übernehmen, ein Einverständnis über die Wiedergabe der semitischen Ausdrücke sich bilden. Hat nicht hier Matthäus wieder den vorwiegenden Einfluß geübt? Als ehemaligem Zöllner war ihm das Griechische so vertraut wie das Aramäische. So ist es nicht zu verwundern, daß  W e tz e l 3), wenn er von der Idee eines den Evangelisten zur Vorbereitung auf ihren Beruf zu Jerusalem erteilten Unterricht ausgeht, diesen Apostel als Inhaber des Lehrstuhls erwählt hat, unter dem die Hörer - unsre drei Synoptiker inbegriffen - ihre Vorträge, die die Grundlage unsrer evangelischen Schriften wurden, aufschrieben. Die Form ist sicher sehr modern; die Hypothese der mündlichen Überlieferung wird hier, man kann fast sagen zum Zerrbild. Die Wahl aber, die Wetzel auf Matthäus lenkt, ist nicht ganz willkürlich.
    Wenn es wahr ist, daß die Übertragung der aramäischen Tradition ins Griechische einer gewissen Aufsicht unterlag, wie dies kaum zu bezweifeln ist, so erklärt sich daraus eine Thatsache, die vielfach für die gegenseitige Benutzung unsrer Synoptiker angeführt wird, nämlich der gemeinsame Gebrauch gewisser wenig üblicher griechischer Ausdrücke bei der Wiedergabe hebräischer Worte, die Jesus anwendete. So in der Versuchungsgeschichte pteru/gion, das unsre

1)  V e i t  hat in interessanter Weise den Gedanken ausgeführt  (D i e  s y n o p t.  P a r a l l e l e n,  S. 88-104), daß eine sichere Erhaltung der Worte des Meisters nur durch die rabbinische Methode der öfteren  W i e d e r h o l u n g  erzielt werden konnte (deute/rwsij, hebr.  m i s c h n a = Lehre). Er wendet dies nicht nur auf die Unterweisung der Evangelisten durch die Apostel an, die sie aussandten, sondern auf die Lehrweise Jesu selbst, der in den Unterredungen mit den Jüngern die Methode des Wiederholens angewendet hätte, um sie seine Worte auswendig lernen zu lassen und so deren Erhaltung zu sichern. - Ohne leugnen zu wollen, daß Jesus bisweilen dieselben Lehren mehrmals wiederholt habe, können wir uns doch die Apostel nicht vorstellen, wie sie unter seiner Leitung derartige Memorierübungen getrieben hätten. Jesus hat jedenfalls seinem Worte das Vermögen zugetraut, sich selbst ihrem Geiste einzuprägen.
    2) Es ist aber viel zu weit gegangen, wenn aus der Rolle, die die Hellenisten in der Apostelgeschichte spielen, geschlossen wird, daß die Apostel selbst auf griechisch gelehrt hätten (C.  V e i t,  a. a. O., S. 74), und daß die evangelische Tradition von Anfang an eine griechische Form erhalten habe  (W e tz e l,  D i e  s y n o p t.  E v a n g.,  S. 143).
    3) Siehe hierüber S. 355 und die Schrift von  W e tz e l,  S. 143 ff.


414

Übersetzungen mit  Z i n n e n  wiedergeben, und das hier wohl dem hebräischen  k a n a p h,  Flügel, entspricht (wie öfter in den LXX; der Ausdruck findet sich auch bei Josephus), - im Vaterunser e)piou/sioj, das mit  t ä g l i ch  übersetzt wird, und das nach manchen dem Ausdruck  l e c h e m  m a c h a r  "das Brot für den morgenden Tag" entspricht (von e)piou=sa = der kommende Tag), oder wohl eher  l e c h e m  c h u k k i,  Sprüchw. 30, 8 "das Brot  m e i n e s  A n t e i l s"  (von e)pi&-ou)si/a, ausreichend für den Bedarf).
[Top]

III. Wie lange dauerte diese Periode rein mündlichen Zeugnisses? Wir wissen es nicht; aber sicher ist, daß sie von der der Abfassung unsrer Evangelien durch einen Übergang geschieden worden ist. Der Prolog des Lukas bürgt dafür, in dem er von zahlreichen Schriften vor der seinigen redet; von den meisten derselben ist zur Stunde sicher keine Spur erhalten. Diese Schriften der polloi/, die bereits das Ganze der evangelischen Geschichte umfaßten 1), waren, wie man vermutet hat, durch den Vorgang weniger umfangreicher vorbereitet, die noch nicht darauf Anspruch machten, vollständige und logisch geordnete Erzählungen zu sein. 2) Zunächst beschränkte man sich darauf, einen Vorfall oder eine Rede niederzuschreiben. Dies that ein Evangelist, dessen Predigt diese Urkunde als Anhalt dienen sollte, oder ein Hörer, der den Wunsch hatte, die Scene oder die Rede, die er vernommen hatte, in ihrer Reinheit und Frische zu erhalten. Diese Erzählungen, die der apostolischen Tradition entlehnt waren, dem Schatz, aus dem jeder schöpfte, wie  R e n a n  sagt, mußten, wie diese, in griechischer oder aramäischer Sprache geschrieben sein. Gewisse Reihen von Scenen, die ein inneres oder ein chronologisches Band an einander knüpfte, konnten dabei vereinigt werden; so die Sabbatscenen (Mt. 12, 1-8. 9-14; Mk. 2, 23-28. 3, 1-6; Lk. 6, 1-5. 6-11), die Unterredungen mit denen, die Jesu nachfolgen wollten (Mt. 8, 19-22; Lk. 9, 57-62), - die drei Erzählungen von der Beratung des Sanhedrin, der Salbung der Maria und dem Verrat des Judas (Mt. 26, 3-14; Mk. 14, 1-11), deren innerer Zusammenhang auf der Hand liegt, - oder chronologische Reihen wie die folgenden: die Wirksamkeit Johannes des Täufers, die Taufe Jesu, die Versuchung und Rückkehr nach Galiläa (Mt. 3, 1-4, 17.  Mk. 1, 1-15. Lk. 3, 2-4, 15), - der Besessene von Kapernaum, die Heilung der Schwiegermutter Petri, die Heilungen am Abend desselben Sabbats, das Entweichen Jesu am folgenden Morgen (Mk. 1, 21-39.  Lk. 4, 31-44), - der Tag der Gleichnisse, der Seesturm, der Besessene von Gadara, die Erweckung der Tochter des Jairus (Mk. 4, 1-5, 43.  Lk. 8, 4-56), - die Reden über die Waschungen, das kananäische Weib, die zweite Speisung, die Forderung eines Zeichens, der Sauerteig der Pharisäer; eine ganze Gruppe, die bei Lukas völlig fehlt, - dann der Cyclus am Ende des Aufenthalts in Galiläa: Caesarea Philippi, die Leidensverkündigung, die Verklärung, der Mondsüchtige, nochmalige Leidensverkündigung, der Streit der Jünger, das Vorbild des Kindessinns, der fremde Jünger, das Ärgernis (Mt. 16, 13-18, 9.  Mk. 8, 27-9, 50.  Lk. 9, 18-50).
    Wir haben gesehen, daß  R e n a n  es sich so vorstellte, als sei das Wirken des Herrn gewöhnlich in einer einzigen Zusammenkunft erzählt worden. Das wäre dann nur in sehr gedrängter Kürze möglich gewesen. Ich würde eher denken, daß eine dieser Gruppen, dieser "corpuscula historiae", wie sie  L a ch m a n n  nannte, den Gegenstand einer Zusammenkunft bildete. Dann wird es leichter verständlich, wie eine dieser Gruppen als Ganzes einem Evan=

    1) Das geht aus den Ausdrücken des Lukas (V. 1) hervor: dih/ghsin peri& tw=n peplhroforhme/nwn e)n h(mi=n pragma/twn.
    2) Siehe S. 394 und 399.


415

gelisten entgehen konnte. Wir hätten da die Erklärung der großen Lücke bei Lukas 1), über die die Anhänger der Abhängigkeitstheorie keinerlei Auskunft geben konnten.
    Wenn wirklich derartige kleine Schriften, sei es auf aramäisch, sei es auf griechisch, vorhanden waren, wie sollte man nicht frühe gesucht haben, sie so vollständig wie möglich zu vereinigen, um unter Hinzufügung des Berichtes über die Reise nach Jerusalem und über die letzte Woche in der Hauptstadt zu den galiläischen Wirken ein Ganzes zu schaffen? So entstanden die Werke der polloi/, die Lukas als Vorläufer des seinigen nennt. Der Ausdruck, a)nata/casqai dih/ghsin, eine Erzählung verfassen, kann eine Anordnung von Thatsachen bedeuten, um daraus einen folgerichtigen Bericht zu bilden; noch natürlicher bezeichnet er eine Anordnung von Materialien, um ein Werk herzustellen. Diese Schriften waren die vorbereitende Stufe für die mehr organischen, mehr einheitlichen, aus einem Guß geschaffenen Arbeiten, die wir in unsern Evangelien haben. 2)
    In dem bisher gesagten besitzen wir die erforderlichen Grundlagen, um uns von ihrer Abfassung Rechenschaft zu geben.
[Top]

IV. Wie an verschiedenen Stellen der Erdoberfläche, und in manchen Gegenden mehr als anderswo der granitne Unterbau zu Tage tritt, auf dem die späteren Formationen ruhen, so wird in unsern synoptischen Evangelien mehr oder weniger, in manchen Abschnitten mehr als in andern, der gemeinsame Boden der jerusalemischen apostolischen Erzählung sichtbar, der allen einzelnen Berichten, die sich später daran anschlossen, als Grundlage dient.
    Ganz sicher - hierin herrscht nahezu Einmütigkeit - findet sich diese Tradition in der am meisten entsprechenden Form in der Erzählung des zweiten Evangeliums. Markus hatte sie von seiner Jugendzeit an, die er in Jerusalem verlebte, gleichsam an der Quelle eingesogen. Später, als er Petrus auf seinen Missionsreisen begleitete, hatte er sie von ihm wieder und wieder vernommen 3), und zwar so, daß der Apostel sie je und je durch irgend einen frappanten Zug bereicherte, den ihm seine persönliche Erinnerung im Augenblick eingab; so der Blick voll Liebe, mit dem Jesus den reichen Jüngling ansah, das Kissen, auf dem er im Schiffe ruhte, die von den Aposteln bei ihrer ersten Aussendung geübte Salbung mit Öl usw., ebensoviele kleine Züge, die in den beiden andern Synoptikern fehlen, und durch die Petrus in freier Weise seine Erzählung in organischer Verschmelzung mit der Tradition ausschmückte, zu deren Haupturhebern er gehörte. Die Geburts= und Kindheitsgeschichte hatte in der ältesten Tradition keinen Platz erhalten, sie trat erst später und für solche hervor, in deren Augen die messianische Würde Jesu bereits eine feststehende Thatsache war. Daher findet sie sich auch nicht bei Markus.
    Als er für die Römer sein Evangelium schrieb, hatte Markus keineswegs die Absicht, ihnen ein vollständiges Bild der Geschichte Jesu und eine systematische Darstellung seiner Lehre vorzuführen; es kam ihm ausschließlich darauf an, ihnen die Idee und den Eindruck seiner göttlichen Macht und Weisheit zu vermitteln, und ihnen zu dem Ende eine Anzahl von Zügen vorzulegen, an denen die Augenzeugen seines Lebens den "Sohn Gottes" in ihm erkannt hatten (1, 1); er entnahm diese Züge der Tradition, die er in Jerusalem und aus dem Munde des Petrus so oft vernommen hatte. Diesem Ursprung

    1) Die Gruppe Mt. 14, 22-16, 12 und Mk. 6, 45-8, 26.
    2) In dem eben angegebenen Sinne soll präcisiert werden, was wir S. 293 und in unserm  C o m m.  ü b e r  d a s  E v a n g.  d e s  L u k a s,  2. Aufl. (deutsch) S. 46 gesagt haben.
    3) "Wenn je eine Darstellung den Eindruck erweckt, auf die Erzählung eines Augenzeugen zurückzugehen, so ist es die des Markus", sagt  W e r n l e  (S y n o p t.  F r a g e,  S. 205).


416

entspricht auch der Stil des Markus. Es ist griechisch, wie es ein Hebräer schreibt, der diese Sprache nicht in ihrer klassischen Form kennt, sondern sie im täglichen Gebrauch so wie man sie in Palästina redete, gelernt hat, - etwa so wie die Verfasser der LXX sie sich in Alexandrien angeeignet hatten. Demgemäß handhabt er sie nicht ohne eine gewisse Ungeschicklichkeit, und man findet aus seiner Feder vielfach unwillkürliche Hebraismen, wie es bei einem Juden zu erwarten war, der unter diesen Umständen eine Geschichte aus jüdischer Umgebung und in jüdischer Sprache gehaltene Reden erzählt.
    Der Verfasser des ersten Evangeliums ist gleich Markus Hebräer von Geburt, aber im Besitz einer höheren Bildung; er handhabt die griechische Sprache mit größerer Leichtigkeit, Gewandtheit und Sicherheit. Was den Inhalt anlangt, so schöpft er zum Teil aus derselben Quelle, der aramäischen oder griechischen jerusalemischen Tradition; man erkennt sie in einer ganzen Reihe von Stellen, die denen im Markus parallel sind. Allein seine Wiedergabe der Tradition ist zu frei in der Form und oft zu sehr von der des Markus abweichend, als daß eine der beiden Schriften von der andern abhängig sein könnte. Auch zeigt sie sich hier eigenthümlich bedingt. Zunächst ist die ganze Schrift, anstatt wie die des Markus einfach historisch zu sein, dem Nachweis einer These gewidmet, nämlich der der Messiaswürde Jesu trotz seiner Verwerfung durch Israel. Der Verfasser hält sich also viel weniger an die Beschreibung der Begebenheiten als an ihre Bedeutung. Er kürzt die Erzählungen ab, um desto mehr Nachdruck auf das Wort Jesu zu legen, das ihre Tragweite kennzeichnet. Anstatt die Thatsachen in ihrer chronologischen Reihenfolge zu erzählen, ordnet er sie nach Gruppen, deren jede er in das Licht eines prophetischen Wortes stellt, welches ihr den messianischen Charakter aufprägt. Endlich schaltet er an verschiedenen Stellen seiner Erzählung abschnittweise ein vollständiges älteres Werk des Apostels Matthäus ein, das nicht einem historischen, sondern einem didaktischen Zwecke diente und in dem der Apostel die Hauptlehren Jesu nach bestimmten Gesichtspunkten gesammelt hatte, nach  W e i z s ä ck e r s  Ansicht so, wie sie ihm am meisten geeignet erschienen, dem Leben der Kirche und dem Wandel ihrer Glieder das Gepräge aufzudrücken, das dem Willen Christi entsprach. Zu diesem Zweck führte das Werk den Gläubigen das von Jesu gezeichnete Ideal der Gerechtigkeit vor Augen (Mt. 5-7), sodann die Aufgabe, die er den Aposteln und der Kirche Israel gegenüber bis zu der Zeit gestellt hatte, wo die von ihm angekündigte Katastrophe der Existenz des Volkes ein Ende machen würde (Kap. 10); ferner den neuen Zustand des geistlichen Lebens oder das Himmelreich, das eben erschien, um die alte dem Untergange verfallene Ordnung der Dinge zu ersetzen (die Gleichnisse des 13. Kap.), sowie die innere Zuchtübung der Kirche an ihren Gliedern (Kap. 18), endlich die herrliche Erwartung zur Stärkung in den Kämpfen, Verfolgungen und Verführungen bis zum Ende der gegenwärtigen Weltordnung und bis zum schließlichen Siege, den die Wiederkunft ihres Hauptes in Herrlichkeit herbeiführen wird (Kap. 24).
    Diese von Matthäus aramäisch verfaßte Schrift wurde von dem Verfasser unsers ersten Evangeliums selbst ins Griechische übersetzt, wie dies die in dem ganzen Werke herrschende Einheit beweist. Bei der Übersetzung der A. Tl. Citate in der Redensammlung des Matthäus benutzte er gewöhnlich die LXX, während er bei den prophetischen Worten, die er selbst zur Begründung seines messianischen Nachweises anführt, häufiger auf den hebräischen Text zurückging. Unter diesen Verhältnissen mußte die ursprüngliche jerusalemische Erzählung viel weniger reichlich hervortreten, als im zweiten Evangelium, das ganz auf ihr ruhte.
    Das dritte Evangelium ist unter noch eigenartigeren Umständen entstanden. Es steht besonders zu dem zweiten in einem völligen Gegensatz. Lukas konnte


417

nicht wohl früher mit der Urtradition in direkte Berührung kommen, als bei seiner Ankunft in Palästina mit Paulus im Jahre 58. Demgemäß bemerkt man den Einfluß dieser Tradition nur in einer kleinen Anzahl von Stellen seiner Schrift, die den andern beiden parallel sind. Damals waren die "Diegesen", von denen er redet (1, 1), bereits in Umlauf und hatten die mündliche Überlieferung, die übrigens in gewissem Grade ihre scharfen Kanten, wie Renan sagt, schon eingebüßt hatte, zum Teil verdrängt. Sie konnte also für Lukas nicht mehr das sein, was sie für Markus gewesen war, als sie noch ihre ganze Frische besaß. Mit dem Inhalt dieser Urkunden, denen er gern, soweit es möglich war, ihren antiken Duft ließ, verband er die Nachrichten, die ihm einige Augenzeugen noch zu bieten vermochten. Auf diese Weise erklären sich die zahlreichen Hebraismen und Aramaismen in allen Teilen eines Werks, das doch von einem Verfasser herrührt, der vorzüglich griechisch schrieb; denn wir besitzen von ihm manche Abschnitte, die aus der Feder eines klassischen Autors sein könnten. 1)
    Das auffallendste bei diesem Contrast, der dem Stil des Lukas eignet, ist, daß, wie wir gesehen haben 2), die Hebraismen und Aramaismen darin den parallelen Stücken der beiden hebräischen Verfasser, Matthäus und Markus, meist völlig fremd sind. Wie ist diese seltsame Thatsache zu erklären? Entweder hat Lukas, der gebildete Grieche, die Manier und den Stil der hebräischen Urkunden für die griechischen Leser nachgeahmt, - während Matthäus bemüht ist, für hebräische Leser in gutem Griechisch zu schreiben. Ist das glaubhaft? Oder aber ist es Lukas gelungen, wie  S ch l e i e r m a ch e r  dies geahnt hat, aramäische Urkunden oder Nachrichten zu erlangen, die er übersetzte oder bearbeitete, freilich mit einer gewissen Freiheit der Wiedergabe, denn die Einheit des Stils in seiner Schrift ist unbestreitbar. Aber als guter Geschäftsmann hat er darauf gehalten, seiner Ware das Fabrikzeichen zu lassen, der Erzählung ihre semitische Färbung. Daher gleichzeitig die Ähnlichkeit und die Verschiedenheit seiner Berichte und derer des Markus. Eine gemeinsame Grundlage ist bei beiden unverkennbar, aber Markus giebt sie nach seinen Jugenderinnerungen und den mündlichen Erzählungen des Petrus frei wieder - bei ihm erscheint der apostolische Bericht durchweg in seinen scharfen Umrissen - während die Berichte des Lukas, litterarisch unabhängig von Markus, bereits eine Bearbeitung erfahren haben, die übrigens ihre Treue nicht berührt hat.
    Dasselbe ergiebt sich aus dem Vergleich zwischen Lukas und Matthäus. Die Art und Weise, wie Lukas den Worten des Herrn die richtige Stelle anweist, mag immerhin von der gegenwärtigen Kritik verkannt werden, sie zeugt unablässig durch ihre innere Vortrefflichkeit für sich selbst und wird zuletzt aus der ihr zu Teil gewordenen willkürlichen Behandlung sieghaft hervorgehen. Wir glauben in dieser Hinsicht unsere Beweise geliefert zu haben. 3)
    Die jerusalemische mündliche Tradition in einfacher und treuer Wiedergabe mit einigen persönlichen Zusätzen des Petrus im zweiten Evangelium vollständig aufgezeichnet, im ersten zum messianischen Nachweis umgestaltet und durch die Einschaltung der Redensammlung des Matthäus vermehrt, im dritten endlich aus ver=

    1) Es gehört eine besondere Neigung, Punkte, die als endgültig erledigt gelten konnten, wieder in Frage zu stellen, dazu, um den semitischen Charakter des Stils im Prolog des Lukas zu behaupten, wie dies G. L.  H a h n  (D a s  E v a n g.  d e s  L u k a s,  1892, S. 6 und 34) gethan hat. Jedem Primaner wird bei dem Übergange vom 4. zum 5. Verse der völlige Contrast zwischen dem Griechisch hier und dort auffallen.
    2) Siehe S. 291 ff.
    3) Siehe meinen Commentar über das Evang. des Lukas, 2. (deutsche) Aufl., 1890.


418

schiedenen besonderen Urkunden, in die sie schon übergegangen war, gesammelt, vervollständigt und berichtigt durch Nachrichten, die Lukas selbst an Ort und Stelle erhalten hatte; das ist in unsern Augen kurz gesagt der Ursprung unsrer drei Synoptiker und die natürlichste Erklärung ihres Verhältnisses, insbesondere ihrer Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten. Um diese Erklärung zum zwingenden Beweise zu führen, würde eine neue Arbeit erforderlich sein; die genaue Prüfung aller Abschnitte in diesen drei Schriften und ihrer Parallelen. Vielleicht unternimmt ein junger Theologe diese Arbeit.
    Wir können auf drei Ergebnisse hinweisen, zu denen wir auf drei verschiedenen Wegen geführt wurden: die gegenseitige Unabhängigkeit der drei synoptischen Schriften, die annähernde Gleichzeitigkeit ihrer Abfassung und den Abstand der Orte ihrer Entstehung (Markus in Rom gegen 64, Matthäus gegen 66 im Orient, Lukas etwa zu derselben Zeit in Syrien). Diese Ergebnisse, wenn sie richtig sind, stimmen überein. Die Unabhängigkeit der drei Berichte insbesondere läßt sich völlig mit den beiden andern Resultaten vereinigen und erhält durch sie ihre Bestätigung.
[Top]

V. E i n w ä n d e.
    1. Der stärkste Einwand gegen die Erklärung des Verhältnisses unsrer Synoptiker durch die mündliche Überlieferung ist von  W e tz e l  gut entwickelt worden. 1)  Die Glieder der Gemeinde bedurften von Anfang an zur Nahrung die mündlichen Berichte von den Thaten und Lehren Jesu; das entspricht den Umständen bei der Ersatzwahl für Judas (Ap. Gesch. 1, 21-22), dem Auftrage Jesu (Mt. 28, 20) und seiner Verheißung (Joh. 14, 26). Die Zahl derer, die eine vollständige Kenntnis seiner Wirksamkeit besaßen, war gering (Ap. Gesch. 1, 23), und die Gläubigen mußten das Bedürfnis empfinden, hierin etwas Besseres als bruchstückartige Kenntnisse zu haben. Man versteht also im Hinblick auf sie die Entstehung einer Form der Erzählung, die den ganzen Gegenstand umfaßte. Aber gerade da erhebt sich die Schwierigkeit. Die mündliche Überlieferung hat im allgemeinen die Verschiedenartigkeit zur Folge; hier sollte sie zur Einförmigkeit geführt haben. Daß ein und derselbe Berichterstatter, der dieselbe Sache oft erzählt, bald zu einer gewissermaßen stereotypen Form kommt, ist begreiflich. Aber wie soll man sich wörtliche Übereinstimmung bei mehreren Erzählern, die Zeugen der evangelischen Geschichte waren, vorstellen?  Die Schwierigkeit liegt nicht darin, wie die einmal entstandene feste Form sich  e r h a l t e n  habe; die Beispiele von der Zähigkeit des orientalischen Gedächtnisses, der wir oben gedacht haben, beweisen es zur Genüge. Die Schwierigkeit liegt vielmehr in der Erklärung der Art ihrer  E n t st e h u n g.
    Wir haben gesehen (S. 355), wie  W e tz e l  selbst sie zu lösen gesucht hat. Eine so mechanische Art können wir nicht annehmen. Zugeben muß man, daß diese Entstehung der Tradition wie jede andre Geburt in Dunkel gehüllt ist. Allein die Bemerkungen, die wir oben über die vorwiegende Rolle von zwei oder drei hervorragenden Persönlichkeiten, wie Petrus oder Matthäus, bei der Bildung der Urtradition gemacht haben, die ganz besondere Sorgfalt, die bei der Erhaltung der Worte des Herrn walten mußte, die häufige Wiederholung derselben Berichte durch dieselben dazu berechtigten Personen, schienen uns die Schwierigkeit in hohem Maße zu lösen. Jedenfalls erklärt keine andre Hypothese so natürlich wie die unsrige die bei den Synoptikern stets wiederkehrende Erscheinung von ganzen mehr oder weniger identischen Abschnitten, welche jedoch immer wieder von abweichenden Ausdrücken, ja von ganz verschiedenen Textstücken

    1)  D i e  s y n o p t.  E v a n g e l i e n,  S. 9 ff.


419

unterbrochen werden. Besonders ein Zug erklärt sich auf diese Weise leichter als auf jede andre 1), nämlich der häufige Contrast zwischen der völligen Übereinstimmung der  R e d e n  in den drei Texten und den zahlreichen Unterschieden in der Erzählung der  T h a t s a c h e n.  Oft treffen die drei Texte da, wo der Bericht zu einem charakteristischen Ausspruch des Herrn kommt, der den Mittelpunkt der Erzählung bildet, wörtlich zusammen, während vorher und nachher die Abweichung mehr oder weniger erheblich ist. Es ist durchaus begreiflich, daß die Worte in der mündlichen Überlieferung mit größerer Strenge festgehalten wurden, während jeder sich die Freiheit nahm, die historischen Einzelheiten einigermaßen nach seiner Art zu erzählen, und es ist ganz natürlich, daß diese Verschiedenheit bei der synoptischen Redaktion zum Ausdruck kommt. Dies alles würde weit schwieriger zu erklären sein, wenn einer der Evangelisten den Text des andern vor Augen gehabt, oder wenn sie gemeinsame schriftliche Quellen benutzt hätten; in diesen Fällen müßte die Übereinstimmung überall fast dieselbe sein.
    Welchen Grund, fragt  V e i t  (S. 117), hätten wohl alle diese kleinen unbedeutenden Änderungen in der Erzählung der Thatsachen? Man kann sie nicht allgemein durch den Besitz genauerer Nachrichten erklären, und die Hypothese gegenseitiger Benutzung muß meist auf ihre Erklärung verzichten. Vom Standpunkt der mündlichen Überlieferung erklären sich diese Verschiedenheiten ganz natürlich.
    H o l tz m a n n  giebt zwar zu, daß die Hypothese der mündlichen Tradition dem Geiste des Altertums entspricht 2), behauptet aber, daß die Unterschiede unsrer Texte mehr den Charakter von Umgestaltungen einer Grundschrift tragen, als den unabsichtlicher Änderungen einer überlieferten Erzählung. 3) Uns scheint gerade das Gegenteil das Richtige zu treffen. 4) Das hat  V e i t  mit Scharfsinn nachgewiesen. Er fragt mit Recht: "Was ist doch mit jenem "lebendigen Geist der schöpferischen Epoche" 5) unvereinbarer, als das unaussprechlich kleinliche Abhängigkeitsverhältnis, welches den Synoptikern in der Benutzung ihrer schriftlichen Vorlagen von denselben Kritikern nachgesagt wird! Dieses mühselig=willkürliche Einhalten einer gebundenen Marschroute, so lange der gute Wille dafür ausreicht; dieses Ausspähen nach Gelegenheiten zu Verbesserungen, die doch so oft verunglücken; diese wunderliche Vorliebe, in unbedeutende Nebenzüge, in denen Niemand etwas vermutet, etwas besonderes hineinzugeheimnissen; diese unverständliche Gewissenhaftigkeit, welche hier zwei Erzählungen zusammengearbeitet, dort aus einem Spruch, einem Gleichnis, einer Erzählung etwas Neues herausgearbeitet und dafür immer Anknüpfungen gesucht haben soll, obwohl man nicht weiß, weshalb solche Anknüpfungen nötig gewesen; dieses ganz prinziplose Sichabquälen mit dem Text eines Vorgängers, wobei doch einer den andern schließlich nur diskreditiert, statt Bestätigung zu bieten oder zu empfangen: es mag ja sein, daß man die synoptischen Erscheinungen auf einem anderen Wege nicht glaubt erklären zu können; aber daß dieses Verfahren dem lebendigen Geist einer wirklich schöpferischen Epoche entspreche, der Frische und Unmittelbarkeit einer Zeit, welche die großen Gedanken des Christentums aus sich heraus geboren haben soll: das wird uns Niemand einreden." 6)

    1) Wie  V e i t  treffend gezeigt hat (a. a. O. S. 116 ff.).
    2)  S y n o p t.  E v a n g e l i e n,  S. 50.  H a n d = C o m m.,  I, 1, S. 21.
    3)  S y n o p t.  E v a n g e l i e n,  S. 50-51.
    4) So wird in dem Beispiel, das er selbst anführt (Mt. 12, 27. 28.  Luk. 11, 19. 20), der Unterschied (der  G e i st  Gottes bei Mt., der  F i n g e r  Gottes bei Lk.) durch den unwillkürlichen Einfluß der Tradition leichter verständlich als durch die absichtliche Überlegung des einen der beiden Evangelisten.
    5) Ausdrücke  H o l tz m a n n s  (E i n l.,  3. Aufl., S. 351).
    6)  S y n o p t.  P a r a l l e l e n,  S. 94.


420

    Holtzmann bleibt dabei, daß die wörtlichen Übereinstimmungen von der Tradition nicht erklärt werden können. Allein es handelt sich, wie Veit bemerkt hat, vielfach um seltene oder auffallende Ausdrücke, die sich schon durch ihre Natur dem Gedächtnis leicht einprägen, dann wieder um geläufige Ausdrücke, bei denen das Zusammentreffen nichts Überraschendes hat; und fast immer trifft man selbst in den am meisten übereinstimmenden Sätzen (z. B. in identischen Citaten) kleine Unterschiede, die durch Unsicherheit des Gedächtnisses leicht erklärlich, aber bei der Annahme der Benutzung einer geschriebenen Urkunde unerklärlich sind. 1)
    Endlich wendet Holtzmann ein, daß die aramäische Sprache der ursprünglichen Erzählung die Gleichförmigkeit unsrer griechischen Erzählungen nicht erklären könne; man wird sich niemals vorstellen können, sagt er, wie diese stereotype griechische Form aus der aramäischen hervorgehen konnte. - Wir verweisen den Leser auf unsre früheren Bemerkungen über diesen Punkt. 2)
    Übrigens findet sich bei Holtzmann ein charakteristischer Passus gegen die Annahme der Benutzung des einen Evangeliums durch den Verfasser eines andern, der sich auf sein früheres System, noch mehr aber auf seine gegenwärtige Theorie anwenden läßt, nach der er die Benutzung nicht allein des Markus, sondern auch des Matthäus durch Lukas annimmt; er sagt: "So hat sich die Benutzungshypothese nach keiner der an sich offenstehenden Richtungen als gangbar erwiesen. Bei jeder Combination stellen sich Schwierigkeiten heraus, die nicht in der Rechnung aufgehen wollen. Wäre dies aber auch nicht der Fall, so unterliegt die genaueste Hypothese noch an sich selbst bedeutenden Bedenken. Man erwäge die wenig schreibende Zeit, die den christlichen Schriftstellern ungünstigen Verhältnisse, die Kargheit im Schreiben, die auch bei jedem unserer Evangelisten bemerklich ist, und man wird es befremdlich finden, wie solche Schriftsteller sich zur Ausarbeitung eines neuen Buches entschließen mochten, wenn dies doch in seiner Hauptmasse nur eine Überarbeitung schon vorhandener Schriften war, und es viel näher gelegen hätte, den Vorgänger mit Supplementen zu versehen, anstatt ihn ab= und auszuschreiben. - Und  w i e  wäre dies Ab= und Ausschreiben beschaffen gewesen! Woher dann die Differenzen im Einzelnen und in der Stellung und Reihenfolge ganzer Erzählungen? Warum ersetzt der Nachfolger deutlichere Erzählungen seines Vorgängers mit ungenaueren? Warum schreibt er bald wörtlich ab, um alsbald unmotiviert wieder abzuweichen? Woher besonders die Auslassungen? . . . So entspricht sowohl die Art, wie die Bearbeitung des Einen durch den Andern vor sich gegangen sein müßte, wenig dem schriftstellerischen Charakter unserer

    1) Vergl. die zahlreichen im 3. Kapitel der  V e i t ' schen Schrift angeführten Beispiele (insbesondere S. 120 ff.): er sagt zum Schluß (S. 129): "Bleibt nun aber als letzter Erklärungsgrund für die synoptischen Varianten überhaupt den Anhängern der Kombinationshypothese fast immer nur übrig die Willkür des jeweiligen Nachfolgers in der Wahl, ob er seinen Vorgänger habe wörtlich abschreiben, oder ob er ihn habe abändern, kürzen, ergänzen wollen: so sehen wir nicht ein, mit welchem Recht diese Ansicht sich soll wissenschaftlicher nennen dürfen, als die Herleitung dieser Erscheinung aus der allerdings unberechenbaren Wandelbarkeit der mündlichen Überlieferung, welche aber ihrer Natur zufolge, und deshalb ebenso unwillkürlich als unvermeidlich, mit dieser Wandelbarkeit und Unberechenbarkeit behaftet ist." Dies gilt gegen das  H o l tz m a n n ' sche Wort (Einl. S. 351): "Die Traditionshypothese sei das eigentliche  a s y l u m  i g n o r a n t i a e  der Apologetik". "Aber, sagt  V e i t  sehr richtig (S. 120), das Ignoramus ist auf diesem Punkt so oft auch die letzte Zuflucht der Kombinationshypothese. Dabei hat es für sie noch eine ganz andere Bedeutung. Es ist das Bekenntniß ihrer Impotenz, während die Traditionshypothese sich grade auf die Erkenntniß der Thatsache gründet, daß eine ausreichende sachliche Erklärung aller jener Differenzen unmöglich ist, daß aber die Plan= und Regellosigkeit derselben einer Sachlage entspricht, wie sie aus dem Verlauf mündlicher Überlieferung resultiert und sich erwarten läßt."
    2) S. 413-414.


421

Autoren, als auch bleibt, man mag sie ordnen, wie man will, immer noch gar Manches übrig, was der spätere übergangen hätte, ohne daß man einen zureichenden Grund dafür auffinden könnte." 1)
    Wir könnten wirklich nichts Besseres gegen Holtzmann selbst sagen, sowohl vor als auch nach dem, was er seinen "Frontwechsel" nennt.
    2.  P a u l  E w a l d 2)  hat gegen eine jerusalemische Tradition als gemeinsame Quelle unsrer Synoptiker einen ernsten Einwand erhoben, den bereits  M e y e r  ausgesprochen hatte, nämlich die Unmöglichkeit, daß sich eine anerkannt apostolische Erzählung unter den Augen des Apostels Johannes ohne seine Mitwirkung und in einer von der seinen durchaus abweichenden Art formuliert haben könne; er tritt deshalb entschieden für die Beteiligung dieses Apostels an der Bildung der Tradition ein und sieht sich, wie wir schon gesagt haben, zu der Annahme veranlaßt, daß der synoptische Typus ein an besonderem Ort und unter besonderem Einfluß entstandener Seitenzweig des großen Stammes der Tradition sei. Papias nun belehre uns, von wem dieser Sondertypus der evangelischen Erzählung ausgegangen sei: von Markus, der gewöhnlich aus den Berichten des Petrus schöpfte, welche sich nach der diesem Apostel natürlichen Vorliebe besonders mit der Wirksamkeit in Galiläa beschäftigten. Daher der Charakter des 2. Evangeliums, das für die römische Gemeinde geschrieben war, und ebenso der des Matthäus= und Lukas=Evangeliums, die ebenfalls in Italien und unter dem Einfluß des Markus verfaßt wurden, das eine für die zahlreichen Judenchristen dieses Landes, das andre für ehemalige Heiden (unter Einschaltung des großen Stückes 9, 51- 18, 14 aus einer andern von den Logia ganz verschiedenen Urkunde in den Rahmen des Markus).
    So begründet die Schwierigkeit ist, die diese Hypothese veranlaßt hat, so unwahrscheinlich ist die vorgeschlagene Lösung. Sollte Petrus so sehr unter dem Eindruck seiner galiläischen Erinnerungen gestanden haben, daß er eine ebenso unvollständige wie einseitige Tradition schuf? Wie sollte der Typus der evangelischen Tradition, der auf die Gesamtkirche übergegangen ist, in Italien und unter ganz persönlichen und lokalen Einflüssen seinen Ursprung haben? Trägt nicht das 1. Evangelium die deutlichen Spuren seiner orientalischen Herkunft und seiner unmittelbaren Beziehung zur palästinensischen Tradition an sich? Kannte nicht Lukas, ehe er nach Rom kam, die Gemeinden Syriens,

    1)  S y n o p t.  E v a n g e l i e n,  S. 64. Über diese von Holtzmann so klar entwickelten Punkte, vergl.  V e i t,  S. 129 ff. Über die in Parallel=Erzählungen vorhandenen Detaildifferenzen sagt er sehr gut (S. 136): "Man kann den Text des einen nicht als nachträgliche, frei erfundene Verbesserung des andern auffassen, weil diese Erscheinung sich gleichmäßig über alle Drei erstreckt; bald müßte Matthäus, bald Markus, bald Lukas die beiden andern ergänzt, verbessert haben. Also ist diese Erscheinung eine Instanz für die Traditionshypothese, und zugleich eine namhafte Bürgschaft für die Treue, mit welcher die Tradition in der den Evangelisten selber gegenwärtigen oder sonst von ihnen vorgefundenen Fassung zur Niederschrift gekommen ist." - Siehe besonders S. 140-144 (über die Abendmahlsberichte) und 158 ff. (über die Verteilung des Berichtsstoffs unter die Evangelisten). Veit hebt die merkwürdige Thatsache hervor, daß es Matthäus, der Judenchrist, ist, der von der Verkündigung der Heilandsgeburt an die heidnische Welt ausgeht, die Weisen aus Morgenland das Christuskind aufsuchen und anbeten, den Judenkönig Herodes es verfolgen läßt, dieses Kind in das heidnische Ägypten rettet, - während Lukas, der Pauliner, in den Verheißungen an Maria, in ihrem Magnifikat, im Lobgesang des Zacharias die Hoffnung Israels feiert, die Gesetzeserfüllung der Beschneidung, des Reinigungsopfers, der Darstellung berichtet und in der Erzählung von dem Besuch des Zwölfjährigen dem Tempel eine so hohe Sanktion erteilt: "ist es nicht eine wahre Ironie des Schicksals, daß diese beiden Berichte nicht umgekehrt stehen, Matth. 1 und 2 bei Lukas, Luk. 1 und 2 bei Matthäus?" (S. 161). - Eine ähnliche Ironie könnte in den Auferstehungsberichten hervorgehoben werden (ibid.).
    2) Siehe hierüber S. 357-358.


422

Kleinasiens und Griechenlands, und konnte ihm die allgemeine Form der christlichen Tradition fremd sein?
    Aber die angegebene Schwierigkeit bleibt bestehen. Kann sie völlig gelöst werden? Vor allem ist der zurückhaltende Charakter des Johannes zu berücksichtigen, der sich im Evangelium wie in der Apostelgeschichte immer im Hintergrunde hält (siehe Ap. Gesch. 2, am Pfingstfeste, 3, im Tempel, 5, vor dem Sanhedrin, 8, in Samarien, 15, bei der Conferenz in Jerusalem). Überall spielt er eine fast verschwindende oder gar keine Rolle, obwohl ihn Paulus (Gal. 2) ebenso wie Petrus und Jakobus als "Säule" bezeichnet; er scheint es mehr durch seine Gegenwart als durch direktes Eingreifen gewesen zu sein. Allein es walteten dabei wohl noch entscheidendere Gründe ob. Die älteste apostolische Erzählung mußte notwendig einen elementaren Charakter annehmen. Johannes besaß andre Erinnerungen, mehr innerlicher Art, die wenig geeignet waren, in dem Unterricht für die ersten Gläubigen einen Platz zu finden, oder gar von den Evangelisten, deren Aufgabe es war, die Tradition in den Gemeinden zu verbreiten, mit Genauigkeit wiedergegeben zu werden. Der Bericht über die Besuche Jesu zu Jerusalem hatte offenbar für diese Gläubigen nicht denselben Reiz oder denselben Wert wie die Vorgänge des Lebens in Galiläa und die sich daran anschließenden Lehren rein moralischer Natur. Die Reisen nach Jerusalem hatten, abgesehen von der letzten, seit der Katastrophe, die diese mit sich brachte, und die von jenen nur vorbereitet worden waren, an Interesse verloren. 1)
    Dies erklärt den eigenartigen Ausdruck, den Paulus in seiner Predigt zu Antiochien in Pisidien wählt (Ap. Gesch. 13, 31): "Und er ist erschienen . . . denen, die mit ihm von Galiläa nach Jerusalem hinaufgegangen waren, welche nun seine Zeugen vor dem Volk sind." Vom Gesichtspunkt des nunmehr vollendeten Thatsachen des Todes und der Auferstehung Christi aus erschien die ganze Wirksamkeit Jesu, wie  W i ch e l h a u s  gesagt hat, gleichsam als  "e i n  f e i e r l i ch e r  H e r a u f z u g"  zur heiligen Stadt. Die mehrfachen kürzeren Besuche Jesu daselbst hatten für die Belehrung der Gemeinden nicht denselben Wert wie für uns.
    3.  B o v o n  fragt, wenn die mündliche Überlieferung die Quelle unsrer drei Synoptiker wäre, ob alsdann nicht die Leidens= und Auferstehungsgeschichte, die am häufigsten wiederholt wurde, in den drei Schriften am meisten wörtlich ähnlich lauten müßte. Der Bericht des Lukas aber weicht hier gänzlich von den beiden andern ab. - Das ist wahr; aber wir haben aus unabweisbaren Anzeichen erkannt, daß Lukas seine besonderen Quellen hat, die bald mündlich, bald schriftlich, bald in Übereinstimmung mit der Tradition, bald unabhängig von ihr sind. Gerade in diesem Abschnitt nun ist die Verschiedenheit der

    1) Die apostolische Tradition hatte wohl einen historischen Inhalt, nicht aber einen historischen Zweck. Die Erzählung der Geschichte Jesu sollte nicht einfach zur Belehrung dienen, sondern zur Weckung des Glaubens. Es handelte sich also nicht darum, alle Einzelheiten zu beachten, die uns von unsrem historischen Gesichtspunkt aus wichtig erscheinen. Johannes hat freilich deren mehrere, unter andern die Reisen nach Jerusalem hervorgehoben, aber deshalb, weil sich Reden daran knüpften, die in der mündlichen Urtradition keinen Raum gefunden hatten, und die, entsprechend seinem Plane (das fortschreitende Anwachsen des jüdischen Unglaubens, der die Katastrophe herbeiführte, nachzuweisen), insgesamt für ihn von hervorragendem Werte waren. Dies bewahrheitet sich besonders bei der vorletzten, der Reise nach Bethanien zur Auferweckung des Lazarus, deren hauptsächlichste Bedeutung für ihn nicht in dem Wunder selbst lag, sondern in der innigen Beziehung desselben zu der schließlichen Katastrophe. Wie Markus und Matthäus eine Totenerweckung berichtet hatten (der Tochter des Jairus, und ebenso Lukas eine eigne hat, des Jünglings zu Nain), so wurde auch Johannes dazu geführt, seinerseits eine solche zu erzählen.


423

Quelle von den beiden andern offenbar. 1) Was Markus und Matthäus betrifft, so ist entweder der Bericht des einen von dem des andern abhängig, oder beide geben dieselbe Tradition wieder. Wir haben die Unmöglichkeit der ersten Annahme festgestellt, folglich ist die zweite die allein richtige. In beiden Fällen aber ist daraus kein Schluß gegen das Vorhandensein einer fest bestimmten jerusalemischen mündlichen Tradition zu ziehen.
    4.  W e i ß  stellt es in seiner  E i n l e i t u n g  (§ 44, 3) "als unzweifelhaft hin, daß die apostolischen Mitteilungen sich gegenseitig ergänzen und rectificieren, daß sie zumal bei der Armut der aramäischen Sprache, allmählig eine stereotype Gestalt gewinnen mußten, namentlich in den am häufigsten wiederholten Stücken". Aber er stellt in Abrede, "daß von einer Einlernung oder gar Übersetzung dieses Traditionstypus die Rede sein könne". In seiner Schrift über  M a t t h ä u s  u n d  s e i n e  L u k a s p a r a l l e l e n  hat er einige Seiten 2) darauf verwandt, die Darlegung der Hypothese der mündlichen Tradition, die ich in meinem  C o m m e n t a r  z u m  L u k a s e v a n g e l i u m  gegeben hatte, zu widerlegen. Man darf sich, denkt Weiß, über die Änderungen, denen ein Evangelist den Wortlaut und die Worte des Herrn einer fertigen Redaktion gegenüber unterzogen hat, nicht mehr wundern, als über die, welche die Tradition daran vorgenommen hat. Im Grunde kommt das auf dasselbe hinaus. - Es liegt aber doch der Unterschied vor, daß diese unwillkürlich sein können, während jene überlegt und absichtlich sind, was für deren Wertschätzung keineswegs "dasselbe" ist.
    Weiß fragt, wie Lukas von den Umständen und besonderen Anlässen, die er den Worten des Herrn zuweist, Kenntnis erlangt haben könne. Sagt er es nicht selbst in seinem Prolog? Er hat sich  e r k u n d i g t,  und zwar  g e n a u,  besonders sofern es sich um die  R e i h e n f o l g e  der Begebenheiten handelte. Ich glaube in meinem Commentar und auch in dem vorliegenden Werke deutlich genug nachgewiesen zu haben, welch vorzüglichen Erfolg diese an Ort und Stelle vorgenommenen Erkundigungen gehabt haben.
    Endlich schiebt Weiß die Schuld meiner Abneigung gegen die neuere Kritik und ihre Folgerungen auf "meine Vorstellung von der Inspiration der kanonischen Evangelien". Was ich auf Grund des Prologs des Lukas über die Art und Weise der Abfassung dieser Schrift gesagt habe, sollte hinreichen, Weiß eines besseren zu belehren und mich vor dieser Unterstellung zu schützen. In meinen Augen ist es nicht die Inspiration der biblischen Autoren, die der ihnen zugeschriebenen Behandlung der Worte und der Geschichte Jesu im Wege steht, sondern ihre Ehrlichkeit. Für mich ist es unmöglich zu glauben, daß ein aufrichtiger Verfasser die Worte eines Menschen, der für ihn und (wie er weiß) auch für seine Leser die maßgebende Autorität ist, beliebig umgestaltete, während ihm eine Schrift vorliegt, in der er sie genau vorfindet; daß er zum Beispiel von sieben Seligpreisungen drei wegläßt und vier Weherufe hinzufügt, daß er anstatt "nur einen Stab" setzt "nicht einmal einen Stab", daß er die Aussendung der siebzig Jünger einfach erfinde, um eine an die Zwölf gerichtete Ansprache auf sie anzuwenden, usw.  Ein solches Verfahren erscheint mir übrigens nicht allein vom Gesichtspunkt der Geradheit aus unzulässig, sondern auch von dem der Logik. Schenkt der Verfasser seiner Quelle Vertrauen, warum erlaubt er sich, sie zu ändern? Schenkt er ihr keins, warum glaubt er sie für die Zwecke der Gemeinde abschreiben zu müssen?  S i m o n s  denkt,

    1) Sie ergiebt sich zum Beispiel deutlich aus folgenden Thatsachen: den Worten Jesu an die Töchter Jerusalems, der Weglassung der großen Sitzung des Sanhedrin in der Nacht, den drei Worten am Kreuz, die nur Lukas hat, dem reuigen Schächer, usw.
    2) S. 61-63.


424

daß man damals den Schriften, die man benutzte, nicht wie wir einen kanonischen Wert beimaß. Sehr wohl! Allein wenn man sie als Quellen benutze, so geschah dies, weil man sie für glaubwürdig hielt.
    [...]

[Top]